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stattet Hot, nach Wiesbaden zu gehen und sich dort einer Kur zu unterziehen, da er den Wunsch hat, möglichst bald wieder gut zu Pferde zu sein. In einer Unterhaltung sagte Oberst Leutwein: Ich trieb die Politik des Möglichen. Freilich kann man mit 10 000 Mann anders auftreten, als mit den 700, über die ich verfügte. Ich wollte dem deutschen Reiche die Opfer ersparen. Ich war fest überzeugt, daß allmählich sich ein dauerndes friedliches Verhältnis mit den Eingeborenen Herstellen ließ. Jahrelang war ich immer in der Lage, den einen Etn- geborenenstamm gegen den andern auszuspielen, und ich hatte damit Erfolg. Der alte 80jährige Witboi muß wohl ein bischen verrückt geworden sein und es scheint, daß er auch nicht mehr ganz Herr über seine Leute ist. Am letzten Kaisers-Geburtstag veranstalteten wir im Lager von Kalkfontein eine große Parade, an der die weißen und die schwarzen Truppen teilnahmen. Alle Kapitäne des Nama- landes waren anwesend. Der alte Witboi war so elend, daß er sich auf einen Stuhl vor die Front setzen mußte, nur beim Hoch auf den Kaiser erhob er sich. Damals hatte ich eine letzte eingehende Unterredung mit ihm. Ich sagte zu ihm: Ein schwerer Hereroaufstand bricht eben aus. Er erwiderte: Ich helfe Dir auch gegen die Hereros. Er sandte damals eine Hilfstruppe von 100 Mann. Sie wurden beim Ausbruch des Aufstandes der Witboi entwaffnet und gefangen genommen. Damals meinte es Witboi ehrlich, sonst hätte er in dem für uns so kritischen Moment selbst losgeschlagen. Leutwein war überzeugt, daß es ihm persönlich gelungen wäre, Witboi zu bekehren, wenn er ihn noch einmal gesprochen hätte. Leutwein tadelt es, daß die Engländer den Uebertritt des Oberhäuptlings auf englisches Gebiet gestattet haben und ihn dort unbehelligt ließen. Angesichts der tiefgehenden Gärung gegen die Weißen, welche gegenwärtig in Südwestafrika herrsche, sollten die Europäer zusammenhalten. Die Herstellung völliger Ruhe sei nicht so bald zu erwarten. Es sei leichter, Siege davonzutragen, als Frieden herzustcllen. Leutwein ist der Ansicht, daß jetzt genügende Truppen nach Afrika abgeschickt worden seien. Er spricht ironisch von gewissen Zeitungen, welche am liebsten olle Hereros ausrotten möchten, und tritt für Verhandlungen mit den Hereros ein, für welche diese jetzt sicherlich geneigt wären. Man müsse ihnen das Leben zufichern und nur diejenigen töten, welche Weiße gemordet hätten. Der große Krieg gegen die Hereros sei beendet. Wenn aber kein Frieden hergestellt würde, so könne der kleine Krieg noch lange dauern. Der Krieg gegen die Hottentotten fange eben erst an. Diese seien geborene, vorzügliche Soldaten. Sie seien gar nicht zu fassen, man könne sie immerfort besiegen und es nutze nicht viel. Gegen die Hottentotten richten ei e gut berittene landeskundige Mannschaft von 100 Leuten mehr ans, als große, des Landes unkundige Truppen- maffen. Oberst Leutwein hat Vertrauen in die
wirtsch aftliche Zukunft der Kolonie. Wenn das ganze Land erst Kronland geworden sein werde, würde die Erschließung schneller gehen. Was den Waffenverkanf an Eingeborene betreffe, so habe er aus den Akten ersehen, daß der Waffen- und Munitionshandel in den achtziger Jahren in ungeheurem Umfange betrieben wurde. Den nun leider einmal mit Schießwaffen versehenen Schwarzen diese fortzunehmen, hätte den sofortigen Ausbruch eines allgemeinen Ausstandes bedeutet. Ueber den Fall des Leutnant Jobst, der schwere Fehler begangen habe, wollte sich Oberst Leutwein vorläufig nicht äußern. Oberst Leutwein sagte zum Schluß noch einmal, er hätte die feste Uebcrzeugung gehegt, daß auf friedlichem Wege eine Eroberung des Landes möglich sei. Er habe sich wohl getäuscht und die Katastrophe mußte kommen; vielleicht sei es in der Folge zum Segen des Vaterlandes.
Kiel, 31. Dez. In der vergangenen Nacht ist ein orkanartiger Nordoststurm eingctreten. Das Wasser der Ostsee steigt rapide. Die unteren Stadtteile sind von Wasser überschwemmt, viele Wohnungen von ihm gefüllt. Die Holsten-Straße, die Hauptgeschäftsstraße steht streckenweise unter Wasser, der Straßenbahnverkehr stockt. Der durch den Orkan angerichtete Schaden ist erheblich.
Danzig, 31. Dez. Nachdem bis gestern noch Tauwetter geherrscht, ist seit der Nacht starker Schneesturm mit erheblicher Kälte cingetreten. Der Sturm hat an verschiedenen Stellen Schaden angerichtet. Der Betrieb der elektrischen Straßenbahn ist teilweise gestört. Sämtliche Bahnverbindungen sind unterbrochen.
Moskau, 1. Jan. Hier herrscht seit einigen Tagen eine furchtbare Kälte. Die Temperatur sank bis auf 27 Grad 0. unter Null.
No« jaMilch-r»Mro Krieg.
Paris, 31. Dez. Petit Puristen berichtet aus Petersburg: Die verschiedenen russischen Militärschriftsteller befürworten immer noch eine sofortige Offensive seitens Kurpatkins. Der Korrespondent des Blattes erfährt dazu von zuständiger Seite, daß Kuropatkin vor Februar nichts ähnliches unternehmen, sondern abwarten wird, bis seine drei Armeen vollständig organisiert find. Andererseits sind alle Vorkehrungen getroffen über Operationen zwischen Mukden und dem Jalu. Der Generalstab der 3. Armee hat Moskau verlassen. — Ueber den Skandal in der Roten Kreuz-Gesellschaft wird mitgeteilt, daß das Abhandenkommen von 125 Wagen auf der transsibirischen Eisenbahn sich bestätigt. Die Kaiserin hat einen Adjutanten beauftragt, nach Sibirien zu reisen und eine Untersuchung einzuleiten. Diese Skandale vergrößern noch die Mißstimmung und verringern die Volkstümlichkeit des Krieges.
London, 31. Dez. Morning Post meldet aus Tokio: Die Unterminierungen des Sunguri-
schauforts durch die Japaner sind beinahe fertig- gestellt und die Vernichtung des Forts steht bevor. Nach weiteren Meldungen haben die Japaner weitgehende Unterminierungen anderer wichtiger Forts, welche noch im Besitz der Russen sind, durchgeführt.
Tschifu, 2. Jan. Heute früh 8 Uhr find 4 russ. Torpedobootszerstörer und 1 Kanonenboot aus Port Arthur mit Depeschen hier etngelaufen, die an Land gebracht wurden. Der Kommandant eines Torpedobootszerstörers erklärte, die Fahrzeuge hätten Port Arthur verlassen, weil es nach der Einnahme des 203 Meter-Hügels unmöglich sei im Hafen zu bleiben.
Tokio, 31. Dez. Für morgen ist ein allgemeiner Sturmangriff anf Porr Arthur geplant. Sämtliche Mililär-Attachös sind deshalb im Hauptquartier des General Nogi eingctroffen.
Tokio, S. Ja«. General Noki berichtet, er habe von General Stöffel eine« die Uebergabe von Port Arthur betreffende» Brief erhalle«.
Lo «Von, L. Ja«. Wie au- Tokio amtlich gemeldet Wied, hat Port Arthur, nachdem feine Berteidigungsmittel erschöpft sind, kapituliert.
Vermischtes.
— „Ein fideles Gefängnis." Die „Sächsische Arbeiterzeitung" veröffemlicht unter der vorstehenden Ueberschrift die Nachbildung einer Photographie, welche, im Besitze eines rheinischen Sozialdemokraten bifindlich, den sattsam bekannten Fähnrich Hüssener in einem Raume der Festung Ehrenbreüstein vorführt, wie er in Gesellschaft von zwei anderen Persönlichkeiten ein üppiges Zechgelage abhält. Das Dresdener Soztalistenblatt berichtet dazu, daß Hüssener in einem Koblenzer Hotel unter dem Namen Werner sonntäglicher Frühschoppengast sei und daß Hüssener schon seit Wochen sich auf Urlaub befinde. Der preußische Kriegs- minister wird hoffentlich diese Angaben auf ihre Richtigkeit prüfen und ungesäumt die Oeffentlichk it von dem Ergebnisse seiner Untersuchung unterrichten. Der Gedanke, daß ein Missetäter wie Fähnrich Hüssener die ohnehin gelinde zweijährige Festungs- stiase unter den geschilderten Umständen „verbüße", muß nicht nur das Gerechtigkeitsgefühl empören, sondern auch auf weite Volkskreise aufreizend willen.
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„Beruhige dich, Mütterchen, eL geht oft besser als man denkt; sehr oft scheinen Naturen nicht zu einander zu paffen, sind ganz verschieden und leben doch glücklich, du und der Vater zum Beispiel —". Er verstummte vor dem trostlosen Blick der bleichen, zarten Frau» der ihn da traf und eine lange Leidensgeschichte erzählte.
Er schloß sie fest in die Arme, küßte sie zärtlich und versuchte mit den liebevollsten Worten ihre Befürchtungen auszureden — alles vergeblich; sie ließ sich nicht beruhigen.
Da wurde die Tür wieder rasch geöffnet und Mary trat, lebhafter als eS sonst ihre Art war, ein. Als sie die Gruppe sah, blieb sie einen Augenblick betreten stehen, aber dann rief sie fröhlich: „Du hast es Mama schon gesagt — o. wie glücklich bin ich und wie glücklich hast du Olga gemacht."
„Olga — woher weiß sie?"
„Der Vater hatte sie darauf vorbereitet."
Alfred lächelte bitter. „Schon?"
Der alte Mann hatte eS eilig, oder fürchtete er eine Sinnesänderung seines Sohne« ? Als ob die etwa« genützt hätte! Er hatte sie alle gut erzogen, gedrillt wie die Soldaten; keines wagte zu mucksen, wenn er das entscheidende Wort gesprochen.
q- *
Die Anzeigen waren ausgeschickt, in den Zeitungen stand die Verlobung. Jedermann mußte sie erfahren habe», wer nicht gerade in einem Neste wohnte, wo eine Zeitung ins Reich der Legende gehörte.
Frieda hatte die Anzeige auch gelesen. So schnell hatte er sich getröstet! TodeStraurige Stunden folgten darauf; sie glaubte, sie nicht überleben zu können; sie kam sich nun erst recht einsam und verlassen vor.
Auch die alte Martha putzte an diesem Tage unaufhörltch die Nase, und die Stimme der guten Alten klang zittrig und belegt, wir vom Schnupfen od-r verschluckten Tränen. Immer schielte sie von der Seite nach dem jungen, bleichen Mädchen, das ganz gebrochen dasaß, ein Bild des Jammers. Es war auch zu viel.
Woher sollte sie auch mit zwanzig Jahren die Stärke und Kraft nehmen, solches Herzeleid standhaft zu ertragen.
Zum Ueberfluß hatte Frida an diesem Abend noch zu spielen, das konnte gut werden. Martha packle die Theatersachen ein, wütend warf sie die Kleider in den Korb und brummte dabei unoufhöllich: Verfluchter Plunder, verwünschte Gaukelei, das arme Wurm." Und dabei wischte sie sich die Thränen, die unaufhörlich flössen, mit der flachen Hand ab. Auch die W.ineret noch! Wie sollte ihr Fräulein ruhig werden neben einer so alten Heullftse.
Der Theoterarbeiter hatte den Korb abgeholt. Tie Uhr schlug sechs. Um sieben Uhr begann die Vorstellung und ihr Fräulein hatte das erste Wort.
Sie klopfte Frida sanft auf die Schulter; Frida sah auf; welch trostloser Blick aus trüben, tiefliegenden Augen.
„Es ist Zeit, Fräuleinchen, wir müssen gehen."
„Wohin?"
„Du lieber Gott, ins Theater, es ist die höchste Eisenbahn." Die Alte versuchte zu scherzen.
Frida erhob sich, nahm schweigend die Rolle vom Tisch, legte Hut und Mantel an und ging nach der Türe. „Ach du lieber Gott, wenn sie doch nur tüchtig schimpfen wollte, heulen und schreien, das erleichtert, aber diese schreckliche Ruhe, 's ist nicht mit anzusehen, es bricht einem das Herz," murmelte Martha und folgte ihrem Fräulein. (Fortsetzung folgt.)