Zweites
Zweites
Blatt.
Der Lnztälcr.
Blatt.
16S.
Reuen bürg, Mittwoch den 13. Oktober 1913
71. Jahrgang.
RunSschau.
Der Verbandstag der deutschen gemeinnützigen und unparteiischen Rechtsauskunftstellen wurde am Freilag in Nürnberg von dem Vorsitzenden des Verbandes. Oberbürger. Meister Kaiser-Neukölln, in Gegenwart zahlreicher Vertreter der Staats- und Gemeindebehörden eröffnet. Die preußische Regierung war vertreten durch Wirkl. Geh. Oberregierungsrat Neumann vom Handelsministerium und Geh. Oberregierungsrat Eggert vom Landwirtschaftsministerium. Auch die bayerische und die sächsische Regierung bezeigten durch Entsendung von Räten der Ministerien der Justiz und des Innern ihr Interesse an den Bestrebungen des Ver- bandes. Aus Württemberg waren als Vertreter der staatlichen an der Materie beteiligten Behörden erschienen: Oberregierungsrat Kälber von der K. Zentralstelle für Gewerbe und Handel und Patentanwalt Schwaebsch von der K. Beratungsstelle für gewerblichen Rechtsschutz. — Professor Dr. Rumpf begrüßte die Tätigkeit des Verbandes vom Standpunkte der Schaffung eines besseren Verhältnisses zwischen Volk und Recht und der Ermöglichung einer besseren Ausbildung der jungen Juristen, denen häufig und vielfach nicht mit Unrecht Weltfremdheit und Sachunkunde auf den Spezialrechtsgebieten vorgeworfen wird. Der letztere Gesichtspunkt ist, wie der Vortrag des Geschäftsberichtes ergab, für das preußische Justizministerium maßgebend für die Unterstützung des Verbandes. Wie ernst die Tätigkeit der deutschen Rechtsauskunftsstellen, die bekanntlich rein deutscher Initiative und Tatkraft entsprangen, schon im Auslande verfolgt wird, erhellt aus der Anwesenheit von Vertretern aus den Vereinigten Staaten. Schweden, Holland, Dänemark. Oesterreich und der Schweiz. Nach den Begrüßungs- und Dankreden der verschiedenen Regierungsvertreter begannen die sachlichen Vorträge, unter denen besonders bemerkenswert waren derjenige von Gerichtsassessor Dr. Hüttner und Professor Dr. Rumpf über die Rechtsauskunftstellen im Dienste der modernen Rechtsentwicklung und derjenige von Gerichtsassessor Lenz- Lübeck über die Wege zur Bekämpfung der Schwindelfirmen. Auf dem letzteren Gebiet sind bekanntlich Baden und Württemberg bahnbrechend vorgegangen.
Leipzig, 13.Okt. Wie derAerzteverband an die „Vossische Zeitung" berichtet, haben die vereinigten Krankenkassenverbände den vom Aerzteverein in Berlin und vom Leipziger Aerzteverband gemeinsam gemachten Friedensvorschlag rundweg ab
gelehnt. Die Kassen wollten weder mit den Aerzten verhandeln, noch zeigten sie hinsichtlich der freien Aerztewahl und der Bemessung der Honorare irgendwelches Entgegenkommen. Die den beiden Aerzte- verbänden angeschlossenen Unterorganisationen müssen deshalb den Abschluß von Verträgen mit den Krankenkassen solange ablehnen, bis ein sofort einberufener Aerztetag endgültig Beschluß gefaßt hat.
Leipzig, 14. Okt. BeiderLeipzigerFeuer- versicherungsanstalt in Leipzig hat ein seit Jahren angestellter Kassierer größere Unterschlagungen vorgenommen, die sich angeblich auf über 300 000 Mk. belaufen sollen. Der entdeckte Fehlbetrag soll von der Familie des Defraudanten gedeckt werden. Auf Wunsch der Familie wird der Name des Betrügers verschwiegen.
Dortmund, 14. Okt. Einem Transport von Arbeitern, der aus 15 Mann bestand und dieser Tage auf der Zeche Brasser bei Marl (Reg.-Bezirk Münster) eintraf, hatte sich ein Werber für die Fremdenlegion beigesellt. Die Leute stellten sich auf der Zeche noch zur ärztlichen Untersuchung, nicht aber zur Arbeit. Es fehlten vielmehr 12 Mann. Die Polizei wurde telegraphisch benachrichtigt, leider aber zu spät, denn die 12 Leute waren bereits seit 24 Stunden abgereist. Alle Nachforschungen nach ihnen waren bisher erfolglos, so daß die Annahme nicht von der Hand zu weisen ist, daß sie zur Fremdenlegion verschleppt worden sind.
Halle a. S.. 11. Okt. Die deutschen eoang. Pfarrer wollen eine Stiftung für die deutsche evangelische Kirche in Rom machen. In den nächsten Tagen wird auf Anregung des Vorsitzenden der preußischen Pfarrervereine und des Präsidenten deutscher evangelischer Pfarrervereine an die 17 000 deutschen evang. Pfarrer ein Aufruf ergehen, der zu freiwilligen Gaben auffordert. Die Halle der Kirche in Rom soll mit Bildnissen deutscher Reformatoren, fürstlicher Schirmherren und Förderer der Reformation geschmückt werden.
Villingen, 9. Okt. Die Schwarzwälder Handelskammer fordert junge, tüchtige Leute auf. sich der heimischen Industrie, der Schwarzwälder Uhrenindustrie, zuzuwenden, wo es strebsame Arbeiter bald zu einer schönbezahlten Stellung bringen können. Die Uhrenindustrie im Schwarzwald und die ihr nahestehenden Industriezweige vermögen alljährlich eine größere Zahl tüchtiger junger Leute aufzunehmen und ihnen ein gutes Fortkommen zu bieten. Für die Vertiefung der beruflichen Ausbildung stehen die Gr. Uhrmacherschule und die Gr.
Schnitzerschule in Furtwangen mit der ihr angegliederten Schreinereiabteilung zur Verfügung. Auch Unbemittelten können Zuschüsse aus einem von der Regierung und den Industriellen selbst geschaffenen Unterstützungsschatz bis zu solcher Höhe gewährt werden, daß der ganze Unterhalt und alle sonstigen Kosten daraus bestritten werden können und der junge Mann in die Lage versetzt ist, die Fachschule zu besuchen. Die Schwarzwälder Handelskammer in Villingen erteilt gern nähere Auskunft, welche Wege einzuschlagen sind, um sich einem der in Betracht kommenden Industriezweige zuzuwenden.
Württemberg.
Stuttgart, 13. Okt. Auf einem Fluge von Gotha nach Freiburg überflog heute nachmittag 4 Uhr der Flieger Rosenstein aus Gotha die Stadt in einer Höhe von etwa 500 Meter. Der Rumpler- Apparat landete auf dem Cannstatter Wasen und flog dann in der Richtung nach Eßlingen weiter. Seine Insassen waren 2 Offiziere, die heute nachmittag um 1 Uhr in Gotha aufgestiegen waren und somit die 300 Kilometer lange Strecke in rund 3 Stunden zurückgelegt hatten.
Die Große Kunstausstellung Stuttgart 1913 ist nunmehr in ihre letzte Woche eingetreten. Die Freunds der Kunst werden diese letzten Tage der Ausstellung gerne zu nochmaligem Besuche verwenden, ehe die Kunstwerke unsere Stadt wieder verlassen. Die Verpackung und Versendung der Werke wird schon am 20. ds. Mts. beginnen.
Balingen, 11. Okt. Zu der Nachricht, daß Wagner Sämann in Ostdorf, der bekanntlich am Tage der Völkerschlacht sein 100. Lebensjahr vollendet, nun wie früher geplant, an der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals teilnehmen werde, wird jetzt zuverlässig mitgeteilt, daß er diesen Plan doch schließlich noch aufgegeben hat. Dagegen wird ihm an seinem seltenen Jubelfest eine besondere Ehrung zuteil werden. Am Vorabend seines Geburtstages wird die Schuljugend von Ostdorf, der dortige Gesangverein, Militärverein. Radfahrerverein den Jubilar durch einen Fackelzug erfreuen. Am Sonntag den 19. wird der Bezirksvolksverein seinem ältesten Mitglied seine Glückwünsche darbringen.
Ebersbach a. Fils, 13. Okt. Unsere Schultheißenwahl will nimmer zur Ruhe kommen. Fast täte es not, ein eigenes Amtsgericht aufzutun, damit der Rattenkönig von Klagen erledigt werden kann, die sich an diese Wahl knüpfen. Am nächsten Freitag, den 17. Oktober, vormittags 11 Uhr ist
Urkraft der Kieke.
Roman von Karl Engelhardt.
6j (Nachdruck verbot en.)
Und heute beherrschten ihn diese Gefühle ganz besonders stark. Er fühlte, wie mit jedem Schritt ein Teil seiner Widerstandskraft dahinschwand gegen das unerbittliche Schicksal, das in ihm das Beste getroffen hatte, zu Tode getroffen.
Er sehnte sich nach dem Frieden. So unermeßlich, daß ihm plötzlich das lichte Bild jenes warmherzigen Mädchens, mit dem er sich unterhalten, vor die Augen trat, und ihn etwas wie Sehnsucht durchzog.
Frieden — Frieden —I Das war alles, was er jetzt noch begehrte. Alles andere Frohe und Heitere, wozu ihn noch seine Jahre berechtigten, war ausgewischt aus seinem Dasein. Unwiederbringlich!
Unwiederbringlich-? Im Jammer krampste
sich sein Denken zusammen.
Und in seiner Trostlosigkeit leuchtete ihm immer wieder jene Mädchengestalt vor in ihrer kindlichen Reinheit und ihrem gemütstiefen Wesen, von dem rin beruhigender, friedvoller Geist ausströmte wie Morgenröte auf stillen betauten Feldern.
Er war in Gedanken bis ans Ende der Stadt gekommen, als ihm eine leere Droschke begegnete. Da erinnerte er sich, daß er noch eine gute Strecke Weges vor sich hatte, und ries den Kutscher an. Er nannte seine Adresse, sprang in den Wagen und holperte dann davon, zur Stadt hinaus. Und sann und dachte weiter. —
Um dieselbe Zeit tanzte Maja Lichten mit einem jungen Privatdozenten. Er suchte selbst während des Tanzes sein berühmtes Unterhaltungstalent in vollem Glanze zu entfalten. Denn für einen Privatdozenten ist es bisweilen nicht ohne Bedeutung, wenn die Tochter eines ordentlichen Professors ihm gewogen ist.
Aber er schien heute wenig Glück zu haben. Kärglicher konnten die Antworten, die er erhielt, schon nicht leicht ausfallen.
Majas Augen schweiften in verschleiertem Glanze über die wogenden Köpfe der Tanzenden hinweg. Weit hinaus vor die Stadt, zu einem einsamen Häuschen, in dem sie einen Mann wußte mit so traurig-ernstem Blick, daß es ihr weh ums Herz ward. Und sie gedachte seines Elendes. Noch nie glaubte sie, mit jemand so Mitleid gehabt zu haben, wie mit ihm. Und in logischer Folge wandte sich ihr Denken einem andern Orte zu. Einem stillen Platze, wo die schlummern, die sich müde gekämpft. Auf den Friedhof —
Sie stellte sich da draußen ein Grab vor, wohlgepflegt, unter dem ein armer Körper schlummerte, der es im Leben nur zu Elend und Jammer gebracht hatte, für sich und andere.
Und in ihrer kindlichen Weichherzigkeit quoll auch inniges Mitgefühl mit der einsam Ruhenden in ihr empor.
Und das Treiben rings um sie kam ihr so öde, so nichtig vor, daß sie, wer weiß was, darum gegeben hätte, ihm auf der Stelle entfliehen zu können.-
Lange danach erst war sie in ihrem Zimmer und konnte sich ihren Gedanken frei Hinsehen.
Immer noch lag ihr jenes Grab im Sinn. Wie wenn es sie zu sich hinzöge. Und mit einem Male erinnerte sie sich, in zwer Tagen war ja — das Fest der Toten-!
Langsam entkleidete sie sich. Und ihre Gedanken schweiften wieder zur Stadt hinaus.
Und noch in ihr kindlich frommes Nachtgebet hinein glänzten zwei dunkle Augen. So schwermütig, wie die nickenden Tannen draußen vor dem Fenster im nebeldurchdüsterten Mondenscheine-.
II.
Ein trauriger Tag war der düsteren Nacht gefolgt. Und wieder eine Nacht, halb schlaflos, wie so manche andere.
Mit schwerem Kopfe und zerschlagenen Gliedern erwachte Erich Throndhjem. Erst gegen Morgen hatte er festen Schlaf gefunden. So schien ihm denn jetzt die Sonne strahlend ins Zimmer und lachte ihn aus. Alle Nebel, die in den letzten Tagen über die Erde gebreitet, hatte sie sieghaft zerstreut. In graublauem Herbstglanze spannte sich der Himmel. Und im Zimmer tanzte und hüpfte der Sonnenschein wandauf wandab, bis zum Haupte des Schläfers. Durch das geöffnete Fenster strömte eine frische Morgenküble.
Throndhjem richtete sich rasch auf. Tann sah er sinnend in die Luft. Und plötzlich legten sich ihm Schatten über die Stirn.
Totenfest-!
Und die ganze Vergangenheit stand mit all ihrer Schwere, all ihrer Trostlosigkeit wieder vor ihm auf.
Totenfest-l .