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Selbstverständlich hat auch bei den noch übrigen Kandidaten ein Umtausch der Stimmen stattgefuttden, nur läßt es sich hier nicht genau Nachweisen. Für die 3 allein auf dem Wahlzettel deS Bürgervereins stehenden Namen wurden zusammen 535, für die allein auf dem Zettel des Volksvcreins stehenden 3 Namen wurden 513 Stimmen abgegeben; trotzdem ging vom Bürgerverein von diesen 3 Namen nur 1, vom Volksverein dagegen 2 durch. Obgleich bei der Wahl die Persönlichkeit der Kandidaten stark in die Wagschale fiel und manche Stimmen herüber und hinüber geworfen wurden, so hat sich doch kein bedeutender Stimmenunterschied gezeigt' und die unterlegenen Kandidaten kommen ihren Vormännern äußerst nahe. Die Volkspartei hat die Zahl der Stimmzettel des Bürgervereins zwar nicht erreicht, aber sie kann mit dem Wahlresultat sehr zufrieden sein. Von den Gewählten gehören drei dem Bürgerverein und drei der Volkspartei an, unter den Gewählten befinden sich die Vorstände des Bürger- und Volksvereins. Die Industrie, welche bisher auf dem Rathaus nicht vertreten war, hat mit der gestrigen Wahl 3 Vertreter erhalten. Die Gewählten gehören teilweise dem gegenwärtigen Kollegium an oder waren sie schon früher Mitglied des Gemeinderats oder Bürgerausschusses.
Gechingen, 1. Dez. Gemeinderatswahl. Heute vormittag von 9—12 Uhr hat auf dem hiesigen Rathaus die Gemeinderatswahl stattgefunden. Die bisherigen Gemeinderäte Gottlob Geh ring, Bauer, und Heinrich Böttinger, Bauer, wurden wiedergewählt. Für den bisherigen Gemeinderat H. Kühnle, der eine Wiederwahl nicht mehr angenommen hat, wurde Heinrich Gann, Wagner neu in das Kollegium gewählt. Von Wahlagitation war wenig zu verspüren; die Wahl selbst verlief ganz ruhig.
x. Gechingen. In unserem lieben Gechingen, ^ auch klein Paris genannt, ist gegen den berühmten Häuserheber Rückgauer eine nicht zu unterschätzende Konkurrenz aufgetaucht. Wurde da in voriger Woche ein stattliches Bienenhaus, für ca. 40 internationale Völker eingerichtet, von seinem bisherigen Stand aus einem Wagen einige hundert Meter weit an an die Althengstetter Straße geführt, um dort in einem Garten Aufstellung zu finden, zu welcher Prozedur sich die liebe Schuljugend zahlreich eingefunden hatte. Nachdem die nötigen Vorbereitungen hiezu getroffen waren, ging die Heb- und Schiebung auf das neue Fundament, wie bei der Villa Jack in Ulm, unter Leitung von Ztmmermann Lutz hier, ohne Unfall in nicht ganz 2 Stunden tadellos vor sich.
) Deckenpfronn, 3. Dez. Bei dkr heutigen Gemeinderatswahl stimmten von 255 Wahlberechtigten 222, also 87 ab. Gewählt wurden auf 6 Jahre Zimmermann Jak. Heinrich mit 118, Schäfer Gottfried Dongus mit 116,
seith. Gemeinderat Karl Süßer mit 112, und auf 2 Jahre Jakob Adam Lutz, Bauer, mit 100 Stimmen. Melchior Aichele, seith. Gemeinderat, erhielt 96, Schreiner Georg Reicherdt 74 Stimmen. Der Wahlkampf wurde diesmal lebhafter denn früher geführt.
-ri. Wildberg, 2. Dez. Am Abend des Andreasfeiertag hielt der Militärverein eine gut besuchte Monatsversammlung im Waldhorn ab, um der Tage von Villiers und Champigny zu gedenken. Unter Reden und Gesängen aus der großen Kriegszeit entwickelte sich bald eine Stimmung, die an patriotischer Begeisterung nichts zu wünschen übrig ließ, ja die noch wuchs, als Stadtpfarrer D. den Helden von Champigny und Villiers, deren auch hier noch einige am Leben sind, welche in der Versammlung anwesend waren, den für die Würt- temberger so denkwürdigen und ruhmreichen Tagen, ein herziges Gedicht widmete, das mit folgenden Strophen schloß:
Ja als der Feind Viktoria schrie Kämpft erst recht wie ein Leu Bei Villiers und Champigny Der Schwabe furchtlos treu.
Und nun ruft laut, wer nicht wie sie Des Feindes Pulver roch:
Von Villiers und Champigny Die Helden leben hoch!
* Herrenberg, 1. Dez. Auf den heutigen Vieh mar kt waren zugeführt: 96 Ochsen, 139 Kühe und 222 Stück Jungvieh, was gegen letzten Markt ein Mehr bedeutet bei den Kühen von 15, bei den Ochsen und dem Jungvieh dagegen ein Weniger von 9 bezw. 98 Stück. Von Händlern waren zugeführt 84 Stück, gegen letzten Markt 17 Stück weniger. Der Verkauf ging gut, die Preise blieben gegen letzten Markt gleich. Erlöst wurde für ein Paar Ochsen 800—955 eine trächtige Kuh 300—350 eine Milchkuh 250—360 ^., eine Schlachtkuh 180—300 ^., eine Schaffkuh 280—320 eine Kalbin 250—400 ein Jungrind oder einen Stier 80—250 Begehrt war besonders fettes Vieh und Jungvieh, auch trächtige Kalbeln. — Auf den Schweinemarkt waren angeführt: 359 Stück Milchschweine und 233 Stück Läufer. Der Verkauf ging gut. Preise für ein Paar Milchschweine 18—24 für Läufer 26—90 ^
Stuttgart, 2. Dez. Strafkammer. Der verantwortliche Redakteur der hier erscheinenden periodischen Druckschrift „Metallarbeiter-Zeitung, Organ für die Interessen der Metallarbeiter" Johann -Gottfr. Scherm wurde vom hiesigen Schöffengericht vor einiger Zeit auf Grund des Z 11 des Preßgesetzes wegen Nichtveröffentlichung zweier ihm zugesandten Berichtigungen zu der Geldstrafe von 20 ^ verurteilt. Hiegegen hatten sowohl der Angeklagte als der Staatsanwalt Berufung einge
legt. Der Tatbestand ist kurz folgender: In der Nr. 32 des genannten Blattes vom 8. Aüg. d. I. waren Bekanntmachungen veröffentlicht worden, denen zufolge 2 Schleifer von der Verwaltungsstelle Lüden- scheidt wegen Streikbruchs gemäß den Statuten aus dem deutschen Metallarbeiterverband ausgeschlossen wurden. Jeder derselben verlangte schriftlich eine Berichtigung in dem Blatte des Inhalts, daß sie nicht ausgeschlossen worden, sondern freiwillig aus dem Verband ausgetreten seien. Redakteur Scherm lehnte aber mittelst Postkarten die Aufnahme der Berichtigungen ab, weil die beiden nur ausgetreten seien, als sie bereits wußten, daß ihre Ausschließung bevorstehe. Das Schöffengericht hatte entschieden, daß der Angeklagte nicht das Recht gehabt habe, die eingesandten Berichtigungen auf ihre Wahrheit zu prüfen. Er sei vielmehr zu deren Aufnahme auf Grund der preßgesetzlichen Bestimmungen verpflichtet gewesen. Die Strafkammer schloß sich dieser Auffassung des Schöffengerichts an und verwarf die Berufung des Staatsanwalts, der Geldstrafen von je 20 beantragt hatte, sowie diejenge des Angeklagten als unbegründet.
Cannstatt, 2. Dez. Bei der gestrigen Gemeinderatswahl wurden 5 Freunde der Eingemeindung und 1 Gegner gewählt. Baitinger Wilhelm, Buchbindermeister erhielt 1194 Stimmen; Bossert, seitheriger Gemeinderat, 1153; Autenrieth Albert, seitheriger Gemeinderat, 860; Mailänder, Fabrikant, seitheriger Gemeinderat, 853; Rudolf Haaga, Fabrikant, seitheriges Bürgerausschußmitglied, 850; Franz Kübel, seitheriges Bürgerausschußmitglied, 834 Stimmen. Der Wahlzettel vom vereinigten Bürgerverein ist mit Ausnahme von Bossert durchgegangen.
Fornsbach, OA. Backnang, 3. Dez. Der hiesige Amts- und Polizeidiener wurde, nachdem er seit einer Woche vermißt worden war, jetzt im Rathaus erhängt aufgefunden.
Ellwangen, 2. Dez. Vorgestern morgen wurde der ledige Taglöhner Anton Weiienauer von der Oelmühle (bei Rotenbach) aus dem Weg von Eggenrot zur Oelmühle erfroren anfgefunden.
Gmünd, 2. Dez. Bei der gestrigen Gemeinderatswahl haben von 2145 Wahlberechtigten 1879 von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht. Gewählt wurden 4 Kandidaten des Zentrums und 1 der vereinigten Gegner.
Tuttlingen, 3. Dez. Die Schuh- fabrike n haben zur Zeit einen guten Geschäftsgang zu verzeichnen. Die Arbeiter sind vollauf beschäftigt und der Absatz der Ware ist ein zufriedenstellender.
Ulm, 3. Dez. Die Strafkammer verhandelte gegen 24 Ausgewanderte wegen Verletzung der Wehrpflicht. 7 erhielten je eine Geldstrafe von 400 event. 3 Monate Gefängnis. Die übrigen
„Int Hus, der Fru ieggen —"
„Daß ich hier bin? Wozu? Ich kann ihr ja leider, leider Gottes nicht helfen — nu rohre nich, min leiwes Deern! Das Rohren hülpt tau nicks. — Der Herr Pastor ist drin bei deiner Frau — ich will ihn hier erwarten. Du kannst mir ein Glas Putbuser herausbringen, hierher in die Laube — und — täuw, Kinning — ok enns für den Pastor — hei ward glik hier sin!"
Er trat in die Laube, grüßte Klaus flüchtig und ließ sich schwerfällig an der anderen Seite des Tisches nieder. Klaus rückte tiefer in das Dunkel zurück — er kannte den kleinen Herrn da sehr wohl, der so lebhaft Hoch- und Plattdeutsch in buntem Gemische hervorsprudelte. Das war Dr. Kämmekens
Gewohnheit gewesen, so lange er denken konnte-und den Prediger kannte
Klaus Behrendt auch, der jetzt mit ernstem Gruße in die Laube trat und sich neben dem Arzte niederließ.
Pastor Nolsen war ein echtes Kind seiner Heimatsinsel: groß, breitschuldrig, starkknochig, äußerlich einem Landmanne ähnlicher, als einem Geistlichen, mit starkem, rötlichem Barte, der ihm bis auf die Brust herabhing, und milden, blauen Augen unter borstigem Blondhaare-
„Einen Augenblick will ich mich hier bei Ihnen niederlassen, alter Freund," sagte er halblaut; „ich bin den ganzen Tag über noch nicht zur Ruhe gekommen, und meiner braven Rosinante wird ein Viertelstündchen Ausruhens auch nicht unwillkommen sein — ich bin heut mindestens zehn Stunden im Sattel gewesen! Und gestern auch drei Sonntagspredigten an drei verschiedenen Orten, und heute früh die Beisetzung in Görlitz —"
„Ja, ja!" meinte der alle Doktor sinnend und nickte schwermütig mit dem grauen Haupte, „'s ist 'ne slimme Tid up Stunns! Alle Augenblicke passiert was Neues, fast nie ist'S was Erfreuliches, und wir beiden müssen immer dabei sein — hier freilich" (er wies über die Schulter weg nach dem Hause) — hier
freilich können wir nicht viel ausrichten — ich schon gar nichts, und wie ich die Frau hier im Hause kenne, findet sie sich allein wieder zurück auch ohne Sie."
„Sie ist wunderbar gefaßt," sagte der Prediger ernsthaft. „Zu gefaßt beinahe, unnatürlich ruhig, würde ich s agen, wenn ich die Leute hierzulande nicht von Kindheit an so ganz genau kennte! Gehöre ich doch mit Leib und Seele zu ihnen — wir haben alle etwas von der Kraft unseres Bodens, der Härte unserer Felsen —"
„Und der Unberechenbarkeit unseres Meeres!" ergänzte der Landarzt trocken. „Da sind wir ja mal wieder bei Ihrem Lieblingsthema, Pastor! Unberechenbar bis zum letzten Atemzuge — wer hätte gedacht, Mann Gottes, daß wir beide einmal den eiscnfesten, alten Kunt Behrendt zu Grabe tragen würden?"
„Das sagte ich mir heute auch, als ich früh morgens zur Beisetzung nach Görlitz ritt! Am Mittwoch hatte ich ihn zuletzt gesprochen, da war er noch voll von weitgehenden Plänen, frisch und ungebrochen, wie eine knorrige, alte Eiche, und am Freitag hörte ich, daß ein Herzschlag all dem ein jähes Ende bereitet hat."
„Ja, nun müssen wir beide doppelt fest zusammenhalten, Pastor, was?" sagte Doktor Kämmeken mit einer Art widerwilliger Rührung in seiner rostigen Stimme. „Wir zwei passen ja nun auch mal zu schön zusammen — Pastor und Doktor — ich bringe die Leute unter die Erde und Sie begraben sie!"
Er lachte kurz auf und schob das angetrunkene Glas in die Mitte des Tisches zurück.
„Haben Sie eine Ahnung, was aus dem Neffen des alten Herrn geworden ist?" fragte der Pastor, die Stimme senkend.
Dr. Kämmeken zuckte die Achseln.
„Ebensowenig wie Sie!" versetzte er kurz. „Sie wissen ja, daß der Alte
freiwillig nie mit einem Worte den davongelaufencn Jungen erwähnte-er
war keiner von denen, die leicht und schnell verzeihen!"
(Fortsetzung folgt.)