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gesetzgebung die völlige Abschaffung des Umgelds in Aussicht zu nehmen." Darüber bestand in der Debatte Einmütigkeit, daß das Umgeld eine Steuerform sei, die abgeschafft werden sollte, sobald ein Ersatz für den dadurch entstehenden Ausfall von 2300000 gefunden ist; aber bezüglich des Zeitpunkts der Abschaffung traten in der Debatte insofern große Meinungsverschiedenheiten hervor, als nur die Sozialdemokraten die Abschaffung im Zusammenhang mit der auszubauenden Steuerreform verlangten, während die anderen Parteien die Frage der Abschaffung des Umgelds von der Schaffung eines entsprechenden Ersatzes abhängig gemacht wissen wollen. Für die Abschaffung traten insbesondere die drei Wirte Reichling, Hartmann und Schäffler und der Abg. Keil ein, während Haußm ann-Balingen, Röder, Vizepräsident Dr. v. Kiene und v. Geh den Keil'schen Antrag sür verfrüht hielten. Harttmann machte unter großer Heiterkeit des Hauses den Vorschlag, den Ausfall, der durch die Beseitigung des Umgelds entstehen würde, durch eine große Staatslotterie zu decken. Haußmann-Balingen versuchte, den Antrag Keil an die Steuerkommission zu verweisen, fand aber nicht die nötige Unterstützung für diesen Vorschlag, und so mußte denn über den Antrag Keil abgestimmt werden. Die Abstimmung ergab die Ablehnung des Antrags, auf den sich nur die Stimmen der Sozialdemokraten, einiger Volksparteiler und des Bauernbündlers Vogt, zusammen 17 Stimmen, vereinigten. Im übrigen fanden die Wünsche der Wirte, die auf eine Beseitigung der Härten des Umgeldsgesetzes von 1900 gerichtet waren, eine sehr wohlwollende Behandlung. Insbesondere wurde der Antrag angenommen: „Die K. Staatsregierung zu ersuchen, dem Landtag einen Gesetzesentwurf zur Abänderung der durch das Gesetz vom 4. Juli 1900 Art. 2 geschaffenen unverhältnismäßigen Belastung der billigen Weine vorzulegen." Ein Zentrumsanrrag, „die K. Regierung zu ersuchen, im Bundesrat dahin zu wirken, daß Art. 5 des Zollvereinsvertrags vom 8. Juli 1867 in der Richtung abgeändert wird, daß die teureren Weine zu einer höheren Landessteuer herangezogen werden und dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, die billigeren Weine einer ermäßigten Landessteuer zu unterwerfen" wurde gegen die Stimmen des Zentrums und der Bauernbündler abgelehnt. Um 12 Uhr fand eine gemeinschaftliche Sitzung beider Häuser statt, in der unter dem Vorsitz des Grafen v. Rechberg-Rothenlöwen die Wahl des Oberlandesgerichtsrats Landauer zum stellvertretenden Mitglied des Staatsgerichtshofs vollzogen und der Staatsschuldenbuchhalter Kanzleirat Schelhamer in den nachgesuchten Ruhestand versetzt wurde. Um noch das "Gesetz betreffend den Leibgedingsvertrag, an dem die erste Kammer einige Aenderungen vorgenommen hatte, erledigen zu können, beraumte Präsident Payer eine weitere Sitzung an, die fünf Minuten nach dem Schluß der ordentlichen Sitzung begann und in welcher den abweichenden Beschlüssen der ersten Kammer zu dem genannten Gesetzentwurf zugestimmt wurde. Hierauf verlas der Präsident ein kgl. Reskript, wonach der Landtag bis zum Herbst vertagt wird, und schloß die Sitzung mit dem Wunsch, daß die Abgeordneten sich zu den bevorstehenden großen Aufgaben recht kräftigen möchten.
Cannstatt, 23. Juni. Gestern Abend wurde in der Taubenhetmstraße ein Motorwagen beim vergeblichen Versuch, einem Hunde auszuweichen, gegen eine Wand geschleudert und stark demoliert. Von den beiden Jnsaßen wurde der eine aus dem Wagen geschleudert und erlitt nicht unerhebliche Verletzungen, so daß er alsbald ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mußte.
T Die Tübinger Strafkammer verurteilte den ledigen Bäckergesellen Karl Fr. Schieber von Ernstmühl wegen Erpressung zu 10 Monaten Gefängnis und 5 Jahren Ehrverlust. Derselbe hat in der Nacht zum 2. Mai vor dem Hause des Freifräul. v. Gemmingen in Hirsau die Glocke gezogen und gerufen: „Ihr Geld will ich, wir sind 5 Kerls, wir haben das Haus umstellt, wenn Sie nicht Geld hergeben schlagen wir die Türe ein, dann sind Sie verloren, wir haben Revolver." Durch diese Drohung geängstigt, warf Fräul. v. G. ein Mark-Stück zum Fenster hinaus, das der Strolch aufhob und das Weite suchte.
Metzingen, 22. Juni. Die Gerber- fachschule wird nun hier errichtet werden. Die
Stadtgemeinde giebt zu den Baukosten einen Beitrag von 2500 ^ und einen jährlichen Zuschuß von 150 Die Gesamtbaukosten im Betrage von 20 000 werden von der Zentralstelle, der Stadt Metzingen und dem Leiter der Lehrwerkstätte, Robert Bräuchle, getragen.
B,acknang, 22. Juni. Vor einigen Tagen wurde ein hiesiger Einwohner, ein verheirateter Mann in mittleren Jahren, beim Rassieren ganz unbedeutend verletzt. Da sein Gesicht sofort in beängstigender Weise anschwoll, nahm er ärztliche Behandlung in Anspruch und wurde letzten Montag nach Stuttgart gebracht. Heute nacht ist er dort an Blutvergiftung gestorben.
Heilbronn, 22. Juni. Die sozialdemokratische Protestversammlung gegen die Abstimmung der Ersten Kammer über die Volksschulnovelle fand heute abend in den KilianShallen unter Beteiligung von etwa 800 Personen statt. Nach einem einstündigen Referat des Reichs- und Landtagsabgeordneten Hildcnbrand - Stuttgart wurde einstimmig folgende Resolution angenommen: „Tie Ablehnung der Novelle zum Volksschulgesetz durch die Kammer der Standesherren hat aufs neue den Beweis geliefert, daß diese Kammer ein Hindernis für jede freie Entwicklung ist. Der Bestand der Ersten Kammer steht im Widerspruch mit 8 21 der Verfassung, wonach alle Württewberger gleiche Rechte und gleiche Pflichten haben. Die heutige Versammlung spricht über das Verhalten der Ersten Kammer ihre tiefste Entrüstung aus und hält es für die Pflicht jedes frei- gesinnten Mannes, einzutreten für die Bestrebungen der sozialdemokratischen Partei auf Aufhebung der Ersten Kammer und Schaffung einer reinen Volkskammer".
Stangenbach OA. Weinsberg, 22. Juni. Reicher Kindersegen herrscht im Hause eines hiesigen Einwohners. Demselben schenkte seine Frau, die erst 43 Jahre alt ist, dieser Tage den 17. Spröß- ling. Der glückliche Vater ist 48 Jahre alt. 10 von den Kindern sind übrigens im Lauf der Jahre wieder gestorben.
Von der Alb, 23. Juni. Die Bienenzucht verspricht Heuer einen guten Erfolg. Da nur ganz wenig Schwärme fielen, ist der Honigertrag ein sehr reicher. In der Nähe der Hessenhöfe hat ein Bienenzüchter aus Faurndau einen Bienenstand mit etwa 60 Völkern für die Honigtracht aufgestellt.
Ulm, 23. Juni. (Strafkammer.) Der Säger und Herrschaftsdiener Franz Maier von Rißtifsen war längere Zeit bei dem Mühlenbesitzer Gebh. Ehrhardt in Rißtisfen in Arbeit, entzweite sich aber im Oktober des Vorjahres mit seinem Dienstherr» und trat am 27. Oktober aus dem Dienst. Er wandte sich zunächst nach Frankfurt, wo er in einer Dienerfachschule sich zum Diener ausbildete und trat dann in Holstein in Herrschaftsdienste. Im Frühjahr dieses Jahres kehrte er nach Rißtissen zurück. Am 4 März bemerkte Müller Ehrhardt beim Oeffnen seines Kassenschrankes, daß ihm der Betrag von 500 in Gold fehlte. Am 24. März wurde Maier unter dem Verdachte, dieses Geld gestohlen zu haben, verhaftet. Nach anfänglichem hartnäckigem Leugnen gestand er aber diesen und noch andere Diebstähle zu. Er hatte die Kisten zweier Mitknechte erbrochen und daraus 250 und 12 gestohlen, sich den doppelt vorhandenen Schlüssel zum Kassenschrank aus den im Schlafzimmer der Dienstherrschaft befindlichen Kleidern der Frau öfters geholt, damit den Kassenschrank geöffnet, daraus Beträge von insgesamt 200 geholt, den Schlüssel dann mit nach Holstein genommen und mit seiner Hilfe nach der Rückkehr von dort den Diebstahl von 500 ausgeführt. Wegen der Diebereien wurde er zu 1 Jahr 4 Monaten Gefängnis und 2 Jahren Ehrverlust verurteilt, 1 Monat der Untersuchungshaft wird abgerechnet.
Mainz, 22. Juni. Mit Hinterlassung gewaltiger Schulden ist der Weingroßhändler Fritz Haas, Inhaber der Firma Fritz Haas u. Co., verschwunden.
Frankfurt a. M., 23. Juni. Gestern ist der Telegraphenarbeiter Nickel aus Gräfenwies- bach gestorben, der am Tage vor dem Gordon-
Bennet-Rennen von einem der belgischen Automobil- Wagen bei Homburg überfahren und schwer verletzt worden war. Die Zahl der, während LeS Gordon- Bennet-Rennen durch Automobil-Unfälle »ws Leben gekommenen Personen beträgt nun mit diesem 4.
Trier, 23. Juni. Der Sieger im Gordon-Bennet-Rennen, Th-äry, ist auf der Rückreise nach Frankreich veruv-glückt. In der Nähe von Kirchdorf stürzte er mit seinem Automobil in den Chausseegraben und brach einen Fuß. Er setzte die Reise mit der Eisenbahn fort.
Braunschweig, 22. Juni. Vor dem hiesigen Landgericht stand heute die Klage des Leutnants Bilse gegen den Verleger Sattler. Bilse behauptete, Sattler habe eine größere Auflage drucken lassen, als vertragsmäßig festgelegt war. Er fordert die Summe, die Sattler für das österreichische Verlagsrecht bekommen hat. Der Termin ist auf den 5. Oktober vertagt worden^
Berlin. 22. Juni'. König Eduard von England wird einer Einladung des hamburgischen Senats Folge leisten und am 30. ds. der Stadt Hamburg einen Besuch abstatren.
Petersburg, 23. Juni. Nach einem Bericht des General Kuropatkin betragen die Gesamtverluste des Stackelberg'scheu Korps in der Schlacht bei Wafangon 28 Offiziere und 648 Mann tot, 75 Offiziere und 1767 Mann verwundet, 12 Offiziere und 66 Mann vermißt.
Petersburg, 23. Juni. Am 20. Juni traf General Kuropatkinin Haitschou ein und hielt eine Revue über das erste sibirische Armeekorps ab. Er sagte zu den Truppen auf baldiges Wiedersehen; wir müssen mit den Japanern ein Ende machen, sonst können wir nicht nach Hause zurückkehren. General Kuropatkin dankte den Truppe» und verteilte Georgskreuze. Darauf reiste er nach Norden ab. Obwohl fast alle Depeschen der russischen Kriegsberichterstatter für die nächste Zeit eine große Schlacht Voraussagen und im Auslande die Ueberzeugung von dem Vorgehen Kuropatkins verbreitet ist, versichern informierte Kreise, daß Kuropatkin noch nicht zur Offensive übergehen werde und in Haitschou nur ein defensiver Kampf stattfinden wird.
London, 22. Juni. Die „Daily Mail" meldet aus Niutschwang vom gestrigen Tage: Als am Sonntag ein russisches Korps von tausend Mann unter dem in Niutschwang regierenden General Kondratowitsch durch den Hohlweg von Wafangon 10 englische Meilen südöstlich von Kaitschou marschierte, wurde das Korps von im Hinterhalt liegenden japanischer Artillerie überrascht. Die russischen Verluste betragen 120 Mann. General Kondratowitsch zog sich in guter Ordnung zurück auf eine befestigte Stellung. Die Verwundeten trafen in der russischen Niederlassung bei Niutschwang ein.
London, 22. Juni. Nach Washingtoner und Petersburger Meldungen erlitt Kuropatkin die blutigste Niederlage des bisherigen Krieges. Er wurde von den bei Haitscheng vereinigten Armeen Kurokis, Nodzus und Okus geschlagen. Liaoyang ist genommen, Stakelberg abgeschnitten.
London, 23. Juni. Aus Föngwant- schön meldet der Korresp. des Daily Chronicle vom 21. ds.: Die vorrückenden Russen kamen gestern mit der ersten japanischen Armee in Fühlung. Ein starkes mit Artillerie versehenes russisches Korps griff ein kleines japanisches Detachement bei Hsuch- litien 15 Meilen nordwestlich von Föngwantschön an. Die Japaner mußten der Uebermacht weichen und gingen zurück. Weitere Kämpfe werden erwartet. Dagegen erhält sich hier das Gerücht, daß die Japaner in der Nähe von Haitscheng in einer zweistündigen Schlacht mit schweren Opfern fochten.
New-Jork, 22. Juni. Von den Opfern der Brandkatastrophe auf dem Dampfer General Slocum find bis jetzt 805 Leichen geborgen, doch werden noch gegen 300 vermißt. Die Zahl der Vermißten nimmt noch immer zu, da das Verschwinden ganzer Familien erst allmählich bekannt wird. So ist bei der Katastrophe eine Witwe Weber mit ihren fünf Kindern umgekommen. Die Gesamtzahl der Ertrunkenen und Verbrannten dürfte sicher tausend übersteigen.
Johannesburg, 23. Juni. Eine Feuersbrunst brach in dem Schachte der Grube Salisbmy