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Amts- und AnzeigevlaLL für den ZLezirk Gatw.
80. Jahrgang.
Erfcheimms-tage: Dienltag, Donnerstag, Samstag, Sonntag. JnserttonSpretl 10 Pfg. pro Zelle für Stadt und Beztrttort«; außer Bezirk IS Pfg.
Sonntag» den 19. Jebruar 1905
AbonnementSpr. ind. Stadtpr.Viertelj. Mk. 1.10 incl.Trägerl. Vierteljährl. PostbezugSpreiS ohne Bestellg. f. d. OrtS-u.Nachbar- ortsverkchr 1 Ml.» s. d. sonst. Verkehr Mk. 1.10, Bestellgeld 20 Pfg.
Amtliche Nekarmtmachrmge«.
Bekanntmachung»
betr. Maßregel« gegen die Zigeuner.
Das K. Ministerium des Innern hat unterm 22. Januar ds. IS. folgende Verfügung erlassen:
8 1. Den Zigeunern und den nach Zigeunerart umherziehenden Personen ist das Zusammenreisen in Horden verboten.
Als Horde im Sinn dieser Verfügung gilt: eine Vereinigung mehrerer Familien oder die Vereinigung einzelstchcnder Personen mit einer Familie, zu der sie nicht gehören. Dem Verbote in Abs. 1 zuwider zusammenreisende Horden find zu trennen.
8 2. Sämtliche Fahrzeuge, die von den in 8 1 Abs. 1 bezeichneten Personen mitgeführt werden, müssen an einer in die Augen fallenden Stelle die Angabe des Vor- und Zunamens, sowie des Geburtsorts und Geburtslandes des Besitzers an leicht erkennbarer und eine rasche Entfernung ausschließender Weise tragen.
Die Ortspolizeibehörden haben für geeignete und entsprechend häufige Bekanntmachung dieser Vorschriften in den Gemeinden Sorge zu tragen. Insbesondere wird empfohlen, die Vorschriften oder deren Inhalt durch haltbare Anschläge an den Eingängen der Ortschaften (an den Ortspfählen und dergl.), soweit dies nach den örtlichen Verhältnissen in Betracht kommt, bekannt zu geben. Bezüglich deS wetteren Verfahrens wird auf den Erlaß des K. Ministeriums des Innern vom 22. Januar 1905 (Mtn.-Amtsblatt S. 89) hingewiesen.
Calw, 17. Februar 1905.
K. Oberamt.
Amtm. Rippmann.
Tagesneuigkeiten.
* Calw, 18. Febr. Gestern abend hielt Professor vr. Eberhard Fr aas aus Stuttgart
im Georgenäum einen öffentlichen Vortrag über „Wanderungen eines Geologen im fernen Westen von Nordamerika". Der berühmte Geologe führte die Zuhörer an den Rand des großen Felsengebirges, zu den Blackhills in Nordamerika. Die „schwarzen Berge" erinnern in ihrem geographischen Aufbau an unseren Schwarzwald; das Gebiet derselben war von den Amerikanern dem Dakotastamm der Indianer, den Sioux, als Reservation angewiesen worden. Nachdem aber in dem Gebiet Gold gefunden worden war, achteten die Amerikaner die Vereinbarung nicht mehr, sondern vertrieben die Indianer nach Norden auf kanadisches Gebiet. Goldgräber durchwühlten den Boden nach den kostbaren Schätzen und großartige Bergwerksbetriebe entstanden. Mit prächtiger Mischung von Wort und Bild schilderte nun der Redner das LoS der Goldgräber im allgemeinen, jener prächtigen Gestalten verwegener Leute, die in stetem Kampfe unter sich und mit der Natur leben und ohne Furcht ihr Leben aufs Spiel setzen, sodann führte er die Zuhörer an den Westrand des Gebirges, in das Juragebiet des Felsengebirges, zu dem einzigartigen Teufelsturm, einem vulkanischen Gebilde von 200 Meter Höhe und zu den dort vorkommenden höchst interessanten Versteinerungen, den riesigen Sauriern, den größten bekannten Landreptilien, hierauf an den östlichen Rand des Felsen- gebtrges, in die Laä lanäs, die sogen, „schlechten Länder", die ihren Namen mit Recht verdienen, denn sie bilden eine überaus traurige Oede, nur für den Geologen find sie eine Fundstätte reichster Ausbeute aus der Tertiärzett. Der Aufenthalt in diesem Gebiet ist mit den größten Unannehmlichkeiten und Gefahren verbunden. Hier halten sich die wenigen Indianer noch auf, unbehelligt von den Amerikanern,
weil selbst diese aus dem unwirtschaftlichen Lande keinen Nutzen ziehen können. Mit einer lebendigen Schilderung eines Durchzugs durch die „Laä lauäs" schloß der Redner seinen mit feinem Humor gewürzten, äußerst packenden und genußreichen Vortrag. Reicher Beifall lohnte den Redner für die hochinteressanten Ausführungen.
Calw. Von der Generaldirektion der Staatseisenbahnen find beim Ministerium der auswärt. Angelegenheit folgende für hier in Betracht kommende Fahrplanänderungen für den Sommerdienst 1905 beantragt worden:
Stuttgart — Calw. Eingelegt wird ein Eilzug, der im Mai und Juni Sonn- und Feiertags und vom 1. Juli bis 30. Sept. täglich läuft, wie im vorigen Sommer, mit Anschluß nach Teinach und Pforzheim. Der Zug wird nur in Zuffenhausen, Leonberg und Weilderstadt anhalten. Stuttgart ab 8.20 vorm.
Calw —Stuttgart. Der Personenzug 339 a soll im Mai und Juni Sonn- und Feiertags und vom 1. Juli bis 30. Sept. täglich in Calw beginnen. Calw ab 7.04 abends.
Horb —Calw —Pforzheim. Im Anschluß an die Personenzüge von Karlsruhe und von (Stuttgart)—Mühlacker soll Sonn- und Feiertags ein Personenzug eingelegt werden: Pforzheim ab 9.15 vorm., Teinach an 10.02.
Der Eilzug Stuttgart—Calw (8.20 vorm.) soll Sonn- und Feiertags bis Pforzheim fortgesetzt und als Personenzug gefahren werden. Calw ab 9.48 vorm., Pforzheim an 10.21 vorm.
Sonn- und Feiertags soll wie im vor. Sommer der Personenzug Pforzheim—Calw ab 8.29 nachm., Calw an 9.23 wieder ausgeführt werden.
Mit Rücksicht auf die Arbetterbeförderung soll
Der Spion.
Historischer Roman aus der Geschichte des heutigen Rußlands von Julius Grosse.
(Fortsetzung.)
„Diese Worte klangen mir wie Musik.
„Sofort trat ich vor und bot mich als Lehrer der englischen Sprache an, die ich selbstverständlich vollkommen kenne. Der Herr sah mich mit einigem Mißtrauen an, als er indeß in englischer Sprache einige Fragen an mich getan hatte, zum Beispiel wer ich wäre, wo ich wohne und so weiter, heftete er einen fragenden Blick auf den Hausherrn. Mein Landsmann versäumte nicht, mich auf das Wärmste zu empfehlen als ausgezeichneten Kenner der französischen und deutschen Sprache, sowie der Musik, und als einen Charakter, für den er in moralischer Hinsicht gutstehen könne. Diese Empfehlung schien den Herrn völlig zufrieden zu stellen, er fragte mich, wie viel Gehalt ich verlange, und als ich, eingedenk, daß man in Rußland nur das schätzt, wa» im höchsten Preis« steht, tausend Rubel Bankaffignationen bestimmte, nickte er zum Zeichen seiner Einwilligung mit dem Kopfe, nahm eine Visitenkarte mit seiner Adresse heraus und befahl mir, den folgenden Tag zu ihm zu kommen, um sogleich mit ihm auf sein Land- gut im Gouvernement Smolensk zu reisen.
„Alles das war so schnell abgemacht worden, daß ich, als der Herr fort war, einige Minuten lang vor Erstaunen nicht zu mir kommen konnte und meinen raschen Schritt fast bereute.
„Mister Cockburn beruhigte mich vollkommen und beglückwünschte mich, denn mein künftiger Prinzipal sei ein sehr reicher und ehrenwerter Gutsbesitzer,
ihm seit Jahren wohlbekannt, und ich würde in der einen oder andern Weise gewiß mein Glück machen.
„Wie im Traum ging ich davon; aber mein erster Gang war zu dem Grabe meiner Eltern, gleichsam, um sie um Rat zu fragen und mir ihren Segen zu holen. Als ich zurückkam. war ich fest entschlossen, und so fand ich mich am andern Morgen mit meinem kleinen Mantelsack, der meine wenigen Habseligkeiten enthielt, im Palais deS Herrn General von Uschakoff auf der MiaSnitzkaja ein.
Wie ein Donnerschlag traf mich dies Wort Sherwood'S so daß ich aufsprang und den jungen Mann am Arm faßte, aber ich ließ ihn gleich wieder los und trat in die Fensternische, um meine Bewegung zu verbergen. Sollte dieser Mensch etwa jener Dämon gewesen sein, der ein Familienglück zerstörte? — unmöglich, ganz unmöglich! Ich mußte lachen, wenn ich diesen Ritter von der traurigen Gestalt vom Scheitel bis zu den Sohlen maß.
Nach einer Pause nahm ich wieder Platz.
„Fahren Sie fort."
Sherwood war einigermaßen erstaunt über die Wirkung seiner Worte und begann von neuem:
„Sie können sich denken, Herr Oberst, wie mir zu Mute war, als wir in gestrecktem Galopp aus Moskau fuhren. Noch vor wenigen Tagen am Verhungern, und jetzt schien mir die ganze Welt zu gehören. ES begann zu regnen, und in der Ferne zog ein schweres Gemüter herauf, aber Donner und Sturm schienen mir nur die erhabene Musik meines neuen Frühlings.
„Herr von Uschakoff, der in Moskau stark gezecht haben mochte, schlief fast ununterbrochen. Aber ich war nicht weniger im Rausch über die Wendung meine» Geschicks, und die Zukunft lag vor mir wie in goldenem Nebelglanz. Die Gegend war eintönig — unübersehbare Moräste und abgeholzte Waldstrecken