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^ 10S.
Neuenbürg, Mittwoch den 10. Juli 1912.
70. Jahrgang.
RunSlchau.
DiehochoffiziöseKundgebung, welche das Wolff'sch« Telegraphenbureau über die Bedeutung der Kaiserzusammenkunft in Baltischporl unmittelbar nach deren Beendigung verbreitet hat, entspricht den Anschauungen, welche man in den politischen Kreisen Europas über dies Ereignis noch vor seinem Eintritte vorwiegend hegte. Es sind also in Baltischport keinerlei neue Abmachungen getroffen, und auch keinerlei Erörterungen gepflogen worden, welche aus Herbeiführung einer neuen Gruppierung der Mächte zielen könnten, was jedenfalls in London und Paris beruhigend wirken wird, da man dort vielfach mit unverkennbaren Besorgnissen auf das erneute Zusammentreffen des deutschen Kaisers mit dem Zaren Nikolaus sah. Die Bedeutung des Vorganges liegt vielmehr, wie dies das hochoffiziöse Berliner Commumque auch ohne weiteres zugibt, in der Befestigung des wiederhergestellten Einvernehmens Deutschlands und Rußlands und weiter in der Tatsache, daß die Fortdauer des deutsch-russischen Einverständnisses zugleich eine wichtige Garantie für die Erhaltung des europäischer. Friedens darstellt. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, wird man wohl überall mit der Entrevue von Baltischport zufrieden sein können. Was die Erwartung anbelangt, daß hierbei auch der italienisch- türkische Krieg mit aufs Tapet gelangen würde, so ist dies sicherlich geschehen, sagt doch das Wolff'sche Bureau in seiner erwähnten Auslassung ausdrücklich, daß die politischen Besprechungen zu Baltischport sich auf sämtliche Tagesfragen erstreckt hatten, demnach kann es als selbstverständlich gelten, daß sie sich auch auf den Krieg zwischen Italien und der Türkei bezogen haben. Näheres über die betreffenden Erörterungen zwischen den beiden Kaisern und den sie begleitenden Staatsmännern ist indeß noch nicht bekannt geworden, und es muß darum einstweilen dahingestellt bleiben, ob bei dieser Zusammenkunft überhaupt Vorschläge wegen einer Beendigung des 'italienisch-türkischen Krieges gemacht worden sind.
Die Pariser Presse bekundet im allgemeinen ihre Befriedigung über das beruhigende deutsche Commumque betreffs der Entrevue von Baltischporl. Z. B. meint das gemäßigt-republikanische „Journal des Debats", daß das Commumque den Erwartungen Europas entspreche, und der offiziöse „Temps" erklärt, die amtliche Berliner Kundgebung könne nur mit Genugtuung ausgenommen worden, denn hieraus gehe hervor, daß die Politik Rußlands wie Deutschlands von freundlichen Absichten erfüllt sei.
Der Kaiser traf am Sonntag abends in der zwölften Stunde von seiner jüngsten Begegnung mit dem russischen Kaiser in Baltischport zunächst wieder im Neuen Palais bei Potsdam ein. Doch ist er inzwischen bereits wieder nach Swinemünde zurückgekehrt und hat von dort aus seine diesjährige Nordlandsreise an Bord der „Hohenzollern" angetreten.
Petersburg, 8. Juli. Heute vormittag besuchte der Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg das deutsche Schulschiff „Hansa" und die Eremitage unter Führung des Barons Fölkersamb. Darauf fand bei dem Minister des Aeußern ein Frühstück statt, an dem sämtliche in Petersburg weilende Minister, sowie die hohen Beamten des Auswärtigen Amtes, alle Mitglieder der deutschen Botschaft, der bayerische Gesandte v. Grunelius und der russische Botschafter in Berlin teilnahmen. Nach dem Frühstück fuhr der Reichskanzler nach ZarskojeSelo. Heute abend findet in der Botschaft ein Diner statt, zu dem u. a. der Ministerpräsident, der Marine- und der Ackerbauminister mit ihren Damen, sowie Mitglieder der Hofgesellschaft Einladungen erhalten haben.
Die englische Regierung hält, wie aus London gemeldet wird, nichts von einer Konferenz zur Beilegung des italienisch-türkischen Krieges. Sie
erachtet eine europäische Konferenz zu gedachtem Zwecke als ganz verfehlt und sogar als direkt schädlich. Die englische Regierung wird sich, heißt es weiter, daher jeder Anregung zu einer solchen Konferenz widersetzen, gleichviel, woher sie auch kommen möge. — Bei diesem entschiedenen Widerspruche Englands gegen das schon wiederholt angeregte Konferenzprojekt als Mittel zur Beendigung des italienisch-türkischen Krieges ist allerdings wohl schwerlich an eine baldige Verwirklichung des Konferenzgedankens zu denken.
Rom. 9. Juli. General Camerana telegraphiert aus Tripolis: Nach einem glänzenden siegreichen Kampf bemächtigten sich die Italiener gestern Mesuratas. Gestern nachmittag ist die italienische Flagge gehißt worden. Um 4 Uhr morgens gingen alle verfügbaren Truppen zum Angriff vor, während die Kriegsschiffe die Küste überwachten. Der Kampf begann sofort sehr lebhaft. Der Feind, in stark befestigter Stellung, leistete erheblichen Widerstand. Der Kampf nahm alsbald den Umfang einer großen Schlacht an. Um 10 Uhr befand sich der Feind auf dem linken Flügel in voller Flucht gegen den rechten Flügel des Feindes, der immer wieder heftigen Widerstand leistete. Erst nach Einnahme des Dorfes Zubruz durch wiederholte heftige Bajonettangriffe konnte der Vormarsch der Italiener bis Mefurata fortgesetzt werden. Der Feind floh planlos ins Innere. Die Türken ließen ihre Toten zurück. Die Verluste üb erst eigen viele Hunderte. Die Italiener hatten 9 Tote und 121 Verwundete.
Berlin. 8. Juli. Dem „Reichsanzeiger" zufolge schließt der Reichshaushalt im Rechnungsjahr 1911 nach dem endgiltigen Abschluß der Reichshauptkaffe mit einem Gesamtüberschuß von 249131174 81 ab.
Bern, S. Juli. Der Internationale Kongreß für den Eisenbahnfrachtverkehr ist gestern hier eröffnet worden. Der Bundesrat Perrier wurde zum Präsidenten gewählt. 41 Delegierte aller Vertragsstaaken außer Luxemburg sind anwesend. Deutschland ist durch 5 Delegierte vertreten.
Berlin, 8. Juli. Der Reuterforscher Prof. K. Th. Gaedertz ist heute nacht im Alter von 57 Jahren gestorben.
Das 17. deutsche Bundes- und Goldene Jubiläumsschießen in Frankfurt a. M. wurde am Sonntag mit dem Einzuge der Frankfurter Schützenvereine in die städtische Festhalle eröffnet, worauf mit dem Probeschießen begonnen wurde. Die eigentliche Festwoche nimmt am nächsten Sonntag ihren Anfang, es werden hierzu ca. 15 000 Schützenbrüder aus ganz Deutschland, der Schweiz, Oesterreich-Ungarn, Amerika usw. erwartet.
In Vamberg ist das Bankhaus Paul zusammengebrochen. Der Mitinhaber der Firma, Adam Paul, ist nach Depotunterschlagungen von über 80 000 flüchtig geworden. Viele Bam- berger Geschäftsleute sind geschädigt, desgleichen sind zahlreiche Dienstboten usw. um ihre Ersparnisse betrogen worden.
Kis singen, 8. Juli. In einem benachbarten Dorf wurde ein 23 jähriges Mädchen in früher Morgenstunde mit gespaltenem Schädel tot aufgefunden. Die Leiche war außerdem mit Petroleum begossen und angezündet worden. Unter dem Verdacht der Täterschaft wurde ein 26 jähriger Bäcker verhaftet.
Der schwäbische Markt Biberbach in der Lechtalebene bei Augsburg wurde durch einen Wolkenbruch überschwemmt. Der Schaden ist gewaltig. Drei andere oberhalb gelegene Ortschaften haben gleichfalls schwer gelitten. Mehrere Bauernhöfe wurden durch Blitzschläge eingeäscherr.
NishneUdinsk (Gouvernement Irkutsk), 8. Juli. Das bereits gemeldete Hochwasser des Flusses Udd Tschuna hat 500 Häuser der Stadt unter Wasser gesetzt. 20 Häuser sind bereits eingestürzt.
London. 9. Juli. In dem Steinkohlenbergwerk beiDenaby, Grafschaft Aork, ereignete sich heute früh eine Explosion, bei der 20 Mann getötet worden sind. Die Zahl der Verunglückten ist noch unbekannt. Das Bergwerk liegt in der Nähe des Schlosses Conisbrough, das der König erst gestern auf dem Weg nach Wensworth Woodhouse, der Besitzung des Grafen Fitzwilliam, besucht hat.
Newyork, 10. Juli. Die ununterbrochen andauernde Hitze hat in mehreren Städten im Osten der Vereinigten Staaten eine Reihe weiterer Opfer gefordert. In Newyork sind gestern fünf Todesfälle an Hitzschlag vorgekommen.
Württemberg.
Stuttgart, 9. Juli. Die Deutsche Partei und Fortschritt!. Volkspartei haben beschlossen, sich in den nachstehend bezeichneten Landtagswahlbezirken bei den kommenden Neuwahlen keine Gegenkandidaten entgegenzustellen. Kandidaten werden aufgestellt von der Fortschrittlichen Volkspartei in Backnang, Balingen, Biberach, Böblingen, Calw, Crailsheim. Freudenstadt, Gaildorf, Gerabronn, Gmünd, Heilbronn Stadt und Amt, Horb, Kirch- heim. Leonberg. Leutkirch. Ludwigsburg Amt, Marbach, Mönsingen, Neckarsulm, Nürtingen, Oberndorf. Oehringen, Reutlingen Stadt. Rottenburg, Saulgau, Schorndorf, Spaichingen, Tettnang, Tübingen Stadt, Tuttlingen, Ulm An t, Urach, Vaihingen a./Enz und Waiblingen. — Die Deutsche Partei stellt Kandidaten auf in Aalen, Besigheim, Blaubeuren, Brackenheim, Cannstatt, Ehingen, Ellwangen Stadt und Land, Eßlingen, Geislingen, Göppingen. Hall, Herrenberg. Künzelsau, Laupheim, Maulbronn, Mergentheim, Nagold, Neresheim, Neuenbürg, Ravensburg, Reutlingen Amt, Riedlingen, Rottweil, Stuttgart Amt, Sulz. Ulm Stadt, Waldsee, Wangen. Weinsberg und Welzheim. Gegenseitige Unterstützung beider Parteien ist in allen diesen Bezirken zugesichert, keine der beiden Parteien wird ein Abkommen mit einer anderen Partei treffen. Eine Ausnahme bildet Leonberg, wo die Deutsche Partei die Zusage einlösen soll, die sie dem bisherigen Abgeordneten gab. Die Abmachung gilt für den ersten und zweiten Wahlgang. Eine Einigung wurde nicht erzielt für die Wahlkreise Heidenheim, Ludwigsburg Stadt und Tübingen Amt. Für die Proporzwahlen ist eine Verbindung der Listen beider Parteien in Aussicht genommen.
Stuttgart. 9. Juli. Wie früher schon berichtet wurde, hat die Nationalliberale Partei Schorndorf den Reichstagsabgeordneten Keinath als Kandidaten für die kommende Landtagswahl aufgestellt. Diese Kandidatur war schon seit nahezu 2 Jahren von der Schorndorfer Nationalliberalen Partei in Aussicht genommen. Wie die Württ. Presse-Korrespondenz hört, hat nun der Reichstagsabg. Keinath auf diese Kandidatur verzichtet, um das Zustandekommen des Landeswahlabkommens mit der Volkspartei zu ermöglichen und gleichzeitig die Schorndorfer Parteifreunde gebeten, das Wahlabkommen mit der Volkspartei anzuerkennen.
Stuttgart, 8. Juli. Die Sozialdemokratie hat als Landtagskandidaten für das Oberamt Backnang den Gemeinderat Erlenbusch in Backnang aufgestellt, für Freuden stadt kandidiert der seit- ' herige volksparteiliche Abgeordnete Kaiser.
Besigheim. 9. Juli. Auf Grund des Landesabkommens zwischen der Deutschen Partei und der Fortschrittlichen Volkspartei stellt für den hiesigen Bezirk die Deutsche Partei den Kandidaten für die kommende Landtagswahl. Sie hat den Lederfabrikanten Schund in Bietigheim nominiert, der die Kandidatur angenommen hat und nun auch von der j Fortschrittlichen Volkspartei unterstützt wird. Der von letzterer aufgestellt gewesene Arzt Dr. Laggai in Bietigheim ist zurückgetreten.