113. Amts-
und KnzeigeSlatt für den Wezirk Halt». 7S. r-hrg»»-.
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Dienstag, den 19. Juli 1904.
ÄbonnemeruLpr. in d. Etadt pr. Viertels. Mk. 1.10 incl. Träger!. Giertehährl. Postbezugspreis ohne Beftellg. f. Orts- u. Nachbar- ortSverkehr 1 Mk., f. d. sonst. Verkehr Mk.1.10. Bestellgeld A) Pig.
Tagesneuigkeiten.
8 Calw, 16. Juli. Auf Anregung des Stadtschultheißen Co uz haben die bürgerlichen Kollegien im letzten Jahr begonnen, alljährlich einen Ausflug zu machen, nicht nur zum Zweck gemütlichen Zusammenseins, sondern auch zur Besichtigung auswärtiger öffentlicher Einrichtungen. Während im letzten Jahr Karlsruhe und sein Rheinhafen besichtigt wurden, führte die Reise Heuer nach Reutlingen, wo die Calwer von den Herren Oberbürgermeister Hepp, Bauinspektor Seible und Stadtbaumeister Krämer am Bahnhof empfangen wurden. Unter der liebenswürdigen und umsichtigen Führung dieser Herren wurde zunächst der Bürgerspital besucht. Ueberraschte hier die Besucher an und für sich schon ein im tiefen Keller von der Stadt an- geboteneS Frühstück, so überraschte noch mehr die vortreffliche Genießbarkeit des kredenzten „Reut- lingers". In zäher, bei der fast tropischen Hitze bewundernswerten Ausdauer wurden nach einander der Friedhof mit dem bis auf den Scheintotmeldeapparat hinaus aufs zweckmäßigste eingerichteten Leichenhaus, die städt. Bedienstetenwohnungen, neu angelegte und in der Eröffnung begriffene Straßenzüge, die Feuerwehreinrichtungen, daS Gerätemagazin, die Frauenarbettsschule, die Turnhalle und anderes mehr besichtigt. Hieran schloß sich im Rathaus, dessen neu hergerichteter, mit den Wappen der Oberbürgermeister Reutlingens und der Städte des Schwarzwaldkceises geschmückte Sitzungssaal gebührend bewundert wucd e, ein Vortrag des Herrn Bauinspektors Seible über das städt. Straßen- und Kanalisationswesen. Auch der Kunst und Heimatkunde wurde durch Be
sichtigung der Marienburg und der städt. Altertumssammlung gehuldigt. Nach Bewältigung dieses Arbeitsprogramms vereinigte man sich mit einigen Mitgliedern der Reutlingcr Kollegien zu einem Frühschoppen im „Fäßle" und Mittagessen bei Haager zum „Ochsen". Die schon vorher gute Laune der Teilnehmer erreichte ihren Höhepunkt, als wir in Begleitung unserer Landsmännin, der Frau Oberbürgermeister, zu einer von der Stadt Reutlingen gestellten Wagenfahrt auf das städt. Hofgut Altenburg eingeladen wurden, dessen ökonomische Einrichtungen, (Verwaltung vr. Flamm'sche Heilanstalt Pfullingen) ebenso unsere Bewunderung erregten, wie die nahe bei dem Gut auf Reutlinger Boden gelegene Rindviehweide des Landwirtschaftlichen Bezirksvereins Reutlingen. Es gaben diese Anstalten ein schönes Bild der von der Industriestadt Reutlingen der Landwirtschaft zugewandten Fürsorge. Ein Vesperschoppen in dem ebenfalls mit Calwer Blut besetzten „Adler" beschloß den schönen Tag und reich an fruchtvcrheißenden Eindrücken und erfüllt von herzlichem Dank für das liebenswürdige Entgegenkommen der Stadt Reutlingen und ihrer Herren Beamten fuhren die Calwer wieder ihrem Schwarzwald zu.
Calw, 18. Juli. Eine große Menschenmenge eilte gestern Mittag den Ufern der Nagold zu. Es galt, der Floßfahrt des hies. Schwarzwaldvereins zuzuschauen, die von Calw bis Liebenzell ausgeführt wurde und einen sehr gelungenen Verlauf nahm. Da eine solche Fahrt noch nie auf dieser Stelle der Nagold ausgefühlt wurde, werden wir etwas ausführlicher darüber berichten, müssen unsere Leser aber auf die nächste Nummer unseres Blattes vertrösten.
Calw. Die Schützengesellschaft, deren Mitgliederzahl im vorigen Jahr und auch Heuer wieder in erfreulicher Weise gestiegen ist, hielt gestern ihr Nachbarschaftsschießen ab, wozu Pforzheimer Schützen, sowie weitere Gäste von Neuenbürg und Hirsau eingetroffen waren. Das Schießen begann um 10 Uhr vormittags und dauerte bis abends 6 Uhr. Auf die von der Gesellschaft gestiftete Ehrenfcheibe kamen viele, zum Teil recht wertvolle Preise. Den I. Preis erhielt Hr. Katz-Pforzheim. Nach dem Schießen versammelten sich die Schützen im Hotel Waldhorn hier zu geselliger Unterhaltung, wobei in Reden und Toasten die Einmütigkeit und der Frohsinn der Schützenbrüdcr zum Ausdruck kam.
Calw. (Egsdt.) In diesen Tagen wird sich die hiesige Kleinkinderschule, die Heuer im 70. Jahre besteht, erlauben, um gütige Jahresbeiträge zu bitten. Wenn sie auch aus Stiftungen und aus der Stadtkasse sich einiger größerer Beiträge erfreuen darf, so ist sie doch zu ihrem Bestand auf Beiträge der hiesigen Einwohner, die ihr bisher in dankenswerter Weise zugeflossen sind, angewiesen; nur mit Hilfe letzterer ist es seither möglich gewesen, die nötigsten Bedürfnisse und Ausgaben zu bestreiten. Bei dem ausgesprochenen Bedürfnis, das hier für eine Kleinkinderschule vorhanden ist, und bei ihrer gemeinnützigen Arbeit glaubt die Verwaltung der Schule die Sammlung der Jahresbeiträge dem Wohlwollen der hiesigen Einwohner empfehlen zu dürfen und zu sollen.
8t. Ostelsheim, 17. Juli. (Zweierlei Rückschau.) Im Jahre des Heils 1870 wurde bekanntlich die Enthüllung und Einweihung des Kepler-Denkmals (24. Juni) auf dem Marktplatz
^cktltNettiri. Nachdruck verboten.
Heimchen am fremden Herd.
Roman von Hans Wachenhusen.
(Fortsetzung.)
Ec versank in Nachdenken, sehr bald aufspringend, bald aber wieder zu seinem Sessel zurückkehrend.
Ja, ja, in Posen war cs gewesen, wo er kurz vorher, ehe die revolutionäre Bewegung einen großen Teil Europas in Unruhe v rsetzte, als junger, lebensfroher Kavallerielcutnant in Garnison gestanden ... in Posen, wo er die als Schönheit und geistvolles Mädchen gefeierte Komtesse Priska, die Tochter des dort wohnenden polnischen Grafen Sz. kennen lernte und sich schwärmerisch in sie verliebte.
Achtzehn Jahre! Welche Ewigkeit, und welche Spanne Zeit nur, wie er sich heute überzeugt, als er die Wohnung des Vetters betreten und Priska verjüngt in vollem mädchenhaftem Liebreiz ihn empfangen.
Auch daS traurige, ihm unvergeßliche Märchen seiner unglücklichen Liebe war ihm heute verjüngt worden. Sie hatten sich geliebt beide, aber lange insgeheim; nationaler Haß hatte sie hoffnungslos gemacht, und dennoch hatten sie gehofft, bis er eS gewagt, von dem Vater ihre Hand zu begehren und von diesem mit Hohn zurückgewiesen worden war.
Noch klangen ihm die Worte im Ohr:
„Meine Tochter einem preußischen Offizier? Niemals! Eher soll sie hier zu meinen Füßen sterben!"
Priska mit ihrem leicht erregbaren Blut hatte ihm getrotzt; es war zu ernsten Auftritten gekommen. Da plötzlich war sie verschwunden und in der
Wohnung des Grafen Sz. waren bald darauf die Vorhänge von den Fenstern verschwunden; er sollte nach Krakau verzogen sein, denn lagen auch seine bedeutenden Güter in Rußland, nahe der preußischen Grenze, er selbst stand als polnischer Patriot beim Gouverneur schlecht angeschrieben, sogar im Vervacht, das Nationalkomitee mit großen Mitteln zu unterstützen. Auch Graf Sz. war also fort.
Er nahm Urlaub und suchte sie, vergebens, jede Spur von ihr war verwischt. Er wagte sich, dem Vater zum Trotz, bis nach Krakau und dort im Hotel de Taxe ...
Von der Erinnerung überwältigt, deckte er die Hand über die Augen. Er sah sich in einem Hotel, dem Sammelpunkt der Revolutionspartei, von einem jungen Patrioten in Gegenwart von dessen Freunden mit den Worten: „Preußischer Henker!" überfallen, sogar tätlich von diesem beleidigt — von Priska's Bruder, der den Zweck seiner Anwesenheit erraten. Und der junge Graf Sz., ebenso fanatisch wie sein Vater, fiel danach von seiner Hand am Ufer der Weichsel.
Er gab jede weitere Nachforschung auf und nahm, in seine Garnison zurückgekehrt, ein Jahr Königsurlaub, um auf Reisen zu vergessen. Er stand seitdem in den Garnisonen des Westens, und keine Kunde ward ihm mehr von ihr.
Nur einmal las er später noch ihren Namen, und zwar vor wenigen Jahren, als wiederum die polnische AknonSparlei unter Führung von Langiewicz die Patrioten zu einer neuen kopslosen Schilderhebung hinriß und das ReoolutionS- komitec seine Sitzungen in demselben Hotel de Saxe hielt, daS ihm in so trauriger Erinnerung war. Dieser Name gehörte einem der Hitzköpfe an der Spitze der Insurrektion, die nach der Niederwerfung derselben sich nach Oesterreich gerettet und hier interniert worden. — Jedenfalls ein Angehöriger ihrer Familie...