Angesichts der vielerlei unrichtigen Anschauungen über den am 15. April ds. Js. in meinem Betrieb ausgebrochenen Streik und der durch die kürzlichen bedauerlichen Vorgänge verursachten Beunruhigung der Einwohnerschaft Neuenbürgs sehe ich mich veranlaßt, nachstehende Aufklärungen zu veröffentlichen:
Während viele Jahre hindurch ein gutes Verhältnis zwischen mir und meiner Arbeiterschaft bestanden hatte und der Friede nicht gestört wurde, begann dies anders zu werden, nachdem sich im August 1912 der größte Teil meiner Arbeiter dem Deutschen Metallarbeiterverband angeschlossen hatte. Die unmittelbare Folge davon war die Aufstellung von Lohnforderungen; außerdem sollte ein Vertrag mit dem Deutschen Metallarbeiterverband abgeschlossen werden. Nach einigen Verhandlungen kam dieser Vertrag am 16. Oktober 1912 zu Stande, wobei ich meinen Arbeitern durch Erhöhung verschiedener Akkordlöhne und Gewährung einer 3prozentigen Lohnzulage unter Vorbehalt der Streichung bei schlechtem Geschäftsgang an die gesamte Arbeiterschaft weitmöglichst entgegenkam.
Der durch diesen Vertrag geschaffene Friede sollte jedoch nicht von langer Dauer sein. Am 12. April ds. Js. war ich genötigt, den Schleifer Wilhelm Gauß zu entlassen. Dieser hat sich nachgewiesenermaßen schon vor einigen Jahren Unregelmäßigkeiten gegen meine Firma zu Schulden kommen lassen, die jedoch erst anläßlich eines Vorganges im Frühjahr dieses Jahres zu meiner Kenntnis kamen, so daß eine strafrechtliche Verfolgung wegen Verjährung ausgeschlossen war. Der erwähnte Vorgang betrifft den Versuch des Gauß, einen meiner Bureauangestellten zu schweren Pflichtwidrigkeiten zum Schaden meines Geschäftes zu verleiten und veranlaßte mich, dem Gauß zu kündigen, was ohne Zweifel von jedem andern Arbeitgeber ebenfalls geschehen Wäre. Daraufhin erschienen einige Arbeiter bei mir und verlangten die Zurücknahme der Entlassung des Gauß. Da ich diese Forderung ablehnte» suchte der Arbeiterausschuß am 15. April ds. Js. für die gesamte Arbeiterschaft um die Erlaubnis nach, einer für nachmittags 1 Uhr, also während der Arbeitszeit, anberaumten Versammlung beiwohnen zu dürfen. Ich lehnte mit Rücksicht auf den Betrieb auch dieses Ansinnen ab und wies darauf hin, daß die Versammlung ebensogut abends ^6 Uhr nach Arbeitsschluß abgehalten werden könne. Die Versammlung fand aber trotzdem am Nachmittag statt und die gesamte Arbeiterschaft erschien, mit wenigen Ausnahmen, nicht zur Arbeit ohne Rücksicht auf die mir durch ein derartiges Vorgehen erwachsenden Betriebsunkosten. Im Laufe des Nachmittags erklärte mir eine aus dem Schleifer Johannes Saile und dem Former Johannes Wiedmann bestehende Abordnung, daß sämtliche Schleifer sofort in den Ausstand treten würden, wenn ich den Gauß nicht wiedereinstelle, worauf ich erwiderte, daß die Entlassung zu Recht bestehe, sofern Gauß sich nicht rechtfertige, was aber nicht der Fall war. Am andern Tag haben sämtliche Schleifer, etwa 25 Mann, oh«e Einhaltung der Kündigungsfrist die Arbeit niedergelegt und somit de« Vertrag vom 1«. November 1S12 gebrochen, wodurch derselbe auch für mich hinfällig wurde. Durch die Arbeitniederlegung der Schleifer wurden auch die übrigen Abteilungen in Mitleidenschaft gezogen und es ergab sich für mich die Notwendigkeit, die von der Schleiferei abhängigen Hilfsarbeiter in anderen Abteilungen zu verwenden. Vielfach wurde jedoch die Uebernahme einer andern Arbeit auf Veranlassung des Metall« arbeiter-Verbavdes verweigert. Da angesichts dieses Umstandes die Aufrechterhaltung des Betriebes in den anderen Abteilungen nicht mehr möglich war, gab ich etwa 4 Tage nach Beginn des Ausstandes der Schleifer durch Anschlag bekannt, daß allen denjenigen Arbeitern, welche am Nachmittag des 15. April vertragswidrig nicht zur Arbeit erschienen waren, auf den nächsten zulässigen Termin gekündigt werde, falls die Schleifer nicht bis Montag den 21. April die Arbeit wieder aufgenommen hätten. Dies geschah nicht, und so war ich gezwungen, etwa 60 Arbeitern auf den 10. Mai zu kündigen.
Daß die Entlassung des Gauß durchaus berechtigt war, bedarf wohl' ebensowenig eines weiteren Beweises wie die Unmöglichkeit der Wiedereinstellung. Wenn auch Gauß die Vorkommnisse in Abrede zieht, so habe ich angesichts der einwandfreien Zeugenaussagen keine Veranlassung zu irgend welchem Zweifel an der Schuld desselben und mußte es ihm überlassen, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, um sich von den gegen ihn erhobenen Beschuldigungen rein zu waschen, was aber bezeichnender Weise nicht erfolgte. Die Handlungsweise des Gauß wurde, anläßlich eines von Stadtschultheiß Stirn in freundlicher Weise unternommenen Vermittlungsversuches von dem Arbeiter Reinschmidt sogar dahin ausgelegt, daß es für denselben eine Pflicht gewesen sei, von dem betreffenden Bureauangestellten die diesbezüglichen Anhaltspunkte für den Metallarbeiterverband auszukundschaften. Diese Aeußerung, die nebenbei ein eigentümliches Licht auf das Pflichtgefühl der im Deut« scheu Metallarbeiterverband organisierte« Arbeiter ihrem Arbeitgeber gegenüber wirft, genügt allein, um die Entlassung des Gantz zu rechtfertigen. Hr. Stadtschultheiß Stirn fragte bei der eben erwähnten Verhandlung jeden einzelnen der 8 anwesenden Arbeiter:
Ernst Blaich, Ernst Drollinger, G. Franz, Friedr. Grumbach, Friedr. Reinschmidt, Johannes Saile, Johannes Wiedmann rc., ob er außer des Falles Gauß irgend welche Beschwerden gegen die Firma habe, was aber durchweg verneint wurde.
Also lediglich das durchaus unberechtigte Verlangen des Metallarbeiterverbandes nach Wiedereinstellung des Gauß verhinderte eine Einigung, ein Beweis, daß die Angelegenheit nunmehr zu einer Machtfrage gestaltet werden sollte.
Um dies zu verschleiern, hat der Metallarbeiter-Verband in der Presse und in Flugblättern die Behauptung aufgestellt, die Lohn- und Arbeitsverhältnisse in der Bttgeleisenfabrik Neuenbürg zählen zu den allerschlechtesten, die in Deutschland aufzuweisen seien; sie seien ferner so tief trauriger Natur, daß es eine Wohltat bedeute, hier einmal den Hebel anzusetzen. Diesen Behauptungen stelle ich die folgenden in der Zeit vom 1. Januar bis t5. April 1913 erzielten durchschnittlichen Tagesverdienste der von mir eingelernten Schleifer bei Akkordarbeit gegenüber:
Wilhelm Gauß . Johannes Saile . Ernst Drollinger . Karl Reinschmidt. Friedrich Herrmann Wilhelm Bürkle . Friedrich Grumbach Ernst Blaich . . Johann Waidelich Gustav König. . Ed. Hattermann I Ed. Hattermann II Jakob Karcher Karl Blaich . Wilhelm Dürr Wilhelm Kraut Wilhelm Proß
./L 6.80 „ 6.51 „ 6.45 „ 6.42 „ 5.87 „ 5.84 „ 5.65 „ 5.38 „ 4.89 „ 4.53 „ 4.05 „ 3.98 „ 3.83 „ 3.63 „ 3.59 „ 3.54 „ 3.11
früherer Beruf
Sensenschmied
Metalldrücker
Steinhauer
Kübler
Heizer
Säger
Sensenschmied
Taglöhner
Hilfsarbeiter
Landwirt
Sensenschmied
Säger
Hilfsarbeiter
Zigarrenmacher
In meinem Betrieb eingelernt seit:
13. Februar 1905 9. Oktober 1902 20. Oktober 1907 2. Oktober 1907
2. Mai 1912
10. März 1909
3. Januar 1908 27. August 1902 15. Februar 1910 17. Oktober 1912
11. Juli 1912 5. März 1912
10. August 1909 2. Januar 1913
11. Januar 1910 13. Januar 1913 25. März 1913
Die Verdienste in den andern Abteilungen sind je nach Leistung ebenso und ich bin bereit, diese Angaben amtlich in meinen Büchern nachprüfen zu lassen.
Nachdem alle Bemühungen, mit den streikenden Arbeitern eine Einigung zu erzielen, an dem hartnäckigen Widerstand des Metallarbeiter-Verbandes scheiterten, mußte ich im Interesse des Unternehmens die freien Arbeitsplätze neu besetzen, was mir auch vollständig gelang, fo daß der Streik für wich erledigt ist. Mit Befriedigung stelle ich fest, daß etwa 30 Arbeiter und Arbeiterinnen während der ganzen Dauer des Streiks unter den schwierigsten Verhältnissen treu und aufopfernd zu der Firma gehalten haben und daß eine kleine Anzahl der früheren Arbeiter die Arbeit wieder ausgenommen hat.
Das Vorgehen des Metallarbeiter-Verbandes hat mich zu der Ueberzeug- ung gebracht, daß ein einzelner Betrieb den Machtgelüsten der sogen, „freien" Gewerkschaften nicht gewachsen ist und ich habe mich deshalb zum Eintritt in den Verband Württ. Metallindnstrieller entschlossen, dessen Vorschriften künftig für die Arbeiterverhältnisse in meinem Betrieb maßgebend sein werden.
Mit Rücksicht darauf, daß nicht zuletzt auch die Stadtgemeinde ein berechtigtes Interesse daran hat, daß mein Betrieb, anf dessen Anwesen lange Jahre hindurch keine Industrie Fuß fasse« konnte, leistungs- und konkurrenzfähig bleibt, bedaure ich den mir aufgezwungenen Kampf und insbesondere die fortgesetzten Belästigungen meiner jetzigen Arbeiter durch die früheren Arbeiter und deren Genossen, sowie die daraus entstandenen Vorfälle der letzten Zeit aufs Tiefste und überlasse es der Oeffentlichkeit, sich aus meinen Ausführungen ein Urteil darüber zu bilden, ob ich an diesen bedauerlichen Verhältnissen die Schuld trage, oder der Gewerkschaftsführer, der während des Streiks den verhetzten Arbeitern zurief:
.Tate« will ich sehen, Opfer müßt Ihr bringen; eine Gefängnisstrafe von 2—3 Wochen mutz Euch eine Ehrenstrafe in einem Streik sei«; damit soll aber «icht gesagt sei«, daß Ihr dem Staatsanwalt mit offenen Armen in die Hände laufen sollt."
Neuenbürg, 15. November 1913.
Württemberg
Friedr. Waldbauer
Mgeleisensabrik u Eisengießerei.
Druck und Verlag der tL. Mceh'ichen Äuchüruckerei des Enztiilers (Inhaber G. Conradi) in Neuenbürg,