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des Oberamts eine Besprechung behufs Erleichterung der gleichmäßigen Durchführung der neuen Steuerreform und namentlich der Vorarbeiten für die neue Einkommensteuer statt. Die Ortsvorsteher des oberen Bezirks des Oberamts hatten sich bereits am Montag im Kameralamt Altenstetg zu einer gleichen Besprechung eingefunden.
Nothfelden, 12. Jan. Dem Landwirt I. G. Braun hier wurde am Montag der 9. lebende und kräftige Knabe geboren.
Neuenbürg, 12. Jan. In einer hiesigen Wirtschaft waren die Wirtsleute so unvorsichtig, das eigene Schlafzimmer unverschlossen zu lassen. Ein Logiergast ließ sich als „Mater" ins Nachtbuch etn- tragen, zog aber vor, seine Schriften zu behalten und statt sein Lager aufzusuchen dem Schlafzimmer der Wirtsleute einen Besuch abzustatten; dort wählte er einen braunen Sonntagsanzug, den Grhrock und die neue Winterjacke des Wirts und empfahl sich trotz Nacht und Nebel.
Zuffenhausen, 12. Jan. Die bürgerlichen Kollegien beschlossen neuerdings angesichts der keineswegs glänzenden Finanzlage der Gemeinde, die örtliche Verbrauchsabgabe auf Bier und den Zuschlag zur Grundstücksumsatzsteuer auf weitere 10 Jahre fortzuerhalten und ferner die Hundesteuer von 14 auf 16 zu erhöhen. In der letzten Sitzung fand die Beeidiguug der ncugewählten Mitglieder des Bürgerausschusses statt. Zum Obmann wurde wieder Geometer Morlock gewählt. In seinem Rück- und Ausblick nannte Schultheiß Gutenkunst, der unter den künftigen Aufgaben auch jene eines Schulhausbaues und einer Kleinktnder- schule, sowie verschiedener Straßenbauten erwähnte, das hiesige Elektrizitätswerk ein „Schmerzenskind" der Gemeinde. Mit Recht, denn die Leistungen des Werkes lassen viel zu wünschen übrig und haben der Einwohnerschaft schon viel Verdruß bereitet. Die Firma C. und E. Fein läßt eS durchaus an Entgegenkommen fehlen und hat neuerdings erklärt, den Preis für die Kilowattstunde von 6 ^ auf 5 A nur dann ermäßigen zu wollen, wenn ihr der Anschluß an die Neckarwerke Altbach und Deizisau gestattet würde, wodurch sie sich die Aufstellung der vertragsmäßigen zweiten Maschine ersparen könnte. Auch die Installation will die Firma nicht frei- geben. Kein Wunder, daß unter diesen Umständen an die Errichtung eines Gaswerks gedacht werden wird, für welches vorteilhafte Angebote bereits vorliegen und von dessen Konkurrenz man sich eine gute Einwirkung auf die unbefriedigenden Verhält- hältnisse des Elektrizitätswerks verspricht.
Stuttgart, 12. Jan. An der alten Weinsteige war gestern Nachmittag ein Arbeiter mit der Anbringung eines Leitungsdrahts au einem eisernen Ständer beschäftigt und befand sich zu diesem Zweck auf einer Leiter. Die letztere kam ins Rutschen, der Arbeiter stürzte ab und fiel auf einen Staketenzaun, wobei ihm eine Staketenspitze tief in den Schenkel eindrang. Der Verunglückte mußte ins Marienhospital verbracht werden.
T Die Tübinger Strafkammer erkannte gegen den Gipsergesellen Joh.Jak. Kober aus Stamm heim noch eine Zusatzstrafe von 1 Monat Gefängnis; er verbüßt gegenwärtig wegen Straßenraubs 6 Jahre Zuchthaus. Die Zusatzstrafe erhielt er weil er von einer dem Bauern Burkhardt
in Altburg gehörigen Hirschgeweih eine Sprosse absägte und diese in einen Stockgriff verarbeiten ließ.
Ulm, 12. Jan. Im Talfingerwäldchen, das der Hospitalverwaltung gehört, treibt sich seit einigen Tagen ein Hirsch umher. Ob derselbe einem Tiergarten entsprungen oder aus einem Jagdrevier, das noch Hirsche aufweist, herübergewechselt ist, konnte nicht festgestellt werden. In der ganzen Umgegend sind die Nimrode über dies seltene Ereignis in Aufregung.
G Pforzheim. In dem benachbarten Orte Bärental fiel das 1'/-jährige Kind des Goldarbeiters Ehr. Jourdan so unglücklich von einem Stuhl herab, daß es abends eine Leiche war.
München, 12. Jan. Wie bereits gestern versammelten sich auch heute in der Mittagsstunde am Sendlinger Vorplatz etwa 800 Arbeitslose, die Arbeit und Brot verlangten und trotz der Aufforderung der Polizei sich nicht zerstreuten. Da der Verkehr beeimrächtigt war, erschien ein großes Schutzmanns-Aufgebot zu Fuß und zu Pferde, das nach vieler Mühe die Demonstranten vertrieb.
Bochum, 11. Jan. Der Regierungspräsident wird heute aus Düsseldorf zur Besprechung mit den Behörden hier eintreffen. Man beziffert die Zahl der Streikenden im ganzen Revier nunmehr auf 10 bis 12,000. Auf einigen Zechen hat sich seit gestern die Zahl der Streikenden verringert, so auf Privzregent um 50 Manu. Die Arbeiterführer halten morgen hier einen Delegieitentag ab, um zu beraten, ob sie den Ausstand gut heißen sollen.
Bochum, 12. Jan. Bis jetzt sind 40 Zechen mit rund 85000 Arbeitern vom Ausstande ergriffen. Bekanntlich ist im Mülheimer Revier der Generalstreik proklamiert worden.
New - Iork, 11. Jan. Gestern wurde der Versuch gemacht, das vor Kurzem vom deutschen Kaiser zum Geschenk gemachte Standbild Friedrichs des Großen in die Luft zu sprengen. Kurz nach 12 Uhr mittags fuhr eine Droschke in den Kasernenhof, wo das Denkmal aufgestellt ist. Der Jnsaße hängte eine Handtasche an das Gitter des Denkmals und fuhr schnell davon. Der Posten sah Rauch aus der Tasche emporsteigen und rief daher einem in der Nähe arbeitenden Neger zu, er solle die Tasche fortnehmen. Der Neger lief eine Strecke und warf dann die Tasche weit von sich. Sofort erfolgte eine furchtbare Explosion. Die Tasche enthielt eine brennende Lunte und jedenfalls Dynamit.
London, 11. Jan. Die Kriegsberichterstatter bei der japanischen Armee unter Marschall Oyama melden übereinstimmend, daß größere russische Streitkräfte gegenüber dem linken Flügel der Japaner aufmarschieren. Es hat den Anschein, als ob Kuropatktn einen kühnen Versuch machen wollte, vor Ankunft der Verstärkungen unter General Nogi die japanische Linke zu umgehen und eine kräftige Offenstvbewegung auszuführen. Die Japaner treffen ihrerseits alle nötigen Vorbereitungen, um Kuropatkins Pläne zu vereiteln. Doch erwartet man, daß Kuropatkin auf jeden Fall die Offensive ergreifen wird, bevor Marschall Oyamas Armee durch die japanischen
Truppen eine Verstärkung erfährt. Unterläßt es Kuropatkin, die Japaner früher anzugreifen, so wird sein Schicksal als besiegelt betrachtet, da die Japaner eine bedeutende numerische Ueberlegenheit besitzen werden.
London, 12. Januar. Eine Shanghaier Meldung der Morning Post meldet unterm 11. ds.: Die Russen am Schaho entfalten eine beträchtliche Tätigkeit. Täglich finden Scharmützel bei Schen- tschiang gegen den japanischen rechten Flügel statt. Die japanischen Stellungen nahe bei Ketlaotung wurden bombardiert und erfolglose Angriffe durch die Vorposten gemacht.
London, 12. Jan. 1600 gefangene Russen nebst Offizieren wurden nach einer Meldung aus Tokio in Nagasaki von dem Gouverneur der Stadt, Araham, empfangen. Bei einer Vernehmung zu Jnasa erklärte der russische Oberst Heljakow, ein solcher Willkommen, wie sie ihn vom Feinde erhalten, sei ihnen gänzlich unerwartet gekommen. Es wäre gerade, als ob sie in ihr eigenes Land zurückgekehrt seien. Er sei überzeugt, daß der Krieg bald aufhören werde und die frühere Freundschaft bald wiederhergestellt werden würde. Ihr jetziges Geschick diene dem gegenseitigen besseren Verständnis und sei den wahren Interessen seines Vaterlandes nützlicher als ein weiterer Widerstand in Port Arthur gewesen wäre. Das sei keine Schmeichelet sondern die Stimmung der anwesenden russischen Offiziere. Es sei unmöglich, für den den Gefangenen von ihren früheren Feinden zu teil gewordenen Empfang angemessen zu danken, deren Handlungsweise beweise, daß Japan den höchsten elhtschen Platz unter den Völkern einnehme.
Mukden, 12. Jan. In den letzten Tagen find von Port Arihur aus 368 Belagerungsgeschütze in Liaujang eingetroffen, welche zur Verstärkung der Armee des Marschalls Oyama dienen sollen. Außer diesen Geschützen find insgesamt 32 000 Mann Infanterie, welche bei den Angriffen auf Port Arihur beteiligt waren, in Liaujang eingetroffen. Die Zahl der Japaner, welche Kuropatkin gegenüberstehen, beläuft sich auf 388000 Mann mit 1245 Geschützen. Man erwartet in den nächsten Tagen eine entscheidende Schlacht südlich von Mukden.
Vermischtes.
— Ein sozialdemokratisches Blatt, die „Rhein- Westf. Ztg.", brachte jüngst eine photographische Abbildung angeblich nach dem Leben, welche den Fähnrich Hüssener und einige andere Festungsgefangene bet fröhlichem Gelage in einem Gemach der Festung Ehrenbreitstein da: stellen sollte. Der Gouverneur der Festung leitete auf Anordnung des preußischen Kriegsministers eine Untersuchung ein, die, wie jetzt bekannt gegeben wird, das Bild als eine Fälschung auswcist, wie sie bei Photographien leicht auszuführen find. Gegen das genannte Blatt und einige andere, die das Bild auch brachten, soll Strafantrag gestellt werden.
Gottesdienste.
2. Sonntag nach Kplph., 18. Jan. Vom Turm- 85. Predigtlied: 84, Jesus ist kommen rc. 9'/- Uhr: Vormitt. - Predigt, Herr Dekan Roos. 1 Uhr: Christenlehre mit den Töchtern. 5 Uhr - Abendpredigt im Vereinshaus, Herr Stadtpfarrer Schmid. Donnerstag, 19. Jan. 8 Uhr abends: Bibelstunde im Vereinshaus, Herr Dekan Roos.
Uruer diesem Eindruck war er vorn an die Logenbrüstung getreten und hatte sich hinauSgebrugt, so weit, daß Frida, als sie nach oben sah, ihn sehen mußte.
Ihre Augen trafen sich, sie hafteten fest aufeinander; regungslos standen sie und sahen nur sich, die ganze Welt versank um sie — erweckt wurden sie durch lauten, tobenden Beifall.
Olga hatte Alfreds Arm schnell erfaßt. „Komm," flüsterte sie ihm zu, „du machst dich lächerlich durch deine Anbetung."
Traumwandelnd ging er mit ihr; mechanisch legte er ihr in der Garderobe den Mantel um, bot ihr den Arm und führte sie die Treppe hinunter. Schweigend gingen sie durch die Straßen, schweigend kamen sie nach Hause; er lehnte ab, noch eine Kleinigkeit zu essen,.und sagte ihr ruhig: „Gute Nacht."
Er war so von der Erinnerung an Frida befangen, daß er vergaß, Olga zu küssen.
Sie ließ ihn gehen. Als sich die Tür hinter ihm geschloffen, sprang sie wie eine Tigerkatze auf, ihre Augen funkelten, und mit der kleinen geballten Faust drohte sie ihm nach.
„Das sollst du mir bezahlen," knirschte sie.
Nicht tiefer Schmerz über die Wahrnehmung, daß eS ihr nicht gelungen war, sein Herz ganz und gar zu erobern, bedrückte sie, nur Zorn erfüllte sie, gekränkt« Eitelkeit, daß ein Mann neben ihr, der schönen, begehrenswerten Frau, »ach einer anderen Sehnsucht haben konnte. Und nach solch einem blaffen, reizlosen Geschäpf. An die Künstlerin dachte sie nicht dabei, ihre kalte, egoistische oberflächliche Natur hatte kein Verständnis für diese wahre Kunst.
Ihre Laune besserte sich sichtlich, als sie nach dem Spiegel sah, der ihre reizvolle, schöne Erscheinung zurückwarf.
Ein triumphierendes Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. Welcher Mann konnte ihr auf die Teuer widerstehen? Sie dachte an Reimer, wie er sie heute den ganzen Abend bewundernd angestarr», er, der verwöhnte Frouenliebling, hatte nur für sie Augen gehabt, und ihre maßlose Eitelkeit sonnte sich in diesem Gedanken.
Gestern als Tannhäuser hatte er das „dir, Göttin der Liebe" ostentativ nach ihrer Loge blickend gesungen.
Sie fühlte nicht das Kompromittirende dieser Auszeichnung, weil sie ihr schmeichelte.
Sie wollte auch am Sonnabend recht liebenswürdig zu ihm sein; als Tischherrn konnte sie ihn nicht ehren; ältere Herren waren da, aber an ihre rechte Seit« wollte sie ihn setzen, Alfred gegenüber; vielleicht gelang eS ihr, Alfred zu ärgern, ihn eifersüchtig zu machen. Reimer war ihr schon einmal Mittel zum Zweck gewesen.
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Der Winter mit seinen rauschenden Vergnügungen war vorüber, und Jedermann, der gesellschaftlich viel in Anspruch genommen war, fühlte dringende» Bedürfnis nach Ruhe. Olga nicht. Ihr vergnügungssüchtige Natur wußte mit stillen, ruhigen Stunden nichts anzufangen. Sie fuhr spazieren, ritt, trieb allerhand Sport, und Alfred ließ ihr volle Freiheit.
War er nachsichtig oder war sie ihm gleichgiltig? ES war ein merkwürdiges Verhältnis zwischen den beiden Gatten, sie lebten nicht mit, sondern neben einander. WaS ihr Vergnügen machte, begriff er nicht, und was seinem Leben Wert und Inhalt gab, berührte sie nicht. Er war eine tief angelegt«, innerlich sich auLlebende Natur; einen Träumer nannten ihn oft in fröhlichen Stunden seine Kameraden, ohne deshalb ihn weniger zu schätzen. (Forts, folgt.)