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Schlagader angeschnitten hat. Der Verletzte mußte mit einem Notverband im nächsten Haus liegen bleiben, doch hofft ihn der Arzt zu retten.
Stuttgart, 12.Nov. (Schöffengericht.) Angeklagt wegen 37 Vergehen des Betrugs war gestern der ledige Kaufmann Karl Eisenmenger von hier. Eisenmenger ist mit jenem Schwindler identisch, der im Frühjahr d. I. besonders die ländlich^-Bevölkerung in der Umgebung von Stuttgart, Cannstatt und Ludwigsburg heimsuchte. Der Angeklagte machte Bestellungen auf Einrahmungen von Brautkränzen, wobei er teils als Reisender einer Frankfurter Firma, teils als Geschäftsinhaber auftrat. Er ließ sich Anzahlungen von 1—5 ^ geben, ohne jedoch die Bestellungen auszuführen, vielmehr war es ihm nur um die Anzahlungen zu tun. Die ihm von den Bestellern übergebenen Brautkränze ließ der Schwindler einfach in verschiedenen Wirtschaften liegen. Mit viel Mühe konnte die Polizei die Brautkränze zusammenbringen und den Bestellern zurückgeben. Außerdem ließ sich der Angeklagte drei Zechprellereien zu schulden kommen. Wegen 37 Vergehen des Betrugs erkannte das Schöffengericht auf 5 Monate Gefängnis, abzüglich 2 Monate 15 Tage Untersuchungshaft.
Eßlingen, 13. Nov. Von einem Stuttgarter Herrn, der nickt genannt sein will, wurde der Schwäb. Albverein mit einem Legat von 25 000 ^ bedacht. Davon entfallen auf die Ortsgruppe Stuttgart 15 000 und auf den Haupt- verein 10 000
Reutlingen, 13. Nov. Die Witwen der beiden Gründer der Gminder'schen Fabriken haben ihren Arbeitern eine neue Stiftung im Betrage von 200 000 zukommen lassen. Die Stiftung heißt Louis und Karl Gminderstiftung und soll dazu dienen, alten und kranken Arbeitern der Firma den Lebensunterhalt zu gewähren.
Tübingen, 12. Nov. In den letzten Tagen trieb sich hier ein Schwindler umher, der unter dem Namen Kurt von Barmen Gelder für sich einsammelt. Er hat es hauptsächlich auf mildtätige Frauen abgesehen.
Oehrin gen, 13. Nov. Vorgestern abend wurde ins K. Amtsgericht hier eine Zigeunerbande, bestehend aus 3 männlichen und 3 weiblichen Personen wegen Diebstahls, Gefangenenbefreiung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Bedrohung eingeliefert. Als in Adolzfurt der Polizeidiener die Frauenspersonen wegen Bettels festnehmen wollte, setzten die männlichen Mitglieder der Bande der Festnahme durch tätlichen Angriff, Bedrohung u. s. w. Widerstand entgegen, weshalb nun mit Hilfe der Landjäger die ganze Bande fcstgenommen wurde.
Ulm, 12 Nov. In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch erschien gegen 1 Uhr der Arbeiter Hell auf dem Polizeibureau in Neu-Ulm und zeigte an, daß er seine Frau und seinen Schwiegervater, den Bahnwärter Haugg auf Posten 33 zwischen Reuttin und Gartenhofen, ermordet habe. Da beim Versuch, den Posten 33 telefonisch anzurufen, keine Antwort zu erlangen war, wurde der Selbstbezichtigung Hells Glauben geschenkt, Hell in
Gewahrsam genommen und eine Draisine behufs Recherchen auf die Strecke geschickt. Es stellte sich heraus, daß die Angaben des Hell glücklicherweise nicht richtig waren, sondern daß die Totgeglaubten sich wohl befanden. Hell, der sich schon einmal in einer Heilanstalt befand, scheint die Angaben in krankhaftem Zustande gemacht zu haben.
Frankfurt a. M., 13. Nov. Gestern Morgen um 7°7» Uhr wurden in dem der Stadt Frankfurt benachbarten Strafgefängnts Preungesheim der 28jährige Möbelträger Bruno Groß aus Werden und der 25 Jahre alte Kutscher Friedrich Stafforst aus Goslar durch den Scharfrichter Engelhardt aus Magdeburg enthauptet; es war der letzte Akt des Dramas, dem der Klavierhändler Lichtenstein am 26. Februar d. I. in seiner Wohnung an der Zeil zum Opfer fiel. Umfangreiche Absperrungen waren schon am Morgen von der Polizei getroffen worden. Der Hinrichtung wohnte bei der Erste Staatsanwalt geheimer Justizrat von Reden, Vertreter der Gerichts- und Polizeibehörden, 12 Delegierte, Preungesheimer Bürger und eine Anzahl von Aerzten. Die Presse war -nicht zugelassen. Zuerst wurde der Mörder Stafforst vorgeführt. Der Staatsanwalt verlas das seinerzeit gefällte Todesurteil noch einmal, und dann die kaiserliche Kabinettsordre, die dahin lautet, daß von der Gnade abgesehen worden war. Stafforst erschien ruhig und gefaßt; auf die Frage des Ersten Staatsanwalts, ob er noch etwas anzuführen hätte, erwiderte er nichts. Dann folgten Momente lautloser Stille: Der Scharfrichter ergriff den Mörder an der Schulter, drei Gehilfen legten ihn auf den Richtblock, und im nächsten Moment war der Kopf vom Rumpfe getrennt. Die Leiche wurde in einen Sarg gelegt und dann zur Seite gestellt. In derselben Weise wurde die Hinrichtung des zweiten Mörders vollzogen. Als diesem der Erste Staatsanwalt davon Kenntnis gegeben hatte, daß der Kaiser die Begnadigung versagt hatte, sprach er sein Erstaunen aus, und ließ sich die Kabinettsordre geben, die er minutenlang mit starren Blicken durchlas, bis der Staatsanwalt sie ihm aus der Hand nahm. Dann rief er laut: „Ich sterbe unschuldig, Stafforst ist der alleinige Täter!" Wenige Sekunden später war Groß gerichtet. Auf dem Preungesheimer Friedhof wurden die beiden Mörder beigesetzt, der Anstaltsgeistliche hatte ihnen das letzte Geleit gegeben. Bereits um 8'/» Uhr verkündeten rote Plakate an den Anschlagsäulen die Vollstreckung der Todesstrafe.
Frankfurt a. M., 13. Nov. Im nahe gelegenen Heldenbergen wurde in der Nacht zum Samstag der 60jährige katholische Pfarrer Thöbes ermordet und beraubt. DerKüster weckte den Pfarrer vergebens zum Morgengebet und so begab er sich in dessen Wohnung. Dort fand er den Geistlichen auf dem Boden seines Schlafzimmers liegend vor; eine tiefe Stichwunde am Halse hatte den Tod herbeigeführt. Der unglückliche Mann konnte sich nicht wehren, weil er die Hände verbunden trug. Er hatte nämlich eine Wunde im Gesicht und sollte diese mit den Händen nicht berühren. Von dem Täter fehlt bisher jede
Spur; er hatte vier Uhren entwendet, die Staats« Papiere aber liegen lassen. Auffälligerweise hat die Haushälterin des Geistlichen von dem ganzen Vorfall nichts gemerkt.
Berlin. Das Wiederzusammentreten des Reichstages ist für den 29. November in Aussicht genommen. Vor Weihnachten dürfte die erste Lesung des Etats die Tätigkeit des Reichstags fast ausschließlich in Anspruch nehmen: viel Zeit wird dafür wohl kaum zu Gebote stehen, da der Reichstag spätestens am 17. Dezember in die Weihnachtsferien gehen wird. Der Etat wird dem Hause voraussichtlich in den ersten Tagen nach dem Zusammentreten zugehen. An unerledigten Stoffen aus dem Vorjahre sind noch vorhanden: Eine Interpellation Auer, betreffend die Außerbetriebsetzung von Kohlengruben im Ruhrrevier, 13 Wahlordnungsberichte, 17 Petitionsberichte, 27 Vorlagen zur Kenntnisnahme und gegen 70 Initiativanträge aller Parteien. In den Kommissionen ferner befinden sich 5 Vorlagen: Gesetz wegen Aenderung des Reichsstempelgesetzes, Gesetz betreffend Wetten bei öffentlich veranstalteten Pferderennen, Ueberstcht über Einnahmen und Ausgaben des oft- und südwestafrikanischen Schutzgebietes, Gesetz betreffend Aenderung der Zivilprozeßordnung und des Abschnittes 4 des Börsengesetzes. Hiezu kommen ferner die Handelsverträge, die allerdings dem Hause wohl kaum vor Frühjahr werden vorgelegt werden.
Budapest, 11. Nov. Zum Stande der Handelsvertragsverhandlungen mit Oesterreich-Ungarn hat sich Graf Posadowsky zu einem Mitarbeiter des „Ujsag" dahin ausgesprochen, die deutsche Regierung sei sich klar darüber, daß das ungarische Parlament nur dann die derzeitigen Verhandlungen gutheißen könne, wenn der Ausgleich zwischen Oesterreich und Ungarn angenommen würde. Die derzeitigen Vereinbarungen besäßen nur einen bedingungsweisen Wert. Daß unmittelbare Hindernisse bestehen, sei eine Uebertreibung. Der Gerstenzoll bereite kaum Schwierigkeiten, wie er überhaupt von den Verhandlungen sehr Gutes erwarte.
Am jUMisch-iMchk« Krieg.
Petersburg, 13. Nov. Nach Meldungen aus Irkutsk funktioniert die neue Bahn vorzüglich. Endlose Militärzüge mit großen Munitions- Transporten und Pferde-Material passieren die hiesige Station. Nach Ansicht höherer Militärkreise wird in kürzester Zeit die zweite mandschurische Armee vollständig operationsfähig sein und General Griepenberg zur Verfügung gestellt werden können. Die Baikal-Ringbahn ist ebenfalls soweit fertig gestellt, daß mit dem regelmäßigen Verkehr begonnen werden kann. Infanterie und Artillerie wird bereits auf derselben befördert. Nur die Kavallerie benutzt noch die alten Straßen.
London, 13. Nov. Die heutigen Morgenblätter berichten aus Washington, daß Japan der amerikanischen Regierung zu verstehen gegeben hat, daß es jeden Versuch einer Vermittelung vor dem Falle von Port Arthur von sich weisen werde. Nachher wäre cs geneigt, einem solchen näher zu treten.
getan, sich noch mehr in sein Leid einzuspinnen. Dorothee schauderte, wenn sie dachte, daß da« ganze Leben in diesem Geleise weiter geben sollte. So zogen die Tage und Wochen mS Land, wie rin grauer, freudloser Traum, in den nur die Nachrichten und Briefe aus der Residenz hin und wieder einen Lichtstrahl warfen.
Und endlich war auch dieser Winter vorüber gegangen, der noch einen kurzen WeihnachtSbesuch Wasmers gebracht hatte, und nun war es wieder Frühling geworden. Sonnenschein log auf Wald und Hügeln und dem Städtchen unten im Tal. Ueber den lichten, klaren Himmel segelten weiße, lustige Wölkchen, und die Wellen des Flüßchens, geheimnisvoll plätschernd, hielten Zwiesprache mit den langen Gräsern, die sich neugierig zu der klaren Flut hinunterneigten; Vogelgezwitscher klang im Gezweig der Bäume, das eigentlich noch braun und blattlos und von der Ferne doch anzuschauen war, als sei ein duftig grünes Schleiergespinst darüber geworfen; am Boden sproßten Waldmeisterstengel und Anemonen, und blaue Veilchen lugten aus grünem Laub hervor, darüberhin schwirrten summende Käfer. TS war eben Frühlingszeit. —
Warmer kam in Neustadt an und begab sich sofort zu Dorothee; aber sie war nicht daheim, und Tante Lotte schickte ihn bald wieder fort, der Nichte entgegen; ihr waren seine enttäuschten und suchenden Blicke nicht entgangen, als er beim Eintritt die junge Frau nicht fand.
„Sie ist in den Wald gegangen/ sagte sie zum Abschied, „ich denke, bei der großen Eiche werden Eie sie am sichersten treffen. Sie wissen doch —"
„Ja, ja ich w.-iß."
Er ließ sie nicht ausreden, eS trieb ihn fortzukommen, und das alte Fräulein sah ihm lächelnd und mit leisem Kopfnicken nach.
Er schritt rüstig aus, und bald soh er Dorothee auf der Anhöhe unter der großen Eiche stehen. In den Händen hielt sie einen großen Strauß Frühlingsblumen, und der Wind spielte mit dem langen, schwarzen Kreppschleier. Seine Schritte beflügelten sich, sein Herz klopfte rasch und ungestüm; als sie den Kopf wandte und seiner gewahr ward, schwenkte er grüßend den Hut und sie hob mit leichtem Erröten den Strauß zum Gegengruß.
Nun stand er neben ihr, hielt ihre Hand und sah ihr mit tiefem, innigem Blick in die Augen.
„Frau Dorothee, liebste Frau Dorothee."
Weiter fand er kein Wort und sie schwiegen beide.
„Freuen Sie sich über die Welt im Lenzesschkin?" fragte er nach einer kleinen Weile, sich leicht zu ihr neigend.
„Ja, aber ich kann das Herz noch nicht recht dafür auftun, es lebt noch so viel Weh und Schmerz darin," sagte sie mit zuckender Lippe.
„Versuchen Sie wenigstens, dos Herz nicht zu verschließen, kaffen Sie den Sonnenschein hinein und die Hoffnung und den Glauben auf ein neues Leben. Ist denn das, dem Sie nachtrauern wirklich so unersetzlich, Dorothee?" fuhr er erregter fort. Es war ja nicht das „Glück", «S war ja nur ein Scheinglück, wenn wir ehrlich sei» wollen." (Fortsetzung folgt.)