Zweites
Blatt.
^6 185.
Der «nztäler. s
Reuen bürg, Mittwoch den 19. November 1913.
71. Jahrgang.
Rundschau.
Bestrafter Automalenschwindel. Vor der Strafkammer Koblenz hat sich kürzlich der Reisende einer bayerischen Automatenvertriebsfirma zu verantworten; er sitzt schon seit längerer Zeit in Untersuchungshaft, weil er am 19. Juli 1911 einem Landwirt M. in Tiesenbach in Lothringen einen der betannten Automaten aufschwindelte; er erklärte dem M., der Automat koste nichts, er brauche ihn nur in seinem Geschäfte aufzuhängen. Dann legte er ihm einen gedruckten Zettel vor und ersuchte ihn, den Zettel zu unterschreiben, was M. auch tat. Hierauf gab er dem M. an, der Automat würde jetzt bald eintreffen aber gleichzeitig komme für 40 Mk. Schokolade mit, das Päckchen zu 8 Pfg. berechnet, wofür M. aber, da der Einwurf 10 Pfg. koste, 10 Pfg. erhielte. Als B. sich nun schleunigst entfernt hatte, las M. den Zettel gründlich durch und sah zu seinem größten Erstaunen, daß er insgesamt 16 000 Päckchen bestellt hatte. Der Angeklagte war in der Verhandlung im allgemeinen geständig. Der Staatsanwalt führte aus, daß dieser in letzter Zeit so häufig vorkommenden Betrügerei energisch entgegen getreten werden müsse, und beantragte eine Gefängnisstrafe. Die Strafkammer verurteilte den Angeklagten,.unter Einrechnung einer kürzlich gegen ihn erkannten Strafe nunmehr zu einer Gesamtstrafe von 8 Monaten Gefängnis. — Vor dem Landgericht in Koblenz hat gegenwärtig ein neuer umfangreicher Strafprozeß seinen Anfang genommen, für den eine besondere Strafkammer gebildet ist, die voraussichtlich einen ganzen Monat zu verhandeln haben wird. Auch hierbei handelt es sich um einen Automatenschwindel, und nicht nur die Reisenden, sondern die Inhaber bayerischer Auto- matenvertriebsfirmen werden die Anklagebank „zieren". Die Inhaber der Firmen waren bereits verhaftet und sind nur gegen hohe Sicherheit freigelassen worden. Daraus, daß zu dieser Verhandlung nicht weniger als 368 Zeugen geladen find, läßt sich der Umfang des Schwindels am besten beurteilen. Hoffentlich gelingt es auch, den Herrschaften einmal einen ordentlichen Denkzettel zu verabreichen, damit der weiteren Ausbeulung endlich ein Ziel gesetzt wird.
Paris, 17. Nov. Es wird gemeldet, daß an einer Sendung von Goldbarren, die die otto- manische Bank von Konstantinopel an die oltomanische Bank in Paris gesandt hat, ein Diebstahl begangen worden ist. Die Sendung bestand aus 40 Kisten, von denen jede ungefähr 120000 Francs enthielt,
also insgesamt 5 Millionen. Das Zollamt in Paris > stellte am 13. November fest, daß eine Kiste nicht das angegebene Gewicht besaß, obgleich sie vollkommen geschlossen war. Die erste Untersuchung scheint zu ergeben, daß der Diebstahl im Ausland begangen worden ist, denn der Wagen, der die Kiste enthielt, kam in Paris mit allen Siegeln an, die in Jeumont angebracht worden waren. Die gestohlene Summe beläuft sich auf ungefähr 46 000 türkische Pfund.
Paris, 18. Nov. Eine Löwenjagd nach Leipziger Muster, aber mit weniger traurigem Ausgang spielte sich auf dem Boulevard Rochechouard ab. Dort findet augenblicklich ein Weihnachtsmarkt statt. Aus einer der Jahrmarktsbuden entwich ein junger, aber bereits vollkommen ausgewachsener Löwe, dessen Erscheinen natürlich unter dem Publikum das größte Aufsehen erregte. Das junge Tier hatte aber nicht die geringsten bösartigen Absichten, sondern flüchtete vor der entsetzt schreienden Menschenmenge bestürzt in den nächsten Hausflur, der zufälligerweise der Eingang zu einem Gymnasium war. Hier wartete der Löwe, furchtsam in die Ecke gedrückt, die Ankunft des Bändigers ab, der ihn mit einigen Peitschenhieben schnell in den Käfig brachte.
Die in den Rio-Tinto-Minen durch den Streik der Minenarbeiter hervorgerufene Lage ist fortgesetzt eine kritische. Am Sonntag kam es in einer starkbesuchten Versammlung der Streikenden infolge aufgetretener Meinungsverschiedenheiten mehrfach zu erbitterten Schlägereien. Nach großer Anstrengung seitens der Veranstalter der Versammlung gelang es endlich, die Einigkeit innerhalb der Arbeiteipartei wieder herzuftellen. Es wurde beschlossen, den Streik fortzusetzen. Nur ein geringer Teil der Ausständigen war für eine Beilegung der Lohnkämpse. Man befürchtet, daß die Arbeiter sich zu neuen Schlägereien werden Hinreißen lassen. Die Regierung hat aus diesem Anlaß Truppen nach Huelva zur Aufrechterhaltung der Ordnung entsandt.
Württemberg.
Leonberg, 14. Nov. Dieser Tage fand die Eröffnung der Landw. Winlerschule statt, der die Schulkommrssion und zahlreiche Väter der Schüler anwohnten. Die Winlerschule besuchen diesmal im Ganzen 79 Schüler, von denen 52 auf den Unteren Kurs und 27 auf den Oberen Kurs kommen. Wenn es Heuer einige Schüler weniger sind als voriges Jahr, so rührt das daher, daß künftig weniger Einjährige ausgenommen werden
sollen als seither. Auf die zum Geschäftskreis der landw. Schule Leonberg gehörigen Oberämter verteilen sich die Schüler wie folgt: Böblingen 7, Calw 7, Cannstatt 1, Leonberg 28, Ludwigsburg 10, Nagold 2, Neuenbürg 2, Stuttgart Stadt 2, Stuttgart Amt 6. Waiblingen 5. Von außerhalb des Geschäftskreises kommen 8 Schüler, darunter 3 vom Oberamt Freudenstadt und 1 von Bayern. — Die Namen der Schüler, die Heuer die Schule besuchen, sind aus dem Oberamtsbezirk Neuenbürg: Jakob Stoll, Maisenbach; Karl Stoll, Jgelsloch.
Kornwestheim, 17. Nov. Beim Heizen der neuen Bäckerei in dem Neubau des Bäckermeisters Schraff platzten die Dampfröhren. Glücklicherweise wurde von den Arbeitern keiner verletzt. Die Explosion war so stark, daß die Türen und die Schaufenster zertrümmert wurden.
Korntal, 15. Novbr. Als gestern abend ein Personenzug von Weilderstadt in die Station Korntal eingelaufen war, entstand plötzlich ein furchtbarer Tumult. Einer Feuersäule gleich, stürzte ein junger Mann aus einem Wagen. Der 22 Jahre alte Maler Robert Mohr aus Simezheim mußte sich, da die Wagenausgänge besetzt waren, in brennendem Zustande zum Fenster Hinausstürzen. Obgleich verschiedene Personen ihm beim Löschen der Flammen auf dem Boden sofort behilflich waren, liegt er doch im Kranken aus an seinen Brandwunden schwer darnieder. Zwei weitere Personen haben leichtere Brandwunden erlitten. Das Unglück entstand dadurch, daß vorher eine Benzinflasche undicht geworden und ausgelaufen war. Das Benzin entzündete sich, als ein Mitreisender ein brennendes Zündholz zu Boden warf.
(Landeöproduktenbörse Stuttgart). Bericht vom 17. Nov. Auf dem Getreidemarkte hat in den letzten Lagen eine wesentlich festere Stimmung Platz gegriffen. Sie nahm ihren Ausgang von Argentinien, wo jetzt die Ernte vor der Türe steht und von wo anhaltend ungünstige Ernteberichte gemeldet werden. Das Geschäft war lebhafter. Die Mühlen haben wieder größere Posten Mehl abgesetzt und entsprechende Deckungen in Wetzen vorgenommen. Der starke Regen war von guter Wirkung für die Felder, die jetzt die nötige Winterfrüchte erhallen haben, ferner für die Schiffahrt, die schon allenthalben über Kleinwasser klagte. An der heutigen Börse war bessere Kauslust zu bemerken. Es kamen Abschlüsse sowohl in einheimischer Ware, als auch in guten russischen und amerikanischen Weizen zu Stande. — Mehlst reise per lov Kilogramm inkl. Sack Mehl Nr. 0: 32.75 «« bts 33.75 Nr. 1: 31.75 bis 32.25 Nr. 2: 80.75 „« bis 31.25 Nr. 3: 29.25 bis 30.25 Nr. 4: 25.75 bis 26.75 Kleie 8.50 bis 9.— (ohne Sack netto Kasse).
Urkraft der Kieke.
Roman von Karl Engelhardt.
35s (Nachdruck verboten.)
Er antwortete nicht, sondern zuckte nur die Schultern.
„Weil Sie nicht wollen," ereiferte sie sich.
„O, — —" fiel er protestierend ein. «Das ist nicht wahr."
«Und doch ist es wahr!"
Da wandte er sich plötzlich und zeigte mit der Hand nach dem Meere.
„Wissen Sie," sagte er ernst, „daß ich schon hier gestanden — Ihnen kann ich es ja sagen — und erwogen habe, ob es nicht besser für mich wäre, mich da hineinzustürzen?"
Sie fuhr erschreckend zusammen.
«Das ist doch nicht Ihr Ernst?"
„Glauben Sie, daß ich mit solchen Sachen scherze?"
„Ja aber — ich verstehe Sie nicht. Wollen Sie doch nur glücklich sein und ich bin überzeugt. Sie sind es."
„Wenn es mit dem Willen allein getan wäre sagte er achselzuckend.
„Aber sehen Sie, Meister Erich. Lassen Sie doch die Vergangenheit vergangen sein! Eine grausame Enttäuschung braucht Ihnen doch nicht das ganze Leben zu vergiften."
„Es ist nicht die Enttäuschung allein, sondern all das, was mir an frohem, idealem Gehalt verloren
ging. Den ich nutzlos an jene verschwendete. Das — das will sich nicht wieder erneuern."
„Ja, aber öffnen Sie doch nur Ihre Augen. Sie kennen doch Ihre Frau. Sie sehen, daß sie Sie liebt. Und welch unendlicher Schatz in ihr verborgen liegt."
„Das ist es ja. All das müßte ich sehen, gewiß. Und in ruhigen Stunden sehe ich das auch. Aber dann kommen wieder andere Gedanken, trübe und aufrührerische. Und die nehmen mir mit einemmale wieder
alles Gefühl für diese Liebe und-soll ich es
Ihnen gestehen?-Wenn Sie keinem Menschen
je ein Wort verlauten lassen —
„Aber wie können Sie denken! Mein Wort darauf."
„Ich habe gesagt, jene Tage nehmen mir das Gefühl für diese Liebe — ich will mich genauer aus- drücken — für diese Art Liebe."
Mit großen Augen starrte sie ihn an und blieb stehen.
„Ja, für welche Art Liebe denn?" fragte sie ganz bestürzt.
„Für diese ruhige, abgeklärte Zärtlichkeit, die im steten Gleichschritt der Ehe ihren Weg geht. Sicher, ohne Schwanken und — ohne Leidenschaft."
„Ta hört sich doch nun alles auf!" ries Karla voller Zorn. „Wenn es einen undankbareren Menschen gibt als Sie, dann — dann — nein wirklich, das ist stark. Sie beklagen sich auch noch über die tiefe, alles schweigsam duldende, engelhafte Zärtlichkeit Majas? Sie verdienen eine solche Liebe gar nicht. Wahrhaftig! Und ich will Ihnen jetzt auch den Grund sagen für Ihre Unzufriedenheit. Wollen Sie ihn hören?"
„Ich bin sogar neugierig."
Da begegnete ihnen ein Trupp Kurgäste aus dem Seebade Kranz, die einen Ausflug gemacht hatten. Es waren Herren und Damen in Hellen Strandtoiletten, und alle schienen in der heitersten Laune.
Man lachte hell und laut durcheinander. Die Augen der Damen blitzten. Als sie nahe gekommen waren, betrachteten sie neugierig das ernste Paar, das ihnen entgegen schritt.
Da riß plötzlich einer der Herren erstaunt seine Augen auf.
Dann fuhr er nach seinem Strohhute und grüßte Karla respektvoll.
Auch sie war überrascht, während sie ihm dankend zuuickte.
Kaum war die Gesellschaft vorüber, so fragte Throndhjem etwas indiskret:
„Sie kennen.den Herrn, Fräulein Karla?"
«Gewiß. Ich bin erstaunt, ihn hier zu sehen. Ich hatte bis heute keine Ahnung davon. Er ist Gerichtsassessor und verkehrte in derselben Familie, bei der ich ihren Herrn Schwager kennen lernte."
„So? Der kennt ihn also auch? Das ist gut. Da findet er hier ja gleich mehrere Bekannte."
Karla sah rasch zu ihm auf. Dann warf sie nachlässig hin:
„Ach so, er wollte kommen. Das muß ja wohl jetzt bald geschehen?"