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Cannstatt, 10. Febr. In der gestrigen Sitzung der bürgerlichen Kollegien stellte Gemeinde- Bait inger (Soz.) den Antrag, aus den Ueber- schüssen des städtischen Gaswerks für die streikenden Bergarbeiter 500 zu bewilligen, mit dem Hinweis, daß die Stadtverwaltung in Frankfurt für denselben Zweck 15,000 genehmigt habe. Oberbürgermeister Rast erklärte, das angeführte Beispiel könne für Cannstatt nicht maßgebend sein. Es könne keineswegs Aufgabe der Stadtverwaltung sein, in dieser Art vorzugehen, denn die aus einem solchen Fall sich ergebenden Konsequenzen würden recht unangenehmer Natur sein. Angesichts der ablehnenden Haltung der bürgerlichen Kollegien verzichtete Gemeinderat Baitinger auf eine Abstimmung über seinen Antrag.
R euthin OA. Oberndorf. Bei dem in den letzten Tagen hier stattgehabten Nadelstammholz- Verkauf wurden als Gesammtdurchschnittserlös 112 °/° der Taxe erzielt.
Mannhei'm, 10. Febr. In den Kreisen des Kohlenhandels rechnet man mit einer baldigen Beendigung des Streiks der Kohlenarbeiter. In den Lagern der Firmen, die mit dem Kohlenkontor in Verbindung stehen, haben vorgestern 280, gestern 420 Leute gearbeitet. Die Zahl der Arbeitswilligen nimmt zu.
Essen a. Ruhr, 10. Febr. In den gestern Nachmittag stattgehabten Versammlungen der Bergarbeiter, die die Fortsetzung des Ausstands beschlossen, kam es fast überall zu tumultarischen Szenen. Gegen die Stebenerkommission wurden heftige Vorwürfe erhoben und die Mitglieder als Verräter, die bestochen seien, bezeichnet. Aus Gelsen- kirchen, Herne und Dortmund liegen ähnliche Meldungen vor. Auch dort haben sich die Bergarbeiter mit großer Mehrheit für die Fortsetzung des Streiks ausgesprochen.
Essen, 10. Febr. In den 18 Revieren des Oderbergamtsbezirks Dortmund und auf Zeche „Rheinpreußen" sind heute 75 663 Arbeiter bei einer Gesamtbelegschaft von 245 586 angefahren. Mithin fehlen 169 923 Arbeiter gegen 193 876 am Donnerstag. (Von Donnerstag auf Freitag find also 23 953 Arbeiter wieder an ihre Arbeitsstätte zurückgekehrt.)
Bochum, 10. Febr. In der von 8000 Personen besuchten Bergarbeiter-Versammlung im hiesigen Schützenhof waren die beiden Führerder Organisation Sachse und Kühneanwesend. Sachse hielt eine wirksame Rede, begründete den Beschluß der Revier-Konferenz und empfahl Wiederaufnahme der Arbeit. Er wandte sich besonders gegen den Vorwurf des Verrats an der Arbeitrr- sache, den man der Siebener-Kommission gemacht habe. Der Streik habe beendet werden müssen, weil keine Gelder mehr vorhanden seien. Die Ansprache wurde oft von Beifalls- aber auch von
Mißfallsrufen unterbrochen. Gegen eine vorgelegte Resolution, einmütig die Arbeit wieder aufzunehmen, machte sich eine starke Opposition geltend, die Resolution wurde aber schließlich mit großer Stimmenmehrheit angenommen.
Berlin, 10. Febr. Das Berk. Tageblatt hört aus angeblich guter Dresdener Quelle, die Gräfin Montignoso beabsichtige, sich im Frühjahr wieder zu verheiraten und zwar mit dem Grafen Carlo Guicciardini, dem Sohn des Eigentümers der Florentiner Villa, in der die Gräfin wohnt. — Auf Befehl des Königs Friedrich August von Sachsen hat sich Justizrat Dr. Körner nach Florenz, dem jetzigen Wohnsitz der Gräfin Montignoso, begeben, um sich „über die allgemeinen Verhältnisse Ihrer Königlichen Hoheit der Prinzessin Anna zu unterrichten". Es verlautet nach dem Lok.-Anz., daß die Reise des Justizrats mit dem aufsehenerregenden Verhalten der Gräfin bei ihrer letzten plötzlichen Ankunft in Dresden zusammen- hängt. Von anderer Seite wird mitgeteilt, daß die Gräfin Montignoso in Florenz neuerdings, also kurz nach ihrer abenteuerlichen Dresdener Reife, wiederum ein Liebesverhältnis angeknüpft habe. Dies dürfte dazu führen, daß ihr die Erziehung der Prinzessin Anna Monika Pia weiterhin nicht mehr anvertraut wird. Justizrat Dr. Körner, der als Vertreter des damaligen Kronprinzen Friedrich August von Sachsen in dessen Ehcfcheidungsprozeß fungierte, wird dem König sofort nach seiner Rückkehr eingehenden Bericht erstatten. Von dem Ergebnis der Reise des Justizrats werden die weiteren Maßnahmen des sächsischen Hofs in dieser Angelegenheit abhängig gemacht werden.
Bern, 10. Febr. Im Grimsel-Paß ist der Skifahrer Wenders aus Wiesbaden über eine hohe Straß nmauer abgestürzt und hiebei den Arm und das Nasenbein gebrochen. Er wurde nach dem Krankenhaus zu Meiringen gebracht.
Wien, 10. Febr. In der hiesigen deutschen Kolonie haben die Dresdener Sensationsmeldungen über die Gräfin Montignoso große Entrüstung hervor ge rufen. Es wird behauptet, daß die Haltung der ehemaligen Kronprinzessin von Sachsen eine völlig tadellose sei. Man vermutet, daß die Verleumdungs-Kampagne den Zweck verfolge, ihr das jüngste Töchterchen zu nehmen.
Florenz, 10. Febr. Graf Carlo Guicciardini veröffentlicht eine Erklärung, worin er versichert, daß er die Gräfin Montignoso nur einmal gelegentlich eines Gartenfestes in der Villa der Fürstin Waltzoff-Massalskt flüchtig kennen gelernt habe. Seitdem habe er keine Berührung mehr mit ihr gehabt.
Brüssel, 9.Febr. Im Becken von Char- leroi streiken 26000 Mann, d. h. desGruben- arbeiterbestandes. Im Borinagebecken, wo ebenfalls 26 000 Mann feiern, ist der Ausstand allgemein. Es find vereinzelte Angriffe auf Arbeits
willige vorgekommen. Der Ausschuß des Landes- bergarbeiterverbandcs hat in Charleroi eine Beratung gehalten und beschlossen, einen Aufruf zu erlassen, worin behauptet wird, daß sich bereits 80000 Bergleute im Ansstand befänden. Die Kundgebung appelliert an den Gemeinfinn der übrigen Grubenarbeiter und fordert diese auf, ebenfalls in den AuSstand zu treten und ruhig zu bleiben. Der Ausschuß beschloß ferner eine aus 5 Mitgliedern bestehende Abordnung an den Arbettsminister zu senden, um seine Vermittlung anzurnfen.
Milwaukee (Java), 9. Febr. Acht Wagen des Schnellzugs nach Milwaukee stürzten von der Hängebrücke, als der Zug eine Geschwindigkeit von 70 Meilen in der Stunde hatte. Vier Personen wurden getötet, 26 verwundet. Die Ursache des Unfalls ist Schienenbruch.
Kos jüWSsch-iMihrii Kür».
Petersburg, 10. Febr. Die Friedenspartei gewinnt täglich an Anhängern. Zahlreiche Petersburger und Provinzblätter erklären offen, es sei notwendig, dem Krieg ein Ende zu machen. Mehrere Provinzblätter fordern sogar einen sofortigen Friedensschluß. „Ruß" fragt, was nützt eine Armee, die fortwährend in der Defensive bleibt. — Der „Rvßkijt Invalid" vnöffentlicht eine interessante Zusammenstellung der japanischen Streitkräfte auf dem Kriegsschauplätze. Den Angaben des Blattes zufolge verfügt Malschall Oyama über 275000 Mann aklive Truppen, über 150000 Mann Reserve und 60000 Träger, insgesamt also über 500 000 Mann. Demnach find die russischen Streitkräfte den japanischen numerisch unterlegen.
London, 10. Febr. Auf dem mandschurischen Kriegsschauplatz erwartet man eine neue Schlacht zwischen der japanischen und russischen Hauptarmee vor dem völligen Eintreten des Tauwetters, welches das Land in einen Morast verwandelt. — Ueber die Lage bei Mulden wird berichtet, daß dieselbe unverändert sei. Täglich finden kleine Scharmützel statt.
(Eingesandt.)
In Nro. 23 ds. Bl. wünscht ein mit 2. Unterzeichneter Einsender, „daß zukünftig bei vor- kommenden Wahlen in das Kollegium vom jeweiligen Kollegium die wichtigeren Projekte der Stadtgemeinde amtlich bekannt gemacht würde, damit die Bürgerschaft im Stande ist, sich noch vor der Wahl über die Ansichten der zum Vorschlag gebrachten zu orientieren". Anlaß zu diesem Wunsch gibt der Beschluß der bürgerlichen Kollegien, eine weitere Nagoldbrücke außerhalb der Handelsschule zu erbauen. Ueber diesen Beschluß sind die Ansichten in der Bürgerschaft und auch in den bürgerlichen Kollegien geteilt und wir nehmen in unseren Ausführungen keine Stellung zu diesem Beschluß und auch nicht zu der gegen das Projekt eingeleiteten Agitation.
Die erinnern sich vielleicht des alten Herrn vom vorigen Herbst — der mit dem weißen Vollbart und dem kostbaren Zobelpelz. Es war Generalmajor von P., einer meiner ältesten Gönner und Freunde aus Moskau. Er kam alljährlich nach Karlsbad, und auf der Rückreise macht« er hier regelmäßig einige Rasttage. Vor einigen Monaten ist er gestorben, beinahe neunzig Jahre alt. Die Nachricht warf auch mich darnieder. So werde ich ihn denn nie Wiedersehen, aber seinen letzten Willen werde ich erfüllen."
„Sie sei» Testamentsvollstrecker? Aber wie ist das möglich in Dresden?"
„So ist cS nicht gemeint. Aber der Generalmajor hat Memoiren hinter- laffen, höchst merkwürdige, hochinteressante Auszeichnungen; ich übersetze sie jetzt. Da er nicht wagte, sie in Rußland drucken zu löffln, habe ich ihm versprechen müssen, sie nach seinem Tode hier herauszugeben. Was wird eL helfen? Diese Menschen sind unbelehrbar; sie wollen aus der Geschichte nichts lernen und beschwören immer wieder das alte Verhängnis herauf. Ich meine beide Parteien, die hohen Regierenden wie die Malkontenten. Doch das ist ein weitläufiges Tema, und wir reden wohl ein andermal davon."
Damit nahm er seinen Hut und ging davon, — hauptsächlich wohl, weil mehrere fremde Herren eingetreten waren.
An einem der folgenden Tage, al» die Bekannten im engeren Kreise beisammen waren, kam man auf jene Mitteilung zurück, um auch Näheres zu erforschen.
Professor D. sah sich wieder scheu um und hielt die Hand vor den Mund. „Sie müssen sich nicht wundern über mich, wenn ich bisweilen glaube, immer noch in Rußland zu sein. Der Arm der Mächtigen reicht dort weit, auch wenn man nicht zu den Nihilisten zählt: verdächtig wird Jeder, der diese Dinge nur zu berühren wagt. Ja, meine Herren, mau könnte mit so vielen Mitleid
haben, die schuldlos ins Unglück gekommen. Verblendete Menschen, verführte Idealisten, die ursprünglich kein Verbrechen wollten. Wie hoch stehen manche aus jener Zeit — aber heute, — o, es kann die Zeit kommen, wo neue Schandtaten jedes Mitleid schwinden lassen. Was in Berlin geschah, ist auch in Petersburg möglich, doch ich will nichts prophezeien. Gleichwohl beurteilt man im Ausland unsere Zustände nicht richtig. Die Erklärung liegt in der Vergangenheit, und deshalb sind mir jene Aufzeichnungen höchst wertvoll."
Einer der Anwesenden, ein Verlagsbuchhändler, ließ den Wunsch blicken, das gcnze oder winitstens einige Teile für die bei ihm erscheinende Zeitung zu erwerben.
„Wozu das?" sagte der Professor. „Für die blrße Unterhaltung find die Dinge zu schwer und zu ernst, und in anderer Beziehung ist die Zeit noch nicht gekommen. Noch leben manche Familien oder doch ihre Nachkommen, die an den Enthüllungen Anstoß nehmen könnten. Vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren, wenn im Reiche des Zaren eine andere Luft weht. Aber allerdings, eine Episode könnte ich Ihnen wohl Mitteilen, betrifft sie doch eine längst abgeschiedene Persönlichkeit."
„Aus den höheren Kreisen?"
„Doch nicht. Der Held ist eigentlich, obschon ein interessanter, doch obskurer Mensch, der gleichwohl in den Mittelpunkt der weltgeschichtlichen Entscheidungen kam. Wie es zuweilen zu gehen pflegt, daß in den Falten der Weltgeschichte sich manches Einzelgeschick von Menschen verbirgt, deren Mitwirkung auf die großen Erreignisse ein Helles Licht wirft, so auch hier. Zudem war er, wenn auch eine problematische und rätselhafte Natur, doch ein Mann, dessen Geschick in Schuld und Verdienst vollkommen tragisch verlief.
(Fortsetzung folgt.)