Am 31. Oktober 1912, abends etwa um 7 Uhr, mietete ein junger Bursche auf dem Schloßplatz in Stuttgart ein Automobil zu einer Fahrt nach dem Schattenwirtshaus bei Vaihingen auf den Fildern an der Straße Stuttgart—Magstadt. Zwischen Heslach und Wildparkstation stiegen zwei weitere Burschen ein. Beim Schattenwirtshaus wurde dem Chauffeur eine Schlinge um den Hals geworfen. Der Ueberfall mißlang, die Täter entkamen. Der erste Insasse, der sich später neben den Chauffeur setzte und wohl bei Gelingen des Anschlags die Aufgabe hatte, die Führung des Automobils zu übernehmen, wurde von den anderen Burschen mit Ernst angesprochen.
Tübingen. 2. Novbr. Wie die „Tübinger Chronik" meldet, sind nach amtlicher Feststellung in Unterjesingen wiederum drei Fälle von Typhus vorgekommen; dieZahl der sicher festgeftelltenTyphus- erkrankungen betrage nunmehr sechs.
Oberndorf, 1. Noo. Der im Konkurs befindliche Kronenwirt Dangler in Hardt halte einen großen Teil seines Inventars beiseite geschafft. Er wurde deshalb gestern wegen Verdachts betrügerischen Bankerotts in Hast genommen und in das hiesige Amtsgerichtsgefängnis eingeliefert.
Urach. 29. Okt. Stadtschultheitz a. D. Seubert durfte gestern im Kreise seiner Angehörigen den 90. Geburtstag feiern. Der Jubilar, der hier der älteste Bürger ist, erfreut sich noch einer seltenen körperlichen und geistigen Rüstigkeit.
Winnenden. 1. Nov. Die Oberleutnantswitwe Elisabeth Schunck aus Niederrad bei Frankfurt a. M. hat das Bahnhotel und den Saalbau Horn um 130 000 käuflich erworben.
Böblingen. I.Nov. Die Milchfälschungen im hiesigen Bezirk haben in der letzten Zeit einen beträchtlichen Umfang angenommen. Vor dem hiesigen Amtsgericht hatten sich vorgestern nicht weniger als 22 Mitglieder der Molkereigenossenschaft in Ehningen zu verantworten, die der von ihnen nach Stuttgart gelieferten Milch Wasser, zum Teil bis zu mehr als 2 Liter, zugesetzt hatten. Die Angeklagten wurden zu 10 bezw. 40 Mk. Geldstrafe und zur Tragung der recht erheblichen Kosten verurteilt.
Weinsberg, 2. Nov. Der Amtsdiener Knapp in Willsbach geriet nachts auf einem Dienstgang in die Sulm und ertrank. Dis Leiche wurde am andern Morgen geborgen.
Hohenstaufen, 2. Nov. Ein Zug von über hundert Schneegänsen, der in der Richtung von Hohenstaufen dem Aichelberg zu in beträchtlicher Höhe flog, wurde gestern beobachtet. Das Erscheinen der Schneegänse wird vielfach als ein Zeichen des bald herannahenden Winters betrachtet.
Freudenstadt. 3. Nov. Heuer liefern besonders wieder die Forstämter im Schwarzwald große Mengen Nadelholz zum Verkauf. An der Spitze steht Schönmünzach mit 20 000 F-stmetern. Es folgen Pfalzgrafenweiler mit 19 500, Obertal und Langenbrand mit je 15 500. Es gibt dabei viel Fährlohn zu verdienen, denn die Schläge sind oft 20—30 Kilometer von der nächsten Eisenbahnstation entfernt.___
Kus StaSt, Bezirk unS Umgebung.
Langenbrand, 3-Nov. Am gestrigen Samstag abend fand hier im Hotel Kramer eine Wählerversammlung statt, in welcher der Kandidat der vereinigten liberalen Parteien, Hr. Karl Commerell von Höfen, sein Programm zum Vortrag brachte, womit er Anklang fand. An der folgenden Debatte beteiligte sich Goldarbeiter Burkhardt von Salmbach, der die sozialdemokratischen Forderungen vertrat, weiter Oberamtspfleger Kübler, Oberförster Dr. Eberhardt und Kandidat Commerell. Dr. Eberhardt sprach in sehr eindrucksvoller Weise zu den Wählern für die Kandidatur Commerell.
Neuenbürg, 3. Nov. Der Landtagskandidat der liberalen Parteien, Hr. Commerell, hat in den letzten Tagen wieder einer Reihe von Gemeinden des Bezirks seinen Besuch abgestattet, immer begleitet von einigen den beiden bürgerlichen Parteien ange- hörigen hiesigen Herren. Am heutigen Sonntag nachmittag sprach Hr. Commerell in sehr gut besuchten Wählerversammlungen in Arnbach, Schwann und Conweiler. Wie letzten Sonntag in Herren- alb und Dobel, so gab auch heute in trefflicher Rede der Sekretär der Nationalliberalen Partei, Hr. Hopf aus Stuttgart interessante Ausführungen. Die Kandidatur Commerell findet überall die beste Aufnahme.
§ Neuenbürg, 4. Novbr. Nach 4^2 jähriger Tätigkeit als Vorstand des hiesigen Bahnhofs ver- läßt uns heute Hr. Bahnhofoerwaller Metzler, um
die ihm auf Ansuchen übertragene Stelle des Ober- bahnkajsiers in Tübingen anzutreten. Gesundheitliche Gründe und Familienrücksichten haben den humorvollen, allezeit dienstbereiten Beamten bewogen, nach so verhältnismäßig kurzem Hiersein sein Amt mit dem weniger aufreibenden eines Oberbahnkassiers in der schönen Universitätsstadt Tübingen zu vertauschen. In einer im „Schwanen" im engsten Familienkreis abgehaltenen Abschiedsfeier kam denn auch das Bedauern über den Weggang des beliebten Beamten und seiner Familie zum beredten Ausdruck. Unsere Glück- und Segenswünsche begleiten die Familie Metzler nach der neuen Stätte ihrer Wirksamkeit.
Neuenbürg. 3. Nov. In der ersten Oktoberwoche überall böser Frost, der namentlich dem Weinherbst so nachteilig war, in der letzten Oktoberwoche ein Herbstwetter, so mild u. warm, wie man sich das kaum denken mochte. Nun haben aber die letzten paar Tage des Oktober wieder viel Regen gebracht, denen nun plötzlich ein rauhes, geradezu winterliches Wetter gefolgt ist. Mit dem 1. November hat sich auch der erste Schnee, wenigstens auf den bewaldeten Bergen eingestellt und am heutigen Sonntag früh hatte es auch im Tale den Anschein, als sollte auch uns schon eine Schneelandschaft beschert werden; es schneite, wenn auch spärlich, doch lustig darauf los. Bald aber war das bischen Schnee wieder verschwunden. Es scheint sich nun schon wieder ein Wetterumschlag vorzubereiten. Wir müssen uns jetzt auf alle möglichen Weiterlaunen gefaßt machen.
Herrenalb, 2. Noo. Die günstige Obsternte unsres Bezirks hat wieder einmal gezeigt, welchen großen Wert es hat, wenn die Grundbesitzer in der rationellen Pflege der Obstbäume und in der richtigen Auswahl passender Sorten Bescheid wissen. Um nun anschaulich zu zeigen, welche Erfolge eine sorgfältige Zucht zu erreichen vermag, veranstaltet Gärtnereibesitzer und Baumwart Theodor Ehinger von Montag den 4. Nov. ab eine kleine Ausstellung von selbstgezüchtetem Tafelobst und zwar von solchen Sorten, die sich nach Lage und Beschaffenheit des Terrains wie nach den klimatischen Verhältnissen für die Herrenalber Gegend eignen. Die dankenswerte Veranstaltung wird eingehender Beachtung empfohlen. (Vergl. das Inserat in heutiger Nummer.)
Alten steig, 2. Novbr. Auf der Straße nach Walddorf wurde der Fruchthändler Hiller von Walddorf tot aufgefunden. Ec hat abends den Heimweg angeireten und scheint dabei gefallen und erstickt zu sein, denn er lag auf dem Gesicht.
Pforzheim, 2. Noo. Der heutige Schweinemarkt war mit ca. 108 Milchschweinen befahren, von denen 90 Stück zu 34—40 Mk. pro Paar verkauft wurden.
Zur Landtagswahl.
Neuenbürg, 2. Nov. 1912.
Wir leben in einer politisch bewegten Zeit. Dahinten im Orient schlagen die Völker aufeinander; es bahnt sich eine Verschiebung der Machtverhältnisse im Osten Europas an, deren Ende und Bedeutung zunächst für uns gar nicht zu übersehen ist. Niemand weiß, was daraus entstehen kann und wird. Es ist so viel Zündstoff angehäuft, daß kein Mensch Voraussagen kann, ob nicht eine Explosion ganz Europa durcheinanderwerfen wird. Unsägliches Elend und grenzenloser Jammer wären die schrecklichen Folgen eines Krieges. Es ist heutzutage ganz und gar unmöglich, die Tragweite eines Kriegsbrandes zu erfassen. Wir leben heutzutage in andern Verhältnissen als 1870. Unser Erwerbs- und Staatsleben ist viel empfindlicher geworden. Ein Krieg würde alle die vielen Errungenschaften der letzten 40 Jahre in Frage stellen. Wir haben nun 40 Jahre lang Frieden gehabt. In diesen 40 Jahren hat sich Deutschland in ungeahnter Weise entwickelt. Es ist groß und mächtig geworden, und besonders in wirtschaftlicher Beziehung hat Deutschland großartige Fortschritte gemacht; es steht im Welthandel an zweiter Stelle. Millionen von Arbeitern finden dadurch ihr tägliches Brot. Ein Krieg würde alles ins tiefste Elend zurückwerfen. Warum haben wir so lange Frieden gehabt? Warum konnte sich Deutschland ungestört entwickeln? Das war nur möglich, weil Deutschland für alle Fälle gerüstet war. Wir selbst bedauern aufrichtig diesen gespannten Friedenszustand, der ganz Europa in Waffen starrt, bereit, jeden Augenblick übereinander herzufallen. Wir selbst bedauern auch die ungeheuren Opfer, die dieser bewaffnete Frieden kostet. Wir sehen auch ein, daß der Krieg ein großes Unglück für Sieger und Besiegte ist und könnten uns nur freuen, wenn ein Rezept gefunden würde, diese Völkergeißel abzuschaffen.
Aber gerade der gegenwärtige Krieg zeigt ganz deutlich, daß der Wellfriedenszustand noch ferne ist- Es ist der europäischen Diplomatie nicht gelungen, den Krieg zu verhüten; die Interessen der Balkan- völker waren mächtiger als das Friedensbedürfnis Europas. Ob es gelingt, den Kriegsbrand auf den Balkan zu beschränken, das wissen wir nicht. Nun, wir haben das unsere getan, um für Frieden oder Krieg gerüstet zu sein. Deutschland hat aber bisher seine Macht nur im Interesse des Friedens in die Wagschale geworfen. Es hätte in 40 Jahren oft Gelegenheit gehabt, ohne einen Anlaß vom Zaune zu reißen, seine Macht auch anders anzuwenden.
Nun hat aber die Sozialdemokratie von Anfang an dem deutschen Vaterland alle Mittel verweigert für das deutsche Heer und ebenso für eine Flotte. Wenn es auf sie angekommen wäre, so wären wir heute noch der Spielball Europas wie in früheren Zeiten. Wenn auch manche Sozialdemokraten persönlich und privatim vernünftigere Ansichten über diesen Punkt haben, so ist doch die offiziöse Sozialdemokratie von jeher gegen jedes bestehende Heer und gegen die Marine gewesen. Darin unterscheidet sich unsere deutsche Sozialdemokratie sehr unvorteilhaft von derjenigen anderer Staaten. Der französische Sozialdemokrat, ebenso der englische und italienische usw. ist in erster Linie Franzose oder Engländer oder Italiener und erst dann Sozialdemokrat. Diese sind national, während die deutsche Sozialdemokratie in erster Linie international ist und für ihre deutsche Nationalität nichts übrig hat. Die französischen Sozialdemokraten haben schon oft für Heeresvermehrung gestimmt. Ein großer Teil der italienischen Sozialdemokratie hat sogar für die Eroberung von Tripolis gestimmt. Unsere deutsche Sozialdemokratie ist so naiv, daß sie glaubt, daß die andern Länder abrüsten würden, sobald Deutschland den Anfang machen würde.
Was wäre aber die Folge? England ist schon lange eifersüchtig auf die Fortschritte des deutschen Handels, der den Englands zu überflügeln droht. Es würde die erste günstige Gelegenheit ergreifen, Deutschland wieder aus die alte Stufe zurückzuwerfen. Deutschland mit seiner wachsenden Bevölkerung ist aber notwendigerweise auf den Auslandshandel angewiesen. Frankreich sucht schon lange Gelegenheit, mit uns wegen 1870 abzurechnen und hätte schon lange Krieg angefangen, wenn es Deutschland nicht fürchten würde. Deutschland hat wenig Freunde, und das kommt daher, weil jeder aufstrebende Staat die Eifersucht und den Neid der andern erregt, ähnlich wie es im täglichen Leben ist, wo jeder, der vorwärts kommt, von andern beneidet oder gar angefeindet wird. Die deutsche Sozialdemokratie hat schon oft die Forderung ausgesprochen, daß wir Elsaß-Lothringen wieder an Frankreich zurückgeben müßten, ein Land, das einst deutsch war, das die deutsche Sprache spricht, das wir mit großen Opfern an Gut und Blut wieder erworben haben. Würde ein französischer Sozialdemokrat auch so sprechen? Er würde sich schämen. Wenn er es täte, so würde er sich die Verachtung des ganzen Volkes zuziehen.
Hie und da blitzt in manchen sozialdemokratischen Gehirnen das Bewußtsein dieses Unsinns auf. Wenn Schippe! im Reichstag einmal sagte, man könne die deutschen Soldaten nicht mit alten Gewehren und Kanonen gegen den Feind schicken, so wurde er von den andern angefahren und von den sozialdemokratischen Zeitungen angegriffen. Auch Vollmar hat schon ganz vernünftige Ansichten ausgesprochen. Aber im Reichstag und in sozialdemokratischen Versammlungen oder auf Parteitagen hat es immer geheißen: „Für deutsches Heer und deutsche Marine keinen Groschen." Wie würden wir jetzt dastehen, wenn wir kein deutsches Heer hätten. In der gegenwärtigen politisch so gefährlichen Zeit hätten wir kein Wort mitzusprechen, wir müßten uns alles gefallen lassen. Wir wünschen auch eine Abrüstung, aber nicht wie die Sozialdemokratie jetzt. Wir erhoffen sie von der Zukunft, wenn die Völker die Unerträglichkeit des gegenwärtigen Zustandes, die Zwecklosigkeit der Kriege einsehen werden. Wann das kommt, wir wissen es nicht. Gegenwärtig ist dieser Zustand nicht da; daher müssen wir gerüstet sein, das Vaterland zu verteidigen.
Die Landtagswahl steht zwar in keiner direkten Beziehung zu dieser Haltung der Sozialdemokratie in nationalen Fragen, weil der Landtag nicht über Heer und Marine entscheidet; aber es war notwendig, namentlich gegenwärtig in dieser kritischen Zeit, die Wähler auf dieses Treiben der deutschen offiziellen Sozialdemokratie hinzuweisen. Sie glaubt mit Massenaufzügen oder mit Androhung eines Generalstreiks wie im vorigen Jahr den Frieden erzwingen zu können; aber im Ernstfall gibt es keinen General-