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^97. ^ Reuenbürg, Freitag den 19. Zuni 1914. > 72. Jahrgang

RunSschau

Karlsruhe, 15. Juni. Das neue Land­gericht in Pforzheim ist heute nachmittag von der 2. bad. Kammer nach nur ^/istündiger Berat­ung einstimmig genehmigt worden. Der Bericht­erstatter Dr. Frank-Mannheim (Soz) erinnerte daran, daß die Stadt Pforzheim im vergangenen Jahre ihr 50 jährigesJubiläum" auf Erftrebung eines höheren Gerichtes feiern konnte. Abg. Odenwald (f. Vp.) dankte der Regierung für die prompte Einbringung des Gesetzentwurfs. Dann sprachen noch Abg. Geck (Soz.), der auch im Inte­resse der Arbeiterschaft das Landgericht begrüßte, Abg. Dr. Gerber (natl.), der sich dagegen wandte, daß alle Orte des Bezirks Breiten an Pforzheim kämen. Staatsminifter Frhr. v. Dusch begrüßte die Einmütigkeit des Hauses in der Frage. In einer Dezentralisation sei oft eine Vereinfachung enthalten und das treffe besonders beim Landgericht Pforzheim zu. Breiten soll, so bald eine genügende Bahnver­bindung mit Pforzheim hergestellt ist, an das Land­gericht Pforzheim angeschlossen werden. Eine Teilung des Bezirks wird nicht möglich sein. Ich freue mich, daß die Pforzheimer Einwohnerschaft sich eines Besseren besonnen und den Bedingungen der Regier­ung zugeftimmt hat. Auch ich wünsche, daß das Landgericht Pforzheim eine segensreiche Wirkung für die Rechtspflege haben wird. Der Bezirk des neuen Landgerichts umfaßt den Amtsbezirk Pforzheim, der vom Landgericht Karlsruhe abgetrennt werden wird. Das letzte gibt an das neue Landgericht einen Di­rektor. 5 Räte und einige Kanzleibeamte ab. Im ganzen wird das Landgericht Pforzheim mit einem Präsidenten, einem Direktor, 7 Räten und dem er­forderlichen Kanzleipersonal besetzt werden. Da, wie schon erwähnt, ein Teil des Personals das Land­gericht Karlsruhe stellt, so beträgt der Mehraufwand durch Errichtung eines neuen Landgerichts in Pforz­heim nur 22 820 jährlich. Damit besitzt Baden 9 Landgerichte.

Kiel. 17. Juni. Die Turbinenlinienschiffe Kaiser" undKönig Albert" sind von ihrer Südamerikareise heute nachmittag um 4 Uhr hier eingetroffen.

Bremen, 17. Juni. Der auf der Ausreise nach New-Aork befindliche DampferKaiser Wil­helm H." ist im Aermelkanal mit dem englischen DampferEnglemore" zusammengestoßen. Er wird zur Vornahme der erforderlichen Ausbesserungen nach Southampton ins Dock gehen. Die Passagiere werden mit einem anderen Dampfer nach New-Aork

befördert werden. Nach einer drahtlosen Nachricht des DampfersKaiser Wilhelm II." sind alle an Bord befindlichen Passagiere und Mannschaften wohlbehalten.

Bremen, 18. Juni. Der deutsche Dampfer Bülow", von Ostasien heimkehrend, ist bei Port­land, 33 Meilen westlich von Needles, im dichten Nebel leicht auf Grund geraten. Das Wetter ist ruhig.

In Straßburg i. Elf. wurde Mittwoch früh die 41jährige Witwe Magdalene Wendel und der 39 jährige Taglöhner Wirth aus Hagenau, die am 5. Dezember wegen Giftmords, begangen an dem Ehemann Wendel, zum Tod verurteilt worden waren, durch den Scharfrichter aus Stuttgart hingerichtet.

Während der Schießübungen des 38. französ. Artillerie Regiments fielen mehrere Geschosse auf das Dorf Fontareche (Dep. Gard). Ein Mädchen wurde durch Granatsplitter verletzt.

Paris, 17. Juni. Aus Anlaß des schweren Wasserunglücks glaubt man, einer förmlichen Kor­ruption auf die Spur gekommen zu sein, die zwischen Stadtrüten, Ingenieuren der Stadt Paris und den ausführenden Unternehmern bestehen soll. Es hat sich herausgestellt, daß bei der ver­fehlten Konstruktion der Kanäle eine Kontrolle völlig versagt hat, und daß das Eindringen der Wasser­massen in die Kanalisation in erster Linie auf den ungenügenden Widerstand der Wände zurückzuführen ist. Eine strenge Untersuchung ist eingeleilet. Die Angelegenheit wird durch eine Interpellation der Deputierten der Stadt Paris vor die Kammer ge­bracht werden.

Bexhill. 17. Juni. Ein Expreßzug von Worcefter ist heute vormittag 11'/, Uhr in einen von Reading nach Paddington abgehenden Lokalzug außerhalb der Station Reading hineingefahren. Beide Lokomotiven entgleisten. Die Lokomotivführer und der Heizer des Lokalzugs erlitten schwere Ver­letzungen.

Württemberg.

Stuttgart, 17. Juni. Professor Dr. Gustav Uebele, der bis zur Aufhebung der Tierärztlichen Hochschule an dieser Anstalt tätig war, ist im Alter von 44 Jahren an den Folgen einer Infektion, die er sich bei der Operation eines Pferdes zuzog, ge­storben. Er kandidierte für die Volkspartei bei den letzten Landtagswahlen im Bezirk Oehringen.

Stuttgart, 15. Juni. Die offzielle Aus­stellungsnadel, die als Anstecknadel zum Preise von 40 zum Verkauf kommt, hat bereits eine

große Zahl Liebhaber gewonnen. Die vergoldete Nadel zeigt in Medaillenform den Kopf der Athene Lemnia, wie er vom Plakat her bekannt ist, in echter Emaileausführung. Die vergoldete Rückseite trägt die AufschriftStuttgart 1914". Die künstlerisch ausgeführte und vornehm wirkende Nadel ist ein Erzeugnis der Metallwarenfabrik Ad. Schwerin, Stuttgart.

Eßlingen, 15. Juni. Der 10. Verbandstag des Verbandes württembergischer Gemeinde­unterbeamten fand gestern hier statt. Nach dem Jahresbericht des Vorsitzenden zählt der Verband nach nunmehr 10jährigem Bestehen nahezu 4000 Mitglieder. Ueber das Pensionsgesetz sprach Polizei- Wachtmeister Müller-Biberach, der der Regierung und den Ständen für das Zustandekommen des Gesetzes dankte; allerdings sei zu bedauern, daß der Schutz gegen ungerechtfertigte Kündigung nicht zu erreichen gewesen sei. Die Veranstaltung einer Lotterie zugunsten der Unterstützungskasse wurde beschlossen, ferner wurde der Ausschuß beauftragt, bei der Re­gierung dahin vorstellig zu werden, daß durch eine Verfügung sämtliche Gemeindeunterbeamte im Sicher­heitsdienste mit Revolvern ausgerüstet werden. Ferner wurde dem Wunsche Ausdruck gegeben, daß die Verleihung der silbernen Verdienst-Medaille nach 25jähriger Dienstzeit im Dienste der Gemeinde er­folgen möchte. Die nächstjährige Tagung wird in Friedrichshafen gehalten werden,

Gmünd, 18. Juni. Für das 6. Arbeiter­sängerfest ist in den letzten Tagen das Festbuch ausgegeben worden, in dem eingangs das Fest­programm verzeichnet ist. Nach diesem ist am Samstag den 27. Juni Begrüßungsabend in der ftädt. Turnhalle unter Mitwirkung des Gesangvereins Liedertafel Gmünd, des Vorwärts Cannstatt, des Opernsängers Schwerdt und der Stadtkapelle. Sonntag den 28. Juni ist Tagwache, Frühkonzert, um '/,8 Uhr Zug in die Sängerhalle, dort Eröffnung des Festes, Begrüßungsrede und Begrüßungschor. Es folgt das Kritikfingen, das von 1 Uhr bis 2 Uhr durch eine Pause unterbrochen wird. Abends '/-6 Uhr und Montag früh '/-8 Uhr ist Hauptprobe für die Grsamtchöre, vormittags '/,11 Uhr Haupt­ausführung, '/,3 Uhr ist Festzug. hernach kurzer

> Ueberblick über die Gesamtleistungen, Schlußchor.

' Die Sängerhalle wird unterhalb des Stadtgartens mit der städtischen Festhalle errichtet und ist im Gerippe bereits fertiggestellt. Zum Kritiksingen sind 106 Vereine gemeldet (49 in Abt. 1 Eins. Volks­gesang, 39 in Abt. 2 Gehob. Volksgesang, 12 in Abt. 3 Eins. Kunstgesang und 6 in Abt. 4 Schwier.

Das Kren; von Seken.

Erzählung aus der Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe.

Von Franz Wichmann.

40^ (Nachdruck verboten.)

Ein blutender Alaun, von Staub und Schweiß fast unkenntlich, krampfhaft eine Fahne umklammernd, trat chr entgegen. Sie hatte seine Stimme erkannt, Ignaz Pontifeser stand vor ihr.

Ihre Lippen zuckten, aber der Name, den sie spreche» wollte, kam nicht darüber. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und ein heftiges Schluchzen erschütterte ihre Brust.

Du kommst zu spät!"

. Da fühlte sie, wie zwei rauhe Hände die ihrigen faßten und sie sanft von ihrem Gesicht niederzogen. Sandig dünkte sie die Berührung, aber in ihrem zitternden Körper war alle Kraft des Widerstandes erlolcken.

Nazl!" war das einzige Wort, das sie siammeln konnte. Und ehe sie zur Besinnung kam, brannte ein hcrtzer Kuß ans ihrer Stirn und zwei dunkle Angen senkten sich fest und tief in die ihren.

Nazl nm Gottes nullen, was thnst Du ick dm die Braut des Himmels, ich"

Er hielt ihre zuckenden Hände in den seinen.

Verena, der Hiinmcl wird mir die Sünde ver­geben, der Tod ist hinter mir, in wenigen Minuten werde ich droben stehen vor dem Nichier der Well. Er kann mir nickt zürne.! wegen dieses letzten Kusses, mit dem ich Abschied für dieses Leben nehme von Dir, Verena, die ich allein und immer geliebt Abschied - bis wir drüben uns Wiedersehen

Sterben!" schrie sie auf.Nein, Nazl Du Du darfst nicht sterben!"

Ich kann, ich mag nicht leben ohne Dich, Verena' Wenn Du Dich entschließen könntest, mir zu folgen vielleicht ist noch eine Rettung möglich. Ich will es versuchen, mit Dir zu entkommen. Der Himmel kann ein Wunder thun. Laß ihm die Entscheidung! hilft er uns aus dem Rachen des Todes, so hat er Dein Gelübde nicht hören, Dein Opfer nicht empfangen wollen, so darfst Du noch mein werden. Niemand sieht, niemand beachtet uns in dieser Stunde. Wenn inan uns nicht mehr findet, wird man uns für tot halten. Wir fliehen in ein fernes, fremdes Land und wollen den Himmel durch unsere Gebete erweichen, daß er nnS unsere Schuld vergiebt, unser irdisches Glück uns gönnt."

Dock die Gotlesbrant blieb fest wie eine Märtprerin ihres heiligen Glaubens, die lockende Versuchung um­spiel:. Mir sanfter Gewalt machte sie sich ans den Armen des Mannes, die sie leidenschaftlich umschlingen wollten, los.

Es darf nicht sein, Nazl die Brücke, die mich von der Erde zum Himmel hinübergesührt. ist hinter mir abgebrochen. Es giebt kein Zurück mehr, Gott hat cS nicht gewollt, daß wir einander gehören sollen -- sein Wille ist heilig. Bis in den Tod will ich Dich liebe», Nazl, doch bis zur Todsünde nicht. Der Fluch ewiger Verdammnis würde über uns sein, uns niemals glück­lich werden lassen. Wenn der Himmel Dich beschützt, io denke: ick sei tot und laß mich nur noch in Deinem Herzen, in Deiner Erinnerung leben. Auch ick darf Deiner dann denken und mich des Wiedersehens freuen, das uns einst droben blühen wird. Dann, Nazl, dann"

Sie kam nicht weiter. Wildes Getümmel erscholl am Ende des Ganges. Ein Hanse flüchtender Tiroler i drang herein und hinter ihm erschienen die blinkenden I

Helme, die blntgeröteten Waffen der französischen Soldaten.

hielte Dich, Nazl dort hinaus Du kommst auf den Weg nach Pardell!"

Er wollte sie nicht lassen, mit seinem Leibe die Geliebte decken, zu ihren Füßen sterben. Aber es war vergeblich. Die Schar der Fliehenden, die rücksichtslos alles beiseite stieß, drängte ihn ab und von der Masse fortgcrissen, stand er plötzlich wieder draußen im grellen Licht des Tages, das ihn voll nmflutete.

Da schlug ein lauter, verzweifelter Aufschrei an sein Ohr, der ihn erschaudern machte. Das war die Stimme der Geliebten, die in Todesnot zu ihm gellte. Die Gewißheit, daß sie in die Hände der Wütenden gefallen, erfüllte ihn mit rasendem Zorn. Er wollte znrückstürzen, um ihn im Blut ihrer Henker zu kühlen. Doch ans dem halbdunklen Gange wälzte sich eine tobende Woge von mafsenstarrenden Kriegern hervor, an der Spitze ein Offizier mit geschwungenem Degen, der sich ans ihn stürzte.

Nazl sprang einen Schritt zurück. Alles Blut wich ans seinen Wangen. ES war nicht Furcht vor dem drohenden Tode, es war ein jäher Schrecken, der ihn befiel, als er in das Gesicht des Franzosen sah.

JuleS Renard! Zum zweiten Mal stand er seinem Todfeind gegenüber.

An die Mauer gepreßt, hatte Verena den Strom der flüchtenden Tiroler an sich vorübcrflnten lassen. Da, als die Franzosen austanchten, bannte starres Entsetzen ihren Fuß, der sich eben zur Flucht wenden wollte. Sie batte den verfolgenden Offizier erkannt. War der Ver­räter gekommen, seiner Schandthat die Krone aufznsetzen, sie aus dem Frieden deS Klosters in seine buhlerischen Arme zu reißen? Eine furchtbare Angst bemächtigte sich ihrer. Zwei Schwestern, die eben von den rohen Soldaten mit wilden Späßen und gransaincm Hohn vor- übcrgezerrt wurden, zeigten ihr das Schicksal, das auch ihr bevorstand. " " ' /