Beilage;rr Ur. 20b
31. Dezember 1904.
AeUlüelaa» Nachdruck »erboten.
Schminke.
Roman von Helene Lang-Anton.
(Fortsetzung.)
Diese Frage und ein Blick auf die fast erschrockene Alte brachten den jungen Mann zur Besinnung. Wie lächerlich und töricht betrug er sich! Weil er diesen Wisch bekommen hatte, weil Frieda zufällig zu einer ungewohnten Stunde ausgegangen war, geberdete er sich so. Er lächelte über sich selbst. War er so zur Eifersucht geneigt? Das mußte er sich abgewöhnen, sonst verdarb er sich und ihr das Leben.
Er schlug der Dienerin leicht auf die Schulter. „Nein, Martchen, ich habe nichts vergessen und suche nichts. Ich scherzte nur und glaubte, das Fräulein wolle mich zum Besten haben; sie hätte sich im Nebenzimmer versteckt.*
Die Alte machte ein ungläubiges Gesicht. Sie war nicht so leicht zu täuschen. So sah der Scherz nicht aus; so etwas mußte er ihr, der erfahrenen Frau, nicht vormachen. Aber ihrer Stellung als Dienerin voll bewußt, sagte sie in ihrer bescheidenen Weise, ohne auf das Vorhergesogte weiter einzugehen: „Dem Fräulein wird es sehr leid tun ; ach ja, jetzt weiß ich, mit wem sie ging; sie sprach davon, sie hatte Fräulein Wörlks und Herrn Schmidt versprochen, einmal mit ihnen sich das Schloß anzusehen.*
„Wer ist Herr Schmidt?*
„Herr Schmidt, unser Herr Schmidt,* lächelte Martha und setzt«, als sie - »geduld in den Zügen des jungen Mannes sah, hinzu: „unser Väterspieler.*
„Ach, der alte, gräßliche Kerl?*
„Alt und gräßlich, nein, das ist er nicht; er ist ein hübscher, junger, patenter Mensch, dem die Mädchen und Frauen gern nachgucken."
„So, so, ist er schon oft beim Fräulein hier gewesen?"
Die Alte lächelte schlau: „Ei, ei, wie ein Othello; warte, das sollst du büßen, so wenig Vertrauen," dachte sie, und laut sagte sie: „Sir meinen, ob er uns besucht hat, schon verschiedene Male. Er und das Fräulein haben auch manchmal die Rollen zusammen geprobt. Sie mag ihn gern, hier," sie drehte sich nach dem Kasten um, in welchem Photographien lagen, hob den Deckel auf und nahm ein Bild heraus, „da» ist er."
Sie reichte das Bild Alfred, der hastig danach griff. Ein hübsches, frisches Gesicht mit ein paar kecken Augen lachte ihn an. Es schien, als verspottete» ihn diese. Eine maßlose Wut erfaßte ihn, am liebsten hätte er das Bild zerrissen, wenn er sich nicht vor der Alten geschämt hätte.
Er warf «S hin und sagte schon fast an der Türe: „Sagen sie dem
Fräulein, daß ich Abends wiederkomme, ich will" — er hielt inne — „ich muß
sie sprechen, eS ist dringend." Martha nickte, und er verließ das Zimmer.
Er schleuderte durch die Straßen. Wohin sollte er gehen — nach Hause?
sich hinsetzen? etwas lesen oder arbeiten? Nein, dazu fehlte ihm die Ruhe. Er
war plötzlich wie ausgcwechs'lt; er war maßlos erregt; ein quälendes, fremdes Gefühl peinigte ihn. Warum nur! solch ein Thor konnte er doch nicht sein wegen eines solch' anonymen WischeS! Er machte sich ja selbst die bittersten Vorwürfe; es half nichts, die Worte: „Sie werden betrogen", tönten fort in seinen Ohren, und dabei sah er im Geiste ein paar kecke Augen, die ihn herausfordernd anlachten. Er mußte Frieda sprechen.
Aber was wollte er ihr sagen? Doch nichts von diesem Briefe, sie würde ihn auSlachen oder sich beleidigt fühlen — mit Recht. Ja, er wollte ihr Mitteilen, daß er unbedingt auf längeren Urlaub nach Hause müsse.
Als er gegen Abend zu Frieda ging, zeigten rote Anschlagzettel an, daß wegen Erkrankung eines Mitgliedes ein anderes Stück eingeschoben werden mußte. Frieda hatte zu tun, er konnte sie nicht sprechen, höchstens nach dem Theater. Trotzdem klingelte er bei ihr an, natürlich vergebens. Es öffnete niemand, der Abend dünkte ihm endlos; Besuche zu machen, hatte er keine Lust, die faden Witze und Sticheleien der Kameraden im Kasino über sich ergehen zu lassen, noch weniger. Daß sie auch gerade heute spülen mußte, wo er die Empfindung hatte, als könne er nur bei ihr die verlorene Beherrschung zurückgewinnen.
Die Turmuhr am Platze schlug zehn; die Vorstellung war aus. Alfred eilte an die Hintertür« des Theaters, er wollte Frieda nicht verpaffen und wußte, daß sie sich stets sehr beeilte, au» der Koulissenluft, die sie bedrückte, herauSzu- kommen. Alfred stand im Schatten; das Licht der Laterne fiel auf die kleine Tür; schon hatten verschiedene Damen und Herren das Theater verlassen, und jetzt kam Frieda. Er kannte genau ihren braunkarrierten Mantel mit dem weißen Besatz und der Kapuze; ihr Gesicht konnte er nicht ganz genau sehen, ein dichter Schleier bedeckte e». Wie kam das; sie verschleierte sich doch sonst nicht, im Gegenteil, sie hatte so oft erwähnt, daß sie Schleier nicht leiden könne. Vielleicht hatte sie sich nicht abgeschminkt, aus Ungeduld, schneller nach Hause zu
kommen, da sie wahrscheinlich von Martha gehört, daß er Abends noch kommen wolle.
Er wollte auf sie zueilen, aber — da kam von der ander» Seite ein junger Mann auf sie zu, und mit den Worten „na endlich* schob er ungeniert seinen Arm in den ihrigen und ging mit ihr nach Hause — nein — nicht nach Hause, nach einer anderen Seite hin, wo Frieda gar nicht wohnte. Erstarrt stand Alfred einen Augenblick still, er faßte sich an den Kopf, fragte sich, ob er wache oder träume; dann eilte er den beiden nach, sich im Dunkel der Häuser haltend.
Sie gingen nicht nach Hause, aber wohin denn? Seine Frieda, sein an- gebeteteS, von ihm so hochgehaltenes Mädchen ging da scherzend und lachend mit einem Andern in später Abendstunde — das war ja unmöglich — und wohin? Plötzlich blieben sie vor einem Hause stehen; der Begleiter zog den Hausschlüssel, schloß auf, ließ das Mädchen ein, trat dann selbst ein und schloß wieder die Türe. Alfred stand, wie vom Schlage gerührt, still.
Seine Frieda — nein — nein — das konnte ja nicht sein, aber er hatte es ja mit eigenen Augen gesehen, und doch, es war nicht möglich. Er schlug sich vor den Kopf — ein Tor, der da zweifeln konnte.
Schnell nach Hause, an sie geschrieben, ihr sein« ganze Verachtung auS- gedrückt und dann fort zu den Seinen. Dort in den Armen seiner Mutter würde er genesen von dem Leid, da» ihm die Kommödiantin zugefügt hatte. O, wie recht hatte sein Vater, al» er Frieda so genannt hatte.
Fröstelnd hüllte sich Frieda in den alten Shawl MarthaS, als sie nach der Vorstellung müde und abgespannt nach Hause ging.
„Fräuleinchen werden sich erkälten; wie konnten Sie auch Ihren warmen Mantel an das Flick abgrben? Warum ist sie so leichtsinnig, jetzt noch per Taille zu gehen. Die Abende sind schon kühl", brummte di» Alte und zog fürsorglich das Tuch, daS herabgerutscht war, über Friedas Schultern hinauf.
„Sei gut, Martha, ich friere nicht, und die arme Paula hat einen argen Schnupfen; sie ist ein gutes Ding, ich mag sie gern. Komm, laß uns schnell gehen, dann wird uns warm, auch wollte ja Alfred kommen; wir wollen ihn nicht warten lassen."
Und als gäbe die Aussicht, ihn noch zu sehen, ihr Flügel, eilte sie so schnell vorwärts, daß die Alte mit ihr kaum Schritt halten konnte.
Zu Hause angelangt, richtete sie schnell den zierlichen Teetisch; ihrer eigenen Müdigkeit nicht achtend, wollte sie Alfred daS Stündchen, das er ihr noch schenken würde, recht behaglich machen.
Dabei versuchte sie Martha; die heute länger aufbleiben mußte und ihre Verdrießlichkeit darüber kaum verbergen konnte, durch Zärtlichkeiten aufzuheitrrn.
Die Uhr schlug elf — halb zwölf — er kam noch nicht. Martha war längst in ihrem alten Korbstuhl, der beim Ofen stand, eingenickt; auch Frieda hatte die Müdigkeit übermannt; sie legte die Arme auf den Tisch, den Kopf darauf und schlief ein.
* * rt-
Es war ein schöner FcühlingSmorgen, die Sonne lacht« verführerisch und lockte inS Freie.'
Seufzend stand Frau von Schmolling in ihrem warmen Zimmer am Fenster und soh in den Park hinunter. Auch sie hatte Sehnsucht, da unten sich zu ergehen, aber es war viel zu kühl für sie.
Ihr Seufzen galt nicht dieser Entbehrung, sie war ja so lange daran gewöhnt, ihrer zarten Gesundheit wegen sich manches zu versagen; ihr Seufzen galt dem jungen Paare da unten, das sich, wie es schien, im vergnügten Plaudern die Zeit vertrieb.
Es war alles so gekommen, wie sie gefürchtet. Fred war, eingeschüchtert durch den Vater, gekommen, Olga hatte seine zerfahrene, unglückliche Gemütk- stimmung benutzt und ihn durch Liebenswürdigkeit bestrickt. Täglich, stündlich mit ihr zusammen, auf da» Auffallendste bevorzugt, wie sollte er da kalt bleiben?
Als er der Mutter beim Wiedersehen in die Arme fiel, da fühlte sie eS sofort, daß er sehr elend und unglücklich war; es mußte etwas geschehen sein, waS ihn so haltlos, so gefügig machte. Oder hatte er wirklich so wenig Mut, war er so schwach? Er war ihr Sohn, woher sollte er Kraft und Stärke nehmen? Sie lächelte bitter. Und als nun von unten lautes Lachen heraufdrang, da wurde ihr das Herz zum brechen schwer.
WaS scheinbar so heiler und ungezwungen herausscholl — in der Nähe hatte eS einen andern Klang. Olga war forcirt lustig, sie fühlte, daß sie von ihrem Ziele noch weit entfernt war. Alfred ließ sich ihre Liebenswürdigkeit gefallen, mehr nicht.
ES mußte etwas geschehen — sollte sie den Vater aufhetzen? Nein, daS könnte alles verderben. Lieben kann man nicht auf Befehl. Sich etwa hinter die Schwester stecken? Mary» Naivität würde sie verraten; die Mutter, die kranke Frau, war ihre erbittertste Gegnerin, nun wenn diese auch schwach war, mit einer Mutter, die daS Glück ihres Kindes verteidigt, kämpft eS sich stets schwer!