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1. Die Ortsvorsteher haben sämtliche Pflich­tige, über deren Militärverhältnis die Stammrollen noch keine Entscheidung enthalten, insoweit zur Musterung vorzuladen, als sie i« der Ge- meiude zur Zeit ihre« Aufeuthalt ade». Die Abwesenden find im Bezirke des ufenthaltSortS gestellungspflichtig. Bei denjenigen, welche sich vor der Musterung zu Hause einfinden, um an derselben teilzunehmen, haben sich die Orts- vorsteher zu vergewissern ob nicht eine Tchein- ver-iehuug vorliegt, d. h. ob die Pflichtigen nach der Musterung nicht wieder dahin zurückzukehren beabsichtigen, wo sie vorher waren. Solche dür­fe« «icht zur Musteruug vorgelade« werde«, sondern find in den Bezirk ihres Aufenthaltsorts zu verweisen. Im Anstandsfalle ist beim Oberamt Bescheid zu holen.

Formulare zu Vorladuuge« find den Ortsvorstehern zugegangen. Die Eröffnnngs- urkuude« find dem Oderamt späteste«- vis 1. März d. I. vorrulege«.

5. Die Gemeindebehörden können von der Gestellung nicht entbinden. Wer durch Krankheit verhindert ist zu erscheinen, hat ein ärztliches Zeugnis einzureichen, welches von der Gemeinde­behörde beglaubigt sein muß, wenn der betreffende Arzt nicht amtlich angestellt ist.

Gemütskranke, Blödfinnige, Krüppel u. s. w., dürfen auf Grund eine? derartigen Zeugnisses von der Gestellung durch das Oberamt befreit werden.

6. Die Militärpflichtigen haben mit rein- gewaschenem Körper und reiner Wäsche zu erscheinen. Diejenigen, welche an Schwerhörigkeit zu leiden behaupten, haben das Jnuere des Ohres gründ­lich z« reinige«, um eine Untersuchung zu er­möglichen; auch haben sie, wenn möglich, amtlich beglaubigte Zeuguisse ihrer Lehrer, Geistliche« rc. rc. beizubringen, desgleichen solche, welche stottern oder schwachsinnig oder stumm oder tanb find. Wer an Epilepsie zu leiden behauptet, hat auf eigene Kosten 3 glaubhafte Zeugen zu stellen oder ein Zeugnis eines beamteten Arztes beiznbringen.

7. Die Ortsvorsteher haben sich mit den Stammrollen von 1903, 1904 und 1905 zu der bezeichneten Zeit im Musterungslokal zur Musterung eivzufinden, bei der Losung dagegen nicht. Die Stammrollen werden bei der Musterung ergänzt; die Losnummern find auf Grund der Losungsschetne, wenn diese vom Oberamt den Ortsvorstehern behufs Ansfolge an die Pflichtigen zugesendet werden, etn- zutragen.

Die Ort-vorfteher sind dafür verant­wortlich, daß die Pflichtigen bet der Musterung vollzählig und rechtzeitig sich eivfinden. Denselben ist zu bedeuten, daß alles Lärmen «nd jede Störung der Verhandlungen strenge be­straft werde« wird. Auch haben die Ortsvor­steher darauf zu sehen, daß die Militärpflichtigen sich in de« Ortschaften ruhig und anständig aufsühre«, und ist gegen jeden Unfug «ach- drücklichst einzuschreiten.

8. An- und Abmeldungen von Pflichtigen find alsbald dem Oberamt anzuzeigen, bei An­meldungen unter Anschluß der Losungsscheine.

Anträge auf Zurückstellung oder Befreiung vom Militärdienst (Sieklamationsgesnche) find spätestens im Musterungstermin etnzureichen und

wird htewegen auf die oberamtliche Bekanntmachung vom 25. Januar d. I., Wochenbl. No. 15, verwiesen. Die Verhandlungen hierüber, sowie über die Klassi­fikation der Mannschaften der Reserve rc. findet Heuer sämtlich auf dem Rathaus in Calw am Mittwoch, de« 15. März d I, statt.

Calw, 18. Februar 1905.

K. Oberamt.

Voelter.

Tagesneuigkeiten.

Gechingen, 2. März. Bei dem in letzter Zeit abgehaltenen größeren Stamholzverkauf aus den hies. Gemeindewaldungen wurden durch­schnittlich 21 ^ per Festmeter erlöst.

X Weilderstadt. Seit nahezu 50 Jahren hat sich der hies. Turnverein das Verdienst erworben, in gewissen Zwischenräumen FastnachtS- Spiele teils heiteren, teils ernsten Charakters auf- zusühren und hat diese Aufgabe immer mit gutem Geschick vollzogen. Anläßlich der Schillerfeier und zur besonderen Ehrung unseres großen Dichters werden Heuer am Fastnacht-Montag, den 6. März, hervorragende Scenen aus Wilh. Teil zur öffent­lichen Aufführung gebracht. Durch die anerkennens­werte Teilnahme aller hiesigen Vereine wird diese Aufführung dem gedachten Zwecke besonderen Aus­druck geben und wird Umzug und Spiel durch den großen Umfang von Teilnehmer und der Vielseitig- k eit der Costüme auch für fremde Besucher einen interessanten Genuß bieten.

Eßlingen, 3. März. Die Vcrtretersitzung der Vereinigten Gewerkschaften beschloß lt.Schwäb. Rundschau" am letzten Dienstag, die Maifeier am Montag, den 1. Mai, abzuhalten. In Stutt­gart soll bekanntlich in diesem Jahr der 1. Mai nicht gefeiert werden.

Kirchheim u. T., 1. März. Die im Laufe des Winters veranstalteten Holzverkäufe waren alle stark besucht und ergaben eine aber­malige Steigerung der Preise, die sich auf 120 bis 150°/° des Anschlags belauft. Für die schönen eichenen Stämme aus den Stadtwaldungen stellten sich nach längerer Unterbrechung wieder Käufer aus den Reichslanden ein, die ganz außerordentliche Preise verwilligten.

Ellwangen, 2. März. Wegen Unter­schlagung im Amt hat sich lt.Jpf- u. Jagstztg." Finanzrat Sch. von Kopfenburg gestern selbst der Staatsanwaltschaft gestellt. Es soll sich nach An­gabe des Inhaftierten um die Summe von 19 000 Mark handeln.

Ravensburg, 2. März. Der Verein für Geflügelzucht und Vogelschutz hält vom 22. bis 24. April ds. Js. anläßlich seines 25jähr. Bestehens seine 6. allgemeine Geflügelausstellung in der zu diesem Zweck vorzüglich geeigneten Turn­halle ab. Mit der Ausstellung verbunden ist eine Verlosung, wozu 6000 Lose L 50 A ausgegeben

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wurden. Als Preisrichter ist der als Autorität anerkannte Herr Marten von Lehrte gewonnen. Neben hohen Geldpreisen stehen zahlreiche Ehren­preise zur Verfügung. Der Ausstellung wird aller­seits ein großes Interesse erfigegengebracht. An­meldebogen find von der BereinSleitung zu beziehen. Unseren Geflügel- und Taubenzüchtern kann die Beschickung dieser Ausstellung ganz besonders des­halb empfohlen werden, weil das Urteil des Preis­richters Marten unbedingt kompetent ist. Sehr vorteilhaft ist die Beschickung der Ausstellung auch für die angrenzenden Nachbarstaaten Baden, Bayern, Schweiz, Vorarlberg und Tirol. Vielleicht dürfte die Ausstellung dann als 1. Bodensee-Geflügelschau zu betrachten sein.

Haigerloch, 2. März. In vergangener Nacht wurde auf den Nachtwächter der Fabrik Carlstal" wieder ein Mordversuch verübt. Der Attentäter suchte den Nachtwächter niederzu­schießen. Es fand ein mehrmaliger Kugelwechsel statt. Der Nachtwächter ist schwer verletzt. Der von dem Verletzten angegebene Josef Schullian von Haigerloch ist verhaftet.

Vom Bodensee, 1. März. In ver­gangener Nacht ließ sich in Konstanz ein junger Mann namens Koch vom Zug überfahren. Der Kopf wurde ihm vom Rumpfe getrennt. Ein bei ihm Vorgefundener Fingerring in einem Schächtel- chen und der Name eines Mädchens in seinem Notizbuch lassen darauf schließen, daß er die Tat aus Liebeskummer beging.

Todtnau, 1. März. Gestern mittag ereig­nete sich >m Gaswerk in Todtnau eine größere Explosion. Mit mächtigem Getöse flog das ganze Dach der Gasanstalt in die Luft. Die beiden im Gaswerk beschäftigten Arbeiter trugen Verletzungen davon, die zum Glück nur leichterer Art find. Die Explosion soll durch das Ungeschick eines Arbeiters, der mit heißem Teer zu schaffen hatte, entstanden sein.

Berlin. Die Budgetkommission des Reichs­tags setzte die Beratung des Entwurfs betr. die Frie- denspräsenzstärke des Heeres fort. Im Lauf der De­batte erklärte Kriegsmtnister v. Einem, die Manöver seien von großer Bedeutung für die krtegstüchtige Ausbildung des Heeres. Der Kaiser wolle in Aus­übung der Pflicht, über das Heer zu wachen, mit Recht jedes Jahr die Truppen in Tätigkeit sehen. Schatzsekretär Frhr. v. Stengel besprach die voraussichtliche Wirkungen der Handelsverträge auf die Reichsfinanzen und erklärte, es müssen große Mittel gefunden werden, um die Finanzlage zu bessern. Die Vorarbeiten zu der Sanierung der Reichsfinanzen hoffe er in nächster Zeit zum Ab­schlüsse zu bringen. Es handle sich um einschnei­dende Maßnahmen, die auch auf die Bundesstaaten übergreifen. Gröber: Die politische Lage sei so, daß die Frage in aller Ruhe geprüft werden könne.

Der Spion.

Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands von Julius Grosse.

(Fortsetzung.)

Indem ich mich nach und nach an die Lebensweise in Kamenka gewöhnte und mich mehr und mehr einlcbtr, fiel mir ein ganz besonderer Umstand im höchsten Grade auf. Jeden Sonnabend um sieben Uhr kamen Gäste zu Davidoff, und was das Sonderbarste, eS waren immer dieselben Personen, nämlich der Oberst Paul Pestel, der feurige Redner, der wild« Murawieff Apostol, Jentzalow, der Skeptiker, der GeneralstabSdoktor Jafimowitsch, der Gutsbesitzer Poggio und die L, utnontS Lichanw und Sochotzki, denen ich Ihre Grüße und Empfehlungen brachte, ohne daß ich besondere Folgen davon spürte.

Ich kann wohl sagen, alle diese Herren interessirten mich anfangs lauter gelehrte, kenntnisreiche Herren, entschlossene Charaktere, die meisten Idea­listen voll kühner Entwürfe und von weittragendem Scharfblick. Im Davidoff' schen Familienkreise erschienen sie nur beim Abendessen und waren nicht besonders 1 iebenswürdig gegm die Damen. Im Gegenteil, eS herrschte ein trockener Ton, eine Art von mystischem Jargon, der unS anderen unverständlich war. Meist wurde französisch gesprochen und di« stehenden Themen warenDraitö soeial", BenthamSPrinzipien der Gesetzgebung", und ähnliches, so daß die Damen oft gelangweilt entflohen.

Die übrige Zeit brachten sie in einem Anbau des Flügels zu, wo Wassili Davidoff wohnte. Wenn sie auf diese Weise einen Tag geblieben waren, so fuhren sie alle fast zu gleicher Zeit wieder weg. Meine Wenigkeit wurde dabei

kaum beachtet, vielleicht weil sie mich für einen Deutschen hielten, und schwerlich hätte ich mich um die Herren und ihr Treiben weiter bekümmert, wenn nicht ein unerwarteter Zwischenfall eingetreten wäre. Am letzten Sonnabend nämlich war es ich wollte schon abreisen da erschien ein neuer Gast mit den andern und wurde mit größter Auszeichnung empfangen, ein Mensch, wie «S nur einen giebt auf Erden hochgewachsen, blatternarbig, mit rotem Bart und mit stets geträumten Händen, bei oller Eleganz der Erscheinung ein Teufel.

Ich glaubte in den Erdboden sinken zu müssen, als ich ihn erkannte es war der Intendant JuschnefSki heute will ich seinen Namen nennen derselbe Schurke, der unsere Familie ins Elend gestürzt, derselbe, dem ich am Grobe meiner Eltern heilige Roche geschworen. Ich bebte, ob er mich erkennen würde, aber der gefürchtete Augenblick ging vorüber, ich mußt« mich sehr verändert haben. Auch wurde mein Name nicht weiter genannt, als man mich als Mühlarzt vorstellte.

Ich war wie im Traume. Tausend Gedanken tobten durch meine Seele alle meine Sinne waren fieberhaft gespannt. Was wollte dieser Schurke hier? Wer waren clle diese Edelleute? Wenn sie diesen Dämon ehrten, so mußten sie selbst Schurken sein. So sehr ich sie bisher bestaunt, bewundert, beneidet hatte, jetzt haßte ich auf einmal alle. Wie mit doppelten Sinnen lauschte ich jetzt ihren Reden, und alles wurde bedeutungsvoll.

Man sprach über Tafel viel von Kromwell und Karl I., auch von Mira­beau und Ludwig XVI. Ich kenne die englische und französische Geschichte genau, und die Clairvcyance der JnngrimmS machte mich plötzlich allwissend. Wie ein blendendes Licht fiel eS in meine Seele: sonnenklar und unwiderleglich wußte ich, daß hier etwa« Gesetzwidriges im Werk, daß hier ein Herd der Verschwörung war. Freilich, was ging« mich an? Aber diesem Todfeind meines Hauses mußte