564
in der Nähe des neu angelegten Forts Altona bei Rüsterspiel zwei Personen verhaftet. Die beiden hatten sich durch das Photographieren der Festungs- Anlagen verdächtig gemacht. Die Verhafteten, von denen der eine ein Ingenieur, der andere ein Weinbauer zu sein behaupten, wurden dem Marine-Unter- suchungs-Gefängnis in Wilhelmshaven zugcführt. Es find Franzosen.
Berlin, 29. Juli. Zur Ermordung Plehwe's wird dem Lokalanzeiger aus Petersburg gemeldet: Ueber die Persönlichkeit des Mörders wird noch tiefes Stillschweigen bewahrt. Er stöhnt fortwährend furchtbar, da er schwer durch einen Bombensplitter verletzt ist. Obwohl sofort eine Operation vorgenommen wurde, wird mit dem Ableben des Mörders gerechnet. Abends konnte er einem kurzen Verhör unterzogen werden. Er ist ungefähr 25 Jahre alt. Es verlautet, daß er Finnländer ist. Durch die Explosion wurde auch ein Hauptmonn verwundet. Mit Blitzesschnelle lief die Nachricht von der Ermordung Plehwes durch die Stadt. Viele eilten an den Ort der Kaiastrophe, wo aber die Trümmer schnell fortgeschafft wurden. Der Kutscher ist ebenfalls tot. Sämtliche Fenster der benachbarten Häuser sind zertrümmert. Der Mörder, ein junger, blonder Mann, trug die Mütze eines Eisenbahnbeamten. Er betrat um '/»IO Uhr ein Gasthaus in der Nähe des Bahnhofes und verlangte einen Schnaps und Tee. Plehwe pflog jeden Donnerstag um 10 Uhr zum Zaren zu fahren. Diese Stunde hatte der Attentäter gewählt. Als die Equipage des Ministers in Sicht kam, trat er heraus und warf die Bombe wohlgezielt unter den Wagen. Außer dem Mörder selbst wurde ein Droschkenkutscher und eine arme Frau mit ihrem Kinde verwundet. Auf Grund der Mitteilung von Augenzeugen ist man in amtlichen Kreisen der Ueber- zeugung, daß längs des zum Warschauer Bahnhof führenden Prospektes mehrere Genossen des Attentäters aufpaßten und einander durch Zeichen verständigten. Die Meinung, daß die Bombe nicht von einem Fenster sondern aus unmittelbarer Nähe geschleudert wurde, hat viel Wahrscheinlichkeit. Bei seiner Verhaftung soll der Attentäter ausgerufen haben: „Das ist nichts gegen das, was noch kommt, ich bin nicht der Einzige!" Gestern abend fand in der Wohnung Plehwes eine Totenmesse statt, welcher der Großfürst Alexis, die Minister Avellaue und Chilkow, verschiedene Mitglieder des Reichsrates und hohe Würdenträger beiwohnten. Die Leiche ist im großen Saale des Ministeriums aufgebahrt. Plehwe hinterläßt eine Witwe und einen Sohn. Die Beerdigung dürste wahrscheinlich am Sonntag erfolgen. — Dem Berliner Tageblatt zufolge hat der Mörder bei Begehung der Tat ausgerufen: „Nieder mit der Regierung und den Ministern!" Ueber seinen Nachfolger läßt sich noch nichts Bestimmtes sagen, doch sprechen einzelne von Witte, der als Präsident des Minister-Komites auf diesen Posten übrigens nicht gesetzt werden könnte, falls ihm nicht die Kanzlerwürde angetragen würde. — Dem Kleinen Journal zufolge wurde dem Zaren zuerst nur die Mitteilung gemacht, daß der Minister Plehwe bei der Morgenfahrt infolge Scheuwerdens
der Pferde verunglückte. Erst später erfuhr der Zar die volle Wahrheit. Diese versetzte ihn in die größte Erregung. Der Zar erbleichte und weinte. Dann mußte man ihm den ganzen Hergang erzählen, wobei der Zar in Ausrufe des Entsetzens ausbrach. Der Zar war dem Minister Plehwe sehr zugetan, wenn er ihn auch mehrfach wegen seiner Strenge radelte. — Am gestrigen Tage ließ der Zar alle Audienzen und Empfänge absagen, zog sich mit seiner Familie in seine Gemächer zurück und war für Niemanden zu sprechen. — In Paris sollen vor wenigen Tagen auf den Boulevards Extrablätter verteilt worden sein, in denen das Todesurteil Plehwes ausgesprochen wurde.
BreSlau, 28. Juli. Ein Hagelwetter wütete in der Grafschaft Gl atz. Besonders schwer wurden zahlreiche, von der Dürre noch wenig geschädigte Ortschaften betroffen. Das auf den Feldern stehende Getreide wurde niedergeschlagen, das Kartoffelkraut total zerschlagen und auch an den Häusern und Dächern großer Schaden angerichtet. Vom Blitz erschlagen wurden in Schädlitz bei Pleß eine Dienstmagd und ein dreizehnjähriger Knabe, in Striegau der Steinbrucharbeiter Barth, in Bestwin ein Hütejunge, in Kobelwitz der fünfzehnjährige Sohn des Besitzers Wandel und in Mechnitz ein achtjähriger Knabe.
Zermatt, 29. Juli. Ueber das Unglück auf dem Gabelhorn wird weiter gemeldet: Eine österreichische Reisegesellschaft, bestehend aus einer Dame, drei Herren und zwei Führern, nächtigte gestern im Hotel Triftalp. Heute sollte das Obergabelhorn, dessen schneefreie Spitze 4095 w hoch ist, erklommen werden. In drei Gruppen geteilt, verfolgten sie angeseilt den gewöhnlichen Aufstieg, vor- ausgehend Führer Jos. Dembel und Prof. Demelius, Rektor der Universität Innsbruck; dann folgte der Führer Dangl mit der Dame; den Schluß bildeten die beiden andern Touristen. Die Bergsteiger warön glücklich bis 50 m unterhalb der Spitze angelangt, wo Felsen lose liegen. Oben angelangt, erstieg Dembel zuerst einen Steinblock. Dann versuchte Professor Demelius hinaufzuklettern, wobei er sich mit den Händen am Felsblock hielt. Dieser gab nach und riß ihn mit in die Tiefe. Dembel wurde nachgerissen. Der Führer Dangl wurde durch Steinschlag am Kopf verletzt. Die übrigen Teflnehmer blieben unversehrt, waren aber vom Schrecken halb gelähmt. Demelius stürzte auf den Gabelhorngletscher hinunter, Dembel blieb mitten im Couloir hängen. Einer der Touristen brachte die Trauerbotschaft um 5 Uhr nach Zermatt, während die übrigen im Trifthotel blieben. Bon Zermatt ging unverzüglich eine Bergungsexpedition ab, die von vr. meä. Seiler organisiert war.
Petersburg, 29. Juli. Hier wurde ein Mann verhaftet, der sich von einem Schiffer bis in die Mitte der Newa in die Nähe des Panzers Slava hatte fahren lassen und dann eine Blechbüchse in den Fluß geworfen hatte. Der Fischer verlangte Aufklärung. Der Fahrgast bot ihm dabei einige Rubel an. An Land gekommen, benachrichtete der Schiffer die Polizei, welche ihn verhaftete. Er
weigert sich, seinen Namen zu nennen. In seinem Besitz wurden mehrere Dynamit-Patronen gefunden.
London, 29. Juli. Daily Telegraph meldet aus Helsingfors vom Mittwoch: Die dortige russische Polizei behauptete vor vier Tagen, eine weit verzweigte Verschwörung gegen Plehwe entdeckt zu haben. Der Sitz sei Petersburg, die meisten Verschwörer seien Finländer. Zahlreiche Verhaftungen seien bereits vorgenommen. Die Polizei sei überzeugt gewesen, die Häupter dieser Verschwörung entdeckt zu haben.
Owikorero, 29. Juli. In Südwestafrika haben jetzt die Operationen ihren Anfang genommen, die zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen die Hereros am Waterberg führen sollen. Ein Entweichen der Hereros nach Norden oder Nordosten mit ihrer Hauptmacht soll verhindert werden. Dos zur Vereinigung mit den im Norden stehenden Abteilungen neu zusammengestellte Kommando sollte gestern von dort abrücken und sich heute mit dem Detachement Möller vereinigen.
S h an gh ai, 29. Juli. Die japanische Flotte beschießt hierher gelangten Meldungen zufolge seit Dienstag die Befestigungen auf dem Goldenen Hill bei Port Arthur. Nachrichten aus Tfchifu besagen, der allgemeine Angriff der Japaner auf Port Arthur habe gestern begonnen.
Vermischtes.
— DieKaiserin als Feindin des Alkohols. Die Kaiserin ist, wie zahlreiche Beispiele schon erwiesen haben, eine Feindin des Alkohols. Dies hat sie, der Nationalzeitung zufolge, in Kadinen in wohltätiger Weise wieder zum Ausdruck gebracht. Um nämlich dem Genüsse von Branntwein nach Möglichkeit zu steuern, hat die Kaiserin angeordnet, daß in dem Maschinenhause der Kadiner Ziegelei während des ganzen Tages in einem großen Kessel Kaffee bereit zu halten ist, der zu jeder Zeit in beliebiger Menge an die zahlreichen Gutsarbeiter kostenfrei abgegeben wird. Einen Druck auf die Arbeiter, den Branntwein grundsätzlich zu meiden, will die Kaiserin jedoch nicht ausüben. Die Arbeiterschaft ist ihrer Gutsherrin für die Fürsorge sehr dankbar; denn sie hat fast durchweg dem Branntweingenuß entsagt und findet in dem Kaffee ein bekömmliches und gesundes DurststillungSmitiel.
5. Kurliste von Calw.
Kater Waldhorn. Herr C. Kocheudörfer, Notar, mit Frau. Niederstetten. Hr. C. Zorn, Kaufmann, mit Frau, Memmingen. Hr. I. Gukl, Stadtwundarzt, Sulz. Hr. C. Hummel, Hauptmann. Ludwigsburg. Hr. I. Klinger, Kaufmann, mit Frau, Stuttgart. Hr. I. Sülzer, Pfarrer, mit Frau, Spiegelberg. Hr. Fr. Genges, Privatier, Vacha. Hr. vr. A. Weveres, Bürgermeister, Worms. Hr. Lüstenöder, Kaufmann, Paris. Hr. B. Durst, stuä. zur., Karlsruhe. Hr. H. Schiler, Apotheker, Cannstatt. Hr. Braun, Prälat, mit Frau, Hall. Hr. E. Schmidt, Kameralverwalter, mit Frau und Tochter, Oehringen.
Hafth. z. Ztößke. Herr Barchet, Eisenbahnassistent, mit Frau, Stuttgart. Fräulein A. Deuzler, Stuttgart. Hr. Schneider, Weingutsbesitzer, Heilbronn. Hr. Ehalt, Stuttgart. Hr. Wieland, Bröckingen. Hr. Naef, Stuttgart. Hr. Fr. Gehring, Privatier, Stutt-
gegenüber, ihr von den gleichgültigsten Dingen sprechen, während ihm sein Herz ganz anderes auf die Zunge drängte?
So lange schon hatte er den Häuslichen gespielt, die Abende mit der Familie verlebt, er vermochte es nicht mehr. Priska entwickelte sich so vorteilhaft, daß sie ihm täglich reizender erschien; und dabei schweigen, alles in sich verschließen, anhörcn, daß die Eltern vielleicht mit einem Plan umgingen, der ihn unglücklich machen mußte? Er ertappte sich auf Momenten, in denen er versucht ward, den Bruder zu Haffen, aber er empfand doch Mitleid mit ihm, denn wenn Priska einen von ihnen liebte, so konnte nur er dies sein, das sagte ihm die Eitelkeit, und sie selbst batte ihm ja öfter schon unbewußt verraten, daß sie ihm zugetan, so lange er in seinen Grenzen blieb — was darüber hinaus war, das allerdings konnte er bei dem so eigentümlichen Mädchen nicht berechnen.
So trieb ihn die Unruhe wieder hinaus. Wie ein Stummer ihr gegenüber sitzen oder mit den Eltern an ihrer Seite aushalten, das wollte er nicht mehr, denn was er plauderte, er sprach eS nur der Unterhaltung wegen.
Er suchte also abends seine Kameraden wieder auf, kehrte in der Nacht erst zurück, war im Hause zerfahren und vermied Priska oft absichtlich und machte sich nicht- daraus, morgens beim Frühstück ein von Schlaflosigkeit welkes, bleiches Gesicht zu zeigen. Die Eltern sollten ihn erst fragen, Priska sollte ihm den Mut geben, dann wollte er sprechen.
Aber beides geschah nicht; selbst als er dem Vater bekannte, er habe Spielschulden gemacht und brauche Geld, zahlte dieser und forderte ihn nur auf, das
künftig zu Unterlasten und an die reiche Partie zu denken, welche die Mutter für ihn ausgesucht; er gebe dreimal mehr aus, als seine Leutnantsgage ihm gestatte.
Bald darauf fand er Priska im Salon mit einer Handarbeit an der geöffneten Tür des Balkons sitzend, als er scheinbar absichtslos hereintrat.
Beunruhigt blickte sie zu ihm auf, vergaß in ihrer Ueberraschung, seinen Gruß zu beantworten und wechselte jäh die Farbe.
„Niemand zu Hause?" fragte er, sich ihr nähernd. „Ich suchte den Vater. Kein Dienst heute; brauchte die Zeit, um eine eigene Wohnung für mich zu suchen."
Er ließ sich auf ein Tabouret ihr gegenüber nieder, die darauf liegende Stickseide beiseite schiebend.
Sie blickte erstaunt fragend auf.
„Willst du das deinen Eltern antun? Und warum?" Ihre dunklen Augen blickten mit Vorwurf auf ihn.
„Was würden die Eltern danach fragen. . . und andere erst recht!"
„Welche anderen meinst du?" Sie stickte weiter.
„Nun, Dich zum Beispiel!"
„Freilich, Du wirst weniger geniert in Deiner jetzigen Lebensweise sein!"
„Wer ist schuld an dieser Lebensweise, die mir selbst schon unerträglich? Du weißt, wie gern ich zu Hause bin, aber man treibt mich hinaus!"
Priska schwieg und führte die Nadel weiter, ihre Unruhe verbergend und überlegend, wie sie ihm entgehen könne.
(Fortsetzung folgt.)