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Neuenbürg, Donnerstag den 5. Juni MS.

77. Jahrgang.

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Deutschland.

Stuttgart, 4. Juni. Nach wiederholter Verschiebung sonnte gestern der Schwurgerichtsprozeß gegen einen Teil der ««abhängigen und spartakistischen Leiter der Stuttgarter Unruhen im Januar beginnen. Um alle Störungen zu verhindern, waren eine Reihe Sicherheitsmaßnahmen getroffen; der Jnstizpalast war von Truppen abgesperrt, der Zutritt nur gegen Karten gestattet und in den Sitzungssaal gelangte WN nur nach gewissenhafter Prüfung alles dessen, was man bei sich trug. Das Publikum war nicht sehr zahlreich, übrigens durchausgemischt". Man war nicht ängstlich «wesen, und hat nicht den untauglichen Versuch gemacht, «ne Auswahl zu treffen. Von den beiden auswärtigen Verteidigern ist nur Liebknecht, der Bruder des ermordeten Spartakistenführers, erschienen; ihm zur Seite stehen von Siuttgart die Rechtsanwälte Schickler und Schilling. Die Angeklagten sind mit Ausnahme des Adolf Lauer, dessen Aufenthaltsort die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln konnte, nachdem er ohne ihr Wissen aus dem Krankenhaus entlassen Norden war, anwesend. Es sind 1. Redakteur und Schrift­steller Edwin Hörnle, 2. Schriftsteller Fritz Adam Rück, Z. Schriftsteller Wilhelm Münzenberg, der in der Schweiz bereits eine Rolle gespielt hat, 4. Mechaniker Richard Janus. 5, der gefühlsstarke Arbeiterdichter Max Barthel, 6. Gärtner Franz Kummrow, 7. Mechaniker Hermann Schreiner, der eine kurze Zeit württembergischer Kriegsminister gewesen ist, 8, Schriftsteller Franz Schnepf, 9. Maschinenschlosser Adolf Lauer, 10. Bademeister Karl Friedrich Schatz.

Frankfurt, 4. Juni. Sämtliche politische Parteien Wiesbadens haben sich auf eine öffentliche Erklärung geeinigt, in der jeder Versuch zur Errichtung einer rheinischen Repu­blik abgelehnt wird. Nur die Leitung der Zentrumspartei Hst sich noch nicht zur Unterschrift entschließen können; sie hat die Beteiligung aber auch nicht abgelehnt, sondern die Entschließung sich noch Vorbehalten.

Frankfurt a. M., 3. Juni. Ueber die Vorgänge in Mainz und Wiesbaden wird noch mitgeteilt: Der Protest­streik der Arbeiter und Bürger gegen die Ausrufung der rheinischen Republik ist ruhig und in Ordnung verlaufen und hat bei den Franzosen tiefen Eindruck gemacht. Sie sind enttäuscht, daß die versprochenen 80 Prozent Anhänger der rheinischen Republik nicht in die Erscheinung getreten find. Neue Maueranschläge wurden abermals abgerissen. Es wurden wieder zahlreiche Verhaftungen vorgenommen, darunter solche von höheren Schülern. Von der Tästgkeik der neuen Regierung ist außer dem anonymen Aufruf bisher nichts zu bemerken. Der Presse ist es verboten, Aeußerun- gen gegen die Republik zu bringen. General Mangin betonte, daß er auf der rheinischen Republik bestehe und stellt der Bevölkerung wesentliche Erleichterungen, namentlich hinsicht­lich der Markvaluta in Aussicht. Pinot gibt bekannt, daß die Bevölkerung über die Gründung einer rheinischen Re- Mblik befragt werden solle. Auf Grund dieser Erklärung wurde der Generalstreik aufgehoben.

Koblenz, 4l Juni. Hier wurden 60 Deutsche ver­haftet, die versuchten, eine Demonstration in der Nähe des Bghnhofes zu veranstalten. 300 Deutsche hatten sich am Bahnhof unter Absingen des LiedesDeutschland, Deutsch­land über alles" versammelt.

München, 4. Juni. Im bayerischen Landtag gab Staatsrat Dr. Haller einen kurzen Ueberblick über die fin­anziellen Verhältnisse des Freistaates Bayern und betonte, W sich die Finanzlage nicht wegen der Revolution, sondern wegen des verlorenen Krieges verschlechtert habe. Für die Eisenbahnverwaltung werde sich für 1918/19 ein Fehlbetrag »W rund 380 Millionen ergeben. Die schwebende Schuld des Staates beträgt 174 565 000 Mark.

Berlin, 3. Juni. Der Reichswchrminister erläßt einen Aufruf an die Freiwilligen, in welchen er ihnen Schutz vor der durch die radikale Hetze betriebenen Boykottierung und Fürsorge für ihre wirtschaftliche Zukunft zusichert. Die Teutsch-demokratische Fraktion der Nationalversammlung be- aarrt auf dem Standpunkt der Ablehnung der Ententefor­derungen, wenn nicht grundlegende Veränderungen vorge- aonnnen werden. Ueber Düsseldorf und Duisburg ist der Belagerungszustand verhängt worden.

Ausland.

Wien, 4. Juni. Die nächste Sitzung der österreichischen -Nationalversammlung, auf welcher über die Friedensbeding­ungen berichtet wird> ist auf nächsten Samstag einberufen.

Amsterdam, 3. Juni.Telegraaf" zufolge, meldet der Korrespondent derTimes" aus Toronto (Kanada), daß m. den dortigen Arbeiterräten die sozialdedemokratischen Ele­mente die Regierung an sich gerissen haben.

. Madrid, 3. Juni. Die spanischen Wahlen haben mit Einem großen Sieg der Republikaner geendet.

Rotterdam, 4. Juni. Der ehemalige russische Mi­

nister des Auswärtigen Sassonoff weilte mit dem Fürsten Lwoff, der s. Zt. als erster die Präsidentschaft der russischen Republik übernahm, in London, um mit der englischen Regierung über die Wiederaufrichtung des russischen Reiches zu verhandeln. Bei dieser Gelegenheit wandte sich Sassonoff durch einen Vertreter derTimes" an das englische Volk mit einer Erklärung, aus der hervorgeht, daß er mit Admiral Koltschak gemeinschaftlich die Wiederaufrichtung von Rußland in seinen früheren Grenzen erstrebt und das Vorhandensein eines selbständigen Polens für nicht vereinbar mit den Interessen Rußlands hält.

Dr Lnvo Harlmamr

z« de» FritdrusbediAgunge« sür Oesterreich.

Berlin, 3. Juni. Der Gesandte der deutschösterrei­chischen Republik, Prof. Dr. Ludo Hartmann, sprach sich heute zu einem Vertreter derDeutschen Allgemeinen Ztg." über den Auszug aus den Friedensbedingungen für Deutsch- Oesterreich u. a. dahin aus;

Sein Gesamturteil geht dahin, die Bedingungen sind unerträglich und undurchführbar. DurH die territorialen Bestimmungen werden allein 3'/« Millionen in geschlossenem Sprachgebiete Böhmens und des Sudetenlandes wohnende Deutsche abgeschnitten und auch Deutsche von uns getrennt, die an der Grenze Mährens wohnen. Die Grenzziehung im Süden ist so, daß von Steiermark das deutsche Marburg abgetrennt werden soll, ebenso das vollständig deutsche Klagenfurt sowie Tirol mit einem geschloffenen Sprachgebiet von 300000 Deutschen. Das Unglaublichste aber ist, daß während hier im ganzen die Wasserscheiden als die Grenzen angesehen werden, man dieses Dogma verleugnet, wenn ein Gewinn für Italien auf dem Spiele steA. Die Frage des Anschlusses an Deutschland ist in den bisher veröffentlichten Bestimmungen nicht enthalten. Wir werden natürlich bis zum Aeußersten gegen eine Beschränkung unseres Selbst­bestimmungsrechtes ankämpfen,"

Zu den Verhandlungen in Versailles.

Rotterdam, 4. Juni.Daily News" undDaily Telegraph" treten in ihrer Montag-Ausgabe für Verhand­lungen mit Deutschland auch über territoriale Fragen ein. Westminister Gazette" kündigt einen neuen Schritt der liber­alen Unterhausparteien in der Friedensfrage an.

Rotterdam, 4. Juni.Daily Mail" meldet aus Paris: Der Arbeitsplan der Alliiertenkonferenz umfaßt noch 4 Wochen. Nach den Voranschlägen soll der Friede mit Deutschland bis zum 5. Juli abgeschlossen sein. In den ersten Tagen des Juli soll die Aufhebung der Blokade und der wirtschaftlichen Beschränkungen gegen Deutschland er­folgen. Man glaubt nicht, daß es zu einem militärischen Einmarsch in Deutschland kommen wird.

Lugano, 4. Juni. Der Zwiespalt zwischen England und Frankreich nimmt, wie die MailänderJlalia" schreibt, immer größere Formen an. Lloyd George hat die hervor­ragendsten Mitglieder seines Kabinetts in Paris versammelt und fordert radikale Aenderung des Vertrages. Er besteht namentlich ' darauf, daß Oberschlesien Deutschland erhalten bleibe. Ferner will er die wirtschaftlichen und finanziellen Klauseln abgeändert wissen, besonders die Bestimmung über die Entschädigung, die Deutschland bezahlen soll, damit Deutschland wisse, woran es sei. Frankreich widersetzt sich allen diesen Plänen entschieden.

Lugano, 4. Juni. Nach zuverlässiger Entente Quelle verlautet, daß Italien vorgeschlagen habe, auf Tirol zu ver­zichten, unter der Bedingung, daß die Entente in den An­schluß Deutsch-Oesterreichs an «Deutschland einwillige. Der Vorschlag wurde von Wilson warm unterstützt, fand aber heftigen Widerstand von Seiten Frankreichs.

Paris, 4. Juni. Mit Bezug auf den Bericht über die Meinungsverschiedenheit unter oen britischen Vertretern der Friedenskonferenz wegen der Deutschland zu gewährenden Konzessionen, wird von zuständiger Seite mitgeteilt, daß zwar naturgemäß die verschiedenen Ansichten nicht immer in jedem Punkt vollkommen übereinstimmen, daß jedoch keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten bestehen.

Die Streikbewegung in Paris.

Versailles, 4. Juni. Am Mittwoch findet eine Versammlung der Transportarbeiter statt, die über den Ge­neralstreik in ganz Frankreich beschließen soll. Die Regier­ung hat eine große Anzahl Truppen, die sie für zuverlässig hält, in der Umgebung von Paris zusammengezogen. In der ersten Nacht sind durch Versailles fortwährend große Abteilungen Artillerie und auch Kavallerie gezogen und es heißt, daß Paris üon Sicherungstruppen vollständig umstellt sei. DerTemps" schreibt, daß die Deutschen wahrschein­

lich noch länger auf ihre Antwort warten müssen, weil Cle-

menceau sich augenblicklich mit anderen Dingen zu befassen hat.

Versailles, 4. Juni. Der Streik hat im Laufe des gestrigen Tages in Paris in ganz bedeutendem Umfange zu­genommen. Sämtliche Straßenbahnlininen, Untergrundbahn und Omnibuslinien sind teilweise stillgelegt. Die Angestell­ten der Warenhäuser, der amtlichen Telefonzentralen, der Gummifabriken, der Pariser Automobil-Industrie, der Par­fümerie-, Kartonnagen- und Telefonfabriken find in den Aus­stand getreten. Die Verbindung VersaillesParis ist da­durch beeinträchtigt, da die Truppen die Leitungen abgeschnit­ten haben. Ganz Paris ist ohne Licht.

Die Zahl der Streikenden betrug Dienstag ungefähr 260000, ist aber im Laufe des Tages um weitere 100 (XX) gestiegen. Die Bewegung hatte bisher rein gewerkschaftli­chen Charakter verfolgt, scheint aber jetzt auch bereits poli­tische Ziele zu haben und wird sofort die Einstellung der Bekämpfung des Bolschewismus in Ungarn und Rußland, die Gewährung eines gerechten Friedens mit Deutschland und Oesterreich, die Aufhebung der Blockade und sofortige Entlassung der Kriegsgefangenen fordern.

Aus Stadt, Bezirk und Umgebung.

Neuenbürg, 5. Juni. Heute früh schien endlich der Wunsch nach Regen in Erfüllung zu gehen, doch hat der Himmel schon wieder seine Pforten verschlossen. Das Wetter ist zu kühl, Regenwolken hängen am Himmel, aber der Wind verteilt sie wieder und doch tut dem ausgetrockneten Erdreich ausgiebiger Regen so dringend not.

Neuenbürg, 4. Juni. Vom 1. Juni ab steht dem württ. Kartoffelverbraucher die Befugnis zu, auf den Kopf seiner versorgungsberechtigten Haushaltungsangehörigen 20 Pfund Kartoffeln aller Ernte innerhalb oder außerhalb des Kommunalverbands seines Wohnorts von einem Erzeuger oder einem sonstigen Kartoffelbesitzer unmittelbar zu beziehen. Der Versand bedarf der Genehmigung der Landeskartoffel­stelle, die Versandmarken (für 20 Pfund in blauer, für 40 Pfund in roter Farbe) ausgibt. Diese Marken müssen auf dem Eisenbahnbegleitpapier aufgeklebt sein.

Loffenau, 3. Juni. (Landeskirchenvers.-Wahl.) Hier sind abgegeben worden 194 Stimmzettel: 192 Sandberger, 183 Bozenhardt; die andere Partei erhielt keine Stimme. Wahlberechtigte waren es 647. Das Volk scheint allmählich wahlmüde zu sein, eine Wahrnehmung, die nicht jedermann verständlich ist, aber für den Kundigen doch soviel sagt, daß man die Wahlurne jetzt auch einmal wieder ein Weil­chen schlafen lassen sollte.

Württemberg.

Lienzin gen, OA. Maulbronn, 4. Juni. Als die Angehörigen der Witwe Schellenberger gestern früh den Stall betraten, fanden sie ihr Schwein nicht mehr vor, wohl aber Blutspuren, die darauf hinwiesen, daß in der vergan- gangenen Nacht freche Gauner das etwa 1 Zentner schwere Schwein im Stall abgestochen und dann fortgeschafft hatten. Von den Dieben hat man noch keine Spur.

Iagstberg, 4. Juni. Einem hiesigen Landwirt wurde während der Nacht ein ganzes Schwein aus dem Stall ge­stohlen, nachdem es an Ort und Stelle abgeschlachtet war. Die Frechheit der Diebe erregt allgemeines Erstaunen, denn das Haus, wo sie angeblich gestohlen haben, liegt mitten im Ort.

Friedrichshafen, 4. Juni. Der im Luftschiffbau Zeppelin beschäftigte Meister Single hat die Tochter des Mühlebesitzers Möhrle in Ravensburg, Jda Möhrle, erschossen. Der Täter hatte früher ein Verhältnis mit ihr unterhalten, das aber durch den Widerstand der Eltern schon vor einem halben Jahr gelöst wurde. Single traf unterdessen wieder­holt mit Fräulein Möhrle zusammen. Völlig unvermittelt, ohne daß vorher irgendwelche Auseinandersetzungen voraus- aegangen wären, zog diesmal Single seinen Revolver und schoß der ehemaligen Braut eine Kugel in den Kopf. Hierauf erschoß sich Single selbst. Das Attentat wurde auf offener Straße abends 9 Uhr ausgeführt. Verschiedene Straßen­gänger waren Zeugen des Vorfalls.

Langenargen, 4. Juni. Von dem Bahnangestellten Singer von Lindau wurde auf der Höhe Wasserburg unweit der Schweizer Territorialgrenze die Leiche des bei dem See­unglück ertrunkenen Fritz Schiener an einer ziemlich seichten Stelle des Sees mittels Schleppangel aufgefunden und ge­borgen. Der Körper des Ertrunkenen lag mit dem Gesichte auf dem Grunde des Sees. Seine Uhr zeigte 4 Uhr 3 Min. Es geht daraus hervor, daß sich das Unglück schon bald nach der Abfahrt des Seegelbootes ereignet haben muß.

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