Aus StaSt, Bez irk u nS Amgebung.
Die Jahrhundertfeier der Völkerschlacht bei Leipzig.
Neuenbürg, 19. Oktober 1913.
II.
Am Abend des 18. Oktober, des eigentlichen Festtages der Völkerschlacht bei Leipzig, fand hier im Gasthof zum „Bären" ein Festbankett statt, das einen durchaus würdigen Verlauf nahm. Stadtschultheiß Stirn dankte in seiner Begrüßungsansprache besonders unseren beiden Männergesangvereinen, dem Liederkranz und dem Turnergesangverein, für ihre Teilnahme an der heutigen Feier. Unsere Veteranen vom Kriegerverein hatten sich fast vollzählig eingefunden. Nach dem allgemeinen Gesang von „Es braust ein Ruf wie Donnerhall" erschienen auf der Bühne des Saals mehrere Schüler und Schülerinnen der Oberklasfe der Realschule; sie trugen in freudig ansprechender Weise Gedichte aus der Zeit der Befreiungskriege vor. was allseitig mit lebhaftem Beifall und Dank ausgenommen wurde. Wir werden veranlaßt, die Namen der Vortragenden im einzelnen kund zu geben; es sind der Reihe nach die Schüler Gustav Bischof, Erwin Pfister, Otto Meeh, Rud. Rockenbauch. Karl Schumacher, Richard Baumann, Elisabeth Meeh, Gertrud Holzapfel. Die vereinigten Gesangvereine sangen hierauf unter der Leitung von Oberlehrer Vollmer das weihevolle Lied: „Dir möcht' ich diese Lieder weihen, geliebtes, deutsches Vaterland." In gedankenreicher, tiefgründiger, die große Zeit von 1813/15 in den Zusammenhang der weltgeschichtlichen Ereignisse und Ideen hineinstellenden, zugleich auch Lehre und Nutzanwendung für die Gegenwart und Zukunft ziehender Rede führte der Redner des Abends, Bezirksschulinspektor Baumann etwa folgendes aus: Wenn wir uns heute zusammengefunden haben, um das Gedächtnis der großen Zeit von 1813/15 und im besonderen der gewaltigen Völkerschlacht von Leipzig, durch welche die Ketten der Knechtschaft gesprengt und der erste Grund zu dem großen, mächtigen Bau des starken, geeinten Vaterlandes gelegt worden ist, zu feiern, so geziemt uns vor allem. Dank zu sagen dem, der über den Donner der Schlachten gethront und unseren Waffen Sieg verliehen hat; Dank aber auch all den großen Männern, die führend in dem gewaltigen Ringen vorangezogen sind. Dank allen denen, die Leben und Blut auf dem Altar des Vaterlandes geopfert haben. Jahrzehntelang ist der 18. Oktober als nationaler Festtag gefeiert worden; und wenn am gestrigen Abend aufs neue die Flammenzeichen von den Bergen loderten, mußte da nicht eines jeden guten Deutschen Herz höher schlagen in dem Gedanken, daß mit uns viele Tausende zum nächtlichen Sternenhimmel hinaufschauen. alle beseelt von demselben Gedanken dankbarer Erinnerung an jene große Zeit. „Vaterland, in 1000 Jahren kam mir solch ein Frühling kaum", so sang der Dichter im Jahre 1814. Des alten Reiches Glanz war geschwunden, die einzelnen deutschen Fürsten hatten wenig Herz und Sinn für des Reiches Größe, und viele von ihnen waren, allerdings unfreiwillig, dem unter dem Protektorat Napoleons stehenden Rheinbund beigetreten, dessen Schutz von ihnen aber bald als lästiger Druck empfunden wurde. Sang- und klanglos ging das alte deutsche Reich in die Brüche und aufstieg von Korsika her der Stern Napoleons; Preußen zumeist hat durch seine fortgesetzte Neutralität die Knechtung Europas praktisch herbeiführen helfen, es hat aber auch bei Jena und Auerstädt dafür geblutet und durch seine herrliche Erhebung von 1813/15 die Schuld gesühnt. Der Untergang der großen Armee in Rußland brachte dem Bau der napoleonischen Herrschaft die erste Erschütterung; der mutigen Tat Aorks folgte die ruhmreiche Erhebung Preußens, an welcher dessen König, wie neuerdings geschichtlich erwiesen, in hervorragender Weise beteiligt war. Das Volk stand auf. der Sturm brach los. Es folgte die Bildung freiwilliger Jägerableilungen. das Lützow- sche Freikorps, aus außerdeutschen Kämpfern bestehend, scharte sich zusammen, die allgemeine Wehrpflicht, gründlich wie in keinem anderen Kulturstaat durchgeführt, erlebte ihre Geburtsstunde; jeder einzelne fühlte sich verantwortlich für das Ganze, der Beamte, der Bauer, der Bürger opferten freudig Hab und Gut fürs Vaterland, und alle waren von dem im Aufruf des Königs enthaltenen Gedanken erfüllt: Entweder ehrenvoller Friede oder Untergang. Nach dem nun folgenden, für Napoleon mühsam errungene Siege bringenden Frühjahrsfeldzug von 1813 beging er dann den größten Fehler seines Lebens; er schloß mit den Verbündeten einen Waffen
stillstand. nach dessen Ablauf er sich auch noch durch den Uebertritt Oesterreichs enttäuscht sah. Der Plan der Verbündeten, ihm durch Gewinnung des Elbübergangs den Rückzug abzuschneiden und ihn von allen Seiten zu umzingeln, gelang, und so kam es. nachdem alle seine Generale geschlagen und nur er selbst Erfolge errungen hatte, zur großen Völkerschlacht bei Leipzig, durch welche wie durch die weiteren gewaltigen Kämpfe Napoleons Traum, das Reich Karls des Großen wieder herzustellen, vernichtet und die Befreiung unseres Vaterlandes erreicht wurde. Ein geeintes, mächtiges deutsches Vaterland sollten dann allerdings, nach Ueberwindung der allen Eifersucht zwischen Preußen und Oesterreich und des engherzigen Partikularismus erst die Jahre 1866 und 1870 bringen. Wenn aus den gewaltigen militärischen und politischen Ereignissen jener Zeit die unsere einen richtigen Gewinn haben soll, so müssen wir bedenken, daß es nicht die äußeren Mittel waren, welche der Sache der Verbündeten zum Sieg ver- halfen, sondern die Gesinnung, welche ihre Truppen beseelte. Die Begeisterung für die Sache, die Bereitwilligkeit, das Höchste zu erdulden für das heißgeliebte Vaterland. Diese selbst aber halte ihren tiefsten Grund in dem Aufkommen einer neuen Gedankenwelt: an Stelle der kalten, verstandesmäßigen Denkungsweise des Rationalismus und des vaterlandslosen Weltbürgertums brachte das Jahr 1813 die Rückkehr zum kindlichen Glauben zum Bewußtsein unserer völkischen Eigenart, das. was man zusammenfassen kann in die Worte: christlich und national. Gott und Deutschheit. Was unser Volk groß gemacht hat, nämlich die auch durch die symbolischen Figuren des Völkerschlachtdenkmals dargestellten Tugenden der Tapferkeit, der Begeisterung, des Opfermuts und der Glaubensstärke, das wird unser deutsches Vaterland auch künftig groß erhalten. Mächtig sind wir vorwärts gekommen im Aeußern; was unserer Zeit aber fehlt, das ist der hohe, ideale Schwung, und die alten Ideen aus der großen Zeit, die religiöse und die nationale, haben heute an ihrer elementaren Wucht eingebüßt. Was unserem nörgelnden Geschlecht vor allem abgeht, das ist die wundervolle Geschlossenheit der Ideen von damals: viele stehen abseits von allem, was Heimat und Vaterland heißt. Und trotzdem steht unser deutsches Reich groß und mächtig da, und diese unsere Stellung verdanken wir nicht zum mindesten der Stärke unserer den Zwecken des Friedens und der Erhaltung des Gleichgewichts unter den Nationen dienenden Armee und unserer Marine. Auch sonst ist kein Grund zum Pessimismus vorhanden: Die materielle Wohlfahrt unseres deutschen Volkes ist gestiegen, deutscher Handel und deutsche Industrie nehmen eine geachtete Stellung ein, was uns aber not tut, das ist mehr Reichsfreudigkeit, in der uns die deutschen Fürsten erst neulich durch ihr einmütiges und vollzähliges Zusammentreffen in der Befreiungshalle bei Kehlheim ein leuchtendes Vorbild gegeben haben. So wollen wir von heute das Gelöbnis mitnehmen, für die Größe unseres geliebten deutschen Vaterlandes mit der gleichen Freudigkeit einzustehen wie einst unsere Väter von 1813.
Nach einem Lied des Turnergesangvereins gedachte der Militärvereinsvorftand Mahler unserer Kriegsveteranen von 1870/71, indem er in markigen Worten auf ihre Heldentaten, denen wir ein großes deutsches Reich zu verdanken haben, hinwies. Das auf sie ausgebrachte Hoch, mit dankbarer Begeisterung ausgenommen, fand brausenden Widerhall. Der Liederkranz sang hierauf das feurige Lied Schillers: „Wohlauf Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd" und „Was blasen die Trompeten, Husaren heraus". Und nun brachte Reallehrer Wid maier ein von ihm zu unserer hiesigen Feier verfaßtes, stimmungsvolles Gedicht „Die 3 Linden" zum schönen Vortrag, wofür ihm ebenso aufrichtiger Dank, wie lebhafter Beifall und Anerkennung zuteil wurde. (Wir werden sicherlich allen Kreisen eine besondere Freude bereiten, wenn wir diese schwungvollen und gedankenreichen Strophen noch in einer der nächsten Ausgaben ds. Bl. folgen lassen). — Es folgten nacheinander mehrere der heutigen Feier angepaßte Lieder des Turnergesangvereins; die vereinigten Männerchöre sangen das markige Lied: „Lützows wilde verwegene Jagd" und der Liederkranz brachte unter Leitung seines Dirigenten Weinhardt die herrlichen Volkslieder „Es geht bei gedämpfter Trommelklang" und „Zu Straßburg auf der Schanz" und weiter „Helden- heimat, die wir schauen" zum Vortrag. Unter dem erhebenden Eindruck all dieser Lieder sprach Stadtvikar Paulus allen Anwesenden aus dem Herzen, wenn er in beredten Worten hinwies auf die Macht und Bedeutung des deutschen Lieds, besonders in den Befreiungskriegen, und wenn er unfern beiden
Männerchören, dem Liederkranz und dem Turnergesangverein. die auch diesmal, wie bisher bei all unseren patriotischen Feiern, zur Verschönerung und Vertiefung der Feier wesentlich beigetragen haben, den herzlichsten Dank darbrachte. Wir waren ja für ihre Mitwirkung um so mehr dankbar, als uns eine Musikkapelle nicht zur Verfügung stand. In einer weiteren Ansprache gedachte noch unser altbewährter Militärfreund Ehr. Allmendinger in bewegten Worten der alten Veteranen, er leitete sein Gedenken über auf den allverehrten Veteranen Graf Zeppelin, der von der jüngsten Katastrophe in Johannistal bei Berlin besonders schmerzlich betroffen worden sei. Pietätvoll wollen wir heute auch derer gedenken, die bei dem Untergang des L. 2 auch als Helden gestorben sind. Zu Ehren dieser Toten erhoben sich die Versammelten von ihren Sitzen. — Zum Schluß des Abends erklang noch das gemeinsam gesungene kraftvolle „Deutschland. Deutschland über alles!" Aus wie viel hunderttausend Kehlen ist dieses Lied in diesen Tagen in allen Gauen Deutschlands gesungen worden? Es sollen aber nicht blos leere Worte sein, diese Wünsche für das Glück, die Einigkeit und Freiheit des Vaterlandes, sondern der großen, erhebenden Jahrhundertfeier soll Nachfolgen die Tat; nicht vergessen sei. was die Pflicht jedes echten Deutschen ist: Wohl und Ruhm des Vaterlandes. Einigkeit und Recht und Freiheit — danach laßt uns alle streben brüderlich mit Herz und Hand.
Den Höhepunkt der Jahrhundertfeier bildete am Sonntag morgen der Festgottesdienst, zu dem sich in festlichem Zuge der Kriegerverein, der Militärverein, der Turnverein, der Liederkranz und die beiden Schützenvereine mit ihren Fahnen und Bannern begaben. Nach dem Orgelpräludium leitete der Liederkranz den Gottesdienst ein mit dem erhebenden Choral: Allmacht Gottes: „Kommt, kommt den Herrn zu preisen!" Die Gemeinde sang „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, dem Vater aller Güte". Dekan Uhl hielt unter Zugrundlegung des Bibeltextes Psalm 77, 12—15 die tiefernste, gedankenreiche Festpredigt, die wir zur würdigen Vervollständigung unseres Feftberichts auszugsweise hier wiederzugeben in der Lage sind.
Wer am heutigen Gedenktag „Herz hat für unser Volk" und Liebe zur ererbten Heimat, der wird an Uhlands Wort erinnert:
An seiner Väter Taten Mit Liebe sich erbau»,
Fortpflanzen ihre Saaten,
Dem alten Grund vertraun!
Das ist Losung und Gelöbnis für diese Tage des Rückblicks auf die große Zeit vor 100 Jahren. Freilich stellt sich in unserer Zeit eine starke Strömung dem entgegen von solchen, die erklären, das Weltbürgertum sei das einzig Richtige, und die von geschichtlich geprägtem Patriotismus nichts mehr wissen wollen. Allein, so sehr wir den Zauber des Gedankens einer Weltverbrüderung verstehen und so sehr wir anerkennen, daß ein Einschlag christlicher Gedanken hier mitspricht, so können wir uns doch nicht davon überzeugen, daß ein die Heimat geringschätzendes Weltbürgertum das Richtige sei. Wie warm berührt uns dagegen E. M. Arndts „Katechismus für den deutschen Kriegs- und Wehrmann", wo die Begriffe „Vaterland" und „Heimat" Leben und Gestalt gewinnen aus dem Erleben eines wahrhaft deutschen Herzens und Gemüts heraus! Aber auch vor dem Gegenteil müssen wir uns hüten: Vaterlandsliebe soll nicht zum Vaterlandsfanatismus werden, nein, das wollen wir: die Güter der Heimat werthalten in Pietät und Dankbarkeit, und die gottgeschenkte Eigenart des deutschen Herdes bewahren. wir wollen der Taten Gottes gedenken, durch die er unser Volk aus der Knechtschaft befreit hat. wir wollen uns die Opfer ins Gedächtnis zurückrufen, die es gekostet hat, bis der deutsche Bürger nach namenlosen Quälereien überhaupt wieder aufrecht stehen konnte. Darum stimmen wir heute in die Worte ein: „Ich gedenke an die Taten des Herrn, ja, ich gedenke an deine vorigen Wander, und rede von allen deinen Werken und sage von deinem Tun!" (Ps. 77, 12 ff.) Der wahre Sinn unserer Feier soll vor allem ein Lobpreis des Dankes sein. Was nach der Niederwerfung Napoleons in aller Herzen lebendig war, das sehen wir am Riesendenkmal bei Leipzig in großen Lettern eingegraben: „Gott mit uns." Der stolze Kaiser hatte noch gespottet, aber er mußte erfahren, daß Gott da ist, wo der rechte Geist herrscht. Viele hatten freilich Gott aufgegeben, er schien es ja auch mit den Gottlosen zu halten, mit den Franzosen, die ihren König enthauptet, den Sonntag abgeschafft und Gott öffentlich geleugnet hatten. Diese