Zweites
Blatt.
Der LnztSler. s
93.
Neuenbürg. Mittwoch den 11. Zuni 1913.
71. Jahrgang.
«US Stadt, Bezirk uns Umgebung.
Neuenbürg, 9. Juni 1913.
Wie schon in dem kurzgefaßten Berichte über die Sitzung der Zweiten Kammer vom 6. Juni mitgeleilt, hat unser Abgeordneter Commerell an- läßlich der Beratung des Etats des Innern bei dem Kapitel „Zentralstelle für Gewerbe und Handel" Anregungen gegeben und Wünsche vorgebracht, die einen besseren Schutz der deutschen Interessen im Ausland bezwecken, und sich in weiteren Ausführungen über die Lage der Industrie geäußert. Wir sind heute in der Lage, an der Hand der Abschrift des amtlichen Stenogramms aus der Rede des Hrn. Commerell das hauptsächlichste folgen zu lassen. Der Redner führte u. a. aus:
„Meine HerrenI Bekanntlich gehören die Ausgestaltung des Zolltarifs und die Erneuerung der Ende 1917 ablaufenden Handelsverträge zu den Lebensfragen der Industrie und des Gewerbes, und es sind bereits die amtlichen Vorbereitungen dieses großen handelspolitischen Werkes im Gang. Es sind dies ja allerdings Fragen, die mehr das Reich berühren; aber es fällt auch den deutschen Einzelstaaten und ihren Regierungen ein ganz be- deutendes Maß von Arbeit an diesen großen handelspolitischen Vorbereitungen zu. Sie müssen nicht allein die offiziellen Vertretungen des Erwerbslebens befragen und anhören, sondern auch die in den Einzelstaaten vorhandenen freien Organisationen der verarbeitenden und exportierenden Industrie. Dies ist eine Forderung, die besonders auch für Württemberg Gültigkeit hat, das seine gesunde industrielle Entwicklung zu einem großen Teil auf dem Gedeihen seiner Exportindustrie aufbaut und über viele Industriezweige verfügt, die ihm fast ausschließlich eigentümlich sind oder doch so vorherrschend, daß Württemberg als eines der Hauptgebiete dieser Branchen anzusehen ist. Es ergibt sich hieraus auch für unseren Landtag die Pflicht, sich der Interessen unserer heimischen Industrie anzunehmen und die Regierung zu bitten, die Forderungen unserer Industrie bei der Gestaltung unserer auswärtigen Handelspolitik mit allem Nachdruck zu verfechten, und ich möchte bei dieser Gelegenheit den Herrn Staatsminister des Innern ersuchen, beizeiten Erhebungen betreffend Erneuerung der Handelsverträge anzustellen und die Industrie davon in Kenntnis zu setzen, damit sie sich rechtzeitig über ihre Wünsche äußern kann.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch einige Wünsche betreffend Verbesserung des Konsulatswesens Vorbringen. Es sind im Laufe der Jahre viele Klagen laut geworden über unsere ungenügende Vertretung im Auslande durch die Konsuln. Und der Grund hiefür liegt nicht so sehr an der Persönlichkeit der Konsulate selbst, als in der Tatsache, daß die Konsulate zu sehr mit allen möglichen amtlichen Arbeiten überlastet sind, so daß ihnen zur Verfolgung der Handelsinteressen nicht genügend Zeit bleibt. Die deutschen Konsulate im Ausland sind im Gegensatz z. B. zu den englischen von Persönlichkeiten besetzt, die in erster Linie Beamte sind und infolge ihrer ungenügenden Vorbildung für die Handelsinteressen nicht das richtige Verständnis haben. Es ist dies eine Frage von ganz eminenter wirtschaftlicher Bedeutung, weil nicht nur der Handel, sondern auch unsere Industrie auf das Exportgeschäft angewiesen ist und gerade die Exporlindustrie hat ein Recht, zu verlangen, daß ihre Bedeutung richtig eingeschätzt wird. Unsere verarbeitende Industrie klagt auch darüber, daß sie im wirtschaftlichen Ausschuß keine genügende Vertretung habe, und namentlich Württembergs Fertigindustrie soll speziell gar keinen Vertreter im Wirtschaftlichen Ausschuß haben. Auch die Klagen über das Verhalten der deutschen Vertreter im Auslande hören nicht auf. Als Beispiel, das ich der württ. Presse entnommen habe, möchte ich den 11. Internationalen Schiffahrtskongreß in Washington anführen, an dem von Württembergern sich u. a. die HH. Präsident v. Haag, Oberbaurat Gugenhan, Amtmann Dr. Junge! und Bauwerkmeister Brinzinger beteiligten, welche sofort nach ihrer Ankunft ihren Besuch auf
der deutschen Botschaft abstatteten. Diese Herren haben aber auf dem Kongreß weder den deutschen ^ Botschafter Graf Bernsdorff noch einen seiner Räte angetroffen, was um so trauriger für sie war, als die Deutschen, 75 an der Zahl, mehr als die anderen Europäer zusammen, die einzigen waren, die sich einer solchen Unaufmerksamkeit zu erfreuen hatten, während z. B. die französischen und italienischen Vertreter von ihren Botschaftern empfangen und in die Stadt geleitet wurden. Derartige Vorkommnisse sind nicht geeignet, das Ansehen des Deutschtums im Auslande zu erhöhen und der Vorfall, welcher nicht nur bei den Deutschen, sondern auch bei den ausländischen Teilnehmern berechtigtes Aufsehen erregt hat, zeigt, wie wenig der Deutsche bei seinen eigenen Vertretern im Ausland beachtet wird. (Hört! hört!) Der Fall steht nicht vereinzelt da, er scheint vielmehr beinahe Gepflogenheit zu sein. Ich möchte den Hrn. Minister bitten, in Berlin vorstellig zu werden, daß Fälle wie diejenigen in Washington, wo die deutschen Vertreter einfach ignoriert wurden, nicht mehr Vorkommen können. Nach meiner Ansicht muß man dazu übergehen, daß die deutschen Auslandsvertreter nicht nur diplomatische Dienste leisten und schöne Reden halten, sondern auch das wirtschaftliche Interesse mehr ins Auge fassen und sich ihrer Landsleute, wenn sie ins Ausland kommen, annehmeu und ihnen an die Hand gehen, damit unsere Landsleute, wenn sie in fremdem Lande sind, das Gefühl haben, daß sie auch dort gut aufgehoben sind. Dazu sind unsere auswärtigen Vertreter da. Wenn dies erreicht werden soll, so müssen in Zukunft nicht Geburt und Stand den Ausschlag geben, sondern es dürfen eben nur die Geeignetsten und Tüchtigsten für diesen so wichtigen Staatsberuf und zwar aus allen Kreisen unserer Bevölkerung ausgewählt und ausgebildet werden. Es ist sicherlich kein Fehler, wenn dem diplomatischen Stand etwas frisches Blut zugeführt wird. In dieser Beziehung können wir besonders von Amerika und Japan lernen, die nur ihre tüchtigsten und fähigsten Köpfe entsenden.
Die Einrichtung der deutschen Handelssachverständigen im Auslande hat sich bisher allem Anschein nach ziemlich bewährt. Aber auch diese Einrichtung erfordert einen gründlichen Ausbau, um von allgemeinem wirtschaftlichem Wert zu sein. Neben der Ernennung der Handelssachverständigen muß die Auswahl derselben eine sehr vorsichtige sein, wobei auch die Handelskreise, z. B. die Handelskammern, in erster Linie gehört werden sollten. Die Handelssachverständigen sollten neben den Konsulaten ganz selbständig arbeiten können und den Konsulaten nicht unterstellt sein, sondern von denselben nur in jeder Richtung Unterstützung erfahren. Nur auf diese Weise und wenn die Berichte der Handelssachver- ftändigen ohne Beeinflussung von seiten der Konsulate und Korrektur durch dieselben direkt eingeschickt werden können, wird die Institution der Handelssachverständigen im Auslande eine wirklich wertvolle, den allgemeinen deutschen Interessen dienende werden.
Während verschiedene Länder ausländische Reisende mit zum Teil außerordentlich hohen Steuern und Abgaben belegen, selbst wenn diese Reisenden sich nur ganz kurze Zeit aufhalten, läßt das deutsche Reich die betreffenden Reisenden frei. Frankreich scheint in letzter Zeit dazu übergehen zu wollen, eine Bespöttelung einzuführen, aber wir sollten einem derartigen rückständigen System nicht beitreten und es sollte darauf hingewirkt werden, daß durch internationale Bestimmungen die Zulassung von Reisenden überall gleichmäßig und frei von Abgaben geregelt würde. Es wird überhaupt in letzter Zeit sehr über die Behandlung von Frankreich, besonders durch die sranzös. Zollbehörden, namentlich Deutschland gegenüber geklagt. Die französischen Zollbehörden stellen sich auf den Standpunkt, daß eine Schutzmarke, die in Frankreich eingetragen ist, eine französische Marke sei, und verbieten unter hohen Zollstrafen die Einführung von Waren, die mit einer solchen Schutzmarke versehen sind. Dabei gestattet das französische Schutzmarkengesetz jedem Ausländer, in Frankreich Marken für sich eintragen zu lassen, wie das umgekehrt auch bei uns in Deutsch- i land jedem Franzosen erlaubt ist. Aber damit, daß
eine Schutzmarke in Frankreich registriert ist, wird sie noch lange keine französische Marke, so daß das Vorgehen der französischen Zollbehörden, welche die Einfuhr von Waren mit einer in Frankreich registrierten verbieten wollen, als Schikane zu betrachten ist. Einzelne Firmen haben auch die Wahrnehmung gemacht, daß sich diese Maßnahmen in der Hauptsache gegen Deutschland, aber nicht gegen Italien richten, daß man also in dieser Beziehung in Frankreich gerade Deutschland besonders schlecht behandelt. Hierüber klagen auch viele Firmen der Fertigindustrie; z. B. die Hutindustrie wünscht, daß die französische Forderung des „Imports dÄllemagne" in seiner unsinnigen Anwendung von heute beseitigt werden sollte; wenn diese Hüte die Marke „Imports d'Allemagne" heute tragen, werden sie in Frankreich einfach verpönt und nicht mehr gekauft. Sodann zahlen alle Waren, die uns von Frankreich zu Reparaturzwecken zugehen, in Deutschland keinerlei Eingangszoll, müssen dagegen in Frankreich bei der Wiedereinfuhr verzollt werden oder die nötigen Formalitäten der Vormerkung sind so umständlich, zeitraubend und dadurch kostspielig, daß eine Vormerkung geradezu unmöglich ist. Umgekehrt steht in Deutschland der Wiedereinfuhr von zur Reparatur nach Frankreich geschickten Waren nichts im Wege)c und da wir mit Frankreich den Meistbegünstigungs--'' vertrag haben, so wäre es nur billig, wenn Frankreich die gleichen Zugeständnisse machen würde. Ferner bitte ich im Bundesrat ein Wort dafür einzulegen, daß das deutsche Reich der engeren Union für die internationale Eintragung derFabrik- und Handelsmarken (Sitz in Bern) beitrete. Firmen, welche Spezialitäten exportieren, sind genötigt, alle ihre Marken in den außerdeutschen Ländern eintragen zu lassen, was mit großem Geld- und Zeitverlust und teilweise mit ganz erheblichen Schwierigkeiten verknüpft ist. Diese Mißstände würden durch den Anschluß beseitigt.
Ich habe noch einige Bemerkungen zu machen über die Handelskammern und Handwerkskammern. Es ist bis jetzt der Gesetzgebung nicht gelungen, den Begriff des Handwerksbetriebs einerseits und des Fabrikbetriebs andererseits in klarer Weise gegeneinander abzugrenzen. Daher kommt es, daß gewisse Betriebe — und zwar sind es häufig nicht gerade die kapitalkräftigsten — zu beiden Körperschaften herangezogen werden und einer doppelten Besteuerung unterliegen, die als hart empfunden wird und zweifellos auch ungerecht ist. In manchen Bezirken werden die Beiträge zu den Handwerkskammern, die gesetzmäßig von den Gemeinden eingezogen und von diesen dann wieder auf die Beteiligten umgelegt werden, einfach von der Amtskörperschaft getragen, und dies wäre wohl der einfachste Weg. Aber dieses Verfahren ist eben nicht allgemein. Von den Handelskammern, die sich im Jahre 1911 mit dieser Frage beschäftigt haben, wurde vorgeschlagen, bei den betreffenden Betrieben einen handelsmäßigen und einen handwerksmäßigen Teil zu ermitteln und für jeden Teil das betreffende Steuerkapital festzusetzen. Es sind auch von den Handelskammern der Zentralstelle für Handel und Gewerbe diesbezügliche Anträge unterbreitet worden; ich erlaube mir nun die Anfrage an den Hrn. Staatsminister, ob eine Entscheidung der Behörden in Aussicht zu nehmen ist. Ich gebe zwar gerne zu, daß es sehr schwierig ist, gesetzlich festzulegen, wo der handwerksmäßige Betrieb aufhört und wo der Fabrikbetrieb anfängt. — Dann möchte ich noch einige allgemeine Bemerkungen über die Lage der Industrie machen. Darüber ist ja schon in den letzten Etatsberatungen ausführlich gesprochen worden und eine wesentliche Veränderung hat sich seitdem nicht gezeigt. Der Mangel an Kohlen und Eisen, sowie an Wasserstraßen, zum billigen Transport zwingt unsere Industrie zu einer erstklassigen Qualität; dazu bedarf es neben einem tüchtigen Unternehmertum eben gut geschulter technischer und kaufmännischer Beamten und eines Stammes intelligenter Arbeiter. Ich bin nun aber der Ansicht, daß unsere Arbeiterschaft ein ganz bedeutendes Interesse an dem Blühen und Gedeihen der Industrie hat, und unsere Industrie kann sich nur dann kräftig weiterentwickeln.