Zweites

Blatt.

Der «nztäler.

Zweites

Blatt.

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Neuenbürg, Mittwoch den 12. Juni 1912.

7V. Jahrgang.

RunSschau.

Deutsche Einheitsstenographie. Nun­mehr liegen die Ergebnisse der im Kultusministerium in Berlin auf Einladung des Reichskanzlers ge­pflogenen Verhandlungen des 23er Ausschusses von Sachverständigen zur Aufstellung einer deutschen Einheitskurzschrift vor. Es ist beschlossen worden: I. Die Systemvertreter sind bereit, unter allen Um­ständen eine deutsche Einheitsstenographie zu schaffen, selbst wenn diese wenig oder nichts von den Schreib­weisen des eigenen Systems enthalten sollte. 2. Die künftige deutsche Einheilsstenographie soll eine fest­geregelte (Schul) Verkehrsschrift besitzen und durch ihre Kürzungsfähigkeit als Redeschrift die Erreichung aller kurzschriftlichen Zwecke ermöglichen. 3. a) Soll für die Verkehrsschrift das Regelwerk einfach, fest und mit wenigen Ausnahmen belastet sein, ohne daß dadurch ein einheitlicher Aufbau des ganzen Systems in Frage gestellt wird. 3. b) Soll die Auswahl der Zeichen und Regeln eine leichte und sichere Lesbarkeit auch bei schnellerem und flüchtigem Schreiben gewährleisten. In den Unterausschuß, der die vorhandenen Grundlagen zu sichten hat, dessen Vorsitz Provinzialschulrat Tiebe führen wird, wurden gewählt: Schaible, Mantzel, Rindermann, v. Ku­nowski. Thoma, Sand, Brauns. Kauders, Roller.

In Weimar fand am Sonntag die diesjährige Tagung des deutschen Flottenvereins in An­wesenheit des Großherzogs von Weimar statt. Groß­admiral v. Köster hielt eine beifällig aufgenommene Programmrede, in welcher er die Ziele des Flotten­vereins darlegte. Die nächste Tagung des Flotten­vereins findet in Bremen statt. Am Samstag und Sonntag wurde in Chemnitz der erste allge­meine Husaren tag abgehalten, zu welchem zahl­reiche ehemalige Angehörige, wohl aller deutschen Husarenregimenter erschienen waren.

Der Wettflug BerlinWien ist am Sonntag nachmittag vom Flugplätze Johannisthal aus ins Werk gesetzt worden. Als Erster landete an diesem Tage Hirth abends 8,50 Min. in Breslau, eine Stunde später folgte ihm Bleschke. Von den übrigen Teilnehmern am Fluge erlitten mehrere Unfälle, so Oberleutnant Bier und sein Fluggast Leutnant Steffen, deren Eindecker bei einer Notlandung erheblich be­schädigt wurde, wobei beide Flieger Verletzungen er- erlitten. Ferner stieß Wiencziers das Ungemach zu, daß sein Fahrzeug bei einem Probeflug kurz vor dem offiziellen Aufstieg zu Boden stürzte und voll­ständig zertrümmert wurde. Desgleichen wurde bei Beginn des Fluges das Flugzeug des Baron v. Thüna schwer beschädigt. Nach dem Weiterflug ist alsdann Hirth wieder als Erster in Aspern bei Wien glatt gelandet.

Essen, 8. Juni. Herr Krupp v. Bohlen und Halbach und Frau stifteten anläßlich der vor einigen Tagen erfolgten Geburt einer Tochter 200 000 -/A zur Wöchnerinnenfürsorge für Werksangestellte.

Bonn, 11. Juni. Ein 26 Jahre alter Privat - leh rer gab sich im Juni vor. Jahres am Königs. Gymnasium in Münstereifel für seinen 29 Jahre alten Schüler aus und legte für diesen die schrift­liche Reifeprüfung ab. Die Prüfung fiel vorzüglich aus. Der Schüler verriet später aus Angst den Be­trug. Die Strafkammer verurteilte gestern Schüler und Lehrer wegen gemeinschaftlicher einfacher Urkundenfälschung zu je drei Monaten Ge­fängnis.

Breslau, 10. Juni. Ein schweres Automobil­unglück ereignete sich gestern riecht zwischen Reichen­bach und Breslau. Ein Keusmann namens Paul Roger fand dabei seinen Tod. Infolge Cxplosiln des Benzinbchälters verbrannte die Leiche.

Posen, 8. Juni. In Blotnik bei Lissa ist gestern ein großer Brand ausgebrochen. 20 Ge­höfte mit 74 Gebäulichkeiten sind dem Brande zum Opfer gefallen. 1 Mann und 1 Kind ver­brannten, zahlreiche Familien sind obdachlos.

Uerdingen (o. Rhein). 10. Juni. Infolge des Genusses von gehacktem Pferdefleisch sind hier 50 Personen unter Vergiftungserscheinungen erkrankt. Tie Fälle scheinen nicht lebensgefährlich zu sein.

London, 11. Juni. Der Generalstreik wurde von der Exekutiveder nationalen Transportarbeiter­förderation erklärt. Mehr als 200 000 Arbeiter, die in den Docks beschäftigt sind und sich über alle Häfen des Landes verteilen, gehören der Transportarbeiter­vereinigung an. Im ganzen Lande kann man von 300 000 Mann sprechen, die an dem Streik beteiligt sind. Doch wollen gutinformierle Autoritäten wissen, daß der Streik keine große Unterstützung in den Provinzen finden werde. Bereits 60 000 Mitglieder der Matrosen- und Heizerunion haben es abgelehnt, sich dem Streik anzuschließen. Fühlbar macht sich der Streik besonders in den armen Bezirken, die um die Docks herumliegen. Zum erstenmal seit dem Streik des vergangenen Jahres ist wieder ein großer Run auf die dortigen Leihhäuser, und mehrere Pfand­leiher haben bereits eine Liste von solchen Artikeln veröffentlicht, die sie nicht mehr annehmen. Zweifel­los werden auch wieder die Schulkinder schwer zu leiden haben, und es ist beabsichtigt, ihnen, solange es möglich ist, zweimal am Tage eine Mahlzeit zu verabreichen. Es würden hiebei 300 000 Kinder in Frage kommen.

Mailand, 8. Juni. Auf eine Eingabe von 200 Rechtsanwälten Mailands beschloß der Vorstand des Mailänder Advokatenkollegium, in den General­streik der Rechtsanwälte und Gerichtsproku­ratoren von Mailand, der am 11. Juni beginnt, einzutreten, um dadurch gegen die ungenügende Zahl der Richter und Gerichtslokale zu protestieren.

Valenciennes, 8. Juni. Der belgische Ausstand übt einen großen ^Einfluß auf die fran­zösischen Arbeiter der Grenzstädte aus. Etwa 1000 Kundgeber zogen gestern nach Quiovrain und ver­hinderten dort 4000 belgische Arbeiter nach den französischen Werken zu gehen. Dieses Verhalten der Arbeiter verursacht der französischen Industrie großen Nachteil.

Reims, 10. Juni. Der Flieger Dubreuil stürzte mit einem Passagier namens Visseur auf dem Flugplatz von Belhöny aus einer Höhe von etwa 60 Meiern auf die Erde nieder. Das Flugzeug zer­schellte am Boden. Visseur ist tot, Dubreuil schwer verletzt. Der Flieger Kimmerling, der auf einem Eindecker mit einem Passagier namens Tonnet einen Flug ausführte, stürzte aus einer Höhe von 100 Meter ab. Beide Flieger sind tot.

vermischtes.

Stuttgart, 10. Juni. Die Tagung des Vereins Deutscher Ingenieure wurde heule vormittag im Festsaal der Liederhalle vom Vorsitzenden. Reichsrat Dr. v. Miller-München, feierlich eröffnet. Der Vorsitzende wies in seiner Begrüßungsansprache da­rauf hin, daß der Verein in der Hauptstadt des Landes tage, in dem einst Kepler seine Heimat hatte, in dem Robert Mayer seine Beobachtungen und Versuche machte, die für die ganze Welt, für die ganze Technik von maßgebender Bedeutung wurden, wo Graf Zeppelin mit fast nie gekannter Energie und Begeisterungsfähigkeit der Menschheit neue Wege öffnete, dem Vaterlande neue Waffen gab und zum Ruhm und zur Ehre der deutschen Technik in der ganzen Welt hervorragend beitrug, auch in dem Lande, in dem Max Eyth gelebt hat, der zeigte, daß der Ingenieur nicht bloß Verstand sondern auch Herz haben kann. Minister Dr. v. Pischek begrüßte die Versammlung namens der württembergischen Regierung. In humorvoller Weise bemerkte der Minister, er habe sich schon die Frage vorgelegt, welchem Berufe wohl ein zweiter Noah zu entnehmen wäre, wenn abermals wegen der Ver­derbtheit und Eitelkeit der Welt eine neue Sintflut über uns hereinbräche und die Notwendigkeit ent­stünde. wieder einzelne Menschen auszuwählen, die auf eine Arche sich zurückziehen, und er sei zu der Ansicht gekommen, daß den Sitz in der Arche jeden­falls ein Jurist oder ein Verwaltungsmann nicht einnehmen könnte, vielmehr das zweckmäßigste ein hervorragender, auch sonst über einen guten Schul­sack verfügender Ingenieur wäre. Wie die Mutter des Menschengeschlechts auszusehen hätte, darüber seien seine Erwägungen noch nicht abgeschlossen. Weitere Begrüßungsansprachen hielten Oberbürger­

meister Lautenschlager im Namen der Stadt Stuttgart, ferner der Rektor der K. Technischen Hoch­schule Stuttgart, Prof. Bantlin, sowie Prof. Wislicenus im Namen der Landesuniversität. Die Versammlung beschloß einstimmig, die Grashof­denkmünze dem Geh. Kommerzienrat Dr. Ing. Paul Mauser-Oberndorf, dem hervorragenden Erfinder und Konstrukteur auf dem Gebiet der Waffentechnik, zu verleihen. (In den Betrieben in Oberndorf sind schon rund 3 Millionen Gewehre mit einem Gesamt­wert von ca. 175 Millionen Mark hergestellt worden.) Die Denkmünze ist dis höchste Ehrung, die der Verein vergibt. Um 11 Uhr erschien in der Festversamm­lung, der u. a. auch die Minister v. Weizsäcker, v. Fleischhauer und v. Geßler anwohnten, der König mit Gefolge, um dem nun folgenden Vortrag des Chefkonstrukteurs im Reichsmarineamt, Wirkt. Geh. Oberbaurat Dr. Ing. V e i t h - Berlin, über neuere Kriegsschifftypen anzuwohnen. An Hand eines reichen Anschauungsmaterials erläuterte der Redner eingehend die Formen der einzelnen Schiffstypen, ihre hauptsächlichsten artilleristischen und maschinellen Einrichtungen sowie die moderne Torpedokonstruktion. An den mit lebhaftem Beifall aufgenommenen Vortrag schloß sich ein weiterer von Geheimrat Prof. Kammerer-Berlin über anschauliches Denken in Berufsarbeit und Unterricht. Er führte dabei aus, daß die technische geistige Arbeit des Ingenieurs auf anschaulichem Denken beruhe.

Stuttgart, 11. Juni. Die heutige Hauptver­sammlung des Vereins Deutscher Ingenieure ge­nehmigte eine Stiftung von 6000 für Schüler zum Besuch des Deutschen Museums, einen jähr­lichen Beitrag von 10 000 auf die nächsten drei Jahre zu Gunsten der Deutschen Versuchsanstalt für Luftschiffahrt und Flugtechnik. Einer Einladung des Leipziger Vereins folgend, wurde beschlossen, im nächsten Jahre in Leipzig zu tagen. Zu dieser Haupt­versammlung wird auch der amerikanische Jngenieur- verein eingeladen. Nach Erledigung des geschäft­lichen Teils der Hauptversammlung wurden die Vor­träge durch den Geh. Oberbaurat Schmick-München fortgesetzt, der über die Aufgaben und Tätigkeit des Ingenieurs in den Kolonien sprach. Der Redner kam zu dem Ergebnis, daß jedem Gouver­neur in den Kolonien ein technischer Rat beigegeben werden sollte, um das technische Element mehr zur Geltung zu bringen. Bei den vielfach technisch-wirt­schaftlichen Aufgaben, die den Bezirksamtmännern obliegen, sollten diese Stellen zum Teil mit Ingenieuren besetzt werden. Das Kolonial-wirtschaftliche Komitee habe bereits größere Mittel für das Erschließen unserer Kolonien zur Verfügung gestellt; ihm seien vom Stahl­werksverband vor kurzem wieder 100 000 ^ jähr­lich für technische Unternehmungen in den Schutzgebieten üherwiesen worden. Professor A. Wid maier sprach hierauf über die Industrie Württembergs. Ausgehend von den für industrielle Betätigung un­günstigen Verhältnissen infolge des gänzlichen Fehlens von Kohlenvorkommen, der Abgelegenheit Württem­bergs vom Weltverkehr, dem Mangel an Wasser­straßen usw. erwähnte er zunächst die natürlichen Hilfsquellen des Landes und gab daran anschließend einen Ueberblick über die geschichtliche Entwicklung der württembergischen Industrie, wobei er insbe­sondere der Verdienste des früheren langjährigen Präsidenten der Zentralstelle für Gewerbe und Handel, Steinbeis, gedachte. Als letzter Redner be­richtete Geheimrat Münch-Darmstadt über die Ver­wendung des lebenden Lichtbilds zur Veranschaulich­ung mathematischer Probleme, wobei er nachwies, daß das Kinematogramm ein ganz hervorragendes Lehrmittel darstelle.

Stuttgart, 10. Juni. Geh. Kommerzienrat Dr. Ing. Paul Mauser, Oberndorf, wurde, wie oben berichtet, vom Verein Deutscher Ingenieure durch die Verleihung der Grashofdenkmünze geehrt. Aus diesem Anlaß dürften folgende Mitteilungen über die Denkmünze von Interesse sein. Die Denk­münze ist nach dem 1826 in Düsseldorf geborenen Maschineningenieur Prof. Franz Grashof benannt, der einer der Gründer des Vereins Deutscher Inge­nieure war und seit 1863 als Professor an der Technischen Hochschule in Karlsruhe wirkte, wo er