gerechte Anwendung >cr Hinterblietenensürsorge, die Stär­kung de» Mittelstandes und die Beseitigung der Kriegsge- se»sch«ften.

Auf der morgigen Sitzung (nachm. 3 Uhr) steht auf der Tagesordnung: Reckenschafl des S'ände-Ausschusses. Staats- schuldenkassc, Diiitenfrage, und Fortsetzung der heutige« Beratung.

Neuerung in: Gemeindewahlrecht und in -er Gemeindevertretung.

Stuttgart, 2». Jan. Der Gesetzentwurf über das Gemeindewahlrecht und die Gemeindevertretung ist den Giiinden nunmehr ^ugeaanqen. Darnach steht das Recht der Teilnahme an den Wahlen zu den Gemeindeämtern und daS Stimmrecht in sonstigen Gemeindeangelegenheiten aSen «ürtiembergischen Staatsbürgern beiderlei Geschlechts zu, die das 20. Lebensjahr vollendet haben und im Gemeinde- bczirk wohnen. In den Gemeinderat können wahlberechtigte Personen gewählt werden die das 25. Lebensjahr vollendet haben. Aui den Gemeinderat geben die in der Gemeinde­ordnung und in anderen Gesetzen sowie in Verordnungen dem Gemeinderat und Bürgerausschuß und den beiden Kollegien zusammen zugewiesenen Beiugnisse über. Die Zahl der in den Gemeinderat zu wählenden Mitglieder, die durch 3 teilbar sein muß, beträgt in großen Städten von mehr als 10000» Einwohnern 33 bis 54, in solchen von mehr als 50000 bis 100 000 Einwohnern 24 bis 39, in mittleren Städten 15 bis 30, in den übrigen Gemeinden erster Klasse 12 bis 18, in Gemeinden zweiter Klasse 9 bis 15, in Ge­meinden dritter Klasse 6 bis 9. Der Gemeinderat wird in sämtlichen Gemeinden an einem vom Gemeinderat zu be­stimmenden Tag, spätestens jedoch im Mai 1919 neu gewählt. Aus dem gewählten Gemeinderat scheidet das erste Drittel mit Ablauf des Jahres 921, das zweite Drittel mit Ablauf des Jahres 1923 und das letzte Drittel mit Ablauf des Jahres 1925 aus. Diejenigen, die bei der Wahl die geringere Etimmenzahl erhalten haben oder auf die bei der Berhilt- »iswahl die niedrigeren Höchstzahlen ent'alle», gelten als aus die kürzere Amtsdauer gewählt. Diese Bestimmung findet bei Eintritt von Ersatzmilgliedern Anwendung. Die bi-h.rigen Gemeindekollegien haben bis zum erstmaligen Zusammentritt des neugewählten Gemeinderats ihr Amt sortzuführen. Die Gültigkeit dieses Gesetzes, das in der Begründung als Notgesetz für die Uebergangszeit bis zur Erlassung einer neuen Gerne ndeocdnung bezeichnet wird, ist bis zum 31. März 1920 begrenzt. >

Zum Anschluß Deutsch-Oesterreichs an Deutschland.

Weimar, 29. Jan. Die Reichsregierung hat Vorkehrungen getroffen, daß auch für oie zu er­wartenden österreichischen Abgeordneten Wohnung und Verpflegung in Weimar sichergestellt wird. Im Nationaltheater werden 35 Sitze für die österreichischen Deleoierteu reserviert.

Berlin, 28. Jan. DieKreuzztg." schreibt, es wäre das Beste, wenn die Aufnahme Deutsch- -sterreichs und die Annahme der deutschen Reichs- »erfaffung in einem gemeinsamen staatsrechtlichen' Akt in Weimar vollzogen würde. Es gibt keine Be­denken und Gegengründe mehr. Lebte Bismarck heute unter uns, so ist kein Zweifel, er würde heute das Reich in bewußt großdeulscher Richtung wieder­aufbauen. 6

Bern, 29. Jan. Wie dasJntelligenzbl." aus diplomatischen Kreisen erfährt, weilt der deutsch- österreichische Gesandte in Berlin, Hartmann, in der Schweiz, um in Ententekreisen für den Anschluß Deutsch Oesterreichs au Deutschland Stimmung zu machen. Insbesondere sollen die auf der Sozialisten­konferenz anwesenden Sozialistenführer zur Geltend­machung ihres Einflusses nach dieser Richtung hin bewogen werden.

kluslanS.

Wien. 24. Jan. Danzers Armeezeitung bringt einen Artikel aus der Feder des Feldmarschalls Conrad Hötzendorff, worin es u. a. heißt:Wenn wir noch vierzehn Tage, ja nur acht Tage standge­halten hätten, dann wäre nicht di? deutsche, sondern die italienische Front zusammengebrochen."

Bern, 28. Jan. Die Pariser Ausgabe der Daily Mail" vom 25. Januar, bringt eine Unter­redung mit George Wickersham, früher General­staatsanwalt Amerikas und Mitglied des Taftschen Kabinetts, über die Schuld des Kaisers, der erklärte, juristisch bestehe keine Möglichkeit, den Kaiser zu verurteilen. Man könne vielleicht eine moralische Schuld feststellen, aber eine Verurteilung durch einen irgendwie gearteten Gerichtshof würde rein politischer, nicht richterlicher Natur sein und sei auf Grund des bestehenden Völkerrechts nicht möglich.

Bern. 29. Jan. Das internationale Rote Kreuz in Genf stellte in einer Mitteilung, fest, daß die von Oesterreich und Deutschland über Wirr- ballemDünaburg-Pinsk oder über Krakau-Lemberg- Kiew zurückzuführenden ruffischen Kriegsgefangenen unterwegs von Polen und Ukrainern mit Maschinen- ! gewehren beschossen werden. Die aus Polen und i Galizien heimkehrenden Tschechen erzählten von tau- j senden von Leichen, die längs den Straßen oder um ! d'e Bahnhöfe herum liegen. Bis zur Herstellung ! von Ordnung und Sicherheit wird daher jetzt der! Kriegsgefangenenabschub eingestellt werden.

Genf, 28. Jan. Bei den Erörterungen über die Frage der Kriegsentschädigungen bleibt Präsident Wilson fest auf dem Standpunkt stehen, daß man keineswegs einen Ersatz der gesamten Kriegskosten von Deutschland erwarten dürfe, sondern nur einen Ersatz für tatsächlich erlittene Verluste. Unter diesen Titel fallen weder die für die Heere aufgewandten Kosten, noch die für Munition und ähnliches. Allen darüber hinausgehenden Forderungen setzt Wilson bestimmten Widerstand entgegen, denn er weiß einer­seits, daß Deutschland übermäßige Forderungen nicht erfüllen kann, andererseits hat er das ganze bisher aufgestellte Prinzip der Schadenersatzleistung für fasch erklärt, er beabsichtigt daher, darauf zu bestehen, daß die Entschädigung sehr genau erörtert werde.

Paris, 29. Jan.Echo de Paris" schreibt zum Demobilmachungsplane Fochs, Marschall Fach habe erklärt, der Friede müsse nicht nur geschloffen, sondern auch dem Feinde aufgedrüngt werden, da er sich noch nicht als geschlagen bekennt und sicher ist, noch Komplizen zu finden. Wenn die Kabinette also nicht vergebliche Arbeit tun wollen, sind sie gezwungen, nicht ohne gegenseitiges Einverständnis zu demobilisieren. Sie müssen sich darüber ver­ständigen, wie viel Truppen sie auf deutschem Ge­biet stehen lassen jwollen.

Paris, 28. Jan. Wilson bereitet nach Rück­sprache mit Lloyd George eine Note vor, welche erklärt, daß nachdem die Einladung an Rußland von den Bolschewiki nicht beantwortet sei per­sönliche Mittel gegen Rußland erschöpft sind und es

notwendig ist, daß die Alliierten ihre Truppenkon­tingente aus Rußland nicht zurückziehen, sondern zn einem festen Umfassungszirkel verstärken.

Paris, 28. Jan. Bezüglich der deutsche« Kolonien ist folgende Vereinbarung getroffen Wor­den: 1. Keine einzige Kolonie wird an Deutschland zurückgegeben werden. 2. Die Kolonien werden vom Völkerbund übernommen. Da aber die Er­fahrung gelehrt hat, daß die internationale Ver­waltung von größeren Gebieten bis jetzt als mangel­hafte Institution sich erwiesen hat, werden die Kolonien von verschiedenen Staaten in vormund­schaftliche Verwaltung übernommen. Es heißt, daß England und Frankreich verlangt haben, daß von dieser Bestimmung einige Ausnahmen gemacht werden, und zwar mit der Begründung, daß Kolo­nien in Zukunft integrierende Bestandteile des Do- minios werden sollen.

Paris, 29. Jan. Die Alliiertenkonferenz hat in ihrer Sitzung am 25. Januar die allgemeine Aufhebung der vor dem 1. April 1917 geschloffene« Separatverträge beschlossen.

Paris, 29. Jan. Die französische Heeres­leitung hält die allgemeine militärische Lage nach den letzten Waffenstillstandsbedingungen für so ge­klärt, daß sie in die allgemeine Demobilisation ein­willigt. Mit der Entlassung von 10 Jahrgängen wird am 1. Februar begonnen.

New-Aork, 29. Jan. General William er­klärte in einer Rede im Heeresausschuß des Ab­geordnetenhauses, daß Amerika genügend Mengen Waffen und Munition in Reserve halten müsie, damit es gegenüber jedem Angriff gewappnet sei. Die amerikanische Regierung verfüge über 3700S0V Gewehre und über 2 Milliarden Patronen.

Kns Stsv-4. RezjrK »nS Amqedrrna

Neuenbürg. 29. Jan. Infolge der Demo­bilmachung des Heeres und der Marine wird die Portofreiheit >?er Feldpostbriefe und Sendnngen mit Ablauf des 31. Januar aufgehoben. Für die Be­förderung von Sendungen an Angehörige des HeereS und der Marine gelten die bestehenden allgemeinen Vorschriften (Soldatenbrief).

Alzenberg, O.-A. Calw, 29. Jan. Der stellvertretende Schultheiß Johannes Nolhacker ist bei der Schultheißenwahl mit 67 von 75 abgegeben«« Stimmen gewählt worden.

Württemberg.

Stuttgart, 28. Jan. Auf dem Wege über die Schweiz sind Orangen für uns in einigen Wochen wieder zu erwarten. Aber der Preis ist sündhaft teuer: 1 -^5 für das Stück!

Oberndorsi 29. Jan. Durch den Zusammen­bruch ist die hiesige Waffenindustris, die im Kriege über 6000 Arbeiter beschäftigte, in eine schwere Klemme geraten. Die vollständige Einstellung deS Betriebes^ in drohendeMähe gerückt und erweckt in Stadt und Bezirk schwere Sorgen. Zur Besser­ung der Verhättnisse sollen der Waffenfabrik nun­mehr die in württembergischen Sammellagern be-.

vss WcliLsrmdana.

Roman von Renttoh.

22j (Nachdruck verboten.)

Kennen? Nein! So richtig kennen, könnte ich nicht sagen. Aber sie war mebrmals dort früher mit ihm zusammengetrosien. Damals, als er noch ganz bei seiner Frau war. Jetzt - du lieber Himmel! Alle paar Wochen tauchte er einmal wieder bei der jungen Frau auf. manch­mal auch erst im Lauf von Monaten einmal, und Jein Mensch wußte, wo er sonst steckte:" sie wies auf einen scheinbar sehr alten Leuchter, der auf Norberts Schreibtisch stand,schad' um ihn! Er ist ein geschickter Mensch, da den Leuchter hat er auch gemacht, so in seiner freien Zeit, und immer alles nach ganz alten Mustern, die er irgendwo aufgestöbert hatte. Das war so seine Lieblingssache: das Nachbilden von alten Gegen­ständen. Daran konnte er tagelang herumbasteln in seiner Werkstatt, und glücklich war er, wenn's recht ähnlich wurde. Wissen Sie, Herr Rat", die alte Frau wurde plötzlich nachdenklich,der Herton ja der könnt' es Ihnen wohl sagen, ob die zweite .blaue Schlange' nachge­ahmt ist oder echt! Der versteht sich aus so etwas besser als der gescheiteste Sachverständige."

Warum ist denn dieser Herton eigenilich fort von seiner Frau?" fragt« Hubinger, dem plötzlich eine Idee, eine weitere Gedankenverbin­dung, kam.

Frau Weiße wiegte den Kopf.

Jawarum? D«s kann ich mir gar nicht vorstellen! So eine hübsche, liebe, feine Frau, wie die ist! Und die reizenden Kinderchen! Im Anfang ist's ja auch ganz gur gegangen mit ihm. Er war brav und ruhig. Aber dann plötzlich kam so ein Rappel über ihn. Grad wie ein

Wahnsinn. Er ist ja wohl überhaupt ein bisserl sonderbar immer gewesen, so verschlossen und still, aber da hiel: es ihn dann nimmer daheim, er begann förmlich ein zweires Leben, wahr­scheinlich mir Meinchen, von denen die junge Fra» gar nichts meiß, die sie nicht kennt. Er bar keine Ruh mehr zu irgendeiner Arbeit und will weder Frau noch Kinder sehen. Ganz ver­rückt ist er sozusagen, und ich sag's balt immer: Wenn ein Mann so wird, dann Zeckl bestimmt alleweil ein Weib dahinter. In der Beziehung sind die Männer alle gleich!"

Sie schlug sich aus den Mund in zu später Erkenntnis, ein wenig zuviel gesagt zu haben, aber Doktor Wild achtete gar um:! auf sie, las bereits eifrig in einem Ncuizbuch Noriens, aiu- binger aber lächelie bloß flüchtig und ein wenig schmerzlich. Ja: meistens steckte bei jo etwas ein Weib dahinter! Sie Halts schon recht/ die alte Frau, mit ihrer naiven Menschenkenntnis: Ein schönes, eigenartiges, rätselvolles Weiv, keine von den ganz gütigen, lieben, einfachen, getreuen, die nichts kennen und lieben als ihren Mann, ihre Kinder, ihr Haus, sondern eine von jenen, die voll von Fehlern und Launen doch den Mann bezaubern und beherrschen und ihn zum Diener ihrer sprunghaften Einfälle machen eine wie Mimi von Salten.

Frau Weiße sah, daß er in tiefes Nachdenken versank, benützte das und schlüpfte hinaus. Das Verhör war ihr ohnedies recht peinlich: sie war froh, davon abzukomme».

Als Hubinger das leise Zuklappen der Tür hörte, sah er aus, und ihm war's ganz recht, daß die alte Frau nun fori war. Dem feinen Faden, den er spann, wollte er Nachfolgen! Aus vielen Fäden wird ein Seil, dachte er und be­trachtete wieder den Brief, der die AdresseDoktor Hans Norbert, Kunstgelehrter" und aus der Rück­seite den Namen des AbsendersMaler Edmund

Herton" trug. Aha! Von diesem Herton hatte ja Norbe-t auch gestern im ersten Verhör allerlei gesprochen: von einer jungen Frau und zwei Kindern , von dem merkwürdigen Benehmen des Künstl.rs.

Hubinger riß den Briefumschlag ans und las. Erst kamen ein paar belanglose Eingangszeilen, dann aber folgte eine Stelle, die den Polizsi- beamten mächtig interessierte:

Ich möchte Ihnen, geehrter Herr, Mann gegcn Man», nun etwas eingestehea, das mich, als ehrlichen Menschen, stark drückt: Ich habe mich bei unsrer Besprechung einer Unwahrheit schuldig gemacht, einer Unwahrheit, welche ich übrigens gegen alle Welt aufrechterhalte und wenigstens einstweilen auch aufrechterhalten muß."

Ich bitte Sie also um aUerstrengfte Ver­schwiegenheit. Ich habe Sie bei der Vermu­tung belassen, daß ich ein völlig alleinstehender Mann sei. Dies ist nicht richtig. Ich habe näm­lich einen Sohn. Als junger Maler lernte ich in Rußland auf einer Studienreise eine russische Studentin kennen: Nikolajewna Kaslnow. Wir waren beide jung, heißblütig, lebenKunerfahre«. Eine jähe Leidenschaft riß uns zueinander. Eine jener Gefühlswallungen, die so stark einsetzen und so bald abflauen. Ich meinte, ohne jenes Mädchen nicht leben zu können, obgleich ihre sonder­bare, halb exzentrische, halb hysterische Art mich schon damals hie und da nachdenklich machte. Trotzdem heiratete ich, der eben mündig Gewor­dene, das Mädchen. Meine Mutter durfte davon jedoch nicht das mindeste erfahren, darüber war ich mir klar. Meine Mutter ist überhaupt gegen jede Liebe, noch mehr gegen jede Heirat. Wohl hundertmal hat sie mir gesagt: Wen» du heiratest, so enterbe ich dich sofort. Nun ist mein jährlicher Zuschuß von ihr allerdings kein sehr bedeutender, denn sie ist zwar wohlhabend, doch nicht reich.

(Fortsetzung folgt.)