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deutschen Studenten in Prag. Sein Vorschlag, ein Begrüßungstelegramm nach Prag abgehen zu lassen, fand lebhafte Zustimmung. Darauf berichtete Prof. Calmbach-Stuttgart eingehend über „denStand unserer Flotte." Er hob hervor, daß unsere Flottenmacht früher an 3. Stelle gestunden sei, jetzt an 4. Stelle stehe und von 1908 an 5. Stelle stehen werde. Das sei entschieden ein Rückschritt. Dagegen lasse sich nur das eine tun: Beschleunigung des Baues der Flotte. Demgemäß wurde einstimmig die Erklärung angenommen: „daß zum Schutz des deutschen Ueberseehandels und zum ungestörten Gedeihen der deutschen Industrie, zur Förderung der deutschen Kolonien und zum Schutz der Deutschen im Ausland, der beschleunigte Ausbau der deutschen Schlacht- und Auslandsflotte über den Rahmen der Flottenbewilligung von 1900 hinaus unbedingt erforderlich ist." Es wurde weiter beschlossen, diese Entschließung dem Reichskanzler, dem Reichsmarineamt, sowie sämtlichen württ. Reichstogsabgeordneten mitzuteilen. Dann behandelte Prof. Claus-Ulm die Frage „Darf uns Deutschen das Schicksal Marokkos gleichgültig sein?" Es herrsche, meinte er, eine koloniale Verdrossenheit, wohl auch deshalb, weil unsere Kolonien so wenig verheißungsvoll seien. Allein das Beste sei, als wir zu kolonisieren anfingen, schon weggegeben gewesen; überhaupt gebe es keine verheißungsvollen Gebiete mehr, weder am Euphrat, noch in Kleinasien und Südamerika. Nur Marokko komme noch in Betracht, auf das schon einer der besten Kenner Afrikas, G. Rholfs, hingewiesen habe. Deutsche Firmen haben, besonders auf der atlantischen Küste dieses Landes, schon zahlreich festen Fuß gefaßt. Das Klima sei auch für den Europäer günstig; der Getreidebau vielversprechend, auch Baumwolle könne gebaut werden. Marokko sei eine Auswanderungskolonie. Ein wichtiger Schiffahrtsweg führe vorbei, daher sei es auch als Flottenstation hervorragend günstig. Darum dürfe man die Verteilung dieses Landes nicht vornehmen lassen, ohne daß Deutschland gefragt werde. Er trete ein für „ein größeres Deutschland ergänzt nach den Tropen hin". Diese Weltpolitik sei nicht phantastisch. Nach dieser Rede, deren wissenschaftliche Gründlichkeit von eindringendem Studium zeugte, wurde folgende Erklärung einstimmig angenommen: „Die Reichsregtcrung wolle bei der gegenwärtig äußerst günstigen Weltlage die deutschm Handelsinteressen in Marokko in jeder Weise, namentlich auch durch Aussendung oder Unterstützung wissenschaftlicher Forschungsexpeditionen, fördern. Da ferner ein großer Teil unserer Kolonien wenig entwicklungsfähig ist, Marokko dagegen Siedelungs- und Pflanzungskolonte wie auch Kriegs- und Handels- flottenstützpunkt an einem der allerwichtigsten Weltschiffahrtswege werden könnte, so wolle die Reichsregierung die nötigen Schritte tun, daß. falls in Marrokko der Status guo nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, der ganze Westen dieses Landes, wo jetzt schon der deutsche Handel sehr beträchtlich, z. T. überwiegend ist, besetzt wird, und daß ähnlich wie seiner Zeit in China Tsingtau, so hier Walidja und Agadtr besetzt werden, um hierdurch das deutsche Interessengebiet zu bezeichnen." Zum nächsten Punkt der Tagesordnung: „Die nächsten Aufgaben alldeutscher Politik", sprach noch RchtSanwalt Claß-Mainz, worauf der Vorsitzende die Verhandlungen mit dem Wunsch schloß, daß die alldeutschen Gedanken hinousdringen und bei den Volksgenossen Wurzel fassen wögen zum Wähle und zur gedeihlichen Entwicklung unseres Volkes.
Schorndorf, 19. März. Endlich hatten auch wir Gelegenheit, das Häuserhebungsverfahren des bekannten Baumeisters Rückgau er aus Stuttgart kennen zu lernen. Schon seit etwa 14 Tagen befindet sich Rückgauer hier, um das Anwesen des Privatier Idler um 2 Meter zu heben. Es soll dadurch Raum gewonnen werden zur Errichtung einer Bäckerei und Weinwirtschaft. Die Hebungen gingen tadellos vor sich, so daß am letzten Samstag die Arbeitspartie I nach Mergentheim verladen werden konnte, um die Hebung des Chr. Hellerschen Anwesens im Laufe kommender Woche vorzunehmen. Tie 2. Arbeitspartie befindet sich z. Zt. in Gmünd zur Vornahme größerer Reparaturarbetten an der Kaserne; der Ban muß auch teilweise gehoben werden. Anfangs April gehen beide Arbeitspartien nach Ravensburg, um 5 Gebäude zu heben. Hier kann Rückgauer wieder eine Probe seiner Kunst oblegen. Er hat bis jetzt 4 Gebäude gehoben und für diese Saison 43 Abschlüsse teils für Hebungen, teils für Schiebungen gemacht. (In dem Monaten Juli und August wird Rückgauer in Würzburg ein weiteres Riesenwerk zur Ausführung bringen. Es handelt sich um das fürstbischöfliche Huttenschloß, jetzt Rhenanenschloß genannt. Infolge einer Straßenkorrektion und wegen hohen Wasserstands soll das Gebäude, das ein Gesamtgewicht von 2780000 Lx
hat, um 2 Meter gehoben, dann gedreht und einige Meter weit entfernt werden.)
Ulm, 22. März. In der gemeinderätlichen Bauabteilungsfitzung erklärte gestern Oberbürgermeister Wagner zu einer Eingabe der hies. Buch- druckergehilfen, in welcher die Forderung gestellt war, die städtischen Druckarbeiten nur in tariftreuen Druckereien fertigen zu lassen, er werde das Gesuch, wenn es entsprechend vorbereitet sei, den Kollegien vorlegen. Der Umstand, daß die Ministerien zur Sache Stellung genommen haben, sei von keinerlei Einfluß auf die Entschließungen der Gemeinden.
Friedrichshafen, 18. März. Der jedes Jahr hier stattfindende Dienstbotenmarkt war von Bauern und Tiroler-Hütekindern gleich gut besucht. Außer einigen gestrigen Vorboten traf das Gros von 272 Vereinskindern unter Aufsicht von 4 Geistlichen mit Sonderboot „Kaiser Franz Josef" um V-8 Uhr heute ein. Ein kleiner Nachschub dem Vereine nicht zugehöriger Kinder traf mit dem um 9 Uhr fälligen Kursschiff ein. Bei dem großen Dienstbotenmangel sind die Kinder — Buben und Mädchen — sehr anspruchsvoll in ihren Bedingungen. Einige wollen einen gemeinsamen Platz, andere in die Nähe von Stadt und Eisen-' bahn, wieder andere wollen es nicht so streng. Nachdem Bauern und Kinder sich auf der Straße geeinigt hatten, begaben sie sich in das Vereinsstandquartier, in das Gasthaus z. „Rad", um ihren Vertrag durch Geistliche und Bauern schriftlich abzuschlicßen. Die Löhne bewegen sich zwischen 50 und 150 ^., doppelter Kleidung und 5 Haftgeld. Ein Bube mit 15 Jahren, entsprechend stark, bekommt 100 und übliche Kleider. Der Zuspruch rings aus dem württcmbergischen und badischen Hinterland ist trotzdem sehr groß. Ein kleiner Rest konnte nur nach Ravensburg abgehen auf den dortigen Markt.
Pforzheim, 22. März. Ein Graveurlehrling schoß mit einem Terzerol und traf dabei einen 14 Jahre alten Knaben so unglücklich, daß an dessen Aufkommen gezweif lt wird.
Mingelsheim (Amt Bruchsal), 22. März. Am Samstag ging der Sohn Karl deS Jagdaufsehers Weigand mit seinem Vater auf die Jagd. Beim Langenbrücker Walde trennte er sich von seinem Vater und traf bald darauf mit einem früheren Wilderer zusammen, mit dem er in Wortwechsel geriet. Nach kurzem Streite stieß ihm der Strolch dos Messer wiederholt in den Unterleib. Der Verletzte wurde ins akademische Krankenhaus verbracht, wo er töilich verwundet darniederliegt.
München, 19. März. Zwischen Prinzessin Ludwig Ferdinand von Bayern und dem Kaiser fand während seiner Anwesenheit in Vigo ein Depe- schen-Wechsel statt. Die Prinzessin begrüßte von München aus den Kaiser telegraphisch in ihrer spanischen Heimat. Der Kaiser dankte und gab seiner Freude darüber Ausdruck, in König Alfons einen Neffen der Prinzessin kennen gelernt und wohl angetroffen zu haben.
München, 22. März. Gestern früh wurden in einem Nebenbach der Isar die Leichen zweier Mädchen von etwa 10 bis 11 Jahren gefunden. Die Leichen waren gut gekleidet. Sie zeigten keinerlei Verletzungen. Ob ein Verbrechen oder ein Unglücksfall vorliegt, ist noch nicht bekannt. — Gestern Nachmittag machte in seiner Wohnung ein Privat-Dozent an der hiesigen Universität einen Selbstmordversuch, indem er sich einen Schuß in die Schläfe beibrachte. Er wurde in bedenklichem Zustande ins Krankenhaus gebracht.
Frankfurt a. M.. 21. März. (Zum Raubmord auf der Zeil.) Heute morgen wurde von Arbeitern im Güntersburgpark der gesuchte Revolver gefunden. Wie ein Berichterstatter meldet, hat nach Aussage des Stafforst Groß zwei Revolver gekauft. Da Stafforst bei seiner Verhaftung im Besitze eines Revolvers war, gehörte der gefundene Groß. Groß ist am SamStag ebenfalls in den Günthersburgpark gebracht worden, ohne daß er den Ort, wohin er die Waffe nach der Teilung der Beute geworfen hatte, angegeben hätte. Jeden Vormittag werden die beiden Raubmörder kurze Zeit in den Gefängnishof geführt, natürlich nacheinander. Sie sind so stark gefesselt, daß sie nur mit Hilfe deS Gefängniswärters gehen können. Auch in der Zelle sind ihnen die Hände so gebunden, daß es den Raubmördern unmöglich ist, etwa selbst Hand an sich zu legen. Stafforst ist seit einiger Zeit sehr unruhig. Er klagt und schreit, er könne die Fesseln nicht mehr aushalten. — Aus dem Untersuchungsgefängnis auf dem Klapperfeld inmitten der Stadt sind gestern abend neun Untersuchungsgefangene in ihrer Gefängniskleidung ohne Kopfbedeckung entsprungen. Es sind
Verbrecher von hier und aus der Umgebung, Höchst, Sossenheim und Nied. Die Flüchtlinge waren erst in letzter Zeit verhaftet worden. Die meisten sind berüchtigte Einbrecher. In der Zelle befanden sich 12 Verhaftete. 3 blieben zurück. Von den Flüchtlingen sind 4 wieder cingefangen. Es fehlen noch 5. — Bei einem Streit in einer Wirtschaift in der Mainknrstroße wurden einem jungen Taglöhner durch 2 junge Burschen 2 Flaschen mit ätzenden Flüssigkeiten in das Gesicht geworfen. Ein Teil der Flüssigkeit drang ihm in den Mund. Der Schwerverletzte wurde nach dem Heiliggeistspital verbracht. — An der Kasse der Automobil-Ausstellung wurden gestern 5000 Eintrittskarten gelöst. Abends 7'/- Uhr besuchte der König von Württemberg, der am Nachmittag dem Preisreitcn im Hippodrom beigewohnt hatte, die Ausstellung.
Berlin, 21. März. Neuere Berichte über die weiteren Operationen der bei Obikokorero so schwer heimgesuchten Kolonne des Majors von Glasenapp sind bis heute nachmittag hier nicht eingetroffen.
Kattowitz, 21. März. Die russische Stadt Klevan ist, wie die Kattowitzer Zeitung meldet, vollständig abgebrannt. 600 Gebäude, darunter die Synagoge, die katholische Kirche, die Schule, das Rathaus, Post und Gericht wurden ein Räub der Flammen. 5000 Menschen sind obdachlos.
Zürich, 19. März. Das eidgen. Polytechnikum erhielt dieser Tage von Graf Ernesto Turati eine wertvolle Schenkung von 40 000 Schmetterlingen. Es sind 5400 Arten, die meist der lombardischen Ebene und den Südabhängen der Alpen entstammen, vervollständigt durch Tausch und Kauf sonstiger Falterarten des sehr ausgedehnten paläarktischen Faunagebiets, zumal Zentralasiens und Sibiriens.
London, 21. März. Hier sind gerüchtweise Meldungen über ein Treffen amJalu mit günstigem Erfolge der Japaner eingelaufen, aber noch unbestätigt. Dagegen wird die berichtete Gefangennahme von 1800 Japanern entschieden bestritten.
London, 22. März. Nach einer Depesche aus Niutschwang hörte man dort gestern Morgen zwischen 7 und V'8 Uhr 14 Schüsse aus der See, etwa 6 Meilen südwärts vom Hafen. Wegen des Nebels war jedoch nichts zu sehen. Am Tage vorher sollen südlich von Niutschwang zwei Kreuzer und 5 Kanonenboote ^gesehen worden sein.
London, 22. März. Die St. James Gazette will erfahren haben, daß die Lage in Deutsch- Südwestafrika kritisch sei. Nach angeblich zuverlässigen in London eingetroffenen Nachrichten soll eine neue Empörung der Hottentotten im Süden bevorstehen und falls die Bonzelswarts sich den Hereros anschließen, hält man eine allgemeine Empörung für unvermeidlich.
Dublin, 21. März. Die deutsche Barke „Mona" stieß gestern früh 25 Meilen östlich vom „Kish" Leuchtschiff mit der in Swansea beheimateten 1100 Tonnen großen Bark „Lady Cairus" zusammen. Letztere sank rasch. Obgleich „Mona" zur Hilfeleistung bei ihr blieb, wurde von der Mannschaft und den Reifenden nichts mehr gesehen. Später wurde „Mona" uach Dublin eingcschleppt.
London, 22. März. Die Morgenblätter berichten aus Tokio: Einem dortigen Blatte zufolge soll die japanische Division, welche am 19. ds. auf der Halbinsel Liatung gelandet ist, gestern einen Angriff auf die Landbefestigung von Port- Arthur gemacht haben. Gleichzeitig sollen die Kriegsschiffe der Japaner die Stadt und die Befestigungswerke bombardiert haben. Der Angriff hätte am 19. ds. abends 10 Uhr begonnen und bis morgens 6 Uhr gedauert. 16 Schiffe hätten daran teilgenommen. Die Japaner sollen angeblich Port- Arthur besetzt haben. Ein anderes Gefecht und zwar zu Lande soll zwischen Japanern und Russen bei Tchayong-Syoug stattgefunden haben, wobei die Russen 600 Tote und Verwundete batten. Eine Bestätigung beider Nachrichten, welche wenig Glaubwürdigkeit verdienen, ist bisher nicht eingetroffen.
MMschliM. KeMsmeiil Calw.
Am Freitag, 25. März, nachm. 2 Uhr,
findet in der Bierbrauerei „Dreiß" in Calw eine Versammlung statt, wobei Herr Garteninspektor Held von Hohenheim einen Vortrag über Obstbau, insbesondere über Baumverjüngung und Düngung halten wird.
Jedermann ist hiezu freundlichst eingeladen. Calw, 21. März 1904.
Bereinsvorstand: Regierungsrat Voelter.