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die Warenhaussteuer zu erhöhen und die Anfangs­grenze für die Festsetzung der Warenhaussteuer von 400000 auf 200000 herabzufetzen. Ein Regierungskommisfar erklärte, daß für die Regierung die Beschlüsse der Kommission unannehmbar seien. Außerdem bestehe das Gesetz noch zu kurze Zeit, um heute schon über seine Wirksamkeit ein Urteil fällen zu können. An der Debatte beteiligten sich Abgeordnete der verschiedensten Parteien. Es folgte alsdann der zweite Punkt der Tagesordnung, die zweite Lesung des Antrages Funk-Oeser (frs. Vp.) wegen Vorlegung eines Gesetzentwurfes zur Ab­änderung des Gewerbesteuergesetzes dahin, daß die beiden unteren Steuerklassen erleichtert werden. Die Kommission hat diesen Antrag abgelehnt und statt seines eine Resolution beschlossen, im Wege der An­regung dahin zu wirken, daß die Gemeinden mehr als bisher ans eine gerechte Ausgestaltung der Gewerbesteuer Bedacht nehmen. Ein Regierungs­kommissar betonte, daß die Regierung nach wie vor auf ihrem ablehnenden Standpunkt beharren müsse. Der KomissionSantrag wurde hierauf einstimmig angenommen und weiter noch Petitionen beraten. Morgen zweite Beratung der Sekundärbahnvorlage, des Gesetzentwurfes zur Abänderung des Waren­haussteuergesetzes und des Gesetzentwurfes betreffend der Erweiterung des Stadtkreises Essen (Ruhr.)

Kiel, 10. Mai. An Bord des Linienschiffes Mecklenburg riß, wie die Kieler Neuesten Nach­richten melden, die Ankerkette. Von dem abfliegen­den Ende wurde der Bootsmaat Matthes und ein Matrose getroffen. Dem elfteren wurden beide Beine abgeschlagen, während der andere Verletzungen am Kopfe erlitt. Beide wurden nach dem Kieler Krankenhause gebracht.

Paris, 10.Mai. Der hiesige japanische Gesandte, Motono, hatte gestern eine Unter­redung mit Delcassö. Motono hofft, daß Frankreichs neue strenge Instruktionen in Tokio beruhigende Wirkung üben werden, rechnet aber auf alle Fälle auf Englands dauernde Unterstützung, damit RoschdjeswenSkys Starrsinn trotz alledem nicht recht behalte.

Moskau, 10. Mai Zum 100. Todestag Schillers wurden gestern in der Petri-Paulischule Schillerfeiern gehalten und abends vom Verein deutscher Reichsangehöriger in den Sälen des Slav- jauski-Bazar unter großer Beteiligung der deutschen Kolonie eine Festfeier mit Gesängen, Deklamationen und Aufführung einer Anzahl Scenen aus Schiller- 'schen Dramen, Huldigung und Bekränzung der Echillerbüste und abschließend mit einer geselligen Vereinigung der Festteilnehmer.

London, 11. Mai. Ein Vertreter des Globe" ist von der Gräfin Montignoso empfangen worden. Die Unterredung fand in Gegenwart der Gesellschafterin, Gräfin Fugger statt. Die Gräfin Montignoso erklärte, daß ihre Beziehungen zu dem König von Sachsen nunmehr definitiv geregelt seien und zwar auf einer beide Teile befriedigenden Basis. Sie bestätigt, daß sie bis auf Weiteres ihr Töchterchen bei sich behalten werde. Die Haupt­

schwierigkeiten bei Abschluß des Abkommens bereiteten die Nachrichten, welche die Presse veröffentlichte und die meist falsch wären. Dies gelte namentlich von der in letzter Zeit aufgetauchten Meldung, daß sie beabsichtigt hätte, ein Perlenhalsband im Werte von 300 000 ein Hochzeitsgeschenk ihres Gatten, bei einem Londoner Juwelier zu verkaufen.

New-York, 11. Mai. Ein Bericht aus Cariocas meldet, Castro sei gesundheitlich ein Wrack, das sich nur durch den Gebrauch von Stimulantien aufrecht erholte. Sein Zusammen­bruch würde ein vollständiges Chaos in Venezuela herbeiführen.

Berlin, 11. Mai. Aus Petersburg wird gemeldet: Es scheint nunmehr festzustehen, daß Kuropatkin seine Rolle in Ostafien end- giltig ausgcspielt hat. Schon vor einiger Zeit wurde gemeldet, daß zwischen ihm und Linjewitsch Differenzen entstanden waren. Neuerdings hört man, daß Lin- jewttsch sich zweimal über Kuropatkin beschwert habe, weil dieser seinen Befehlen nicht nachgekommen sei. Daraufhin ist Kuropatkins Abberufung be­schlossen worden; die Meldung russischer Blätter, daß seine Rückkehr wegen zerrütteter Gesundheit erfolge, ist lediglich eine Beschönigung der wahren Ursache.

Petersburg, 10. Mai. In hiesigen Marinekreisen ist. man überzeugt, daß bis jetzt den beiden russtschen Geschwadern im fernen Osten kein Unfall begegnet ist. Nebogatows Division führt eine Geschwindigkeit von 7 Knoten regelmäßig durch. Der Admiral ist von der Zuversicht erfüllt, daß er die Lösung der ihm übertragenen Aufgabe durch­führen wird. Es find Anzeichen dafür vorhanden, daß die Vereinigung beider Geschwader tatsächlich schon stattgefunden hat oder stattfinden muß. Beide Flotten stehen schon mittels drahtloser Telegraphie in Verbindung.

Petersburg, 10. Mai. Vom Kriegs­schau p l a tz wird mitgeteilt, daß alle Vorbereitungen getroffen seien, um Chardin zu räumen. Die La- zarethe werden nach Schitar verlegt. Gestern Abend zirkulierte das Gerücht, es sei Roschdjeswensky gelungen, zwei japanische Hilfskreuzer in den Grund zu bohren. Die Nachricht rief große Begeisterung hervor. Auf der Admiralität erklärt man jedoch, man habe bisher eine derartige Meldung nicht er­halten.

Petersburg, 10. Mai. DerNowoje Wremta" zufolge befinden sich zwischen dem Baikal­see und Wladiwostok 2000 Offiziere und 30 000 Mann verwundet oder krank in den Lazarethen.

Paris, 10. Mai. DemPetit Journal" wirb aus Saigon von gestern gemeldet: Das Geschwader des Admirals Nebogatow wurde bei Tagesanbruch, etwa 20 Meilen von der Küste entfernt, beim Kap St. Jogues gesichtet, es schickte sich an, den Saigonfluß hinauf zu fahren, wo es die für seine Vereinigung mit der Flotte des

Admirals Roschdjeswensly erforderlichen Nachrichten vorzvfinden und sich mit frischen Lebensmitteln ver­sehen zu können hoffte. Es wurde jedoch auf offener See von einem Aufklärungsschiff RoschdjeswenSkys angehalten, welches ihm den von der französischen Regierung ausgesprochenen Wunsch übermittelte, daß die Vereinigung beider Geschwader außerhalb der indochinesischen Gewässer stattfinden wöge. Nebo­gatow segelte hierauf nach der offenen See, um sich mit dem Geschwader RoschdjeswenSkys zu ver­einigen, welches zweifellos an der Küste von Anam auf ihn wartet.

Paris, 11. Mai. Der Kriegskorrespondent des Matin berichtet aus Guntschulin: Nach einer Besichtigung der russischen Linien müsse er erklären, daß der Zustand der russischen Armee ein ganz anderer sei, als allgemein in Europa angenommen werde. Die Stimmung sei eine vorzügliche, die Soldaten verlangten mit greßem Ungestüm in den Kampf zu kommen.

Paris, 11. Mai. Nach einer aus Saigon hier eingetroffenen Meldung soll sich das Ge­schwader Nebogatows mit dem Rosch­djeswenSkys bei Kap Padaran, etwa 350 Km. nördlich der Mekong-Mündung an der cochiu- chinefischen Küste vereinigt und dann den Kurs in unbekannter Richtung fortgesetzt haben.

Paris, 11. Mat. Nach Meldungen aus Petersburg soll ein Z us a mm enstoß zwischen den beiden feindlichen Flotten in Öftesten nicht vor 10 Tagen z« erwarten sein.

London, 11. Mast Nach Meldungen aus Tokio veröffentlicht die jcpanische Regierung die Aufforderung zu Kaufangeboten auf 22 im Hafen von Port Arthur liegenden russischen Schiffen, deren Hebung die Käufer auf eigene Kosten bcwcrk, stelligen müssen.

vermischtes.

(Ein gefeierter Fasan.) Tie50000 Kreatur" die der Kaiser während seiner Jägertätig­keit erlegte, wird als großartiges Andenken der Nachwelt erhalten bleiben. Das 50 000. Stuck vom Kaiser erlegte Wild war ein in Groß-Strelitz znr Strecke gebrachter weißer Fasanenhahn. Der Kaiser nahm damals den Hahn mit nach Berlin. Jetzt ist das Pracht« xewplar präpariert und ausgestopft dem Jagdherrn, dem Grafen Tschirsky-Reard mit einem Handschreiben des Kaisers als Geschenk des Kaisers zugestellt worden. Das Tier steht auf einem Postament, das auf einer silbernen Platte eine vom Kaiser verfaßte Widmung trägt. Mehr kann ein Fasan nicht verlangen. Bekanntlich ist ihm vom Grafen Tschirskh an seinem Todesorte auch schon ein Denkmal gesetzt worden, so daß für seine Unsterblichkeit alles mögliche getan ist. Und er war doch nur ein weißer Fasanenhahn!

Gottesdienste.

Sonntag ZuSikale, 14. Mai. Vom Turm: 62. Predigt­lied: 206, Erhalt uns Herr ec. 9 Uhr: Vormitt--- Predigt, Herr Stadtpfarrer Schmid. 1 Uhr: Christenlehre mit den Söhnen.

Donnerstag, 18. Mai. 8 Uhr abends: Bibelstunde im Vereinshaus, Herr Stadipfarrer Schmid.

Man nannte als Vorsitzenden dieser Kommission den Kriegsminister Tatischef. den Großfürsten Michael, die Generäle Diebitsch, Kutusow, Benkendorf, Fürst Galitzin, General Tschernitscheff, Lewaschoff und den Oberst Adlerberg. Selbst­verständlich blieb der Kaiser selbst der oberste Richter, und alltäglich wurden ihm die Akten der Untersuchung vorgelegt. Ich erinnere mich auch, daß ein Gerücht zu uns drang, der englische Gesandte Hab« gewagt, ein Fürwort für di« Ver­urteilten «inzulegen» aber der Kaiser habe geantwortet:Ich werde Europa in Erstaunen setzen."

Ueber das Endergebnis verlautete erst Ende Juli, daß am dreizehnten dieses Monats das Strafgericht begonnen. Obwohl der Gerichtshof an sechsund­dreißig Angeklagte das Todesurteil ausgesprochen, wurde es auf kaiserlichen Befehl nur an fünf Unglücklichen vollstreckt. Ihre Namen sind in die Tafeln der Geschichte eingetragen. Es waren Oberst Paul Pestel, Lieutenant Konrad Rylöjef, Oberst Sergius Murawieff, Lieutenant Michael Bestuscheff und Lieutenant Kachowski. Alle Uebrige» jener s-chSunddreißig samt einer weiteren Anzahl von vierundachtzig wurden zu verschiedenen Graden von Verbannung nach Sibirien verurteilt, weitaus die Mehrzahl zu lebenslänglicher. Die schuldigen Regimenter selbst wurden in den Kaukasus geschickt, um ihre Schuld im Kampf gegen die Bergvölker zu sühnen.

Seitdem verstummte jede weitere Botschaft. Der Hochsommer war ge­kommen mit sonnigem Dust und Glanz, seiner Schwüle und SegrnSfülle, ja, wir hatten Frieden und Stille um uns, aber eS war die Stille des Grabes, des Schweigens und Schreckens. Keiner wagte mehr «in offenes Wort wie sonst. Jeglicher vollbrachte sein Tagewerk wie ein mechanischer Automat und schätzte «S

noch für ein Glück, wenn er am folgenden Tag« die Gesichter seiner Freunde wiedersah.

Von Sherwood hatte ich seit sechs vollen Monaten krine Kunde mehr. Immer wieder kehrte die Frage: Was war aus ihm geworden? Lebte er noch oder war er mit den Verbannten nach Sibirien geschickt? Oder hatte ihn die Nemesis in anderer Weise ereilt? Und was sollte dann auS seiner Frau werden? Oft mußte ich an die schone interessante Dulderin denken, deren Lebensglück dem Abenteurer zum Opfer gefallen war. Und Tatiana und Wadkowtki? Sein Name befand sich ebenfalls unter denen, die auf Lebenszeit zu den Zwangsarbeiten in den Bergwerken von NertschinSki verurteilt waren, aber seine Frau? War sie ihm wirklich in die traurige Einöde gefolgt oder in das väterliche Haus zurück­gekehrt? Oft war ich im Begriff, um Auskunft nach Stanitza Taruffa zu schreiben, aber eine gewisse Scheu, fremde Wunden zu berühren, hielt mich davon ab.

Da geschah eS Anfang August» daß ich eines Tages ein Schreiben vom Popen Wassilli Smirnoff auS Tarussa erhielt. EL waren nur wenige, aber ein­dringliche Zeilen.

Unter anderem schrieb er:Da ich Sie doch als alten Hausfreund unserer gnädigen Herrschaft betrachten dark, wollte ich Ihnen schon lange Mitteilungen machen von den traurigen Verhältnissen auf dem Schlosse. Unser verehrter General Iwan Uschakoff siecht sichtlich dahin. Er ist nicht eigentlich körperlich krank. Man sieht ihn im Park, auf dem Hof und in den Ställen; wenn er auch nicht mehr auf die Jagd geht, weiß er sich doch zu tun zu machen, aber er ist seltsam geworden und er treibt wunderliches Zeug. Noch in voriger Woche ließ er die Gartenmöbel schwarz anstreichen und half selbst dabei. (Forts, folgt.)