Zweites

Blatt.

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Neuenbürg. Freitag den 3. Mai 1912.

. Jahrgang.

RunSschau.

Der neueste deutscheDreadnought". Auf der Schichauwerft in Danzig erfolgte am Samstag in Gegenwart des Königs von Sachsen, des Kronprinzenpaares usw. der Stapellauf des LinienschiffesKönig Albert" (Ersatz Aegir"). Der König von Sachsen hielt die Tausrede. Die Prinzessin Mathilde von Sachsen, die Schwester des Königs, vollzog den Taufakt. Mit dem neuen LinienschiffKönig Albert" hat die deutsche Flotte das 13. schwimmende Großpanzerschiff erhalten. Die 7 ersten Linienschiffe modernster Bauart sind im Nordseegeschwader vereinigt, das in den nächsten Tagen als achten Dreadnought die neue Oldenburg erhalten wird. Die übrigen 5 Linienschiffe, einschließ­lich desKönig Albert", befinden sich im Ausrüst­ungsbau. Sie bilden die neue Panzerklasse, zu welcherKaiser",Friedrich der Große",Kaiserin", Prinzregent Luitpold" undKönig Albert" gehören. Sie sind die ersten mit Turbinen ausgerüsteten Großpanzerschiffe unserer Marine und sollen eine Höchstgeschwindigkeit von 2122 Seemeilen in der Stunde erhalten. Die Linienschiffe der Kaiser-Klasse stellen einen vergrößerten Tip der Helgoland-Klaffe dar. Während noch bei der Helgoland die Wasser­verdrängung auf 22800 Tonnen bemessen war, be­trägt sie beiKönig Albert" mindestens 24 500. Trotz der erhöhten Verdrängung ist die Geschützzahl vermindert worden. Man glaubt auf je 2 der Ge­schütze der leichten und schweren Artillerie verzichten zu können, weil man bisher in den leitenden Kreisen rmmer von der Ansicht ausgegangen ist, daß unsere Schlachtschiffe zunächst für den Kampf in der Nordsee ausgerüstet werden müssen, dessen Entscheidung nicht auf weite Entfernungen durch schwere Artillerie, sondern durch die mittlere Artillerie herbeigeführt wird. Die Länge desKönig Albert" beträgt 172 Meter (Helgoland 166,5 Meter), die Breite 29 (28.5), der Tiefgang 8,3 (8,2 Meter. Die Dampfstrecke wird über 6000 Seemeilen betragen. Die Besatzung wird mehr als 1000 Köpfe zählen.

Berlin, 30. April. Auch unter den Deutschen im Ausland macht sich erfreuliche Opferwilligkeit für die nationale Flugspende bemerkbar. So ist, wie aus Kairo gemeldet wird, von Deutschen in Aegypten ein Komitee zur Sammlung für die Nationalspenden gebildet worden. Die Beteiligung ist außerordentlich rege, und in Kairo sind schon größere Zeichnungen erfolgt.

Als gestern nachmittag in Berlin das 15jährige Lehrmädchen Lucas mit einer Geldtasche, die 1900 Mk. enthielt, zur Deutschen Bank geschickt wurde, überfiel sie auf der Treppe ein junger Mann, würgte sie und flüchtete mit der Geldtasche. Er wurde später er­griffen, nachdem er das Geld weggeworfen hatte, welches gefunden wurde. Der Täter ist ein Stell­macher aus Neukölln. Das junge Mädchen hat einen Nervenschock erlitten.

Heidelberg, 30. April. Aus Liebeskummer übergoß sich gestern die 18jährige Näherin M. Staffel mit Petroleum und zündete sich hierauf an. Das Mädchen erlitt am ganzen Körper derartige Brand­wunden, daß es nach kurzer Zeit den schweren Verletzungen erlag.

Rastatt, 30. April. Die Witwe des verstorbenen Brauereibesitzers Carl Franz hier hat der Stadt Rastatt in Erfüllung einer von dem Verstorbenen bei Lebzeiten öfters geäußerten Absicht zur Bildung eines Fonds zur Gründung eines Altersversorgungs­heims für Einwohner der Stadt Rastatt ein Legat von 50 000 Mk. zur Verfügung gestellt.

Das Eisenbahnunglück bei Müllheim vom 17. Juli v. I. kostet die Eisenbahnverwallung bis jetzt im ganzen über eine Million Mark. Von den 90 bei der Eisenbahnverwaltung eingereichten Ent­schädigungsforderungen sind bereits 78 erledigt, die einen Aufwand von 891225 Mk. verursachen. Der Nest ist noch in der Schwebe. Im ganzen sind 14 Personen bei dem Unglück getötet worden oder bald darauf gestorben. Schwer verletzt waren zwölf Personen. Von dem Post- und Bahnpersonal des verunglückten Zuges waren nur 6 Post- und 3 Bahn­angestellte leicht verletzt worden. Sie haben keine

Ansprüche auf Grund des Reichshastpflichtgesetzes, sondern sie sind für den übrigens bei keinem zu er­wartenden Fall der Invalidität nach den Vorschriften des Reichsbeamtenfürsorgegesetzes oder des badischen Beamtenfürsorgegesetzes zu entschädigen. Der Sach­schaden einschließlich der Kosten für die Aufräumungs­arbeiten betrug 130 540 Mark, sodaß bis jetzt 1021795 Mk. Kosten der Eisenbahnverwaltung er­wachsen sind.

Altenheim (A. Lahr), 30. April. Die hier herrschenden unerquicklichen Verhältnisse innerhalb der Bürgerschaft haben jetzt dazu geführt, daß alle Mit­glieder des Gemeinderats mit dem Bürgermeister an der Spitze ihr Amt niederlegten.

St. Ingbert, 30. April. Malermeister Volk hier, der die letzte Sonnenfinsternis mit bloßem Auge beobachtet hatte, ist nunmehr blind geworden.

Innsbruck, 30. April. Eine Innsbrucker Touristen-Gesellschaft, bestehend aus 7 Personen, darunter 2 Damen, bestieg vorgestern die Mandel­spitze an der Nordkette. Die Gesellschaft war ord­nungsmäßig angeseilt. Auf der Spitze beobachtete sie das Spiel der Gemsen im Gleirsch Tal. Plötzlich brach die Schneedecke, auf der sie standen und die einen Abgrund überragte, in ihrer ganzen Länge unter dem Gewicht der sieben Personen und alle stürzten 200 Meter tief ab in die Arzlerscherte und wurden schwer verletzt. Einer der Abgestürzten ist seinen Verletzungen erlegen, ein zweiter ist noch in Lebensgefahr. Der Schriftsetzer Albert Mayer ist in der Mühlauerklamm beim Blumensuchen ab­gestürzt und wurde getötet; in der Nähe von Deutschnofen ist der Gastwirt Thaler 50 Meter abgestürzt und war ebenfalls tot. Dr. Semel- mann aus München ist im Kaisergebirge von der Südwand des Sonneck aus 400 Meter Höhe ab­gestürzt und war sofort tot.

MürttLMberg.

Stuttgart, 1. Mai. (Vom neuen Fahr­plan). Der mit dem 1. Mai in Kraft getretene Fahrplan zeigt eine Reihe von Neuerungen und Ver­besserungen in den Zugverbindungen über die K. württembergischen Staatsbahnen: Der in Paris um 9 Uhr vorm, abgehende Schnellzug wird ab Aoricourt als ein Schnellzug 1. und 2. Klasse bis Wien und Triest durchgeführt, Stuttgart ab abends 7.54 Uhr und trifft in München um 11.26 nachts, in Wien um 8.10 vorm, und in Trieft um 11 29 Uhr vorm, ein. Dadurch wird die seither nur dreimal wöchent­lich vorhandene durchgehende Verbindung Paris, Wien und Triest (München ab 12.55 Uhr früh) in eine tägliche umgewandelt mit einer Fahrdauer zwischen Paris und Wien von nur 22 Stunden 10 Minuten. Der Zug erhält in Straßburg auch Anschluß von Brüssel (ab 7.49 vorm.). Durch den neuen Schnell­zug 66, der ab Stuttgart an Stelle des seitherigen Schnellzuges 30 tritt, wird die schon längst gewünschte raschere Nachmittagsverbindung zwischen München und Straßburg hergestellt: München ab 2.50 Uhr nachm., Stuttgart ab 6.50 nachm., Straßburg an 9.54 nachm. In Straßburg unmittelbarer Anschluß nach Metz, Luxemburg, Brüssel. Außerdem erhält der Zug in Mannheim Anschluß nach Mainz und Wiesbaden. Er führt einen Schlafwagen UlmBremen (mit Kurs­abteilen). Die bisher durch den Schnellzug 39 ver­mittelte Verbindung von England über Vlissingen ist beschleunigt und auf den Eilzug 53 gebracht worden, in dem künftig der direkte Wagen VlissingenUlm läuft. Bei gleicher Abfahrt in London um 8.36 abends und in Cöln um 10.03 vorm, trifft man bereits um 4.46 nachm, anstatt 6.29 nachm, in Stuttgart ein. Die Verbindung SchweizBerlin durch V-Zug 100 ist durch Gewinnung neuer Anschlüsse wesentlich be­schleunigt. Eine neue Verbindung zwischen Friedrichs­hafen und Hamburg ist in der Zeit vom 1. Juni bis 31. August durch Fortsetzung des Eilzuges 18 / 521 bis Bad Mergentheim vorhanden: Friedrichshafen ab 6.05 vorm., Ulm ab 7 95 vorm., Bad Mergent­heim an 11.06 vorm., Würzburg an 12.45 nachm., Hamburg an 10.24 nachm. Der BerlinMailänder V-Zug 38 erhält in Zürich unmittelbare Fortsetzung nach dem Gotthard und erreicht in Mailand die Nachtschnellzüge nach Rom, Genua und Turin: Berlin

ab 8.25 Uhr abends, Stuttgart ab 8.02 vorm., Zürich ab 1.45 nachm., Mailand an 8.35 abends, Rom an 8.35 vorm. Gegen seither bedeutet dies eine Abkürzung der Fahrdauer zwischen Berlin und Mailand um 2 Stunden. Es wird außer den Wagen 1./2. Klasse künftig auch ein Wagen 3. Klasse von Berlin bis Mailand durchgeführt.

Stuttgart, 30. April. Die gestrige Schwur­gerichtsverhandlung richtete sich gegen den früheren Direktor des hiesigen Ratskellers, Wilh. Franken, wegen Verbrechens wider die Sittlichkeit. Geladen waren über 20 Zeugen, meistens Kellnerinnen. Die Geschworenen verneinten die Schuldfrage, worauf Freisprechung erfolgte.

Stuttgart, 1. Mai. (Maifestumzug). Der Umzug der organisierten Arbeiterschaft zur Feier des 1. Mai wies eine etwas stärkere Beteiligung auf als der vorjährige. Die Zahl der Teilnehmer ist mit über 6000 nicht zu hoch geschätzt. Die Arbeiter der Firma Bosch bildeten allein 500 Reihen zu 5 Mann. Neben der Metallindustrie war auch die Bekleidungs­industrie gut vertreten. Man zählte gegen 80 Reihen. Das graphische Gewerbe war schwach vertreten, ebenso die Holzindustrie. Im Zuge marschierten auch gegen 200 Frauen. Sämtliche Teilnehmer trugen rote Nelken. Der Zug bewegte sich durch verschiedene Straßen nach der Rollschuhbahn in der Neckarstraße, wo anschließend eine Versammlung stattfand. Die Festrede hielt Redakteur Westmeyer.

Stuttgart, 30. April. Ueber den Obstfrost­schad e n vom 10.14. April wird von sachverständiger Leite im Staatsanzeiger ein Urteil gefällt, das immer­hin noch tröstlich lautet. Pfirsiche, Aprikosen, Früh­kirschen und Frühpflaumen samt Frühzwetschgen sind allerdings unrettbar dahin. Dagegen sind Spätblüher von Kirschen und Zwetschgen noch verhältnismäßig glimpflich davongekommen. Beim Kernobst ließ sich sestftellen, daß beim Apfelbaum die Staubgefäße viel häufiger und stärker erfroren sind, als beim Birn­baum. Derweiße April" hat Schaden genug ge­bracht, aber er hat auch noch genug übrig gelassen und mit richtiger Pflege und guter Düngung läßt sich noch recht viel dazu beitragen, daß das uns bleibende Obst zu um so besserer Entwicklung ge­bracht wird und die kleinere Menge sich durch größere Güte einigermaßen ausgleicht.

Feuerbach, 1» Mai. Ein aus dem Oberamt Herrenberg nach Stuttgart kommendes 17 Jahre altes Mädchen, welches in der oberen Birkenwald­straße ihre Dienststelle antreten wollte, wurde gestern abend r/»7 Uhr beim Verlassen des Hauptbahnhofes von einem unbekannten, etwa 25 Jahre alten Mann angesprochen. Der Unbekannte bot sich dem Mäd­chen, das in Stuttgart unbekannt war, als Begleiter an und versprach, es auf dem nächsten Weg in die Birkenwaldstraße zu führen. Statt dessen verschleppte er das Mädchen auf die Feuerbacher Heide bis in Nähe von Feuerbach oberhalb der alten Steige. Dort zog er das sich heftig sträubende Mädchen unter Mißhandlungen in einen Weinberg und ver­übte ein Sittlichkeitsoerbrechen an ihr. Etwa um 8*/, Uhr wurden die Hilferufe von einem Bewohner der Haldenstraße gehört, der dann auch sofort der Polizeiwache Anzeige machte. Die ganze Gegend wurde alsbald von der Feuerbacher Polizei mit den Polizeihunden abgesucht, vorläufig ohne Erfolg.

Oberndorf, 1. Mai. Heute vormittag trafen 90 Meister der elektrotechnischen Fabrik von Robert Bosch in Sluttgart-Feuerbach, wo wegen des Mai­feiertags heute nicht gearbeitet wurde, hier ein. Nach Besichtigung der Anlagen der Waffenfabrik Mauser versammelten sich die Gäste mit einer An­zahl Meister der Waffenfabrik zu einem gemeinschaft­lichen Mittagessen im Bären. Der Nachmittag galt der Besichtigung der Sehenswürdigkeiten der Stadt und der näheren Umgebung.

Wendlingen O/A. Eßlingen, 1. Mai. In den letzten Tagen kaufte Möbelfabrikant K. Behr, früher Mitinhaber der Firma Epple und Ege, Möbelfabrik in Stuttgart, hier ein Gelände von 10 Morgen auf. Es liegt sehr günstig und zieht sich ca. 259 Meter der Hauptbahnlinie entlang. Auf dem Platz soll eine große Möbelfabrik errichtet werden. Für den. Quadratmeter wurde Mark 1.30