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Neuenbürg, Mittwoch dm 23. Juli 1919.
77. Jahrgang.
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Deutschland.
Stuttgart, 22. Juli. Am letzten Sonntag fand hier eine von 83 Arbeiterdelegierten besuchte außerordentliche gewerkschaftliche Landeskonferenz statt, die vornehmlich der Aussprache über den Eisenbahnfahrplan diente. Es wurde einstimmig beschlossen, an allen Orten mit starkem Arbeiter- oerkehr Ortsausschüße aufzustellen und diese wieder in Bezirksausschüße zusammenzufassen, zu dem Zweck, die Fahrpläne unter Berücksichtigung der Arbeiterwünsche Möglichst einheitlich zu gestalten. Ferner wurde ein Antrag angenommen, wonach der Ausschuß des württ. Krankenkassen- «rbandes künftig zu einem Drittel aus Arbeitgebern- und zu zwei Dritteln aus Arbeitnehmern-Vertretern bestehen soll. Nach einem weiteren Antrag soll die Regierung veranlaßt «erden, den durch die stromlosen Lage entstandenen Lohnausfall zu ersetzen.
Karlsruhe, 21. Juli. Die weittragende Bedeutung der neuen Erzbergerschen Reichsfinanzreformpläne fängt nun an, den beteiligten Einzelstaaten und den Gemeinden aufzudämmern. Der badische Städtetag ist der Meinung, daß die neuen Steuerpläne der Entwicklung der Gemeinden durch Beschneidung ihrer Einkünfte verhängnisvoll werden könnten, kr hat sich am letzten Samstag dahin ausgesprochen, daß die Eemeinden auch weiterhin das Recht der Umlagefestsetzung haben müßten, um ihren verfassungsmäßig gewährleisteten Siechten und Pflichten nachzukommen.
Weimar, 21. Juli. Das Gesetz gegen die Steuerflucht ist vom Staatenausschuß angenommen.
Berlin, 21. Juli. Auf Einladung des preußischen Kultusministers traten heute die Vertreter der Unterrichts- mwaltungen der deutschen Einzelstaaten in Berlin zusammen, um zu der Lage Stellung zu nehmen, die für die Echulverwaltungen durch die am Freitag in der zweiten Lesung erfolgten Annahme des Schulkompromißes durch die Nationalversammlung geschaffen worden ist. Es herrschte rolle Uebereinstimmung darüber, daß für die Einzelstaaten die praktische Durchführung des Schulkompromißes die denkbar größten Schwierigkeiten ergeben müsse; für einzelne Staaten sei sie geradezu ein Ding der Unmöglichkeit. Es «urde beschlossen, sich in letzter Stunde noch in einer dringenden Vorstellung an die Reichsregierung zu wenden und z» verlangen, daß die Schulartikel der Grundrechte vor ihrer endgültigen Verabschiedung einer gründlichen schul- und »erwaltmigstechnischen Durchprüfung unter Zuziehung der einzelstaatlichen Verwaltungen unterzogen werden.
« Berlin, 22. Juli. Bei den gestrigen Demonstrationen in Berlin wurden einige 40 Personen durch die Regierungs- trappen festgenommen. Bei der versprengten Versammlung der Unabhängigen und Kommunisten im Friedrichshain wurde im den Rednern die Aufforderung -n die Versammlung gerichtet, sich zu der bevorstehenden und entscheidenden Aktion des deutschen Proletariats bereit zu halten. Unter den Verhafteten des gestrigen Tages befanden sich 16 Ausländer, darunter 13 Rußen, die zu Gewalttätigkeiten gegen die Regierung aufgefordert hatten.
Hamburg, 21. Juli. In der vorletzten Nacht kam es «jeder an mehreren Stellen der Stadt zu Schießereien. Unter anderem wurden mehrere Schüsse auf die Schulen am Hoßteimvall abgegeben, in denen Reichswehrtruppen un- tergebracht sind. Auch am Rathausmarkt wurden Schüsse abgegeben und Handgranaten geworfen. Die Umgebung des Rathauses wurde sofort abgesperrt. Infolge dieser neuen Unruhen wird der Belagerungszustand wieder verschärft svkrden, nachdem vorgestern die Drahthindernisse in den verschiedenen Stadtteilen beseitigt worden sind.
Deutsche Nationalversammlung.
Weimar, 21. Juli. Das Haus setzte die Wetterberatung des Verfaßungsentwurfs bei dem Abschnitt, in dem »re Richtlinie» für die künftige Gestaltung des deutschen Wirtschaftslebens festgelegt werden, fort.
Der Hauptgrundsatz ist dabei die rechtliche Anerkennung »es Eigentums. Ferner werden in diesem Abschnitt, Artikel l48-^-itz2, das Arbeitsrecht, Versicherungswesen und die Rätefrage geregelt. Dabei wird von dem Gedanken ausge- Mgen, daß die wirtschaftlichen Kräfte nicht frei und ungesunden wirken dürfen, sondern daß Richtlinien festgelegt werden müssen, nach denen die wirtschaftliche Entwicklung W abspielen soll. — Im allgemeinen stimmte die Versammlung dem vorliegenden Entwurf zu.
Die Artikel 148 und 149, welche die wirtschaftliche Mecheit gewährleisten, werden mit Ablehnung der Anträge «er Unabhängigen angenommen. Artikel 150 erkennt die Berechtigung des Eigentums an. Enteignet kann nur auf Sachlicher Grundlage gegen angemessene Entschädigung und ^ Wohls der Allgemeinheit werden. Dazu liegt u. a. «n Antrag Dr. Beyerle (Bayr. Vp.) vor, daß Enteignungen
gegenüber Ländern, Gemeinden und Verbänden nur gegen
Entschädigungen vorgenommen werden können. Nach langem ermüdenden Für und Wider wird der Artikel 150 samt Antrag Beyerle angenommen.
Artikel 151 über das Arbeiterrecht wird angenommen.
Der Artikel 152 soll die Verteilung und Ausnützung des Bodens jedem Deutschen, besonders kinderreichen Familien) Wohn- und Wirtschaftsheimstätten sichern, unter besonderer Berücksichtigung der Kriegsteilnehmer. Grundbesitz kann zur Befriedigung 'von Wohnbedürfnissen, zur Förderung der Siedelung und Urbarmachung oder zur Hebung der Landwirtschaft angeeignet werden. Die Fideikommiste find aufzulösen. Die Bodenbearbeitung ist Pflicht des Grundbesitzers. Die Wertsteigerung des Bodens, die ohne eine Arbeit oder Kapitalaufwendung auf das Grundstück entfällt, ist der Gesamtheit zuzuführen. Alle Bodenschätze und Naturkräfte stehen unter Aufsicht des Staates.
In der Abstimmung wird Artikel 152 unter Ablehnung aller Anträge nur mit der Aenderung angenommen, daß bei Werlsteigerungen der Boden für die Gesamtheit nutzbar zu machen, nicht der Gesamtheit zuzuführen ist, und daß statt Naturkräfte gesagt wird „Wirtschaftlich nutzbare Naturkräfte."
Artikel 153 (Vergesellschaftung) wird in der Ausschuß- faßung nebst einem Zusatzantrag der Sozialdemokraten angenommen. Die Erwerbs- und Wirtschastsgenoßenschaften und deren Vereinigungen find die Träger der Gemeinwirtschaft. Die Artikel 154 (Schutz der Arbeitskraft und einheitliches Arbeitsrecht), 155 (Schutz der geistigen Arbeit), 156 (Vereinigungsfreihett zur Förderung der Arbeits- und Wirtschastsbedingungen), 157 (Sicherung der freien Zeit zur Wahrnehmung staatsbürgerlichen Rechte). 158 (Arbeitsver- stcherungswesen), 159 (zwischenstaatliche Regelung der Rechtsverhältnisse der Arbeiter) und 160 (Arbeitspflicht und Arbeitsrecht) und 161 (Schutz des Mittelstandes gegen Ausbeutung und Aussaugung) werden ohne große Erörterung angenommen.
Der letzte Artikel dieses Abschnittes, der 162., bestimmt über die Räteverfaffung folgendes: Arbeiter und Angestellte wirken mit den Arbeitgebern an den Lohn- und Arbeitsbedingungen und der gesamten wirtschaftlichen Entwickelung der produktiven Kräfte mit. Die Organisationen und ihre Vereinbarungen werden anerkannt. Arbeiter und Angestellte erhalten gesetzliche Vertretungen in Betriebsarbetterräten, Bezirksarbeiterräten und einem Reichsarbeiterrat. Die Bezirksarbeiterräte und der Reichsarbeiterrat bilden mit den Vertretungen der Unternehmer und der sonst beteiligten Volkskreise, Bezirkswirtschaftsräte und einem Reichswirtschaftsrat, in denen die wichtigsten Verufsgruppen vertreten sind. Grundlegende sozialpolitische und wirtschastspolitische Gesetzentwürfe sind dem Reichswirtschastsrat vorzulegen. Dieser kann solche Gesetze beim Reichstag beantragen. Seine Vertreter können an den Reichstagsverhandlungen darüber teilnehmen. Dazu sind von mehreren Parteien Äb- änderungsanträge eingebracht worden. — Nachdem verschiedene Redner sich geäußert hatten, stimmte der Arbeitsminister weiteren Verbesserungen des Entwurfes im Sinne der Angestellten und Arbeiter zu. Die Abstimmung soll am Dienstag erfolgen.
Ausland.
Paris, 22. Juli. Marschall Foch ist aus dem Hauptquartier nach Paris gereist, um an dem bevorstehenden wichtigen Entschlüßen der französischen Regierung in Sachen der von Deutschland verweigerten Entschädigung und Sühne für die Ermordung des Franzosen Mannheimer in Berlin mit zuwirken.
Paris, 22. Juli. Clemeneeau hat bei der Alliierten Konferenz die Unterstützung der französischen Forderungen, an Deutschland für die Tötung des französischen Sergeanten Mannheim nachgesucht.
Amsterdam, 22. Juli. Außer dem Streik im New- Aorker Hafen, wo 500 Schiffe und an der Küste weitere 700 Schiffe still liegen, sind auch in Chicago IM 000 Arbeiter des Baugewerbes ausgesperrt. In Boston streiken die Straßenangestellten und IM OM Arbeiter der Zigarrenindustrie.
Simla, 21. Juli. 4000 Stammesangehörige griffen eine britische Eskorte an, die sich auf dem Marsche nach Fort Landeman an der afghanischen Grenze befand. Vier britische Offiziere der Eskorte wurden getötet, zwei verwundet. Die indischen Truppen hatten 100 Mann Verluste (und die britischen Truppen? Schrift!.) Der Feind erbeutete zwei Geschütze.
Engländer gegen den Friedens-Vertrag.
Das Zentralkomitee für die Wiederaufnahme internattonaler Beziehungen, eine Abzweigung und Erweiterung
der „Union of democratie Control" in London veröffentlicht
einen Aufruf, in dem es den Versailler Frieden verurteilt und die Revision fordert; es heißt in dem Protest:
„Wir, unsererseits, erklären heute feierlich, daß unser Gewiffen es kategorisch verweigert, diesem Vertrag einen moralischen Wert zuzuerkenncn, und daß wir es deshalb als unsere Hauptaufgabe betrachten, ihn durch einen Frieden zu ersetzen, der dem Sehnen und den Idealen aller Völker entspricht."
Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.
-t. Neuenbürg, 21. Juli. Die Mitgliederversammlung des Bezirks-Vereins Neuenbürg des Württ. Schwarzwaldvereins, die am Sonntag Mittag im Ochsen in Höfen stattfand, war durch die Ungunst der Witterung leider nicht besonders gut besucht. Vorsitzender Apotheker Bozenhardt eröffnete dieselbe mit einer Begrüßung, in der er auf die Arbeit des Vereins während der Kriegszett hinwies und betonte, angesichts des traurigen Ausgang- des Krieges die Liebe zur Heimat und zu unserem Schwarzwald noch mehr zu pflegen. Mit warmen Worten gedachte er der Laten unserer Feldgrauen und der fürs Vaterland gefallenen Mitglieder. Der Stand der Kaffe war, da in den letzten Jahren nichts Besonderes auS- geführt werden konnte, kein ungünstiger; für den Pionierweg wurde die Fortsetzung über das Grösseltal im Verein mit dem Verschönerungs-Verein Pforzheim für später in Aussicht genommen. Die Herrichtung der Schwärmer Warte verursachte einen Aufwand von 250 Mark; auch durch Ausbeffern de- Pionierwegbs entstanden nicht unbedeutende Kosten. Dem Rechner, Schultheiß Feldweg in Höfen, der nun 20 Jahre dieses Amt in mustergültiger Weise verwaltet, wurde der Dank des Vereins ausgesprochen. Für das weggezogene Vorstandsmitglied Reg.-Rat Ziegels wurde Straßenmeister Baab, für Oberförster Pfister Forstamtmann Winker in Schwann em- sttmmig in den Vorstand gewählt. Zu einer längeren Aussprache führte die Errichtung einer Jugendherberge in unserem Bezirk; die Stimmung war der Errichtung von Jugendherbergen sehr günstig, da diese dazu beitragen, die Jugend, auf der die Zukunft Deutschlands beruht, leiblich und geistig zu stärken und Heimatliebe und sozialen Sinn bei ihr zu fördern. Besonders erwähnt wurde, daß dabei auf Zucht und Ordnung gehalten und auf die Jugend in dieser Hinsicht erzieherisch eingewirkt wird. Neuenbürg aber würde durch eine Jugendherberge mehr bekannt werden, als durch die vielen Anzeigen, für die der Fremdenverkehrsverein jedes Jahr über Hundert Mark ausgegeben hat. Bei der im Enztal herrschenden Wohnungsnot wurde die Schwierigkeit in Beschaffung eines geeigneten Lokales allseitig anerkannt, der Vorsitzende aber trotzdem beauftragt, alles zu versuchen, ob sich nicht doch Gelegenheit bieten könnte, in Neuenbürg oder Umgebung eine Jugendherberge zir errichten. Bei Besprechung der Ausflüge war in Anbetracht der Schwierigkeiten der Verpflegung die Stimmung mehr für Nachmittagsausflüge von denen einige ins Nagoldtal vorgeschlagen wurden. Für den Schneeschuhverein sollten von angebotenen Heeresbeständen einige Anschaffungen gemacht werden. Am Schluffe der mehrere Stunden dauernden Beratungen sprach Forstmeister Frhr. v. Gaisberg dem Vorsitzenden für seine große Mühewaltung um den Verein während der Kriegsjahre den herzlichsten Dank des Vereins aus.
Neuenbürg, 21. Juli. Eingesandt! Der in Nr. 165 des „Enztäler" vom 19. d. Mts. als Beilage verbreitete Aufruf des „Reichsverbandes für die geistige Bekämpfung des Boschewismus" verdient den lä- Hastesten Widerhall im ganzen deutschen Volke. Wer mit offenem Blick die jetzigen beklagenswerten Vorgänge in ganz Deutschland verfolgt — Streike und Putsche von politischem, meist bolschewistischem Charakter an allen Ecken und Ende»
der wird erkennen, daß trotz der allgemeinen Schulbildung, die Seuche des Bolschewismus in erschreckendem Maße im deutschen Volkskörper um sich greift. Nur der entschlossene Wille der noch gesunden Mehrheit des deutsche» Volkes zur Bekämpfung dieser geistigen Seuche kann Rettung bringen. Deshalb sollte Jeder, der sein Vaterland lieb hat, dem Aufruf folgen und dafür wirken, daß örtliche Organisationen ins Leben gerufen werden, die sich dem Reichsverband anschließen und so ihre Kräfte mit diesem vereinen.
Nur wenn der ganze gesunde Teil des Volkes einmütig sich zur Abwehr zusammenschließt, besteht die Aussicht, die zielbewußte Agitation unserer Feinde lahmzulegen, der gewaltige von außen eingeführte Geldmittel zur Verfügung stehen und der es bereits gelungen ist, eine große Zahl bolschewistischer Einzelorganisationen in Deutschland ins Leben zu rufen. Erste Voraussetzung für jeglichen Wiederaufbau unseres unglücklichen Vaterlandes ist geistige und sittliche Gesundung des Volkes. Für diese mit aller Kraft zu kämpfen, das" ist jetzt die Aufgabe jedes deutschen Manne-