Beilage zu Ur. 123

6. August 1904.

AeulUelaa« Nachdruck ««bonn.

Heimchen am fremden Herd.

Roman von Hans Wachenhusen.

(Fortsetzung.)

Priska tat daS Mögliche um sich ihm vertraulich zu zeigen, aber das übte auf ihn gerade die ungünstigste Wirkung. Sie sei jetzt für ihn verloren, sagte er sich. Das alles brachte natürlich Unbehagen in die Familie. Jeder suchte es zu verbergen, täuschte aber dadurch den anderen nicht.

Der Oberst war deshalb froh, daß der Herbst gekommen. Man trat wieder in den alten Zusammenhalt mit der Gesellschaft, die Besuche mehrten sich in seinem Hause, man erwiederte dieselben. Priska mußte mit dabei sein, und sie tat es gern, denn sie liebte den Umgang mit ihr sympatischen Menschen.

Auch die Einladungen kamen, die Soireen begannen. Man kannte Priska bereits und zeichnete sie aus als eine der schönsten unter dem bekannten Mädchen­flor; sie hatte für alle etwas besonders Anziehendes in ihrem Wesen und Aeußern.

Der Oberst gab ebenfalls seine erste Soiree. Priska empfing in derselben Huldigung über Huldigung und sie nahm dieselben lächelnd hin mit ihrer Anmut und Bescheidenheit. Die jungen Offiziere machten ihr wetteifernd den Hof. Bernhard sah es zu seinem Verdruß, aber er bewältigte diesen und zeigte Priska die heiterste Laune.

Wie liebenswürdig Du wieder sein kannst, wenn Du nur willst!" rief sie, ihm dankbar die Hand drückend.

Ich will nur in dom Wettrennen mit den Kameraden nicht zurückbleiben!"

Er schien seine Laune doch wieder verlieren zu wollen, wenn er sie ansah.

Und Du weißt nicht, wie sehr Du mir gefällst, wenn Du es willst!" lachte sie, und ernster setzte sie hinzu:Bedenke, daß wir vielleicht garnicht mehr lange zusammen sind! Ich habe heute Abend günstige Nachrichten über meine Mutter erhalten, von denen ich niemand gesagt. Sic machen mich so glücklich. Wenn mir auch diese Freude noch beschieden sein würde!"

Eine neue Tanzmelodie des Flügels unterbrach sie; einer der Offiziere holte sie zum Tanz. Bernhard blickte ihnen zerstreut nach.

Wenn Du nur willst!" wiederholte er sich, während sie in ihrer einfachen weißen Ballrobe, nur eine Gardenie im Haar, graziös über das Parkett flog.

Einer der jungen Kameraden störte Bernhard, ihm die Hand auf die Schultern legend.

Sie ist heute wirklich hinreißend. Deine Kousine," sagte er. «Dieses wunderbar üppige, dunkle Haar, dieser Teint, wie von der Morgensonne be­schienener Marmor, und dieses wirklich verführerische Auge! Dabei dieser echt WienerischesChik und Walzer! Sie wird in dieser Saison viel Unglück anrichten, denn man erzählt sich von einer reichen Erbschaft, von großen Gütern Beeile Dich, der Du ihr so nahe stehst!"

Bernhard hörte ihn kaum. Er hatte von Priska heute noch keinen Tanz begehrt und empfand eifersüchtig, daß nur er selbst dadurch verlor. Eben sah er auch den Bruder im Frack und weißer Kravatte so spät erst in den Salon treten, bleich wie immer, seit er zurück, aber doch eine interessante, männliche Erscheinung.

Er beobachtete ihn, mit dem er kaum noch ein Wort zu wechseln gewohnt, sah wie Jobsts Augen auf Priska hafteten, wie freundlich, ja herzlich sie seinem Gruß aus der Entfernung dankte» als sie zwischen den ausruhenden Paaren stand.

Wir sind uns nicht feind," murmelte er vor sich hin,Gott verhüte, daß wir es uns werden könnten, aber wir lieben uns nicht mehr, und daran tragen auch die Eltern mit Schuld, die ihn bei ihr bevorzugen!" . . . Aber was sagte sie mir vorhin, daß wir vielleicht nicht mehr lange . . . was, sprach sie von

ihrer Mutter? Nach dem Tanz frag ich heute nicht mehr, ich will Jobst davon

erzählen und sehen, welche Miene er dabei macht!"

Er begegnete diesem wie zufällig. Jobst begrüßte ihn mit gewohnter Brüderlichkeit, ward aber noch bleicher, als Bernhard ihm sagte, was er eben von Priska gehört.

Die Eltern werden sie nicht von sich lassen!" sagte er ruhig . . .Du tanzest nicht?" setzte er hinzu, der stets diesem Vergnügen entsagte, auch dis Unterhaltung mit den Gästen vermied.

Die Mutted kam erfreut auf ihn zu und dankte ihm, daß er, wenn auch spät, doch komme, er sagte ihr von dem, was er soeben gehört. Diese erschrak.

Das verderbe ihr den ganzen Abend, rief sie aus und suchte in dem Neben­

zimmer den Oberst, um ihm sofort die beunruhigende Nachricht zu bringen.

Dummes Zeug!" rief dieser, aber mit tiefem Ernst setzte er hinzu: Wenn ihre Mutter wirklich . . . ! Sie ist heute so ungewöhnlich heiter, aber sie schwieg uns gegenüber! Das liegt sonst nicht in ihrem Wesen!"

Die Sache beunruhigte ihn. Priska entbehre ihre Mutter ... war das

denkbar? Er mußte es von ihr selbst hören. In der Tanzpause gelang eS ihm, Priska aus einem sie umgebenden Kreise loszumachen und sie zu fragen.'

Freudig stand sie ihm Rede.

Ich erhielt ja den Brief erst, als Ihr schon die Gäste empfingt," lächelte sie. seinen Arm nehmend.Aber eS ist ja nur eine schwache Hoffnung! Der Vormund schrieb mir, die Aerzte ihrer Anstalt hätten es versucht, in einem Augenblick, der ihnen günstig erschienen, sie für die frohe Botschaft von der Rettung ihres väterlichen Vermögens empfänglich zu machen; sie hätten wirklich Er­wartungen daran geknüpft, da dieser Verlust ja als Veranlassung ihrer Krankheit gelte. Des Vormunds Verdienst ist es wohl gewesen, daß er noch einen be­rühmten Arzt hinzugezogen, denn diesem soll es gelungen sein, die Mutter wieder teilnehmend zu machen in dem Maße, daß sie alles verstand, daß sie sich sogar ihres Kindes erinnerte, freilich nur während kurzer Momente, aber man hofft! Du wirst den Brief ja lesen und Dir vorstellen können, wie glücklich ich mich darüber fühle!"

Der Oberst, tief bewegt, preßte ihr schweigend die Hand, denn die Gesell­schaft beanspruchte ihn.

Als diese sich nach Mitternacht entfernt, saß er mit seiner Gattin wartend im Wohnzimmer. Priska war auf seinen Wunsch in das ihrige geeilt, um den Brief zu holen. Nur zögernd hatte sie sich entfernt, kehrte aber, noch in der Ballrobe, mit demselben zurück.

Die Hände im Schooß, aber mit innerer Unruhe, saß sie da, während der Oberst las, bis dieser endlich, unangenehm überrascht, sie fragend anschaute und dann den Brief seiner Gattin reichte. Auch diese zeigte große Erregung, als sie den Schluß gelesen.

Du sollst zu Deiner Mutter! Wohl hat der Vormund recht, wenn er sich von dem Wiedersehen ihres Kindes Erfolg verspricht, sagte sie traurig vor sich hinblickend.Schade, daß dieser so heitere Abend für uns mit der so traurigen Aussicht endet, Dich verlieren zu müssen."

Priska erhob sich und kniete vor ihm nieder.

Sprich daS nicht aus!" bat sie seine Hände streichelnd.Ihr werdet mich niemals für undankbar halten! O, Ihr wißt nicht, wie lieb ich sie habe. Als sie uns entrissen ward durch das entsetzliche Schicksal, da war alles öde und tot um uns her, den Vater und mich! Glücklich war sie nicht mehr, seit wir uns so einschränken mußten; jahrelang, so. hörte ich aus des Vaters Munde, be­mühten sich einflußreiche Personen für die Erhaltung des Vermögens, aber des Kaisers Befehl blieb aufrecht, und erst, als alles verloren schien, begann sie geistig zusammenzubrechen, sine so schöne Frau, wie sie noch war! O, das tat weh! Aber doppelt ist jetzt meine Freude, wenn es wirklich gelingt!"

Dem Oberst waren die Augen feucht geworden. Er sah sie noch, wie sie damals war. Ja, eine schöne Frauengestalt, nur allzu leicht erregbar. Er glaubte besser zu wissen, was den Grund zu ihrem Seelenleiden gelegt, und wie er jetzt Priska sah. deren Gesichtszüge in der letzten Zeit immer erkennbarer die der Mutter geworden, da wards ihm weh ums Herz. Seine Gattin hatte ihn nie vergessen machen können, auch nie eine Ahnung davon gehabt, daß ihn, den eleganten Dragonerlrutnant, das schönste und geistvollste Mädchen geliebt. Sein Vetter Hellmut war wohl auch ein ganz vortrefflicher Mensch gewesen, aber daß sie mit diesem habe glücklich werden können, das erschien ihm undenkbar. AuS Priskas Mitteilungen hatte er längst herausgefühlt, daß ihrer Mutter Dasein ein freudloses gewesen, und wenn sie jetzt wirklich zu einem besseren zurück erwachte. . .

Tu, was Dir Dein Herz diktiert, aber vergiß uns nicht," sagte er gerührt, sie aufhebend.Uns wirst Du dieselbe bleiben!"

Sein Blick siel dabei auf Bernhard, der als er gehört, daß die Eltern noch nicht die Ruhe gesucht, schon während Priska sprach, in der Tür erschienen und sich schweigend in den Rahmen derselben gelehnt hatte.

So ist die Sache also ernster, als ich gefürchtet hatte!" sprach er herein­tretend mit bewegter Stimme.Der Schmerz ist natürlich immer für die Zurückbleibenden!"

Priska hatte sich aufgerichtet. Sie blickte fast erschrocken in sein bleiches Gesicht. So tief innerlich bewegt war er noch nicht erschienen. Selbst der Mutter Blick ruhte erstaunt auf ihm und suchte dann heimlich den de« Gatten, der das Benehmen offen mißbilligte. Bernhard schaute verbissen vor sich hin.

Hab' ich Euch gesagt, daß ich Euch verlassen wolle? Mach' mir das Herz heute nicht schwer, das eben erst so hoffnungsvoll aufatmete! Wie strafend und doch wohltuend berührt durch seine Aufwallung schaute sie ihn an.

Dein Wort darauf, Priska!" rief er empatisch, ihre Hand ergreifend.

Du weißt, daß ich mit tausend Banden des Dankes an Euch gefesselt bin," rief sie hoch erregt und mit glühenden Wangen.Vielleicht ist es doch nur sin Schimmer einer Hoffnung, an den ich mich klammere. Laßt ihn mir. Ich flehe zu Gott, daß er diese Hoffnung wahr mache, und erhört er mich.