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57.

Reuen bürg, Mittwoch den 9. April 1913.

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Fernsprecher Nr. 4.

71. Jahrgang.

RunSschau.

Die Wehrvorlage im Reichstag.

Berlin. 7. April. (Reichstag.) Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 2.15 Uhr. Das Haus und die Tribünen sind außerordentlich stark besucht. Auf der Tagesordnung steht die erste Lesung der Wehr- und Deckungsvorlagen. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Meine Herren! Die Wehrvorlage fordert die Verstärkung unserer Wehrmacht, welche nach dem einmütigen Urteil unserer militärischen Autoritäten notwendig ist, um die Zukunft Deutschlands zu sichern. Sollte uns jetzt ein Krieg aufgenötigt werden, so können und werden wir ihn schlagen in dem sicheren Ver­trauen auf die Tüchtigkeit und Tapferkeit unserer Armee. Die Frage ist nur die, können wir uns weiterhin den Luxus gestatten, auf zehntausende von ausgebildeten Soldaten zu verzichten, die wir haben könnten, die wir aber jetzt nicht einstellen ? Niemand weiß, ob und wann uns Krieg gegeben sein wird, aber soweit menschliche Voraussicht reicht, wird kein europäischer Krieg entbrennen, in den nicht auch wir verwickelt fein werden. Dann werden wir um unsere Existenz zu kämpfen haben. Wer will die Verant­wortung dafür tragen, daß wir bei einem Ringen auf Leben und Tod nicht so stark sind, wie wir es sein könnten? Dieser Gedanke hat sich in den letzten verflossenen Monaten wohl jedem mit elementarer Gewalt aufgedrängt. Die Türkei hat die ihr von den Mächten unterbreiteten Vorschläge für den Frieden akzeptiert. Die Antwort der Balkanstaaten ist da­gegen erst vorgestern eingegangen. Sie unterliegt gegenwärtig den Beratungen der Großmächte. Ich enthalte mich deshalb heute näherer Ausführungen darüber. Auch gegenüber dem herausfordernden Widerstand Montenegros kommt es darauf an, daß das bisherige Zusammenarbeiten der Großmächte auch weiterhin standhält. An der Flottendemon­stration beteiligen sich sämtliche Großmächte außer Rußland, das aber die Aktion an sich sanktioniert hat. Die Londoner Beschlüsse müssen schleunigst und mit allem Nachdruck durchgeführt werden, dann wer­den auch die bisher noch ungelösten Fragen eine friedliche Erledigung finden. Aber die Behutsamkeit und Vorsicht, mit der die Londoner Verhandlungen geführt werden, die Haltung, welche die Großmächte gegenüber den kriegführenden Parteien und diese gegenüber den Großmächten einnehmen, zeigen doch sehr eindringlich, wie innig und empfindlich die Vor­gänge auf dem Balkan die Verhältnisse unter den Großmächten nicht nur berühren, sondern auch ver­hängnisvoll stören können. Anstelle der europäischen Türkei mit ihrem passiv gewordenen staatlichen Leben sind Staaten getreten, welche eine außerordentlich aktive Lebenskraft dokumentieren. Wir alle haben ein dringendes Interesse daran, daß sich diese Kräfte in der Friedensarbeit ebenso bewähren, wie sie es im Kriege getan haben, und daß die Balkanvölker einer Epoche neuen Aufblühens entgegengehen in engem wirtschaftlichem und kulturellem Zusammen­hang mit ihren Nachbarn und der Gesamtheit der europäischen Staaten. Dann werden auch sie ein Faktor des Fortschritts und des europäischen Friedens sein. Trotzdem bleibt eines unzweifelhaft: Sollte es einmal zu einer europäischen Koriflagration kom­men, die Slaven und Germanen einander gegenüber­stellt. so bedeutet es für die Germanen einen Nach­teil, daß die Stelle im System der Gegengewichte, welche bisher von der europäischen Türkei einge­nommen wurde, jetzt zum Teil von den südslavischen ' Staaten besetzt ist. Ich sage das nicht, weil ich einen Zusammenstoß zwischen dem Germanen- und dem Slaventum für unausbleiblich halte. Mit der Regierung Rußlands, unseres großen slavischen Nachbarn, stehen wir in freundschaftlichen Bezieh­ungen. Unsere Beziehungen zu der französischen Regierung sind gut. Bismarck hat in seiner großen

Rede vom 11. Januar 1887 gesagt:Wenn die Franzosen so lange mit uns Frieden halten wollen, bis wir sie angreifen, wenn wir dessen sicher wären, dann wäre der Friede für immer gesichert". Daran hat sich nichts geändert. Im Vergleich zu der Zeit vor 25 Jahren sind, wie ich glaube, die Chancen dafür, daß die Kabinette der Mächte den Mittel­punkt kriegerischer Aspirationen bilden, nicht gestiegen, sondern gesunken. Von den Dimensionen eines Weltbrandes kann sich kein Mensch eine Vorstellung machen. Alle Kriege der Vergangenheit werden ein Kinderspiel dagegen sein. Kein verantwortlicher Staatsmann wird gesonnen sein, leichtfertig die Lunte an das Pulver zu legen. Die Neigung hat abge­nommen. Zugenommen aber hat die Macht der öffentlichen Meinung, der Druck derjenigen, die sich am lautesten gebärden. Die französische Nation, so kriegslüchtig und tapfer, so stolz auf Ruhm und Ehre, so vaterlandsliebend und opferwillig sie ist: ich glaube nicht, daß sie in ihrer Gesamtheit zum Kriege drängt. Aber für weite Kreise der französi­schen Nation, nicht nur für die Chauvinisten, nein auch für ruhige und überlegte Elemente, ist einge­treten, was Bismarck fürchtete: man glaubt uns, wenn nicht überlegen, so doch zum mindesten ge­wachsen zu sein im Vertrauen auf die Stärke der eigenen Armee, im Vertrauen auf das Bündnis mit Rußland, vielleicht auch in der Hoffnung auf die Freundschaft Englands. Die chauvinistischen Ele­mente zeigen uns die gegen Deutschland gerichtete Spitze zu häufig mit einer gewissen Ostentation. Man pocht auf die Ueberlegenheit der französischen Artillerie, auf den Vorsprung der französischen Flieger­kunst. auf die bessere Ausbildung des französischen Feldsoldaten und sieht dabei schon im voraus die Massen russischer Kavallerie und russischer Infan­terie unser Land überschwemmen. Dem lebhaften französischen Geist erscheint darin berührt er sich mit den panslaviftischen Anschauungen die Nieder­lage der Türken als Niederlage der Deutschen. Die Friedensgarantien, die unser Bündnis mit Oesterreich und Italien bietet, schätze ich hoch ein. Ueberzeugt von dem großen Wert des Drei­bunds für die Sicherheit der in ihm vereinigten Völker, haben wir ihn erneuert und er steht so fest zusammen wie je: Er dient nicht nur den verbündeten Mächten, er dient der Welt. Diese Probe hat er noch kürzlich abgelegt. Trotzdem hat kein anderes Land so wie Deutschland auf der Hut zu sein. Wir müssen darauf gefaßt sein, uns nach zwei Seiten der Haut wehren zu müssen. Wir setzen für den Fall eines Krieges unser Vertrauen nicht auf die Zahl unserer Armee, sondern auf den Mut und Geist unserer Nation, der sich im Frieden und im Krieg in unserem Heer ver­körpert. Aber wir werden Ihnen mit Zahlen be­legen, was ja freilich auch ohnedem bekannt ist, daß unsere Nachbarn ganz enorme Anstrengungen gemacht haben und machen. In Rußland vollzieht sich eine staunenswerte Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse, in diesem mit unerschöpflichen Natur­schätzen ausgestatteten Riesenreich, und ganz Hand in Hand damit geht eine Reorganisation der Armee, wie sie Rußland wohl noch niemals gehabt hat. Frankreich hat uns in der Ausnützung der Wehrfähigkeit seiner Bevölkerung längst überholt; seit Jahren stellt es den letzten Mann ein. Jetzt will Frankreich auf die Einführung der dreijährigen Dienstzeit zurückgreifen. Ich erblicke darin so wenig eine Herausforderung, wie unsere Vorlage eine Provokation Frankreichs oder irgend jemandes in der Welt ist. Die Chancen der Zukunftskriege sind noch weniger vorauszusehen als früher. Aber Sieger ist, so lange die Welt steht, immer nur das Volk geblieben, das mit der ganzen Wucht des Volkstums dem Feind die Stirn bieten kann. Wir machen Ihnen die Vorlage nicht, weil wir Krieg, sondern ^ weil wir Frieden haben wollen und weil wir,

wenn Krieg kommt, Sieger bleiben wollen. Die große Mehrheit des Volkes erkennt die Bedeutung dieser Vorlage und will, daß sie Gesetz werde. Wir werden auch dann, wenn sie Gesetz geworden sein wird, so wenig ein Störenfried der Welt sein, wie wir es bisher gewesen sind. Im Gegenteil, ein starkes und seiner Kraft sicheres Deutschland ist eine Bürgschaft des Friedens. Meine Herren! Ich habe weder schön gefärbt, noch schwarz gemalt. Wir alle sind nicht Herr darüber, ob sich unsere Zukunft friedlich oder bedrohlich gestaltet; aber wir sind Herr darüber, ob wir einer ungewissen Zukunft mit gutem Gewissen entgegengehen können. Darüber erwartet die Nation jetzt ihre Entschließung. (Sehr richtig!) Helfen Sie. daß die allgemeine Wehr­pflicht, der Deutschland seine Wiedergeburt ver­dankt, uns unvrrkümmert erhalten bleibt. Die Werte, die wir zu schützen haben, steigen von Jahr zu Jahr. Trotz der großen Summen, die Deutsch­land für Rüstungszwecke ausgegeben hat, hat es niemals eine Zeit gegeben, in der wir uns wirtschaftlich so stark gefühlt hätten, so leistungs­fähig gewesen wären, wie jetzt. Die Geschichte der ganzen Welt nennt uns kein Volk, das zugrunde gegangen wäre, weil es sich in seiner Wehrmacht­stellung erschöpfte, wohl aber sehr viele Völker, die verkommen sind, weil sie ihre Wehrhaftigkeit ver­nachlässigt haben. Ein Volk, das nicht mehr opfer­willig genug ist, und nicht mehr reich genug zu sein glaubt, um seine Rüstungen instand zu halten, zeigt nur, daß es seine Rolle ausgespielt hat. Meine Herren! Ich bitte Sie, über alle Schwierigkeiten hinweg sich nur von dem einen Gedanken leiten zu lassen: Wenn uns jemand Haus und Hof bedroht, dann stehen wir bereit bis auf den letzten Mann! (Lebhafter Beifall.) Kriegsminister v. Heeringen: Unter den heutigen Verhältnissen ist das Friedenspräsenzgesetz von 1912 nicht mehr ausreichend. Auf Einzelheiten kann ich hier nicht eingehen. Ein großer Teil unserer wehrfähigen Jugend wurde bisher dem Waffendienst entzogen. Die Folge ist, daß die Ergänzung des Feldheeres im Kriegsfalls ganz erheblich auf die älteren Jahr­gänge zurückgreifen muß, während die jungen Leute Zurückbleiben. Wer die Gesetzentwürfe vorurteilsfrei prüft, muß erkennen, daß sie nichts anderes wollen, als eine starke Bürgschaft für die Erhaltung des Friedens, um die Weiterentwicklung der deutschen Industrie und des deutschen Handels sicher zu stellen.

Abgeordneter Haase (Soz ): Die uns vorgelegten Forderungen übersteigen alles, was jemals gefordert wurde. Die Begründungen zur Vorlage sind nichts weiter als allgemeine Redewendungen. Von einer übergroßen Opferbegeisterung kann keine Rede sein.

Abg. Dr. Spahn (Zentr.): Der Reichskanzler hat in der Schilderung der Beziehungen zwischen den einzelnen Völkern Europas gezeigt, daß die Lage als unsicher betrachtet werden muß. Was wir beabsichtigen, ist nur die Behauptung unserer eigenen Stellung in Europa. Das deutsche Volk will den Frieden, den es seit mehr als 40 Jahren gewahrt hat. Sollte es aber notwendig sein, so müssen wir voll gerüstet dastehen. Abgeordneter v. Liebert (Reichspartei): Diese Vorlage hätte 1'/- Jahre früher kommen müssen. Dann hätten wir auch in Marokko besser abgeschnitten. Eine große Gefahr, die auf das Abweichen von der Bis- marckschen Politik zurückzuführen ist, besteht in dem fortgesetzten Anschwellen derSlawenwelle.

Abg. Behrens (wirtsch. Vgg.): Die Vorlage bringt zwar große Lasten mit sich, aber das Volk wird diese tragen. Angriffsabsichten kann das Aus­land aus der Vorlage nicht herauslesen. Darauf wird die Weiterberatung auf Dienstag 1 Uhr ver­tagt. Schluß nach 6*/r Uhr.

Berlin, 8. April. (Reichstag.) Präsident Dr. Kämpf eröffnet die Sitzung um 1 Uhr. Die erste Beratung der Wehr- und Deckungsvorlagen