Zweites

Zweites

Blatt.

Der «nztäler.

Blatt.

^6 IS«.

Neuenbürg, Mittwoch -e« 29. November 1911.

69. Jahrgang.

Neuenbürg, 25. November 1911.

Erdbeben nnd Vulkane.

i.

Das am 16. November eingetretene Erdbeben hat dieses sonst so wenig gepflegte Wissensgebiet mit einem Schlage in den Vordergrund allseitigen Inte­resses gerückt. Es sei darum in Nachstehendem einiges Bemerkenswerte daraus mitgeteilt. Trotzdem sich die ältesten Leute bei uns eines Erdbebens nicht entsinnen können, ist ihre Zahl nach Aufzeichnungen des Naturforschers Frech eine ganz enorme; seine Statistik zählt deren bis zum Jahre 1908 im ganzen 6931. Von Erdbebenschwärmen spricht er. da schon alle 3 Sekunden während eines einzigen Tages Er­schütterungen durch den Seismographen registriert wurden. Dem Ort ihres häufigeren Vorkommens nach lassen sich 6 sogen. Erdbebenherde unter­scheiden. Als der tätigste von allen gilt der japa­nische, besonders die Gegend von Tokio, die im Jahre durchschnittlich nicht weniger als 92mal, also jeden 4. Tag erschüttert wird. Im Jahre 1899 fielen dort allein 200 000 Häuser und 25 000 Men­schen den Erdbeben zum Opfer. Seitdem hat die von ihrem Landsmann, dem Gelehrten Omori, empfohlene Bauweise, nur leichte, einstöckige Häuser zu erstellen, rasch Eingang gesunden, da diese er­fahrungsgemäß den Schwankungen weit mehr nach­geben als hohe, massive Gebäude. An 2. Stelle ist die Westküste Amerikas in ihrer fast ganzen Länge als gefürchtetes Erdbebengebiet bekannt, da in den Vereinigten Staaten jährlich durchschnittlich 25, in Mexiko und Mittelamerika 14, in den Anden Südamerikas 12 Beben Vorkommen. Einen fast immer brodelnden Erdbebenherd bildet dort drüben das Antillenmeer mit den Westindischen Inseln, das ein einziges großes Senkungsgebiet, einen sogen. Kesselbruch, darstellt. An seinen Küsten sind Ab­stürze vom Berggipfel bis auf den Meeresgrund mit 1013 000 m keine Seltenheit. Noch in frischer Erinnerung steht das Erdbeben am 18. April 1906, eines der heftigsten, die je beobachtet wurden, wel­ches St. Franzisko, und dasjenige vom 16. August gleichen Jahres, das Valparaiso in Trümmer legte und von 83 Nachstößen begleitet war. Ein 3. sehr weit ausgedehnter Erdbebenherd, der völlig auf dem Lande liegt, ist der kaukasische, der sich von Kamtschaka an der Ostküste Asiens über den Hima­laja, Hindukusch, Kaukasus, Balkan und die Alpen bis zu den Pyrenäen erstreckt. Einem mächtigen Kesselbruch verdankt darin das Kaspische Meer seine Entstehung. Der uns nächstgelegene und bei dem neuesten Erdbeben in erster Linie in Betracht kom­mende Bebenherd ist der des Rheintals (und der Voralpen), das gleichfalls eine Senkung und zwar nach Westen wie gegen Osten und Norden, also einen sogen. Grabenbruch darstellt. Die anfangs gebildete Mulde mit einzelnen Süßwasserseen sank mit der Zeit unter den Meeresspiegel, so daß das Meer, wahrscheinlich von Westen her, einbrach. Schwarzwald und Vogesen ragten daraus nur als schmale niedere Landstreifen hervor. Bei weiterem Sinken des Bodens nach unten kam es zu gewaltigen Abreißungen von den Seitenwänden, von denen sich die Vorhügel und von ihnen wieder die Ebene trennten. Die Seitenflügel wurden durch den von finkenden Schollen ausgeübten Seitendruck in die Höhe gepreßt und dadurch erst zu eigentlichen Ge­birgen aufgelürmt, ähnlich den Alpen. Der sich in der Senkungsrinne bildende Süßwassersee fand end­lich seinen Abfluß durch das rheinische Schiefergebirge, bis durch Tieferlegung des Durchbruchiales des Rheins zwischen Bingen und Bonn seine Entleerung herbeigeführt wurde.

Jene Senkungen sind auch heute noch nicht ab­geschlossen, darum ist das Gebiet des Oberrheins eines der erdbebenreichsten in Mitteleuropa. So hat ein Erdbeben am 18. Oktober 1356 Basel und zahlreiche Ortschaften seiner Umgebung vollständig zerstört, und dasselbe geschah am 2. Mai 1682 mit der nicht weit von der Grenze entfernten elsäßischen Stadt Remiremont. In neuerer Zeit geschahen.Erd­beben 1877 bei Aachen und letztmals 1903 in der Pfalz. Daß es sich hiebei um tektonische d. h. mit

der Umbildung der mehr an der Erdoberfläche ge­legenen Gebiete handelt im Gegensatz zu den vul­kanischen, die aus weit größerer Tiefe kommen, be­weist die Tatsache, daß sich viele von ihnen trotz geringerer Stärke weit ausbreiten. Die Rheintal­ebene senkt sich noch jetzt nach Osten, am Oberrhein gegen Norden, also zu uns, und dementsprechend wächst die Absturzhöhe zwischen ihr und dem Kamm des Schwarzwaldes allmählich. Dagegen muß die Lothringer Hochebene als zur Ruhe gekommen und vollständig erdbebenfrei bezeichnet werden. Einen Grabenbruch von weit größeren Verhältnissen hat Afrika in seiner Seenmulde an der Westgrenze unserer Kolonie Deutsch-Ostafrika aufzuweisen, und auch das Rote Meer stellt einen solchen dar. Endlich verdankt auch der Atlantische Ozean zweifellos einem Abbruch zwischen der Westküste der alten und der Ostküste der neuen Welt seine Ent- ! stehung.

Die Ausdehnung der durch die Erdbeben er­schütterten Gebiete steht durchaus nicht immer in geradem Verhältnis zu der Stärke der Stöße. Manche gehen senkrecht nach oben, sind aber dabei meist kurz. So war z. B. bei dem starken Erd­beben von Jschia i. I. 1883 in dem nur 40 km davon entfernten Neapel auch keine Spur zu be­merken. ebensowenig bei dem auf Kapri, das, ob­wohl in der Nähe des immer tätigen Vesuv gelegen, in bekannter Zeit niemals ein Erdbeben hatte. Andere, wie das von Charleston 1886, erschütterten ein Gebiet von 23 Millionen Quadratkilometer, wozu die Kraft von 1300 Milliarden Pferden er­forderlich gewesen wäre. Diese Erschütterungen, Fernbeben genannt, geben den besten Aufschluß über das Wesen der Erdbeben und den derzeitigen Zu­stand des Erdinnern, berechnet nach der Schnelligkeit ihrer Fortpflanzung, die in der Luft 333, im Wasser 1400, im Eisen 4000 m pro Sekunde beträgt» sich also in diesen 3 Medien wie 1:4:12 verhält.

Württemberg.

Stuttgart, 24. Nov. Wie erinnerlich, haben gegen den Gemeinderatsbeschluß, die untere Königs­straße zu erbreitern, sämtliche Anlieger, auch die Generaldirektion der Staatseisenbahnen, sowie die Hofkammer, Einsprache erhoben. Die Erbreiterungs­absicht erregt deshalb allgemeines Erstaunen, weil sie nach menschlichem Ermessen mindestens auf 100 ! Jahre hinaus keine Aussicht auf Verwirklichung hat, s denn an der Spitze der unteren Königsstraße stehen zwei massive Riesenbauten, das Hotel Marquardt und der Olgabau, die die Erbreiterung für mehrere Menschenalter illusorisch machen. Der Gemeinderat befaßte sich infolgedessen nochmals mit der Angelegen­heit und die Bauabteilung schlug vor, sich mit einer Breite von 26 Metern zu begnügen. Aber nach lebhafter Debatte wurde beschlossen, die Straße auf 30 Meter zu erbreitern. In der Debatte wurde insbesondere auch die Verwunderung darüber aus­gesprochen, daß der Plan erst auftauchte, als die katholische Eberhardskirche, die bekanntlich umgebaut werden soll, ein Baugesuch eingereicht hatte.

Stuttgart, 25. Novbr. Die preußisch-süd­deutsche Lotteriegemeinschaft, an der bekanntlich auch Württemberg beteiligt ist, wird voraussichtlich nicht zu dem seither in Aussicht genommenen Zeit­punkt, 1. Juli 1912, in Kraft treten können, weil infolge der Neuwahlen zum bayerischen Landtag dieser erst im Februar zusammentreten und der preußische Landtag die Vorlage erst beraten dürfte, wenn die süddeutschen Staaten, also auch Bayern, dem Staatsvertrag zugestimmt haben.

Stuttgart, 27. Novbr. Zu der kürzlich von einem Korrespondenzbüro verbreiteten Mitteilung von einem Verbot des Besuchs von Wirtschaften durch Mitglieder der Heilsarmee wird bekannt, daß die Meldung, die Heilsarmee habe der Antialköhol- bewegung 10000 Mk. zugewendet, vollständig aus der Luft gegriffen ist.

Die Erdbebenbeobachtungen in Würt­temberg. Die Württ. Presse-Korrespondenz ver­öffentlicht nachstehenden Aufruf: Zur Sammlung und Bearbeitung der zunächst in Württemberg

gemachten Erdbebenbeobachtungen haben sich die Unterzeichneten im Auftrag des K. Statistischen Landesamts vereinigt. Es ist vorauszusetzen, daß außer den in unseren Zeitungen bekannt gemachten Wahrnehmungen noch viele wissenschaftlich wertvolle Angaben gewonnen werden dürften. Neben der Bitte an die Redaktionen, uns womöglich alles ihnen zugegangene Material zukommen zu lassen, wenden wir uns an alle Privatpersonen, die uns weitere zuverlässige Auskunft geben können über bisher nicht berichtete bemerkenswerte Beobachtungen mit der Bitte um Einsendung an das K. Statistische Landesamt Stuttgart. Insbesondere wären wir dankbar für Anfertigung und Einsendung einer Photographie bei besonders bemerkenswerten Ver­änderungen an Gebäuden, Felsen, Eisenbahndämmen usw. Für die Kosten ist das K. Statistische Landes­amt auf Verlangen aufzukommen bereit. Professor Dr. Sauer-Stuttgart, Professor Dr. Mack-Hohen­heim, Geh. Hofrat Prof. Dr. v. Schmidt-Stuttgart.

Stuttgart, 27. Nov. Der Mostobsthandel geht seinem Ende entgegen; es laufen nur noch ge­ringe Zufuhren ein. Bis jetzt sind dem Nordbahnhof rund 7300 Waggon Mostobst zugeführt worden, die anfänglich zu sehr hohen, zuletzt zu außergewöhnlich niedrigen Preisen verkauft wurden. Mit der Be­förderung des Obstes auf französischen Strecken wurden üble Erfahrungen gemacht. Die Unzufrieden­heit bei Händlern und Käufern ist groß und das Nachspiel in Form von Prozessen und Schadenersatz­forderungen wird nicht ausbleiben. Bei dem vielen anbrüchigen Obst, das vermostet wurde, ist eine genaue Beobachtung des Mostes in den Kellern notwendig.

Tübingen, 27. Nov. Die Sammlungen für die vom Erdbeben so schwer heimgesuchte Wurm- linger Kapelle haben einen schönen Erfolg. Nächste Woche hält Prof. Dr. v. Koken einen Vortrag über das Erdbeben vom 16. November, dessen Ertrag ebenfalls für die Kapelle ist. Schwache Erdstöße werden hier fast noch jeden Tag verspürt. Vielfach wird es freilich die Nervosität der Leute sein, die sie merkt. Aber tatsächlich machen sich leise Er­schütterungen noch häufig bemerkbar. Das kann bei tektonischen Beben, wie es das am 16. war, noch Monate lang dauern.

Heilbronn, 28. Novbr. Der Gefängnisgehife Metzger, der dem Grafen Passy zweimal zur Flucht aus dem Untersuchungsgefängnis verholfen und sich an weiblichen Gefangenen vergangen hat, ist wegen Gefangenenbefreiung, Bestechung und dreier Verbrechen gegen die Sittlichkeit zu 5 Jahren 3 Monaten Zuchthaus, sowie 10 Jahren Ehr­verlust und der Tragung der Kosten verurteilt worden. Drei Monate gehen, als durch die Untersuchungshaft verbüßt, von der Strafe ab.

Brackenheim, 25. Nov. Im Konkurse über das Vermögen des früheren Schultheißen Bosch in Stockheim steht eine Abschlagsverteilung von 8 Prozent bevor. An unbevorrechtigten Forderungen sind hierbei 274084 Mark zu berücksichtigen. Als Schlußdividende sind noch */s Proz. in Rechnung zu nehmen. Der württembergische Staat ist mit 213 894 Mk., die Sparkasse Breiten mit 49096 Mk. beteiligt. Der Staat verliert einschließlich Zinsen über 200000 Mark.

Ulm, 28. Nov. Der frühere Direktor der hie­sigen Filiale der Württembergischen Vereinsbank, Sali Thalmessinger, hat sich aus dem Sanatorium in Kreuzlingen, wo er untergebracht war, vor kurzem entfernt, ohne daß man seinen jetzigen Aufenthalt kennt.

Göppingen, 27. Nov. In der Menagerie Holzmüller, die bis gestern hier weilte, wurde am Samstag das bekannte Experiment, eine Partie 66 im Löwenkäfig zu spielen, ausgeführt, nur war dies­mal an Stelle eines Löwen ein Tiger. Die Karten­spielenden waren Frau Antoinette Stahl, Wirtin zu denSieben Schwaben" hier und der bekannte Ringkämpfer Joh. Hörger vom Saalbau in Eis­lingen. Der dritte im Bunde war ein Tierbändiger, der den Tiger im Zaum hielt.

Göppingen, 27. Nov. Einen Seeadler hat am Freitag vormittag der Gastwirt Michael Hörger von hier im Ottenbacher Tal erlegt. Der Segler