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Neuenbürg, Mittwoch de» 16. April 1919
77. Jahrgang.
Deutschland.
Stuttgart, 15. April. Da nach dem neuen Gemeindewahlgesetz die Gemeinderatswahlen in einer Reihe von Gemeinden an den Maisonntagen stattfinden werden, mird die Wahl zur Landeskirchenversammlung voraussichtlich auf 1. Juni anberaumt werden. — Der Abgeordnete Cris- pien, der Führer der U. S. P., hat sein Mandat zur Landesversammlung niedergelegt. Als Nachfolger wird Gemeinderat Hornung - Bückingen an seine Stelle treten.
Stuttgart, 15. April. Der Vertretertag der Deutzen demokratischen Partei findet nun am Montag, den zj. April, vorm. 10 Uhr in Stuttgarr in den Sälen des Aadtgartens statt. Als vorläufige Tagesordnung ist Vorzeichen ein von den Abg. Johs. Fischer und Thekla Kauff- mann erstatteter Parteibericht und die Beratung der Satzungen, sär die Dr. Erich Schmid Berichterstatter ist. Der Kassenbericht wird von dem Landeskassier Paul Jlg, der Fraktionsbericht von Abg. Hieber und der Bericht über die Nationalversammlung von Abg. Conrad Haußmann erstattet. Den Schluß bilden die Wahlen.
Stuttgart, 14. April. Der preußische Gesandte Frhr. v. Seckendorfs, früher in Tanger und seit 1915 in Stuttgart, ist in den einstweiligen Ruhestand eingetreten. Die Geschäfte der Gesandtschaft besorgt Baron von Moltke.
Bamberg, 15. April. Nach Meldungen aus München haben die Kommunisten mehr als 750000 Mark öffentliche und private Gelder enteignet und an sich genommen. Dem verhafteten Dr. Lipp wurde bei seiner Einlieferung in die Irrenanstalt große Mengen Bargeld und Papiere abgenommen. Die Regierung erteilte dem militärischen Befehlshaber die Ermächtigung zur Verhängung des Standrechts über München.
Frankfurt a, M., 14. April. Die Opelwerke in Rüsselsheim bei Frankfurt haben wegen Lohnstreitigkeiter mit der Arbeiterschaft den Betrieb eingestellt. Damit sind etwa 4500 Arbeiter aus der Umgegend arbeitslos geworden. (Es darf nicht wundern, wenn angesichts der kein Ende nehmenden Lohnsteigerungen die Geduld der Unternehmer ein-Ende nimmt. Schrift!.)
Dresden, 15. April. Bis gestern abend sind durch den Militärbefehlshaber 42 Verhaftungen unter dem Verdacht der Teilnahme an der Ermordung des Kriegsministers vorgenommen worden. Unter den Verhafteten befinden sich 13 Personen, deren persönliche Teilnahme an dem Sturm auf das Kriegsministerium und an der Ermordung des Kriegsministers bereits fest nachgewiesen ist. Die Leiche des ermordeten sächsischen Kriegsministers ist noch nicht gesunden. Der gestrige Tag und die heutige Nacht sind im allgemeinen ruhig verlaufen. In den Häusern bekannter Kommunisten finden Durchsuchungen durch die Militärbehörde statt. Auch am gestrigen Tage wurde wieder eine Anzahl Russen hret aufgegriffen.
Dresden, 16. April. Sämtliche Gebäude sind außerordentlich gesichert und mit unbedingt ergebenen Truppen besetzt, sodaß solch entsetzlichen Ereignisse, wie die vorgefallenen neuerdings ausgeschlossen erscheinen.
Dessau, 14. April. Die herzogliche Familie hat dem neuen republikanischen Staat „geschenkt": das herzogliche Hoftheater, das gothische Haus mit Gemälden im Werte von vielen Millionen, den herzoglichen Tiergarten, die herzogliche Hofbibliothek, das Archiv und das Deffauer Landesmuseum. Ferner überwies das herzogliche Haus dem Staate Domänen und Forsten im Werte von 20 Millionen, deren Erträgnis der Erhaltung der Kunststätten dienen soll. (Die Beweggründe dieser Freigebigkeit dürften nicht so sehr in gutem Willen als in dem Truck der gegenwärtigen politischen Lage zu erblicken sein. Schriftl.)
Berlin, 15. April. Wie die „Deutsche Allg. Ztg." zu berichten weiß, führt Schiffer die Geschäfte des Reichsfinanzministeriums noch weiter. Die Reichsregierung hat bis jetzt zu dem Vorschlag der Deutschen demokratischen Partei, Dernburg zu Schiffers Nachfolger zu erwählen, noch nicht Stellung genommen. Die Entscheidung sei erst in einigen Tagen zu erwarten. Gleichzeitig kommen allerlei neue Krisengerüchte aus Weimar. Dort erzählt man sich, daß auch Herr Scheidemann plötzlich amtsmüde geworden sei und zwar weil Dernburg Bedingungen gestellt habe, die einer überhasteten Sozialisierung Vorbeugen sollten, und zum zweiten deshalb, weil der Entwurf über den Staatsgerichtshof, an dem Herr Scheidemann mit besonderer Zärtlichkeit hängt, bislang nur wenig Freude gefunden hätte. Daß eine gewisse Krisenstimmung im Kabinett herrscht, wird auch bestätigt, aber bisher verlautete darüber nicht, daß gerade Scheidemann es ist, der sich aus dem Amt heraussehnt.
Berlin, 15. April. Wie wir hören, hat die amerikanische Sektion der Waffenstillstandskommission angesichts der in verschiedenen Teilen Deutschlands verbreiteten Ge
rüchte, daß die amerikanischen Behörden sich die Dienste von
deutschen Offizieren und Unteroffizieren zu sichern wünschten, erklärt: 1. die amerikanischen Behörden brauchen und wünschen keine ehemaligen deutsche Soldaten und Offiziere, zu welcher Funktion es auch sei, in die amerikanische Armee einzustellen, 2. Ausländer werden in die amerikanische Armee nicht ausgenommen, Offiziere müssen auf Grund des Gesetzes amerikanische Bürger sein.
Berlin, 14. April. Der Sachverständigenrat für die künftige Ausgestaltung der deutschen Kohlenwirtschaft trat gestern zusammen. Bis zum 30. Juni soll die Kohlenwirt- schaft endgültig sozialisiert sein. Dem freien Kohlenhandel soll auch künftig Raum bleiben. — Der Reichsrätekongreß wurde gestern geschloffen. Er erörterte noch die Sozialisierung des Wirtschaftslebens, sowie die auswärtige Politik. Bei der Wahl des Zentralrats, der höchsten Instanz, aller A.- und B.-Räte, beteiligten sich die Unabhängigen nicht. — Hier gab es, als zur Beseitigung des Hehlerunwesens gegen fliegende Händler eingeschritten wurde, wieder einmal ein Feuergefecht mit Toten und Verwundeten. — Die evangelische Schloßkapelle im Schloß zu Posen ist von den Polen nach katholischem Ritus geweiht worden. Der evangelische Oberkirchenrat hat dagegen bei der preußischen Regierung und dem Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung schärfste Verwahrung eingelegt. — Polnischer Sprach- und Religionsunterricht wurde vom preußischen Kultusminister für Westpreußen genehmigt. Die Polen wollen im deutschen Danzig eine Volkshochschule errichten.
Berlin, 15. April. Die „Nationalzeitung" meldet: Eine hiesige Persönlichkeit erhält von einem absolut zuverlässigen Gewährsmann, der Budapest in den letzten Tagen verlassen hat, Mitteilungen so grauenhafter Art, daß die bolschewistischen Verbrechen in Rußland daneben verblassen. Danach haben die derzeitigen kommunistischen Machthaber den ehemaligen ungarischen Erzherzog Joseph, den ehe maligen Ministerpräsidenten Weckerle und den früheren Handelsminister Baron Joseph Szterenys im Budapester Sammelgefängnis ermorden lassen. Der Gewährsmann berichtet weiter, daß die Nachrichten, die aus Ungarn nach dem Ausland gelangen, fast durchweg unrichtig seien, da die Machthaber nur Mitteilungen durchlaffen, die ihnen genehm sind. Ganz Budapest stehe unter dem Druck einer verbrecherischen Regierung, die mit allen Mitteln des Terrors die freie öffentliche Meinung unterdrückt und ihre Gewaltherrschaft aufrecht zu erhalten sucht.
Württembergische Laudesversaminluug.
Stuttgart, 14. April. Die Württ. Landesversammlung trat heute nachmittag zu einer nur für drei Tage berechneten Tagung zusammen. Die heutige Sitzung befaßte sich mit den bekannten Vorgängen anläßlich des Generalstreiks ; die Besprechung hatte naturgemäß zahlreiche Zuhörer augelockt, obwohl die Ausgabe von Zulaffungskarten sehr beschränkt war. Das Haus war nahezu vollzählig beisammen. Nachdem Präsident Keil von der Niederlegung des Mandats von Seiten Crispiens (U.S.P.) Mitteilung gemacht hatte, rechtfertigte Staatspräsident Blos in eingehenden Ausführungen das Verhalten der Regierung anläßlich des Belagerungszustandes, den diese verhängen mußte,' wollte sie nicht von einer von wenigen Schreiern und Hetzern verführten Menge hinweggefegt werden. Es war eine gründliche und geschickte Abrechnung, die der Staatspräsident unter dem Beifall des ganzen Hauses mit Spartakus vornahm, der selbst sofort den Belagerungszustand erklärt, Revolutionsgerichte einsetzt, usw. wenn er zur Herrschaft gelangt. Er wies besonders auf die vergifteten Waffen hin, die Spartakus anwendet, auf die von Lenin gutgeheißene Methode der Lüge und Heuchelei, Unruhe und Verwirrung; während die Regierung Arbeit, Brot und Freiheit verschaffen wolle. Namens des Zentrums billigte der Abg. Bolz das Vorgehen der Regierung vollauf; er verlangte sogar, daß sie gegen das wahnsinnige Treiben der Spartakisten noch viel entschiedener hätte auftreten sollen; er verlangte von der Regierung die Bildung einer Volkswehr und den Gebrauch der Schutzhaft; an den Kriegsminister stellte er das Verlangen, die arbeitsscheuen Soldaten aus den Kasernen herausholen zu lassen. Die Wortführerin der Unabhängigen, Frau Klara Zetkin, suchte Spartakus als das Lämmlem hinzustellen, das kein Wässertem trüben kann, wogegen der Sozialdemokrat Mattutat aus den Unterschied hinwies, der hier zwischen den Theorien der Klara Zetkin und den praktischen Methoden der Spartakisten und Kommunisten besteht. Der Abg. Schott von der Bürgerpartei verlangte von der Regierung weniger verhandeln, aber desto mehr handeln. Auf seine Frage, warum die Süddeutsche Zeitung verboten bezw. unter Vorzensur gestellt worden sei, legte Justizminister Dr. v. Kiene den Standpunkt der Regierung dar, die in der
damaligen kritischen Zeit jeden aufreizenden und verhetzenden
Artikel verbieten mußte. Auch der Abg. Fischer (D.d.P.) begrüßte die Festigkeit der Regierung, deren Macht noch mehr geschärft werden müsse. Der Kriegsminister Herrmann sprach den Hinterbliebenen der Todesopfer das Beileid der Regierung, den Sicherheitstruppen für ihren schweren Dienst den Dank aus, wobei er erwähnte, daß die Regierung in nächster Zeit vielleicht in die Lage kommen könne, einen Aufruf zur Bildung von Reservebataillonen ergehen zu lassen. Nach einer persönlichen Zuspitzung der Abg. Schott (B. P.) und Haußmann (D. d. P.), der diesem zugerufen hatte, er solle jetzt Schluß machen, konnte Präsident Keil in später Stunde — es ging bereits auf 10 Uhr'und das Haus zeigte eine gähnende Leere — zusammenfafsend feststeüen, daß die Sprecher sämtlicher Fraktionen mit Ausnahme der äußersten Linken die Maßnahmen der Regierung, die sie zur Sicherung und Aufrechterhaltung der demokratischen Staatsordnung während des Generalstreiks betroffen hat, gebilligt haben. Auf der Tagesordnung der Sitzung am Dienstag stehen: 1. Anfrage wegen der Einreise von Kriegsteilnehmern in die Schweiz. 2. Wohnungsbürgschäfts- gesetz. 3. Abänderung des Polizeistrafgesetzes.
Deutsche Nationalversammlung. .
Weimar, 14. April. Ein für das gesamte deutsche Volk wichtiges Thema bildete den heutigen Beratungsgegenstand: Die sozialdemokratische Lebensmittelinterpellation. Bei Begründung derselben verlangte Abg. Boehle (Soz.) Verteilung der ausländischen Lebensmittel nach Bedürftigkeit. Unsere Notlage werde noch verschlimmert durch die fortdauernden Streiks, deren Folge ein stetiges Sinken der deutschen Valuta ist. Unsere Arbeiter sollten sich von den gewissenlosen Demagogen abwenden. Im Notfall müßten Reichsmittel zur Verfügung stehen, damit jeder Verbraucher, auch der Minderbemittelte, sich ausländische Lebensmittel kaufen kann. Wir fordern Festhalten an der Zwangswirtschaft, solange eine Knappheit in den notwendigen Lebensmitteln besteht.
In Beantwortung der Interpellation führte Ernährungsminister Schmidt aus, daß er nicht warten könne, bis eine gleichmäßige Abgabe an das ganze Land stattfinden kann; er müsse zunächst gewisse Bezirke bevorzugen. Beunruhigend wirken die in letzter Zeit erfolgten Plünderungen großer Lebensmittelmagazine und daß die Lebensmittellransporte nur mit starker militärischer Bedeckung gehen können. Diese Vorgänge mindern unfern Kredit im Ausland und erschweren erheblich die Einfuhr. Durch den Streik der Bankbeamten werde die Abgabe ausländischer Wertpapiere verzögert. Wir haben zu befürchten, daß die auf dem Wege befindlichen Lebensmittelschiffe, wenn wir nicht die finanziellen Mittel aufbringen können, noch auf der Faylt umdirigiert werden und ihren Bestimmungsort Deutschland überhaupt nicht erreichen. Wir wären in der Lage Kali als Zahlungsmittel auszuführen, infolge der Streiks müssen die Schiffe aber Ballast aus- fahren. Es können nicht einzelne Erwerbsgruppen unter Ausnutzung der Zwangslage der heutigen Gesellschaft auf der uneingeschränktesten Erfüllung ihrer Forderungen bestehen. Niemand habe ihm bei der Besserung der Lebensmittelversorgung größere Hindernisse in den Weg gelegt, als die Bergarbeiter durch ihre Ausstände. Bei der Verteilung der Lebensmittel müssen zunächst die Großstädte berücksichtigt werden, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Das sei gleichzeitig ein Mittel zur Bekämpfung der politischen Unruhen, die ihren Untergrund zu einem erheblichen Teil in der nicht-ausreichenden Lebensmittelversorgung haben. Der Vorwurf, daß uns die Entente besonders hohe Preise.auf- erlegt, ist unbegründet. Die einzig Schuldigen sind in erhöhtem Maße wir selbst, weil infolge des Zusammenbruchs unseres Wirtschaftslebens unsere Valuta fortgesetzt ganz erschrecklich sinkt. Der Preis für Speck am 4. März 3.37 Mark das Kilo, ist durch das Sinken der Valuta am 10. April schon auf 10,82 Mk. gestiegen. Man hat meine Brotpreispolitik bemängelt. Ich brauche noch einen Zuschuß von 600000 Tonnen Mehl zur Brotbereitung. Die Ablieferung von Getreide ist in den letzten Monaten überraschend gut gewesen. Die Zwangswirtschaft ist aber nickt zusam- menzebrochen. Hätten die Großbetriebe der Landwirtschaft genügend Kohle, so wäre noch viel mehr Getreide abgeliefert worden. Wenn ich aber die 600000 Tonnen Mehl zur Brotbereitung aus teurem ausländischem Mehl hinzufüge, so ergibt sich ein Fehlbetrag von über einer Milliarde Mark. Dieser Fehlbetrag erhöht sich noch um l^/, Milliarden Mark durch das Mehl, das ich für d-m Ausfall an Kartoffeln zur Verfügung stelle. Da ich die Reichskaffe bei der Finanzlage nicht in Anspruch nehmen kann, muß ich auf den freien Verkehr eine Risikoprämie zuschlagen. Ich werde die Einrichtung treffen, daß auf Brotkarten eine größere Menge Mehl