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Neuenbürg, Montag, den 18. Dezember 1922
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! 80. Jahrgang.
Deutschland.
Stuttgart, 16. Dez. Das Staatsminister inm hat dieser Tage den Entwurf eines Gesetzes über Gewährung eines Darlehens an die Jura-Oelschieferwerke A.-G. und Uebernahme einer Bürgschaft für sie festgestellt, der dem Präsidium des Landtags mit. Schreiben des Staatsministeriums vom 14. Dezember zugegangen ist. Das Gesetz soll das Finanzministerium ermächtigen. Len Jura-Oelschieserwerken gegen angemessene Verzinsung und Tilgung ein Darlehen «ms dem Betriebs- und Vorratskapital der Staatshauptkasse ibis zum Betrag von 9 Millionen Mark zu gewähren und für ein dieser Gesellschaft von der Württ. Landessparkasse zu gewährendes Darlehen von 13 Millionen Mark namens LG Württ. Staates die selbst-- ,'chuldnerische Bürgschaft zu Wernehmen. In dem dem Landtag gleichzeitig übergebenen Vierten Nachtrag zum Entwurf des Staatshaushaltplans für 1922 werden zur Erwerbung weiterer Aktien der Jura-Oelschieferwerke durch den Staat S 609 050 Mark und zur Ausdehnung der Beteiligung des Staats an der Reederei Schwaben G. m. b. H. 4 800 000 Mk. gefordert.
Stuttgart, 16. Dez. Das Staatsmimstermm hat dieser Tage den Entwurf einer 6. Aenderung des Besoldungsgesetzes jjir Württemberg festgestellt, der dem Landtag bereits zugegangen ist. Der Entwurf bezweckt, die Verbesserungen, die das Reichsbesoldungsgesetz, das Reichsbeamtengesetz, das Reichs- Msionsergänzungsgesetz, das Reichsbeamtenhinterbliebenengesetz und das Reichsunfallfürsorgegesetz neuerdings erfahren haben, wiederum auch den württ. Beamten zukommen zu lassen. Aus den Verbesserungen ist hervorzuheben die Erhöhung der Witwenpension von 40 ans 60 Prozent des Ruhegehalts des Beamten und die Vereinfachung der Berechnung der Teuerungszuschläge zu Ruhegehalt, Wartegeld und Witwenpension dahin, daß die Teuerungszuschläge künftig unmittelbar Ms dem Ruhegehalt, idem Wartegeld und der Witwenpension selbst berechnet werden.
Stuttgart, 16. Dez. Die Ueberzeitarbeit bei den Bankgeschäften war Gegenstand einer kleinen Anfrage im Landtag, wf die Arbeitsminister Keil erwiderte, daß die Ueberzeitarbeit mit der Zunahme der Bankgeschäfte Zusammenhänge und sich bei der Schwierigkeit der Raumbeschaffung sowie dem Mangel an ausgebildetem Personal in den meisten Fällen nicht vermeiden laste. Gegen zwei Stuttgarter Großbanken, die unter Berufung ans ein Reichsgerichtsurteil es abgelehnt haben, ihre Gesuche um Genehmigung von Ueberzeitarbeit zu wiederholen, sei Strafanzeige erstattet. Gegen solche Banken, von denen bekannt würde, daß ihre Angestellten ohne Genehmigung Ueberzeitarbeit leisteten oder daß sie über die erteilte Genehmigung hinaus Ueberzeitarbeit verlangten, würde ebenfalls mit Strafanzeige vorgegangen.
Berlin, 16. Dez. Im Reichstag ist von der Deutsch-Nationalen Fraktion ein Antrag eingebracht worden, die Regierung zu ersuchen, schleunigst einen Gesetzentwurf vorzulegen, wonach vom 1. Januar 1923 ab der Ankauf von Edelmetallen, Juwelen, sowie von Altmetallen der Erlaubnis bedarf und Zuwiderhandlungen mit empfindlichen Freiheitsstrafen und hohen Geldbußen zu ahnden sind. — Der sozialistische Ausschuß des Reichstags beschloß einstimmig die vierfache Erhöhung der Unfallrentenzulage.
Berlin, 16. Dez. Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion macht das Urteil im Harden-Prozeß zum Gegenstand einer Interpellation, in der gefragt wird: Wie beurteilt di« Regierung die innen- und außenpolitische Wirkung des Urteils? Welche Maßnahmen gedenkt sie zur Wiederherstellung der Rechtssicherheit in Deutschland gegenüber offenbaren und organisierten Mördern zu ergreifen? Welche Folgerungen gedenkt ße Ms solchen Urteilen für die Justizreform zu ziehen.
Wörttemvergischer Landtag.
Stuttgart, 16. Dez. Die erwartete Sensation, die Beantwortung der Großen Anfrage Pflüger betr. Uehergriffe der Nationalsozialisten kam nicht. Das Haus blieb schon am 1. Run kt der Tagesordnung, cm der Bewilligung des 80-Milli- onen-Kredits für die Neckar-A.-G. hängen. Die schroffe Ablehnung durch Ströbel (BB-) erregte die Gemüter. Die Sozialdemokraten traten warm für die Vorlage ein, da der Neckarkanal in hohem Maße geeignet sei, der württ. Industrie bei der Steigerung der Produktton behilflich zu sein. Die Kommunisten wollen den Weiterbau, um dadurch Beschäftigung für die Arbeitslosen zu haben. Zentrum und Demokraten treten da- !ür ein, die begonnenen Arbeiten so Weit als irgend wie möglich fortzusetzen und wünschen vor allem, daß auch das Kraftwerk Obereßlingen vollendet werde. Abg. Bazille spielt Mn Trumpf aus, daß setzt seine Prophezeiung, man muffe Mn kaum begonnenen Ban infolge Geldmangels wieder ein- -ÜAen, eingetroffen sei, «weil.eben die ganze Erfüllungspolitik mit all ihren Folgen jedes derartige Unternehmen zugrunde ^richtet habe. So kommt das Haus wieder einmal ans die bekannte Erfüllungspolitikdebatte, die keinem Teile angenehm MH nützlich ist. Ein Intermezzo bringt noch die Feststellung, baß der Abg. Naser als Bauernbündler im Ausschuß für die Bewilligung gestinrmt habe, was von dem Abg. Naser entschieden bestritten wird. Nach zweistündiger Abschweifung koinmi man zur Annahme des Gesetzentwurfs. Auch die Ge
haltserhöhung der kath. und evangel. Geistlichen wird ohne Debatte genehmigt. Nur die Kommunisten lehnen grundsätzlich ab. Mit Rücksicht aus die vorgeschrittene Zeit muß die Debatte über die Nationalsozialisten von der Tagesordnung ab- gesetzt werden. Dafür wird der Nachtrag zum Staatshaushaltplan über die Neuordnung des Polizeiwesens in dritter Lesung genehmigt. Die Beantwortung der Großen Anfrage Pflüger betr. Uebergriffe der Nationalsozialisten wird auf Montag nachmittag 5 Uhr vertagt.
Milchpreis und Milchaulieferung.
Stuttgart, 16. Dez. Zwischen dem Direktor des Landwirtschaftlichen Hauptverbandes Bräuninger und Ernährungsminister Keil hat ein Briefwechsel stattgestrnden, der von öffentlichem Interesse ist. Bräuninger hatte von Minister Keil gewünscht, daß er seinen Einfluß auf die sozialdemokratische Presse im Sinne einer versöhnlichen Kritik der Milchpreiserhöhung geltend machen möchte, und als Folge einer etwaigen Fortsetzung der scharfen Kritik der Milchpreiserhöhnng hatte er einen weiteren Rückgang der Milchanlieferung in Aussicht gestellt. Ernährungsminister Keil hat darauf geantwortet, daß er als Minister keinen Einfluß auf die Haltung der Schwäb. Tagwacht habe, aber eine sachliche Behandlung wirtschaftlicher Fragen wünsche, jedoch auch wisse, daß der Boden der Sachlichkeit zuweilen auf allen Seiten verlassen werde. Wenn aber Direktor Bräuninger durch die Kritik der Milchpreiserhöhungen sich veranlaßt fühlen sollte, selbst zur Einschränkung der Milchanlieferung beizutragen, so wäre das falsch, ja geradezu unverantwortlich. Me dürfe eine harte Kritik von der Erfüllung einer Pflicht abhalten gegenüber den Mitmenschen, die sich aus dem Vorzug des Bodenbesitzes von selbst ergebe. Eine versöhnliche und sachliche.Beurteilung der Preisfragen, die heute für wette Volkskreise Lebensfrage sind, aiff landwirtschaftlicher Sette mäßige auch die Kritik auf Seiten der Verbraucher und sei für das ganze Volk von größtem Nutzen.
Kein Streikrecht der Beamten.
Der Reichsdisziplinarhof verneinte in einem Urteil grundsätzlich das Streikrecht der Beamten. Zur Beurteilung standen die Fälle dreier EisenHahnbeamten aus Wittenberge, die gelegentlich des Eisenbahnerstreiks von ihrem vermeintlichen Streikrecht Gebrauch gemacht hatten. Der Reichsdisziplinarhof hat angenommen, daß die Angeschuldigten, die der Reichs- gcwerkschast angehören, in deren Satzungen auch der Streik als erlaubtes Kampfmittel angeführt ist, der Meinung sein konnten, daß ihnen das Recht «ms Streik znstehe. Das Gericht kam daher zu einer milderen Beurteilung und erkannte nur auf Strafversetzung und Geldstrafe.
Das Berliner Echo.
Berlin, 16. Dez. Die meisten Berliner Blätter enthalten sich jeden Kommentars zur Rede Poincares. Die „Deutsche Tageszeitung" erklärt: Die von der ganzen Welt mit größter Spannung erwarteten Erklärungen Poincares sind genau so ziveidsutig ausgefallen, wie es Lei der schon wiederholt skizzierten Lage von dem gerissenen Taktiker Poincare zu erwarten war. — Die „Deutsche Allgemeine Zeitung" urteilt: Poincares Rede ist nüchtern, fast farblos und ohne Sensation, falls man solche erwartete. Er sieht seine Hände in gewisser Hinsicht gebunden, da die Verhandlungen in der Schwebe geblieben sind und man sich in London geeinigt hat, die Worte vorsichtig in der Oeffentlichkeit zu wählen. Seine Angriffe gegen Deutschland sind wesentlich abgeschwächt. Sein einziges Akti- vum ist sein möglichst isoliertes Vorgehen als Ingenieur und Zöllner.
Ausland.
Warschau, 16. Dez. General Haller ist aus seinem Amt entfernt worden, weil er als Haupt der rechtsradikalen Bestrebungen zu betrachten und während der Unruhen gegen die Regierung hervorgetreten ist.
Paris, 16. Dsz. In der Kammerdebatte versicherte Briand Poincare seiner Unterstützung. Nach der Rede Poincares ergriffen noch mehrere Abgeordnete das Wort, darunter besonders Tardieu, der sehr heftig Poincare auch wegen feiner inneren Politik angriff, ferner Periot und Herriot. Schließlich wurde ein einfaches Vertrauensvotum mit 512 gegen 76 Summen angenommen.
Paris, 16. Dsz. Die argentinische Regierung hat in Paris mitgeteilt, daß sie bereit sei, den Frankreich 1918 gewährten Kredit von etwa 18)4 Millionen Goldpesos mit Wirkung vom 14. Januar 1923 an um ein Jahr zu verlängern.
Dublin, 15. Dez. Gestern haben die letzten englischen Truppen, die sich noch in Dublin aufhielten, die Stadt verlassen. Es waren ungefähr 2006 Soldaten, die drei verschiedenen Regimentern angehörten. Der Rücktransport ereignete sich ohne Zwischenfall. Die Menge ries: Auf Wiedersehen! Ihr werdet bald wieder hierher kommen!
Moskau, 16. Dez. Nach einer Meldung der Rust. Tel.- Ag. ist der deutsche Dampfer „Pionier" mit einer Ladung Schuhwaren und Nähmaschinen wohlbehalten in dem persischen Hafen Enzeli eingelansen.
Mussolini empfiehlt feinen Rcpararionsplan.
Rom, 16. Dez. Im Ministerrat erklärte gestern Mussolini,
er werde sich nicht zur Pariser Konferenz am 2. Januarbegeben, wenn sie nicht vorher hinreichend diplomatisch vorbereitet würde. Nach seiner Meinung würde es nötig sein, zum italienischen Memorandum zurückzukchrcn. Der Ministerrat stimmte einer weiteren Amnestie zu.
„Kein Teil Deutschlands ist deutscher gesinnt als das Rheinland."
Paris, 16. Dez. lieber die französischen Rheinlanüpläne schreibt „L'Ere Nouvelle", deren Urteil Wer Las Rheinland für Las gesamte Ausland von besonderem Interesse sein dürste, folgendes: „Bis heute hat Frankreich die doppelte Politik verfolgt, Deutschland zu schwächen und aus Deutschland Reich- tümer herauszuholen. Wenn die zweite Methode nichts ern- bringt, dann ist das für Frankreich ein Grund mehr, die erste Methode ins Endlose zu verfolgen. Es ist daher möglich, daß die französische Regierung nunmehr fest entschlossen ist, ihre offenen Ziele zu verwirklichen, d. h. ihre Grenzen bis zum Rheine vorzuschieben und die heutige Besetzung wenn nicht in eine nominelle, so doch in eine virtuelle Annexion zu verwandeln. Frankreich kann ferner mit der Besetzung des Rnhrge- biets drohen. Wenn nun ein derartiger Schritt den französischen Industriellen auch interessante Aussichten eröffnet^ so ist dieser Schritt doch wahrscheinlich vergeblich. Im Gegensatz zu den für Las Rheinland ins Auge gefaßten Maßnahmen ist die Besetzung des Ruhrgebiets eine bedenkliche militärische Operation, die mit der traditionellen französischen Politik nichts zu tim hat. Sie wäre nur eine einfache Demonstration, aljtz. ein Fehler. Die Besetzung des Ruhrgebiets würde ferner -ganz Europa in das Chaos Stürzen und es rasch in eine unmögliche Lage bringen. Wenn Frankreich sich der Rheinprovinzen bemächtigen sollte, so wäre diese Maßnahme für es selbst, für Errropa und für dir Zukunft des Friedens verhängnisvoll. Die ganze Welt einschließlich Deutschland würde sofort, sei es durch Proteste, sei es durch Drohungen, Frankreich davon abzubringen suchen, eine derartig gefährliche Lage in Europa zu schaffen. Das Rheinland hat eine Bevölkerung von 8 530 384 Seelen. Kein Teil des Reiches ist deutscher gesinnt. Welcher Wahnsinn, anzunehmen, Frankreich könne durch Einverleibung dieser fremden Gebiete in sein Verwaltungssystem seine Sicherheit vermehren.
Die französische Presse zur Rede Poincares.
Paris, 16. Dez. Nur wenige Blätter stellen Betrachtungen über die gestrige Erklärung Poincares in der Kammer an. — Der „Figaro" schreibt. Las Wort „Ruhe" habe einige Monate hindurch den Glauben erweckt, als sei die Formel gefunden, die die Ausführung des Friedensvertrages sicherstelle. Poincare hübe aber gestern wieder auf das verwickelte Problem hingewiesen und ans die Schwierigkeiten, eine Lösung zu finden. Man könne nur Schritt für Schritt weitergehen. Manchmal müsse man auch zurückgehen. Poincare habe Wer gestern seinen Willen kundgegeben, die deutschen Reichtümer zu beschlagnahmen, wo sie sich befinden. — Die „Ere Nouvelle" schreibt, es werde keine militärische Besetzung des Ruhrgebiets mehr geben und auch keinen Gewaltstreich. Die schönen Pläne der Uebernationalisten seien vorüber. Poincare habe dem englischen Volke gesagt, was er denke, nämlich, daß es unmöglich sei, daß man London und Washington bezahle, solange Deutschland sich weigere, seine Schuld zu begleichen. Bonar Laws Ansicht sei eine andere. Man müsse also noch viel Entsagung und Offenheit und selbst von britischer Seite ein wenig Wagemut zeigen gegenüber der schlecht unterrichteten öffentlichen Meinung, damit eine ernsthafte Verständigung erzielt würde. — Der sozialistische „Populaire" fragt, warum Poincare nicht erklärt habe, daß die Allianz aufrecht erhalten würde, was immer auch geschehen würde. Er glaube wohl nicht daran, daß die Besetzung des Ruhrgebiets, selbst wenn sie eher einen wirtschaftlichen als einen militärischen Charakter trage, hiermit unvereinbar sei. Wenn Poincare dessen sicher sei, warum habe er es nicht gesagt?
Frankreich sucht Verständigung in der Reparationsfrage.
Paris, 16. Dez. Die französische Regierung bemüht sich anscheinend durch diplomatische Verhandlungen eine Verständigung in der Reparationsangelegenheit vorzubereiten. Poincare weist darauf hin, daß die in London begonnenen Besprechungen nicht abgebrochen seien, sondern auch während der Pause noch weitergehen.
Das „gräßlich schwere" Rcparatiousproblem.
London, 16. Dez. Auf der Konferenz der Konservativen Partei in London hielt gestern Bonar Law eine bedeutsame Rede, in der er u. a. sagte, das größte Hindernis für ein Wiederaufblühen des englischen Handels sei das Gefühl der Unsicherheit besonders aus dem Gebiete der auswärtigen Auge, legenheften. Mit Bezug auf die Konferenz von Lausanne äußerte er seine Genugtuung über die Taffache, daß die Alliierten dort nunmehr gemeinsame Sache machen und sprach die Hoffnung aus, daß dies auch künftighin so bleiben möge. Er versicherte, dieses einmütige Handeln sei die beste Garantie für den Frieden der Welt. Warme Worte des Beifalls fand er für die Tätigkeit Lord Curzons. Was die Reparationsfrage angehe, so halte er sie für ein gräßlich schweres Problem. Er erklärte, welches Resultat auch immer die Besprechungen in