s Der Enztäler. s
Reuen bürg, Mittwoch den 1ü. Juni 1814.
72. Jahrgang.
RrmSschau.
Berlin, 8. Juni. 1000 Kisten - und Koffermacher Berlins und Umgegend, organisiert im Deutschen Holzarbeiterverband, lehnten gestern den Tarifenlwurf. der 15—20 Proz. Verschlechterung ausweist und am 15. Juni in Kraft treten sollte, einstimmig ab und beauftragte die Tarifkommissiou, auf Grundlage des bisherigen Tarifs in Verhandlungen mit den Arbeitgebern einzutreten und Verbesserungen durchzusetzen.
Vom badischen Schwarzwald, 8. Juni. Das von der Stuttgarter OrtSkrantenkasse erworbene Erholungsheim m Solbad DürrhetM ist heute für weibliche Mitglieder dem Betrieb übergeben worden. Em Solbad für Mädchen ist gleichzeitig in Betrieb genommen worden.
Epernay, 8. Juni. Ein gestern in Sezanncen- Brie bei Gelegenheit einer Festlichkeit aufgrstregene Ballon wurde durch den Siurm gegen einen Baum getrieben. Dabei explodierte der Ballon, wobei 60 Personen verwundet wurden, darunter 25 fchwrr.
Das Weiter in der Schweiz. In der Schweiz waren nach den Berichten vom Enoe der letzten Woche vollkommen rvinlertiqe Verhältnisse zurückgekehrt. Glarus meldete enormen Temperatursturz, begleitet von starken Siteoerfchlägen, Neuschnee vis 1600 m herab. Der Rigi haue Neuschnee bis 20 em lief und eine Kaue von —3 Grad, Pilatus-Kulm meldete bei 5 Grad Kälte 15 em Neuschnee. — Aus Grindelwald wird vom Samsiag vormittag berichtet: Es ichnell hier wie im Winter. Lue kleine «qeidegg hatte weil herunter ihre Schneedecke erneuert. Im Atp- fteingebiel fiel bis aus 1000 m herab Schnee. Der SäntiSgipsel meldete Samstag stütz 6 Grad Kälte und hesttgen Schnresall. Die Schneedecke erreichte dort immer noch eme Höhe von 4'/r m. — Himer der großen Alpenwand, südwärts am Gotthard, sieht es dagegen bedeutend besser aus. Lugano meldet: Die Witterung ist hier säst sommerlich warm; im Schatten mittags 20 Grad Celsius und herrlich blauer Himmel.
Neapel, 8. Juni. Ein surchibarer Wolkenbruch richtete »n der Stadt und Umgebung argen Schaden an. 13 beim Kanalbau beschäsligie Arbeurr wurden von den Wassermassen überrascht; 5 tonmen von der Feuerwehr geborgen werden, die anderen 8 wurden nach einer Meldung der „Voss. Zig." »ns Meer hinausgespult und ertranken.
Rom, 7. Juni. Aus ganz Süditalien wird sehr großer Temperatursturz gemeldet. Man meldet Hagel- und Schneefälle. Ueber Neapel sei ein Unwetter niedergegangen, wie man seit langen Jahren kein ähnliches erlebt habe. In den städtischen Kanalisationen konnten eine Anzahl dort arbeitender Männer nur mit knapper Not das Leben retten, während 10 ihrer Kameraden ertranken, so schnell hatten die Kanäle sich infolge des Wolkenbruchrs mit Wassermassen gefüllt.
Am Panamakanal haben wieder einmal ge» waltige Erdrutsche ftattgefunden,. der bereits im Gange befindliche Schiffsverkehr im Kanal ist hierdurch auf Wochen gestört.
Die Schuldenwirtschaft Europas. Wie der „Inf." von unterrichteter Seite mitgeteilt wird, sind vor einiger Zeit nationalökonomische Forschungen eines französischen Gelehrten bekannt geworden, die sich eingehend mit der Schuldenwirtschaft der europäischen Staaten befassen. Aus den interessanten Ergebnissen dieser Untersuchungen ist vor allem der Umstand hervorzuheben, daß sich die öffentliche Schuld aller Länder Europas auf die ungeheuer große Summe von 160 Milliarden 936 Millionen Francs beläuft. Untersucht man die Verteilung dieser fabelhaften Schuldenlast auf die einzelnen Länder, so ergibt sich aus der Statistik, daß Frankreich alle europäischen Länder an Schuldenlast bei weitem überragt. Während sich die Schulden der französischen Republik auf 33,079 Milliarden Francs beziffern, so bleibt das Deutsche Reich, das an zweiter Stelle solgt, um rund 9 Milliarden hinter der französilchen Schuldenlast zurück. Immerhin hat die deutsche Staatsschuld noch die stattliche Höhe von 24,239 Milliarden; ihr kommt annähernd dre ruf- silche Staatsschuld mit 24,983 Millarden gleich. Es folgen dann nach der Höhe ihrer Schulden geordnet: Oesterreich-Ungarn, England, Italien, Spanien und die übrigen europäischen Länder. Welches ungeheure Anwachsen die Schuldenlast Europas seit Beginn des 19. Jahrhundens zu verzeichnen hat, gehl daraus hervor, daß noch um 1800 dre europäische Schuldenlast nur 25 Milliarden betrug, im Jahre 1825 schon auf 40 Milliarden, 1850 aus 47 Milliarden, 1867 aus 66 Milliarden, 1888 aus 108 Milliarden und nunmehr auf 160 Milliarden gestiegen »st. Auch was die Verteilung der Schuldenlast Ms den einzelnen Kops der Bevölkerung anlangi, zettigi die Untersuchung höchst bemerkenswerte Ergebnisse. Danach slehr wiederum der Franzose an erster Stelle, er hat, 835 Francs
Schulden auf den Kopf zu tragen. Im folgt an zweiter Stelle der spanische Bürger mit 509 Francs, während der Deutsche mit 373 und der Russe mit 200 Francs an letzter Stelle figuriert.
Württemberg.
Stuttgart, 8. Juni. Der Kongreß der Ve- rufs>organisation der Krankenpflegerinnen Deutschlands fand heute unter dem Vorsitz der Schwester Agnes Karll-Berlin hier statt. Obermedizinalrat Dr. Kohlhaas überbrachte die Grüße des Ministers des Innern und des K. Medizinal- kollegiums, Gemeinderat Klein die der Stadtverwaltung. Im Namen des Verbandes Württ. Frauenvereine sprach Frl. Planck, ferner als Vertreterin der Frauensttmmrechtsbewegung Frau Dr. Lindemann. Schwester Agnes Karll hielt hieraus einen Vortrag über die Notwendigkeit der Wirtschastlichen Ausbildung der Krankenpflegerinnen. Sie betonte dabei insbesondere, daß eine hauswirtschaftliche Ausbildung für die Schwestern eine absolute Notwendigkeit sei, durch eine solche könnte am Volksvermögen viel gespart werden. Auch die Diskussionsredner und -Rednerinnen, so Geh. Medizinalral Professor Dr. Hecker-Straßburg, Schwester Freudweiler-Zürich. Fräulein Paula Steinthal-Stuttgart und Schwester Martha Oesterlen stimmten dieser Forderung der Rednerin zu.
Stuttgart, 6. Juni. (Vor 100 Jahren). Ueber das große Jahr 1814 in Stuttgart berichtet Eryffers's Lagebuch sehr anschaulich. Wir geben hieraus folgende Zeittafel: 9. Januar 1814: Beseht zur Aufrichtung eines allgemeinen Landsturms von 100 000 Mann in Württemberg; 27. Januar: Abmarsch der würitemberglschen Landsturmregtmenler zur Armee nach Lörrach; 11. Februar: Dre Erstürmung von Sens; 18. Februar; Schlacht bei Mon- tereau; 25. März: Sieg der Verbündeten bei Fere Champenoise; 29. März: Neuer Sieg bei Paris; 30. März: Kapltutation von Paris; 31. März: Einzug der Verbündeten in Paris; 11. April (Ostermontag): Allgemeines Dantsest m ganz Württemberg; 26. April: Thronentsagung Napoleons; 30. Mai: Pariser Friede. — Rückzug aus Frankreich; 1. Juni 1814: Brigade des Generals Slvckmayer aus der höchsten Höhe der Vogesen angelangt; 6. Juni: Vorbeimarsch der Brigade an Siratzburg nach Kehl und Bischossheim; 7. Juni: Ausschmückung des Martrund SchloßptatzeS m Stuttgart, Belrünzung der Häuser, Fahnenschmuck, Ehrenpforten, Reise des Königs nach Vaihingen a. E. zum Empfang des sieg-
Das Kreuz von Seven»
Erzählung aus der Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe.
Bon Franz Wichmann.
31^ (Nachdruck verboten.)
Als man das Haus erreicht und die Verletzte in einem der Fremdenzimmer gebettet hatte, sandte die Wirtin nach dem Doktor. Aber der Knecht brachte eine betrübende Nachricht zurück. Im Laufe des Nachmittags hatte der Wundarzt Kunde erhalten, daß sein einziger Bruder zu Innsbruck gestorben sei, und sogleich die Reise nach der Landeshauptstadt angetreten. Bei den unsicheren Verkehrsverhältnisscn im Lande war es kaum möglich, daß er in einer Woche zurückkehrte.
Mit zitternder Hand erbrach Josepha das Schreiben, das er für sie hinterlassen. Nur von Giovanni Baratto war darin die Rede. Es war dem Arzt schrecklich, in diesem Augenblick fort zu müssen, doch habe er das erste, nötigste gethan und an ihrer Pflege liege alles, wenn der Schwerverwundete gerettet werden solle. Noch einmal beschwor er sie dringend, gegen keinen Menschen, wer es auch sei, und was auch geschehen möge, ein Wort über das Versteck des Welschen zu verraten. Vergeblich suchte Sepha nach einem anderen Work, das sie erhofft, ersehnt. Er hatte keinen anderen Gedanken, als den an diesen verächtlichen Verräter! Was konnte ihm an seinein Leben liegen? — Michael Hinteregger wurde ihr immer rätselhafter.
Als sie eine Minute später bei der armen Regula eintrat, fuhr sie verstört und erschrocken zurück, denn die erste Frage, mit der sie das Mädchen empfing, war:
„Weißt Du nichts von Baratto?"
„Ich — wie kommst Du darauf — was kümmert der falsche Welsche Dich?" entgegnete sie fast rauh.
Regula begriff die Erregung der Schwester nicht. „Das Leben, die Rettung dessen, den ich liebe, mein
l eigenes Glück hängt davon ab, ob er lebendig ist oder I tot." -
i „Uno ,- -n er lebte?" stieß Josepha in sprachlosem s Staune -
s ' > nvester, lebt ein gerechter Gott im Himmel,
der die Und nicht verläßt! Seit heute weiß ich es, Sepha: Giovanni Baratto hat unseren Vater erschlagen!"
Mit einem Aufschrei des Entsetzens sank die Wirtin auf den nächsten Stuhl am Lager Regulas nieder. Düs war zu viel! Sie verbarg, sie pflegte den Mörder unter ihrem Dach und durfte ihn nicht verraten, weil sie es einem anderen versprochen, dem sie das Wort nicht brechen durfte!
Regula, die den - schreckensvollen Aufschrei der Schwester mir ihrer Mitteilung znschrieb, begann nun hastig, alles, was sie am Morgen auf der Frag erlebt, ivas sie aus Barattos Munde gehört, zu erzählen.
Mit wachsendem Erstaunen und Grauen lauschte die Gamswirtin ihren Worten.
„Jetzt kann alles noch gut, jetzt kann Dein armer Sepp gerettet werden!" rief sie am Schluß des Berichts und die Arme um die Schwester schließend, küßte sie ihr beide Wangen.
„Wenn nur der Mörder nicht sein Geheimnis mit in das Grab genommen. Es wäre zu furchtbar, dann alles verloren zu wissen. Er soll, er muß leben, Sepha!"
„Ja, hoffen wir zu Gott, daß er lebe!" sagte Josepha Hackhoser, sich erhebend, mit feierlicher Stimme. In ihren dnnkten Angen sprühte ein seltsames Feuer, ein unabänderlicher Entschluß prägte sich ans ihren ernsten Zügen ans. Die Schwester hatte recht: er sollte, er mußte leben, nni dann den Tod zu sterben durch HenkerSlmnd! Jetzt wollte sie alles aufbieten, ihn zu pflegen, ihn vvm Tod zu erretten; nicht um des Arztes willen mehr brauchte sie es zu thun, es galt, einen Unschuldigen zu befreien, es galt das Glück ihrer
Schwester, die Rache für ihren schändlich gemordeter Vater. Das tiefste Schweigen war nötig, nicht einma Regula gegenüber wagte sie die Wahrheit zu gestehen Wie leicht konnte ein Zufall zu früh alles verraten. Bis der Verbrecher so weit wieder hergestellt war, daß die Richter ihn vernehmen konnten, mußte er in ihrem Hause verborgen bleiben. Ein Gedanke schoß ihr plötzlich durch den Kopf. Bot sich hier die Lösung eines anderen Rätsels, wußte der Doktor, wie wertvoll dieses Leben war? - Ehe nicht Hinteregger znrückgekehrt und sie alles mit ihm hatte besprechen können, wollte sie keinen eigenmächtigen Schritt thun und das Geheimnis streng bewahren.
Unter dem Vorwand, sogleich an Stelle des Arztes nach einem Bader schicken zu wollen, verließ sie die Schwester. Aber ihr erster Gang war zu dem Verbrecher hinauf, der noch immer bewußtlos auf seinem Lager ruhte. Sorgsam verschloß sie die Thür und barg de» Schlüssel in ihrer Tasche. Welch' ein Glück, daß niemand sie und den Arzt beobachtet, als sie den todwunden Mörder geborgen, daß keiner im Hause eine Ahnung von seiner Anwesenheit hatte. Sollten der Knecht oder die Magd etwas merken, so ließ sich schon eine Ausrede finden. Man verbarg einfach da droben einen verwundeten Landsmann, den die Rache der Franzosen suchte. Das würde glaublich genug erscheinen und jede lästige Frage abschneiden. Eine gehobene Stimmung beseelte ne; für die nächsten Tage und Wochen hatte ihr Leben wieder einen Zweck gewonnen — noch war es nicht Zeit für das Kloster!-— —-
In den nächsten Tagen ward niemand der so plötzlich gewonnenen Freiheit recht froh. Furcht und Sorge lagen schwer auf allen Gemütern. Die Städter fürchteten das wüste Treiben der Bauern, die in bewaffneten, wilden Banden die engen Gassen durchzogen, sich wichtig machten und sich als Sieger bewirten ließen.