s
RunSschau. l
Wehrpflicht und Wehrfähigkeit.
Allmählich suchen fast alle Staaten ihre Wehrfähigkeit durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zu stärken, und sicher ist es kein Zufall, daß gerade jetzt in Belgien die Regierung eine neue Militärvorlage bei den Kammern eingebracht hat, nach welcher auch in Belgien die allgemeine Wehrpflicht eingeführt werden soll. Belgien ist bekanntlich ein neutraler Staat, dessen Neutralität alle Großstaaten anerkannt haben. Was will aber eine solche Anerkennung einer Neutralität in schweren Kriegs- zeiten bedeuten, wenn der betroffene Staat nicht selbst imstande ist, seine Neutralität zu schützen und fremde Truppen von seinen Grenzen fern zu halten I — In einem etwaigen Kriege zwischen Deutschland und Frankreich würden sicher die betreffenden Heerführer die Neutralität Belgiens nicht respektieren, wenn sie der Feind nicht auch respektiert. Wir meinen das so: Wenn ein französischer Obergeneral in einem Kriege mit Deutschland es für notwendig hält, durch einen Zug durch Belgien hindurch mit einem starken französischen Heere dem deutschen Heere in die rechte Flanke zu fallen, so würde sicher auch die deutsche Heeresleitung sich genötigt sehen, einen Vorstoß mit deutschen Truppen durch Belgien hindurch gegen die Franzosen zu machen. So windig sähe es also in Kriegszeiten um die belgische Neutralität aus. Man kann sogar noch weiter gehen und behaupten, daß ein halbwegs siegreiches Frankreich auch Neigung haben kann für das nicht wieder zmückerlangte Elsaß- Lothringen einfach Belgien zu annektieren! Große Kriege sind die Beweger des Geschickes der Völker und der Staaten, und was so auf dem Papier für die Sicherheit der Staaten niedergeschrieben ist, gilt gewöhnlich so gut wie gar nichts. Man sehe sich nur die Schichale der Türkei an, und man bedenke ferner, was trotz des Vertrages der Garantieleistung für die staatliche Erhaltung von Marokko aus diesem Lande geworden ist. Die Franzosen haben eben Marokko unter der Gönnerschaft Englands in den Sack gesteckt, und die Furcht vor einem ähnlichen Schicksale hat jetzt in Belgien die Regierung und die parlamentarischen Parteien dazu veranlaßt, die Wehrfähigkeit Belgiens durch di« geplante Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zu erhöhen. Bisher besaß Belgien in Friedenszeiten nur 43 000 Mann und sollte im Kriege dieses kleine Heer durch entsprechende Organisation auf 172 000 Mann gebracht werden. So steht es nämlich in Belgien sehr schön auf dem Papiere. Die Minister und Generäle in Belgien scheinen aber dieser Organisation auf dem Papiere nicht mehr zu trauen und wollen deshalb die allgemeine Wehrpflicht einführen, nach der künftig jährlich in Belgien 35 000 Mann ins Heer eingestellt und dann eine brauchbare Feldarmee von wenigstens 150 000 Mann gebildet werden soll. Durch Einberufung alter Jahrgänge will man dann noch eine Reservearmee zur Besetzung der Festungen und der Grenzen von 100 000 Mann bilden. Man sieht daraus, daß das Belgien einen großen Schritt tun
will, um seine Wehrmacht zu stärken. Sicher haben auch die Waffenerfolqe der Balkanstaaten, welche die allgemeine Wehrpflicht bis zur äußersten Konsequenz besitzen, die Belgier aus einer Art militärischen Halbschlaf aufgerüttelt, denn daß Bulgarien 300 000 Mann und Serbien 150000 Mann gegen die Türkei ins Feld schicken würden, das hatte früher niemand für möglich gehalten, und nun erkennt alle Welt auf einmal an. daß ein Krieg eigentlich nur mit vollster Ausnutzung der Wehrfähigkeit eines Volkes geführt werden darf, wenn der Sieg errungen werden soll.
Deutsche Luftschiffe für das Ausland. Ein zweiter „Parseval" für Rußland geht in Bitterfeld der Vollendung entgegen, einer für England ist im Bau, andere sind nach Oesterreich, Japan. Italien geliefert worden. Das errege „nationale Bedenken", schreibt hierzu eine Korrespondenz. In der Tat kann England, das vergeblich einen „Zeppelin" nachzumachen versuchte, nicht einmal Prall-Luftschiffe von gleicher Güte Herstellen, wie wir. Für beste Luftschiffe haben wir konstruktiv geradezu ein Monopol. Aber es ist bisher vom Reiche gar nicht ausgenützt worden, die nötigen Aufträge für die Heeresverwaltung sind ausgeblieben. Was bleibt da den Baugesellschaften anderes übrig, als für das Ausland zu liefern, um wenigstens an diesem Material weitere Erfahrungen zu sammeln und ihren Arbeiterstamm zu erhalten? Zu unserer Schande sei es gesagt: Sie müßten sonst überhaupt die Bude sofort zumachen. Die auf große Lieferungen eingerichtete Zeppelinwerft mußte in diesem Sommer, ohne daß untere Maßgebenden erröteten, einen Vorschuß von 100 000 Mk. aufnehmen, um ihre Angestellten bezahlen zu können. Dis Parsevalwerft ringt andauernd mit finanziellen Schwierigkeiten. Beiden bringt der Passagierverkehr nicht einmal die Unkosten, geschweige denn eine Kapitalverzinsung ein. Wir stehen vor einem Ruin unserer nationalen Luftschiff-Industrie, wenn ihr nicht die längst , notwendigen Aufträge zugeführt werden, und zwar, da sonst eine kaufmännische Kalkulation unmöglich ist. unter Aufstellung eines bestimmten Luflflotten- Gründungsplanes auf Jahre hinaus. Andernfalls müssen eben die ausländischen Abnehmer als Retter einspringen. Als Retter — für uns, bis es „oben" einmal tagt. (T. R.)
Der Ausschuß des deutschen Handelstages hielt in der abgelaufenen Woche eine zweitägige Sitzung in Berlin ab, in welcher namentlich die Frage einer entsprechenden Vertretung von Handel und Industrie in den Ersten Kammern der deutschen Einzelstaaten eingehend erörtert wurde.
Berlin, 20. Dezbr. Die jetzt abgeschlossene Sammlung zur National-Flugspende ergab insgesamt sieben Millionen Mark. Prinz Heinrich erläßt als Protektor eine Danksagung an die Spender und die Organisatoren der Spende und gibt der Ueberzeugung Ausdruck, daß die Höhe des Ergebnisses die Möglichkeit geben werde, das Flug- ' weftn mii-kkam zu ftftdprn
Greiz, 30. Dez. Bei der Reichst agsersatz» wähl in Reuß älterer Linie erhielt Cohen (Soz.) 7869, Dr. Stresemann (natl.) 5373, Amtsrichter Lattmann (WV.) 1460 Stimmen. Cohen ist gewählt.
Essen, 20. Dez. Mit Rücksicht auf die hohen Viehpreise in Holland, die jetzt, wie zu erwarten war, nur noch wenig geringer sind, als die für einheimisches Vieh, hat die Stadtverwaltung den Ankauf von holländischem Fleisch eingestellt. Insgesamt hatte die Stadt 270 Rinder aus Holland bezogen.
vermischtes»
Sulz a. N., 6. Nov. Folgende wahre Begebenheit hat sich kürzlich in einer Nachbarstadl zugetragen : Ein Gastgeber bestellte bei Metzgermeisler ein Hirn. Da es nicht auf die bestimmte Zeit eintraf. wollte er dem Metzger telephonieren, wurde aber irrtümlicherweise mit dem Rathaus verbunden, wo der Amtsdiener an das Telephon kam. Auf die Anfrage des Gastgebers: wo das bestellte Hirn bleibe, gab der Amtsdiener zur Antwort: „Auf dem Rathaus hat man kein Hirn." Ob der Amtsdiener nur an sich gedacht hat? (Sulzer Chronik.)
Ein Wahlkandidat, der die Polizeistunde innehält. Bei den letzten Bürgerausschußwahlen irgendwo in Deutschland beteiligte sich auch ein „Frauenkomitee" eifrig am Wahlkampf und suchte u. a. durch eine Reihe von Inseraten für seinen Kandidaten Stimmung zu machen. Da hieß es: »Ihr Frauen, dringt darauf, daß eure Männer alle Herrn Hotelier Hermann R. wählen, denn er sorgt dafür, daß unsere Männer, trotzdem keine Polizeistunde besteht, nachts zwölf Uhr nach Hause geschickt werden. Er ist der einzige Gastwirt, der pünktlich schießt". Daneben findet sich noch der Notschrei einer einzelnen schönen Seele, der kurz und lakonisch lautet: Wählet Herrn Hotelbesitzer Hermann R. er tritt für die Polizeistunde ein". Unterschrift: „Eine Eifersüchtige, die ihren Mann öfters des Nachts mit Hemd und Regenmantel bekleidet nach Haus« holen muß,,.
Einen „fetten Konkurs" machte ein Geschäftsmann in dem sächsischen Stäbchen Adorf, denn es wurde schließlich nach Abzug aller Unkosten eine Dividende von sage und schreibe 0,00076 Prozent verteilt; demnach hätte ein Gläubiger, der 10 000 zu fordern hätte, nur ganze 7,6 Pfg. aus der Masse zu bekommen. Ein Geschäftsmann, der über 1200 Mark ausstehen halte, erhielt ein Schreiben, daß der Betrag von 1 Pfg. auf ihn entfallen sei. Obendrein wurde laut „Leipz. Tagbl." von ihm verlangt, er solle auf einer 5 Pfg.-Karte diesen Betrag zwecks Ersparung von neuen Kosten der Armenkasse überweisen.
Ein Giftmord. In einer kleinen Ortschaft ind der Nähe von Varese in der Provinz Como hatte ein Kaufmann, wie die „Neue Zürcher Ztg." meldet, seine Frau bei einer deutschen Lebensversicherungsgesellschaft für die Summe von 20 000 Franken verstchrrt. Vor etwa vier Wochen verreiste
Gin deutsches Mädchen.
Roman von Karl Meisner.
291 (Nachdruck verboten.)
„Ja so. Sie haben doch Recht. Es ist das erste Mädchen, das Sie beseitigen lassen. Bisher waren es nur Frauen, die ihrem Mann oder Ihnen im Wege standen, übrigens muß ich Ihnen doch das Kompliment machen, daß Sie nur hübsche Weiber verschwinden ließen."
Saffron lächelte überlegend.
„Gerade die schönsten Frauen hindern meistens am ersten und sind am häufigsten im Wege. Doch das werden Sie nicht verstehen, das liegt in meinem Fach. Ich mag heute die Künstlerin nicht sehen — schaffen Sie sie nur bald fort — und wenn sie über Bord fällt, schadet es auch nichts — hier ist das Geld."
Mit einer widerwilligen Gebärde warf er das Geld auf den Tisch. Die Frau nahm es und verschloß es sorgfältig in einem Schrank, der in die Wand eingelassen war.
„Die braucht nicht über Bord zu fallen," sagte sie dann lachend, „für solche Ware finde ich stets willige Abnehmer. Man wird in Indien einen schönen Preis für sie erzielen. So, und nun können Sie, wenn Sie wollen, selbst Zusehen, wie ich die Deutsche selbst nach — Hause fahre, wie sie meint."
Sie zog an einer Klingelschnur, worauf die alte Magd erschien und stumm an der Türe stehen blieb.
„Was macht die junge Dame im Salon, hat sie geschrien," fragte die Frau.
„Nein, Mistreß, sie weint und wollte hinaus. Da habe ich ihr gesagt, sie bekäme die Peitsche zu kosten, wenn ste nicht ruhig wäre."
„Das brauchtest Du nicht zu sagen, aber es ist Dein einziges Vergnügen, das Du kennst, Weiber, die widerspenstig sind, mit der Peitsche zu beruhigen. Geh' jetzt und hole einen Wagen, er soll an der Türe warten, bis wir kommen."
Die Magd entfernte sich, um den Befehl auszuführen.
„Ein gräßliches Geschöpf, dieses Frauenzimmer," sagte, sich schüttelnd, der Rechtsanwalt. „Wie können Sie nur dies halb verrückte Wesen immer um sich dulden? Ich glaube, weil Ihnen kein Kapitän und kein Mensch einen Penny dafür geben würde."
„Das verstehen Sie nicht. Sie kluger Rechtsanwalt. Dieses Weib ist mir sehr nützlich. Und wenn sie einmal verschwinden müßte, brauchte ich keinen Kapitän dazu. Aber dieses blödsinnige Wesen kann von keinem Menschen ausgefragt werden. Was es jetzt sieht und hört, hat es in einer halben Stunde wieder vergessen. Sollte unsere hohe Polizei einmal Wind von meinem stillen Speditionsgeschäft bekommen, erfährt sie von meiner Magd nicht mehr wie von meinem Affen, den ich unten halte. Auch kann ich ihr beruhigt jetzt die Bedienung der Frauen und Mädchen anvertrauen, die sich zuweilen in meiner Wohnung aufhalten müssen. Nur vor etwa zwei Jahren, als ich sie erst kurze Zeit im Dienste hatte.
machte sie einmal den Versuch, ein blutjunges Mädchen heimlich wieder aus dem Hause zu lassen. Da habe ich sie mit der Peitsche geschlagen, bis ste sich am Boden wand.
Ich glaube, ich habe ihr dabei auch auf den Kopf geschlagen, denn seit dieser Zeit ist ste noch vergeßlicher geworden wie vordem. Allerdings ist jetzt aber auch die Peitsche ihr Lieblingsinstrument, mit dem sie renitente Gäste in meinem Hause ausgiebig behandelt, wenn ich ihr dazu die Erlaubnis gebe, und dazu bin ich öfter gezwungen."
„Ach, ich bewundere Ihren Scharfsinn, Mistreß Moogh," sagte lachend der Rechtsanwalt.
„Glauben Sie mir, wäre es möglich, daß Frauen Advokaten werden könnten, ich hätte meinem Stande alle Ehre gemacht. Auch ich führe Prozesse, die großen Mutes und unbedingter Kaltblütigkeit bedürfen. Der Advokat greift öffentlich seine Gegner an, das Gesetz steht ihm dabei helfend und schützend zur Seite — ich aber muß in aller Heimlichkeit handeln, muß hundert Verstellungen und Verwandlungen vornehmen, um in aller Stille und mit aller List mein Ziel zu erreichen. So mußte ich heute eine schlichte Frau aus dem Volke sein, um die deutsche Malerin zutraulich zu machen. Morgen vielleicht bin ich eine reiche Handelsfrau, um die Frau eines Bankiers, der sie unbedingt los sein will oder muß, hierher bringen zu können. Alles erfordert Überlegung, Klugheit, Mühe und Arbeit. Ich verdiene mein Geld nicht so leicht wie es den Anschein hat." '