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Reuenbürg, Samstag den 4. Juli 1914.
s72. Jahrgang.
WürllLMberg.
6p. Stuttgart. 30. Juni. (Jahresfest der Olgaschwestern.) Vom herrlichsten Wetter begünstigt, feierte gestern das Mutterhaus der Olgaschwestern (Karl-Olga-Krankenhaus, Metzstraße 62) sein Jahresfest in der neuen Heilandskirche, die von Festgästen aus der Nähe und Ferne (an ihrer Spitze Frau Prinzessin Max zu Schaumburg-Lippe) stark besucht war. Prälat v. Planck-Ulm hielt die feinsinnige und gedankenreiche Festpredigt über Kol. 3, 12—17. Der Jahresbericht, den der Hausgeift- liche, Pfarrer Schippert, vortrug, warf einen Rückblick auf die erfreuliche Entwicklung des Hauses seit den 20 Jahren seines Bestehens. Auch im letzten Jahr ist trotz dem schweren Verlust durch den Tod von 5 tüchtigen Schwestern doch wieder ein Wachstum des Schwefternbeftandes zu verzeichnen, deren Gesamtzahl nunmehr 211 beträgt. Als besonders erfreulich wurde erwähnt, daß die erste Helferin vom Roten Kreuz in die Reihe der Schwestern eingetreten ist. Den Olgaschwestern waren anvertraut insgesamt 21910 Kranke mit 957 948 Pflegetagen. 6987 Nachtwachen. 207 441 Einzelbesuchen und 10141 Armengängen. Der Schwesternzuwachs kam zumeist den älteren Stationen zu gut: Dem Garnisonslazarett in Ulm und Stuttgart, den Bezirkskrankenhäusern in Heidenheim, Tuttlingen und Balingen und der Stadtpflege in Schwenningen. Neu übernommen werden konnten nur 3 Stationen: Marbach, Unterurbach und Wolfschlugen. Viele Gemeinden warten sehnlichst auf schwesterliche Hilfe, weshalb kräftiger Zuzug erwünscht wäre. Der staatlichen Prüfung unterzogen sich 10 Schwestern und 10 Schülerinnen; an einem Desinfektionskurs beteiligten sich 12 Schwestern. — Die Betriebseinnahmen betrugen 263 331 -4L, die Ausgaben (einschließlich der Schuldzinse) 294 275 so daß sich rin Abmangel von 30 944 -4L ergab, der lediglich aus wohltätiger Beihilfe seitens des Kgl. Hauses, der staatlichen und städtischen Behörden, wohlgesinnter Vereine und vieler Privater seine Deckung finden konnte. Der Bericht schloß mit warmen Dankesworten an alle Freunde der Sache und der Bitte um fernere Beihilfe. Hierauf konnten 10 Schwestern feierlich eingesegnet werden. An die kirchliche Feier schloß sich eine Nachfeier im Mutterhaus, bei der sich auch Frau Herzogin Robert eingefunden hatte.
Heilbronn, 3. Juli. Die Stadt Heilbronn wendet für ihr neues Stadttheater jährlich rund 60 000-4L auf. 20 000davon verschlingen Ver-
zinsund und Amortisation der Theaterschuld. 30000 verschwinden in der laufenden Unterhaltung und 10 000 werden für außerordentliche Anschaffungen von Dekorationen bereit gestellt,
Heilbronn, 3. Juli. Im Zentralhotel brach in der vergangenen Nacht Feuer aus, das den Dachstock größtenteils zerstörte. Der Betrieb des Hotels ist jedoch nicht beeinträchtigt.
Das Amtsgericht Geislingen hat 3 Milchproduzenten von Groß-Süßen zu Geldstrafen von 20 bis 30 und das Amtsgericht Göppingen 6 Milchproduzenten von Suloach, bezw. Bünzwengen und Nassachmühle zu Geldstrafen von 15—100 verurteilt, weil sie der von ihnen an zwei dortige Milchhändler abgelieferten, von diesen nach Stuttgart weiterverkauften uno dort von der Nahrungsmittelkontrolle beanstandeten Milch Wasser in Gesamtmengen von ein viertel bis zwei ein zehntel Liter zugesetzt hatten. Ueberdies wurden von beiden Gerichten als Nebenstrafe die Veröffentlichung des Urteils auf Kosten der Verurteilten angeordnet.
Werde« ««d Vergehen.
(Ein Bild aus der Ausstellung für Gesundheitspflege in Stuttgart.)
ep. „Webe hin und her.
Geburt und Grab, ein ewiges Meer,
Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben —"
unwillkürlich kommen diese Worte des Erdgeistes in Goethes „Faust" dem Beschauer in den Sinn, wenn er, in Nachdenken versunken, vor der großen gläsernen Scheibe mit ihren roten und schwarzen Täfelchen steht und dem gemessenen Sekundenschlag des Perpentikels lauscht, der ohne Haft und ohne Zögern, mathematisch eintönig und fühllos Geborenwerden und Sterben in unserem Vaterlande anzeigt.
Eben wird das Uhrwerk in Gang gefetzt. Unwillkürlich zählen wir mit: 15 Pendelschläge sind vorüber, nichts besonderes ereignete sich, der 16 te
.ein rotes Täfelchen erleuchtet sich — ein
Kind ist geboren. Wieder 12 Schläge, eine schwarze Tafel erhellt sich — ein Menschenleben lischt aus; noch vier Schläge und die zweite rote Tafel blitzt auf — ein weiteres Leben ist ins Dasein getreten; diesmal ist's ein Knabe, vorhin war es ein Mädchen, wie jetzt wieder nach weiteren 16 Schlägen. Und nochmals 8 Pendelschläge und wieder blitzt das Licht auf hinter der matten Farbe des Todes: Diesmal erlag ein blühendes Leben der mörderischen Schwindsucht — jenes erstemal wars Scharlachfieber gewesen, und wenn wieder das Todeslicht aufleuchtet, dann
hat ein Unglücklicher Hand an sich gelegt. Weiter geht in gleichmäßigem Takt in seelenloser Ruhe der unheimliche Apparat, und wenn wir's eine richtige Glockenstunde vor ihm ausgehalten haben, dann find alle seine roten und alle seine schwarzen Scheiben erleuchtet, und seitwärts ist das Ergebnis sauber aufsummiert, das die Schicksalsstunde gebracht hat und jede weitere ebenso bringen wird; 225 neue Leben (116 männliche, 109 weibliche), 35 davon sind alsbald wieder erloschen und 90 andere, in höherem Lebensalter sind ihnen nachgefolgt — aber einen Zuwachs von 100 Menschen, die ihm verbleiben, hat das Vaterland zu verzeichnen in dieser Stunde, und ebenso viel in jeder weiteren Stunde, die wir miterleben, wachend oder schlafend, aufmerksam oder gedankenlos.
Es ist nicht leicht, gedankenlos zu bleiben vor diesem Bild des Werdens und Vergehens,, und wenn es zehnmal nur ein schematisches, in Durchschnittszahlen gezeichnetes Bild ist. Und es ist sehr schwer, kühl zu bleiben im Angesicht dieser Ziffernreihen, wenn sie sich auch in der Wirklichkeit, wie wir uns bald sagen, nicht in diesen ungestört gleichbleibenden Abständen aneinanderreihen, sondern jetzt sich häufend, jetzt sich dehnend. Am Ende des Jahres stehen wir doch vor derselben unerbittlichen Zahlenreihe, wie sie uns hier methodisch vorgerechnet wurde.
Und Fragen reihen sich an Fragen! Wenn der Tag unserem deutschen Volk 2400 und das Jahr ihm 876 000 Menschenseelen als bleibenden Gewinn zu seinen 60—70 Millionen, die es schon hat, hinzuwachsen läßt, — womit beschäftigen, womit ernähren wir die wachsenden Hunderttausende? Wenn unsere Grenzen für sie zu eng find — wohin schaffen wir den Urberschuß? Und wenn es weniger sein sollten, als wir brauchen, um unser Volkstum kraftvoll zu wahren, uns und unseren Platz an der Sonne gegenüber den anderen Nationen zu behaupten — was können wir tun, um zunächst einmal die weit über 300 000 Säuglinge zu erhalten, die wir laut unbarmherziger Rechnung im Jahr einbüßen?
Und noch eins. Was hier so regelmäßig und gleichsam selbstverständlich auftaucht und verschwindet, bedeutet mehr als eine seelenlose Reihe von Ziffern; es sind Menschen, die kommen und gehen, ein jeder mit seinem Schicksal und seiner Geschichte, Menschenleben voll freundlichen Sonnenscheins oder voll herzbrechenden Leids. Tausendfältig sind die Beziehungen, die sie untereinander verbinden, und auch unser Lebensschicksal und Einfluß ist, mehr als wir ahnen, in dieses Bild verwoben — zum Guten oder zum Bösen?
Die schwarze Perle.
Novelle von A. von Eremit.
3) - (Nachdruck verboten).
Halbach wiegte lächelnd den Kopf.
„Das war jetzt wirklich von mir ganz harmlos gemeint; aber wie du befiehlst: wie wünschest du, daß ich mich ausdrücke, wenn ich —"
„Sag': Fräulein van der Staar."
„Ah!" Halbach verbeugte sich im Sessel. „Jetzt ist mir die Dame sozusagen vorgestellt. Nun laß' dich aber herbei, näheres auszukramen. Nachdem das Eis gebrochen ist. Es wäre nicht hübsch von dir, wenn du dich weiter verschließen wolltest. Besonders, da es dich gepackt hat und tief sitzt, wie ich merke. Beichte, mein Alter, beichte! Denke, daß wir nie Geheimnisse zwischen uns kannten."
Dörnberg schwieg und starrte auf den Boden.
„Da muß ich dich katechisteren. Jetzt, wo ich weiß, wie es mit dir steht, jollst du nicht so leichten Kaufs davonkommen. Also: Herkunft?"
„Holland. Das heißt — Edith —" murmelte Dörnberg leise, wie mechanisch.
„Sie, Fräulein van der Staar heißt Edith?"
„Jawohl."
„Netter Name. Aber die komische Alte — verzeih', verzeih' — also kurzweg, die Alte ist aus —"
„Die Tante ist aus holländisch Indien."
„Genügt als Erklärung für den formidablen tropischen Bartwuchs. Weiter. Eltern?"
„Tot. Edith ist Waise."
„Stand, gesellschaftliche Stellung?"
Dörnberg zuckte die Achseln und sagte:
„Anscheinend beste Klaffe. Habe mich noch nicht darum gekümmert. Jnquiriere nicht wie du."
„Hm — finanzielle Lage?"
Dörnbergs Entgegnung klang ungedulnig.
„Was weiß ich! Jedenfalls glänzend!"
„Vielleicht. Sah übrigens die Damen schon zweimal aus Bornands, des großen Juweliers, Laden auf die Oranäo rue treten. Bornand selbst öffnete devotest die Tür. Also gute Kunden."
„Die Tante interessiert sich ungemein für Edelsteine."
„Sie wohnen?"
„In einer der Villen Dubochet in Clärens."
„Tue mir die Liebe und erzähle, wie du mit ihnen bekannt geworden bist."
Dörnberg lachte kurz auf.
„In der Tat, an dir ist ein Untersuchungsrichter verloren gegangen. Wie ich bekannt wurde? Kein leichtes Stück Arbeit. Nachdem ich zwei Tage lang ganz Montreux und Umgegend fragend und forschend abgesucht und abpatrouilliert hatte, fügte es ein günstiger Stern, daß ich Tante und Nichte eines Nachmittags auf der Landstraße, kurz vor Clärens, im Automobil treffe."
„Haben sie ein eigenes?", fragte Halbach dazwischen.
Nein. Sie leihen es aus einer Garage in Lausanne. Wie gerufen kam auf der Straße ein leerer
Zweispänner hinterher. Ich hinein und nachgefahren. Das hätte mir zwar trotz Trinkgeldes und Einhauens auf die Gäule verdammt wenig genützt, wenn die Strecke länger gewesen wäre. Das Auto bog aber bald in den Park der Villen Dubochet ein, und ich konnte erkennen, an welcher sie ausstiegen. Der erste Schritt war getan. Den nächsten Tag belagerte ich natürlich die Villa."
„Aha — das war an dem Regentag, an dem du bis zum späten Abend unsichtbar bliebst. Alles was recht ist — meine Anerkennung für deine Ausdauer."
Halbach schüttelte heiter des Freundes Hand.
„Am andern Tag, einem herrlichen Morgen, machten die Damen einen Spaziergang. Grübelnd, wie eine Bekanntschaft herbeizuführen sei, und an der Möglichkeit fast verzweifelnd, folgte ich in einiger Entfernung. Auf einmal sehe ich etwas blinkendes vor mir im Straßenstaub liegen, hebe es auf und halte eine Diamantbrosche in der Hand. Nacheilen, überreichen — die Tante hatte das Schmuckstück verloren — Danksagung, Vorstellen usw., all das wickelte sich auf das schnellste ab. Ich hatte gewonnenes Spiel. Seit dem glückliche Tage —"
Bist du öfters mit den Damen zusammen?"
So viel und so oft es geht."
„Und deine Gedanken, deine Meinung?"
„Daß ich Edith — ein vom Himmel beurlaubter Engel — anbete, und die Tante — eine abscheuliche Egoistin, die diesen Engel quält und tyrannisiert — verabscheue", antwortete Dörnberg mit Leidenschaft.