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Neuenbürg, Mittwoch den 22. April 1914.

72. Jahrgang.

Rundschau.

Der Kaiser hielt am Sonntag vormittag in der Kapelle des Achilleion Gottesdienst ab; ihm wohnten u. a. auch die Königin von Griechenland und der Reichskanzler v. Belhmann-Hollweg bei. Wie schon zu erwarten stand, ist noch während des jetzigen Besuches des Reichskanzlers beim Kaiser aus Korfu die Entscheidung belr. des Nachfolgers des Statthalters Grafen Wedel getroffen worden. Sie ist auf den jetzigen preußischen Minister des Innern v. Dallwitz gefallen, der ja bereits seit einiger Zeit als der aussichtsreichste Kandidat für den zur Erledigung gelangenden reichsländischen Statthaller­posten bezeichnet wurde. Herr v. Dallwitz ist ein stramm-konservativer Parteimann, es bleibt abzu­warten, ob es ihm gelingen wird, die seiner harrende Aufgabe zu lösen, die alteisaß- lothringische Bevölkerung mit ihrer Zugehörigkeit zum Reiche und zur deutschen Nation endgültig auszusöhnen. Der bisherige Statt­halter Graf Wedel ist trotz all seines Entgegen­kommens gegenüber den Elsaß Lothringern mit be­sagter Mission zweifellos gescheitert.

Berlin. 21. April. Bekanntlich war gegen 4 im Kölner Polizeiprozeß bloßgestellte Polizeiinsprk- toren ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entfernung aus dem Amte eingeleitet worden. Wie die Kölnische Volkszeitung erfährt, sind nunmehr gegen mehrere Polizeikommissare wegen schwerer dienstlicher Verfehlungen, Annahme von Geschenken von Privatpersonen im Zusammenhang mit ihrer amtlichen Tätigkeit empfindliche Geldstrafen verhängt worden. Gleichzeitig ist die Versetzung im Interesse des Dienstes aller in dieser Sache belasteten Polizei- komünfsare in Aussicht genommen worden.

Berlin. 21. April. Die Eröffnung des Testa­ments des Kardinals Kopp hat ein überraschendes Ergebnis gehabt: Der verstorbene Fürstbischof hat ein Privatvermögen von 7 Millionen hinterlassen. Als Universalerbe ist das Domkapitel eingesetzt. Außerdem erhalten etwa 256 Beamte und Bedienstete des Domkapitels Gratifikationen von je 500 -/A, jeder Choralist des Domchors ZOO die Leiter desselben größere Beträge. Weitere 250 Beamte und Bedienstete des Domkapitels erhalten ebenfalls Legate, deren Gesamtsumme nebst den Grarifikationen eine Million übersteigt.

Mailand, 20. April. Wie ein Privattelegramm derCorriere de la Serra" meldet!, sei der fran­zösische Botschafter in Rom eingetroffen, um Vorbereitungen zu einer Zusammenkunft zwischen dem Deutschen Kaiser und dem Präsidenten Poincaro bei Gelegenheit des bevorstehenden Besuch des Kaisers in Rapallo zu treffen.

In gewissen amerikanischen Kreisen scheint eine merkwürdige Furcht vor Deutschland zu herrschen. So erklärte der frühere Generalstaats­anwalt Bonaparte vor der für Interozeanische Kanäle bestehenden Kommission des Senats zu Washington, im Falle eines Krieges würde die Konsequenz von den Vereinigten Staaten erfordern, den Panamakanal feindlichen Schiffen zu öffnen. Im Falle eines Krieges mit Deutschland müßten die amerikanischen Truppen ruhig zusehen, während deutsche Schiffe den Kanal durchfahren, um San Franziska wegzunehmen. Das Ergebnis der Auf­wendung von 125 000000 Dollar für den Bau des Kanals wäre, daß die amerikanischen Küsten ver­wundbarer sein würden als früher.

Die amerikanisch-mexikanische Krisis weist noch keine wesentliche. Veränderung auf. Die in die mexikanischen Gewässer entsandten Seestrrit- kräfte der Union erfahren noch fortgesetzt Ver­stärkungen; neuerdings wurden 22 amerikanische Torpedobootszerstörer nach dem Hafen von Pensacala am Golf von Mexiko beordert. Die diplomatischen Verhandlungen zwischen dem Washingtoner Kabinett und dem Präsidenten Huerta dauern zwar fort, doch

nehmen sie keinen befriedigenden Verlauf, da Huerta fortwährend Winkelzüge macht. Zum Bürger­kriege in Mexiko besagt eine Meldung aus ^Chihuahua vom 19. April, daß tags zuvor 2000 Mann Bundeslruppen von den Rebellen im Norden > von Monterey geschlagen worden seien. s

Washington. 20. April. Der Vorsitzende der ' Senatskommission für Heeresangelegenheiten hat eine ! Bill eingebracht, durch die dem Präsidenten 50 Millionen Dollar zur Verausgabung zur Ver- ' fügung gestellt werden. Präsident Wilson äußerte ! heule Zeitungskorrespondenten gegenüber: Nehmen ^ Sie nicht den Eindruck mit, daß wir mit Mexiko i Krieg führen wollen. Wir würden unter keinen s Umständen gegen das mexikanische Volk kämpfen, ^ denn wir sind seine Freunde. Ich begeistere mich nicht für den Krieg. Ich wünsche Gerechtigkeit. Die : gegenwärtige Lage wird vielleicht doch nicht zum Kriege führen, falls Huerta jetzt noch dem Gebot der Klugheit folgt. Staatssekretär Bryan hatte heute vormittag mit dem Präsidenten im Weißen Haus eine Besprechung. Wie der Kriegssekcetär bestätigt, wird der Generalstabschef Generalmajor Leonhard Wood im Falle von Feindseligkeiten die amerikanischen Slreitkräfte befehligen. Unter dem Vorsitze des Admirals Dewey trat heute der ge­meinsame Armee- und Marinerat zu einer Sitzung zusammen, um die Pläne für das Zusammenwirken von Armee und Marine zu besprechen, falls dies notwendig werden sollte. Die Generale Wood und WothersPvon nahmen an der Beratung teil. ! Dem Vernehmen nach haben die in der Stadt Mexiko lebenden Amerikaner begonnen die Stadt zu ver­lassen. Hunderte von ihnen traten gestern die Reise ! nach Veracruz an.

Washingt on, 21. April. Das Repräsentanten- s Haus hat eine Entschließung angenommen, die dei Verwendung der bewaffneten Macht im mcxi- ! kanischen Konflikt gutheißt. s

Württemberg.

Stuttgart. 20. April. Der Staatssekretär des Reichsschatzamtes, Kühn, der gestern abend von München hier eingetroffen war, wurde heute mittag vom König in Audienz empfangen. Der König ^ verlieh dem Staatssekretär das Großkreuz des ^ Friedrichsordens. Um 1 Uhr fand Frühstückstafel statt. :

Stuttgart. 21. April. Der Wiederzusammen- ; tritt der Zweiten Kammer ist für den Anfang ' der nächsten Woche in Aussicht genommen. Am . Freitag und Samstag dieser Woche finden Kommissions- s beratungen statt. j

Stuttgart, 20. April. Nach längerem Kranken- j lager ist heute vormittag der Ministerpräsident und Justizminister a. D.. Dr. v. Breitling, im Alter ? von 79 Jahren gestorben. Er war am 4. Januar - 1835 in Gaildorf als Sohn des dortigen Oberamts- i richters geboren. Nach Beendigung seiner Studien und der damals üblichen Reisen ins Ausland trat! er 1860 seine richlerliche Laufbahn beim Oberamts- s gericht in Eßlingen an, kam sodann der Reihe nach ! in richterliche Stellungen nach Cannstatt, Ulm und s Stuttgart, bis er 1879 zum Landgerichtsrat aufrückte. ? 1883 erfolgte seine Berufung ins Justizministerium, ! wo er zunächst Vortragender Rat und 1867 Direktor : wurde. 1889 stieg Breitling auf der Beamten- : laufbahn zum Staatsrat und Mitglied des Geheimen ! Rats empor. Am 18. Oktober 1896 übertrug ihm; der König das Justizministerium, das er bis zum ! 3. Dezember 1906 inne hatte. Am 11. April 1901 ^ wurde er nach dem Rücktritt des Kriegsministers ' Schott von Schottenstein zugleich Ministerpräsident. ! Als Justizminister hat er durch das Einführungs- ^ grsetz zum B.G.B. und als Ministerpräsident durch - die endgültige Durchführung der Steuer-, Venvaltungs- ! und Verfassungsreform seinem Namen einen dauernden Platz in der württembergischen Geschichte gesichert. Bei seinem Scheiden aus dem Amt hat der König

seine langjährige und erfolgreiche Tätigkeit in ganz besonderer Weise anerkannt, indem er ihmals Ver­sicherung seiner vollen Anerkennung und seiner nie­mals versagenden Dankbarkeit" die äußerst seltene Auszeichnung der Verleihung der Brillanten zum Großkceuz des Ordens der Württembergischen Krone zuteil werden ließ. Die segensreiche Wirksamkeit und die hohen Verdienste des Dahingeschiedenen um das Land werden in der württembergischen Geschichte unvergessen bleiben!

Stuttgart, 21. April. Dem mit der Leitung der Einrichtung der Landespolizeizentralftelle be­auftragten bayerischen Regierungsaffeffor Dr. Harster wurde auf die Dauer seiner Beschäftigung im württ. Staatsdienst der Titel und Rang eines württ. Re- gierungsrais verliehen.

Stuttgart, 20. April. Der Alldeutsche Ver­band nahm in einer gestern hier gehaltenen Sitzung seines Gesamtvorstandes nach Referaten von Frhrn. von Wangenheim über innere Kolonisation, Admiral z. D. Breusing-Berlin über die aus­wärtige politische Lage und Generalmajor Keim- Berlin über die wehrpolitische Lage eine Entschließ­ung an, in der es heißt: Der Gesamtoorstand des Alldeutschen Verbandes stellt fest, daß die nach der Beendigung der Balkankriege erwartete Entspannung der auswärtigen politischen Lage in Europa nicht eingetreten ist, daß diese im Gegenteil durch die außerordentlichen Rüstungen Frankreichs und Ruß­lands verschärft worden sei. Der Vorstand zieht den Schluß, daß Frankreich und Rußland den entschei­denden Kampf gegen das deuffche Reich und Oestreich-Ungarn vorbereiten, und daß beide loszu­schlagen beabsichtigen, sobald sie die Gelegenheit für günstig Hallen. Der Vorstand ist weiterhin überzeugt, daß dieser Kampf für eine weile Zukunft, vielleicht für immer über das Schicksal des deutschen Volkes entscheiden wird. Der Vorstand erachtet es für die dringendste Aufgabe der Regierung, jede auch die kleinste Lücke in unserer mi'ttärischen Rüstung un­verzüglich zu schließen, insonderheit ungesäumt für völlige restlose Durchführung der allgemeinen Wehr­pflicht zu sorgen.

Stuttgart. 21. April. General v. Liebert, der Vorsitzende des Reichsverbandes gegen die Sozial­demokratie, hielt gestern abend hier im Europäischen Hof einen Vortrag, in dem er die heutige Macht der sozialdemokralischen Partei als kulturzerstörend darstellte, da sie alle Autorität im Reiche, im Slckäte, in der Schule und in der Familie verdränge. Sogar eine Kapitalmacht sei die Partei geworden, die im Stande war, die größte Bank in Deutschland mit der Zurückziehung ihrer Kapitalien aus den Arbeiter- groschen zu bedrohen, und bei der bereits Städte wie Hildesheim Anleihen aufnebmen. Als politische Macht sei die Sozialdemokratie 111 Köpfe im Reichs­tag stark und zähle mit ihren bedingungslosen An­hängern zusammen 184 Sitze. Der Redner schilderte die Massensuggestion durch die Sozialdemokratie bei dem Mißtrauensvotum gegen den Reichskanzler im Falle Zabern und bedauerte, daß Blätter vom Schlage des Berliner Tagblattes und der Frank­furter Zeitung an der Spitze der bürgerlichen Presse seien. Es sei die Aufgabe des R-ichsverbandes, alle Elemente zum Kampfe gegen die Sozialdemo­kratie zusammenzufassön und namentlich die bürger­lichen Parteien zu gemeinschaftlicher Front nach links zu vereinigen.

Stuttgart, 21. April. In der Buchhandlung derSchwäbischen Tagwacht" wurde heute früh wiederum eine Haussuchung gehalten, um nach dem aus dem Fall Schillings bekannten Buche Geld und Irrenhaus" zu forschen. Die Haus­suchung soll nach den polizeilichen Milteilungen durch eine Anzeige in derSchwäbischen Tagwacht" ver­anlaßt worden sein, in der das Buch zum Kauf an­geboren wurde. Diese Begründung würde den der Redaktion von zuständiger Stelle gemachten Er-