Zweiiss

Blatt.

Der LnztSler.

Zweites

Blatt.

173.

Neuenbürg, Mittwoch reu 29. Oktober 1913.

71. Jahrgang.

RrmSschau.

Dresden, 28. Okt. Der Rat der Stadt hat einen weiteren Beitrag von 30000 Mark zur Be­kämpfung der Säuglingssterblichkeit bewilligt.

Leipzig. 24. Okt. Die Löwenjagd wird noch ein gerichtliches Nachspiel haben. Ver­schiedene Privatpersonen, denen die ausgebrochenen Löwen in ihren Wohnungen und Schaufenstern Schaden angerichtet haben, werden Schadenersatz­ansprüche gegen den Besitzer des Zirkus Barnum gellend machen. Dieser dagegen behauptet, daß der Schaden nicht angerichtet worden wäre, wenn Polizei und Publikum sich ruhiger verhalten hätten. In einer länger» Zuschrift an ein Leipziger Blatt stellt die Direktion des Zirkus den Sachverhalt eingehend dar. Sie beklagt sich vor allem, daß die Polizei in so weitgehendem Maße vom Revolver Gebrauch gemacht habe. Man habe den Löwen keine Gelegen­heit gegeben, sich ein Versteck zu suchen, sondern eine wilde Jagd auf sie eröffnet. Einer der Löwen sei in den Armen der Frau des Zirkusdirektors von mehreren Schutzleuten erschossenworden. Nur durch ein Wunder sei die Frau selbst nicht getötet worden. Ein anderer Löwe habe mehr als 160 Schüsse erhalten, die vollständig unnötig gewesen seien, um das Tier zu töten.

Heidelberg, 25. Okt. Auch Heidelberg hat ein Löwenabenteuer zu verzeichnen, wenn zum Glück auch ein harmloseres als das Leipziger. Auf der Messe gibt zurzeit eine Menagerie ihre Vorstell­ungen. Als schauerliches Attraktionsstück wirdDer Todeskampf im Löwenzwinger" gegeben", in dem drei ausgewachsene Löwenaktiv" auftreten. Gestern abend gegen 10 Uhr gelang es nun den Tieren, als während der Vorstellung ein Käfigwechsel stalt- fand, ins Freie zu entweichen. Sie suchten in der Nähe des Botanischen Gartens in der Richtung gegen die Stadt zu entkommen, wurden aber noch rechtzeitig von den Wärtern gestellt und von diesen mit großer Bravour wieder in ihre Käfige zurück­gebracht. Das Publikum war im ersten Schrecken entsetzt geflohen, fand sich aber, als die Harmlosig­keit der Löwenexkursion sich herausstellte, wieder in der Menagerie ein, worauf die Vorstellung unge­hindert ihren Fortgang nahm.

Schlechte Weinernte am Rhein und Mosel. Nach neueren Feststellungen hat, nachdem die Traubenlese überall beendet ist, der diesjährige Weinertrag für Rhein- und Moselwinzer tatsächlich enttäuscht. Weniger in den geringeren als gerade

Urkraft der Kieke.

Roman von Karl Engelhardt.

18l (Nachdruck verboten.)

Sie wollen wirklich nicht bleiben?" fragte Walter in überredendem Tone.

Nein. Ich muß gehen."

Aber Sie kommen doch noch vor der Hochzeit wieder?"

Ich muß leider wieder danken. In den letzten Tagen vor einer Hochzeit gibt es so viel zu tun, daß man nur störend wirken kann. Und übrigens möchte ich von hier auch einige landschaftliche Reize mit mir nehmen."

Aber da darf ich Sie doch begleiten?" be- harrte er.

Um Himmelswillen! Ich werde mir gleich den Kritiker mitnehmen! Nein, das wollen wir lieber lassen."

Er machte ein enttäuschtes Gesicht. Sie kam aber seinen Protesten zuvor, indem sie sich verabschiedete.

Auch Throndhjem ging.Habe ich Sie her­gebracht, muß ich Sie auch wieder wegbringen," sagte er scherzend. Er schnitt damit jeden Einwand von ihr ab.

Kaum waren sie auf der Straße, so fing sie an.

Hören Sie mal, lieber Meister, droben konnte ich Ihnen nicht die Leviten lesen. Aber alles, was recht ist. Lassen Ihr reizendes Bräutchen im Stich, um mich widerhaariges Murmeltier nach Hause zu begleiten. Das ist doch ein bischen stark."

in den besseren Lagen ist der Ertrag sehr minimal. In einzelnen Distrikten wurde überhaupt keine Traubenlese veranstaltet. In Mayschoß wird der dortige Winzerverein, der im Vorjahre 300 Fuder erntete, in diesem Jahr nur ein Zehntel des vor­jährigen Ertrages bekommen.

Paris, 25. Okt. Große Aufregung herrschte gestern unter der Bevölkerung von Lille. Einige Passanten hatten in dem über der Stadt lagernden dichten Nebel in geringer Höhe merkwürdige Licht­reflexe bemerkt und mit Windeseile verbreitete sich in der Stadt das Gerücht, daß ein Zeppelin- Luftschiff Lille langsam überfliege. In allen Straßen sammelten sich große Menschenmaffen an, die sehr aufgeregt waren und nur mit Mühe und Not von der Polizei in Schranken gehalten werden konnten. Schließlich stellte sich heraus, daß die Lichtreflexe von großen Scheinwerfern auf dem Turm der Neuen Börse in Lille herrührten, mit denen bei dem nebligen Wetter Versuche angeftellt wurden.

Paris, 27. Oklbr. Ein deutscher Juwelier namens Scheffel ist hier einem unbekannten Be­trüger zum Opfer gefallen. Der Hochstapler hatte offenbar auf dem Koffer den Namen Scheffels ge­lesen. Es gelang ihm dadurch, sich das Vertrauen Scheffels zu erschwindeln. Scheffel gab den Namen des Hotels an, in dem er abgestiegen war. Der Unbekannte entschuldigte sich für eine kurze Zeit, fuhr nach dem Hotel Scheffels und ließ sich das gesamte Gepäck des Juweliers übergeben. Scheffel ist nicht nur um seine gesamlen Sachen, sondern auch um seine Diamanten im Werte von 30 000 geschädigt.

Paris, 27. Okt. Im Departement der Hoch- Pyrenäen sind durch Wolkenbrüche große Ueber- schwemmungen und Verheerungen angerichtet worden. In Lourdes, wo der Fluß Gave-de-Pan plötzlich um sechs Meter stieg, steht das ganze Ufer­gelände unter Wasser.

San Franzisko, 27. Oktbr. Am Samstag wurde in der Stadt ein starker Erdstoß verspürt. Glücklicherweise richtete er keinen Schaden an. Der Bevölkerung bemächtigte sich eine Viertelstunde lang große Aufregung in Erinnerung an das furchtbare Erdbeben-Unglück vor einigen Jahren.

London, 28. Okt. Der in Liverpool ein­getroffene, aus Canada kommende Riesendampfer Teutonic" von der White Star-Lmie ist durch die Geistesgegenwart eines Offiziers dem Schicksal entgangen, das im April 1912 sein Schwesterschlff Titanic" bei Cap Race vernichtet hat. Der Kapitän berichtet demBerliner Lokalanzeiger" zufolge, daß

Lassen Sie mich doch, wenn es mir Vergnüge» macht."

Es soll Ihnen aber kein Vergnügen machen!" fuhr sie auf,Sie Barbar!"

Er lächelte nur ob ihres Ingrimms. Plötzlich wurde er ernst.

Wissen Sie was? Ich bin absichtlich mit Ihnen gegangen."

Was soll das beißen?"

Das soll heißen, daß es mir mit Ihnen zu­sammen leichter zumute ist, als wenn ich bei meinen Schwiegereltern bin."

Sie blieb mit einem Ruck stehen und starrte ihn mit offnem Munde an. Dann brach es los.

Na da soll aber doch gleich ein Donner­wetter! Sind Sie denn verrückt, Meister Erich? Solche Reden, acht Tage vor der Hochzeit?"

Soll ich Ihnen etwas sagen?" unterbrach er ihre Entrüstung.Ich fürchte mich ein klein wenig vor der Hochzeit."

Ja, aber was haben Sie denn nur? Wer zwingt Sie denn zur Heirat? Ich dächte. Sie könnten doch vorsichtig geworden sein. Und nun bei diesem Mädchen! Sie könnten sich glücklich preisen, sie zu be­kommen. Denn soviel habe ich sie schon kennen ge­lernt. Und wie sie an Ihnen hängt! Jeder Blick von ihr verrät es. Und Sie? Heiraten Sie sie denn nicht aus Liebe?"

Er sah gerade aus.

Ich weiß selbst nicht, wie ich mein Gefühl fiir sie nennen soll. Ist es Liebe? Ist es keine? Sie

er 170 Seemeilen östlich von Beele Jsle mit knapper Not dem Zusammenstoß mit einem Eisberg entgangen ist. Der Offizier am Bug warnte den Kapitän noch rechtzeitig. Die Maschinen wurden rückwärts gestellt und der Dampfer glitt wenige Meter weit an einem Eisberg vorbei, der hoch über sein Deck hinaufragte.

Innsbruck, 25. Okt. Heute nacht ist das große HotelScholastika" am Achensee voll­ständig niedergebrannt. Die gesamte Einrichtung ist verbrannt. Der Schaden beträgt etwa Million Kronen.

Der Militärbefreiungsskandal in Oesterreich.

Das öffentliche Interesse in Oesterreich ist zurzeit einem unerhörten Vorgang gewidmet, dem aufgedeckien Militärbefreiungsskandal. Transatlantische Verkehrs- gesellschaften, in erster Linie dieCanadian-Pacific- Eisenbahngesellschaft", werden beschuldigt, in Gemein­schaft mit noch anderen Gesellschaften, hauptlächlich mit derAustria-Amerika-Linie" förmlich systematisch zahlreiche Militärpflichtige Oesterreich-Ungarns schon seit Jahren zur Auswanderung verleitet und sie hiermit dauernd der Ableistung der Wehr­pflicht für ihr Vaterland entzogen zu haben. Welchen Umfang dieses Treiben erlangt hatte, geht aus einer vom österreichischen Landesverleidigungsminister Ritter v. Georgi gegebenen Ueberstcht hervor. Ihr zufolge betrug' die Zahl der in den Jahren 19011911 aus Oesterreich ausgewanderten Gestellungspflichtigen jährlich 90 000 bis 118 000 Mann; in Ungarn wandelten sogar in einem einzigen Jahr 125 000 Mann solcher junger Leute aus. Mithin stellt sich die Zahl der abgängigen Militärpflichtigen bei den beiden Reichshälsten der habsburgffchen Monarchie zusammen auf etwa 200 000 Mann jährlich, was also eine empfindliche Schädigung der Wehrmacht Oesterreich-Ungarns darstellt. Es war darum die höchste Zeit, daß dieser Skandal aufgedeckt wurde, der bei noch längerer Dauer schließlich nicht nur eine bedenkliche militärische Schwächung der Donaumonar­chie, sondern zweifellos auch eine mehr oder weniger tiefgreifende Einbuße für sie in bezug auf ihre polnische Machtstellung nach sich gezogen hätte. Deshalb können auch die Verbündeten Oesterreichs- Ungarns, Deutschland und Italien nur lebhafte Genugtuung darüber empfinden, daß es jetzt gelungen ist, dies schändliche Treiben jenseits der schwarzgelben Grenzpfähle endlich zu enthüllen und hiermit einen geheimen Krebsschaden am österreichisch-ungarischen Staatskörper bloszulegen.

steht meinem Herzen nah. Das fühle ich. Und doch und doch!"

Sie blieb in ihrer impulsiven Art wieder einen Augenblick stehen.

Jetzt weiß ich, was los ist. Ich bin überzeugt. Sie lieben Fräulein Maja. Aber die Schatten der Vergangenheit liegen noch über Ihnen. Aber wenn Ihnen erst in einer neuen, einer wirklichen Ehe volles Glück erblüht, dann werden diese Schatten weichen wie die Nacht vor der Morgensonne. Seien Sie ver­sichert. Und schauen Sie nicht so trübselig in die Welt. Schämen Sie sich!" schalt sie jetzt schon wieder munter.

Hoffentlich wird es so, wie Sie sich's denken." Aber es sprach keine rechte Zuversicht aus seinen Worten.

Ich sehe schon, manchmal muß das Ei klüger sein als die Henne. Darf ich gelegentlich bei Ihnen vorsprechen, wenn Sie verheiratet sind, und Ihnen den Kopf zurecht sclzen, falls es nötig ist?"

Versuchen Sie es nur immerhin! Das ver­anlaßt Sie denn doch wenigstens, bisweilen bei uns vorzusprechen."

Apropos werden Sie hier wohnen?"

Nein. Ich will mit jener ersten nicht mehr zusammen in einer Stadt sein, wenn ich wieder ver­heiratet bin. Ich habe in nächster Nähe des See­bades Kranz an der kurischen Nehrung ein Hänschen gemietet"

So da droben?" warf sie dazwischen.