Zweites
Blatt.
Der «nztäler.
Zweites
Blatt.
.M' 65.
Neuenbürg, Mittwoch den 24. April 1912.
76. Jahrgang.
RunSschau. -
Anläßlich der „Titanic"-Katastrophe hatte j ein Marconi-Telegraphist der „Titanic", Bride, den ! Dampfer „Frankfurt" vom Norddeutschen Lloyd beschuldigt, daß er auf das ihm seitens der „Titanic" zugegangene drahtlose Hilfegesuch nicht reagiert habe. Wie Bösmanns Telegraphenbureau in Bremen jetzt aber meldet, hat der Kapitän der „Frankfurt" auf eine mittels Funkenspruchs bei ihm erfolgte Anfrage der Direktion des Norddeutschen Lloyd auf gleichem Wege erwidert, daß die Frankfurt auf das Hilfesignal nordwärts gesteuert sei und an der Unfall- stelle die Dampfer „Irma", „Virginian" und „Car- pathia" angetroffen habe.
Bei der Katastrophe der „Titanic" erscheint immer mehr als der eigentliche Hauptschuldige der mit an Bord der „Titanic" befindlich gewesene Direktor der White Star-Linie, Jsmay. Er soll trotz der drahtlosen Meldungen über sich nähernde Eisberge noch eine Erhöhung der Fahrgeschwindigkeit des Dampfers angeordnet haben. Jsmay fühlt sich ostenbar selber schuldig, denn er machte in New- Aork, wo er mit den 4 geretteten Offizieren und 12 Mann der „Titanic" auf Anordnung der Untersuchungskommission des Senats zu Washington noch zurückgehalten wird, einen Fluchtversuch. Es gelang ihm, mit Hilfe einiger Freunde, an Bord des zur Abfahrt nach Europa im New Aorker Hafen bereit liegenden Dampfers „Cedric" zu kommen. Aber die Untersuchungskommission hatte Wind von der Sache erhalten und es gelang ihr, die geplante Flucht Jsmays noch in letzter Stunde zu vereiteln. Ferner wird Jsmay vom Major Peuchen aus Toronto beschuldigt, er habe das New-Uorker Bureau der White Star Linie von der „Carpathia" aus drahtlos auffordern lassen, die „Cedric", die am Donnerstag abfahren sollte, zurückzubehalten, um die Mannschaft der „Titanic" sofort nach England wieder einzuschiffen. Dieser Anordnung, die lediglich den Zweck verfolgte, die Mannschaft an der Ablegung ihres Zeugnisses über den Hergang der Katastrophe vor den Behörden zu verhindern, wurde jedoch nicht entsprochen.
Im amerikanischen Senate ist bereits ein Antrag eingebracht, der eine strenge Untersuchung des gesunkenen Rumpfes der „Titanic" verlangt; in diesem Zusammenhänge werden genauere Angaben über die Meerestiefen der Unfallstätte gemacht. Die „Titanic" versank ungefähr unter dem 31. Grad 16' nördlicher Breite und 50 Grad 14' westlicher Länge. Hier ist das Meer rund 3300 Meter tief und in dieser Tiefe ruht nun das Unglücksschiff von seiner ersten Fahrt aus. In einer solchen Tiefe ist der Wasserdruck so gewaltig — rund 2^/s Zoll für jeden Quadratzoll — daß an Bergungsarbeiten unter gar keinen Umständen gedacht werden kann. Ein Mensch, der zu solchen Tiefen ins Meer hinabsteigen wollte, würde ein Gewicht zu tragen haben, das etwa 12 eisenbeladenen Güterzügen mit Lokomotiven entspräche. Unter diesem riesenhaften Drucke ist der Schiffsrumpf also wahrscheinlich wie Seidenpapier zusammengedrückt worden, die wasserdichten Schotten sind gesprengt und die meisten Einrichtungsgegenstände zerdrückt. Die „Titanic" wird in den Tiefen des Ozeans, in der absoluten Stille und der ewigen Nacht des Meeresgrundes bleiben. Schon in Tiefen von 60 Meter arbeiten Taucher nur mit großer Mühe und unter schwierigen Bedingungen. In der Tiefe aber, in der die „Titanic" nun ihr Grab gefunden hat, ist jedes Tauchen unmöglich und unsere Technik verfügt auch über keine mechanischen Mittel, di? imstande wären, bei einem so gigantischen Wasserdrücke Bergungsarbeiten zu leisten. Nur die Natur allein, die in einer trotzigen Laune dieses riesenhafte Werk menschlicher Arbeitskraft in wenigen Sekunden zur Vernichtung verurteilte, hätte die Macht, durch irgend eine seltsame und alles erschütternde Umwälzung der Menschheit wieder die Reste jenes Schiffes zu zu zeigen, das so stolz auszog, das Meer zu beherrschen und das so tragisch schon bei dem ersten Versuche zugrunde gehen sollte.
London, 22. April. Die nicht von Sachverständigen, sondern von Politikern des amerikanischen
Senats in gerichtlicher Form gegen Jsmay, den Präsidenten des Aufsichtsrats der Withe Star Linie, geführte Untersuchung und die Festhaltung Jsmays und einer Anzahl Seeleute in New-Aork erregt hier Verstimmung in weiten Kreisen. Sie entspricht auch gar nicht dem hierzulande in solchen Fällen üblichen besonnenen und selbst gegen einen wirklichen Angeklagten besonders unparteiischen Verfahren. In den Zeitungen freilich findet diese Verstimmung nur indirekten Ausdruck. Man nimmt sich vor den Vereinigten Staaten eben überhaupt mehr zusammen, als vor irgend einer Macht der Welt, und die von den Blättern ohne besondere Anregung geübte Zurückhaltung ist ein Zeichen hoher politischer Reife und würde alle Nachahmung verdienen. Im übrigen sind die Blätter voll Berichten über die Einzelheiten der Untersuchung und sonstige Nachrichten von dem großen Unglück.
London, 22. April. Daily Telegraph meldet aus New Aork vom 21.: Ein Heizer der mit dem Kapitän Smith im Augenblick des Untergangs der „Titanic" auf dem Brückendeck stand, berichtet: Als das letzte Boot flottgemacht wurde, brach das Wasser über die Brücke. Der Kapitän, der schon bis an die Knie im Wasser stand, rief aus: Jungens, ihr habt eure Pflicht getan. Ich verlange nichts mehr von euch, ich entlasse euch. Ihr kennt die Gesetze der See. Jedermann stehe gut für sich selbst. Gott segne euch! Dann nahm er ein weinendes Kind, das auf der Brücke neben ihm stand und sprang ins Meer. Ein Geretteter bestätigte die Aussage des Heizers. Er sagte, er habe den Kapi än mit einem Kind auf dem Arm schwimmen sehen. Smith habe das Kind in ein Boot gebracht, sich aber geweigert, selbst in das Boot zu gehen. — Für den Unterstützungsfonds zu Gunsten der Hinterbliebenen der Opfer der „Titanic" sind über 2 Mill. Mark gesammelt worden, darunter 1,9 Mill. in London.
Berlin, 22. April. Gutem Vernehmen nach haben die an der Haftung für Verluste der untergegangenen „Titanic" beteiligten deutschen Versicherungs-Gesellschaften durch Rundschreiben den Beschluß gefaßt, auf Grund der Aussagen Geretteter ,die „White Star Line" für alle erwachsenen Zahlungsverpflichtungen haftbar zu machen.
Frankfurt a. M., 21. April. Gestern war die Leistungsfähigkeit des Luftschiffes Viktoria Luise auf eine besondere Probe gestellt worden, es mußte über 100 Fahrgäste — Mitglieder des Frankfurter Luftschiffervereins befördern. Das gelang auch in 4 Fahrten ohne jede Schwierigkeit.
Mannh eim,. 21. April. Vor der Strafkammer hatte sich der 61jährige ledige Architekt Th. Brug, dessen Vermögen man auf 3 Millionen schätzt, wegen schwerer Sittlichkeitsvergehen zu verantworten. Das Urteil lautete auf 1'/- Jahre Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf 5 Jahre. Unter den bei Brug beschlagnahmten Papieren fand man eine testamentarische Stiftung zugunsten der Technischen Hochschule in Karlsruhe in Höhe von einer Million Mark.
Wie die erste Frau über den Kanal flog. Vor wenigen Wochen durfte sich eine junge Engländerin rühmen, als erste Frau in einer Flugmaschine über den Kanal getragen worden zu sein: aber sie war nur Passagierin. Jetzt hat die erste Frau selbständig und allein, als Führerin ihres eigenen Flugzeuges, die Luftfahrt über den Kanal gewagt und glücklich vollendet: eine junge Amerikanerin ist es, Miß Harriet Quimby, die für die weiblichen Luflpiloten diesen Rekord eines Ueber- wasserfluges ausgestellt hat. Sie hat erst kürzlich in Hendon in der Flugschule ihren Bleriot-Eindecker meistern gelernt und nun kürzlich den Kanalflug gewagt. Bei Dover stieg sie auf um ^/-6 Uhr morgens, erhob sich sofort zu großer Höhe und nahm den Kurs auf Frankreich. Die junge Fliegerin wollte bei den Baracken von Calais landen, aber die Morgennebel verhüllten den Landungsplatz, sie verlor die Richtung, überflog Boulogne in einer Höhe von 300 Meter, folgte dann dem Saum der Südküste und begann schließlich zu kreuzen, um wieder genaue Orientierung zu gewinnen. Es ge
lang ihr dabei von weitem Hardelot zu sehen; hier beschloß sie zu landen und kam um 6 Uhr 35 auch in schlankem Gleitfluge glücklich zu Boden. Miß Quimby ist mit dem nächsten Dampfer wieder nach England gereist; sie ist von Beruf Journalistin und schreibt für die in Amerika erscheinende Zeitschrift „Leslie's Weekly" regelmäßig europäische Theater- und Kunstbriefe. Sie hat sich bereits im vorigen Jahr ihr Flugzeugnis erworben und von Anfang an den Plan gehabt, als erste Frau den Kanal zu überfliegen.
Ein neuer Sieg deS deutschen Kriegsschiffban über den englischen und französischen Kriegsschiffba«.
Was für Ueberraschungen eine künftige Seeschlacht mit modernen Kriegsschiffen bringen wird, kann kein Mensch Voraussagen. So viel aber steht schon jetzt fest, daß die Widerstandsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit der Kriegsschiffe bei dem Ausgange einer Seeschlacht eine ungemein große Rolle spielen wird, und daß deshalb das Wettrüsten zur See die größte Bedeutung hat. In dem stillen, aber tatsächlich mit großen Anstrengungen durchgeführten Wettkampfe im Kriegsschiffbau zwischen den Nationen ist jetzt ein erfreulicher Sieg auf deutscher Seite zu verzeichnen. Die argentinische Regierung hatte sowohl auf einer deutschen Werft, wie in England und Frankreich Torpedobootszerstörer bestellt, die jetzt ihre Probefahrten gemacht haben. Hierbei ist es nun offensichtlich zum Austrag gekommen, daß die deutsche (Schichau) Werft ihre Rivalen geschlagen hat. Dies ist um so bemerkenswerter, als es sich um den ersten deutschen Torpedobootzerstörer für Argentinien handelte. Das Fahrzeug, „Cordoba" benannt, übertraf bei der Probefahrt die vertraglich vereinbarte Schnelligkeit um 2*/r Seemeilen, indem es in der Stunde 34,7 Seemeilen lief. Es ist 1150 Tonnen groß und mit 25 000 L8. Schichauturbinen ausgestattet. Der zweite Torpedobootzerstörer „La Plata" etwa von ähnlichen Abmessungen, übertraf diese Leistung um ein noch wesentliches, indem er sogar 36,8 Seemeilen lief und zwar bei voller Ausrüstuug und mit gefüllten Kohlenbunkern. Aehnlich günstig verliefen die Probefahrten mit dem auf der Kruppschen Germaniawerft erbauten Zerstörer „Catamarca". Diese Ergebnisse befriedigten die argentinische Abnahmekommission außerordentlich. Bei allen diesen Probefahrten ist zu bemerken, daß sie keineswegs unter günstigen Seeverhältnissen stattfanden, sondern zum Teil bei nicht unerheblicher Windstärke und starker Dünung. Gegenüber diesen recht erfreulichen Resultaten stachen die Versuchsfahrten der in England und Frankreich gebauten Boote dieser Art ganz wesentlich ab. Diese mußten nämlich wegen Maschinenschäden ihre Fahrten einstellen, und die Leistungen der französischen Torpedobootszerstörer fielen in ganz erheblichem Maße ab. Sogar ohne Ausrüstung erreichten sie bei den Probefahrten nur eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 27 Seemeilen, was gegenüber den erwähnten Schnelligkeitsergeb- niffen der deutschen Schiffe eine ganz gewaltige Differenz darstellt. Hoffentlich bringt dieser ganz im stillen ausgefochtene Sieg der deutschen Schiffsbauindustrie neue Aufträge.
Württemberg.
Stuttgart, 22. April. Eine bemerkenswerte Abmachung wurde zwischen der badischen und der württembergischen Eisenbahnverwaltung getroffen. Die südlichen badischen Stationen haben im Verkehr mit den nördlichen für Verladung und Leitung den Weg über Württemberg zu benützen, soweit die Entfernung über diese Linie fühlbar kürzer ist als über Baden. Von dieser Neuregelung werden sämtliche nördlichen Stationen östlich von Neckar- Hausen, Helmstadt und Grombach, sowie die Stationen der Strecke Pforzheim-Mühlacker und die südlichen Stationen östlich von ^Sommerau, Neustadt i. Schw. und Säckingen betroffen, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß je nach der Stationsverbindung kleine Verschiebungen eintreten. Die Verladung und Leitung über Württemberg gilt vorerst nur für die Abfertigungen im Binnenverkehr, d. h. für alle im badischen Versandbuch abgefertigten