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Reueubürg, Freitag de» 20. Oktober Ml.

69. Jahrgang.

RunSIchau.

Der Krieg um Tripolis.

Die Italiener weisen mit Entrüstung den Gedanken an einen Friedensschluß zurück, der dem Sultan auch nur einen Schatten von Souveränität über Tripolis belassen würde und die Stimme des türkischen Volkes, zum Ausdruck gebracht durch das jetzt in Konstantinopel tagende Parlament, spricht sich entschieden für die Fortsetzung des Krieges aus, wenn der Friede nur auf demütigende Weise zu er­reichen sei. Kampf bis aufs Messer scheint jetzt die Losung der beiden kriegführenden Parteien geworden zu sein. Mit der zunehmenden Gereiztheit der beiden Gegner, die sich, wie die Dinge jetzt liegen, noch nicht viel schaden konnten, weil sie nicht aneinander geraten konnten, nimmt auf beiden Seiten die Neig­ung zu, den Kriegsschauplatz auszudehnen, um die Möglichkeit Wunden zu schlagen zu vergrößern. Die kürzlich veröffentlichte Meldung von der geheim­nisvollen Ausfahrt einer Division der türkischen Flotte aus den Dardanellen mit unbekanntem Fahrt­ziel läßt darauf schließen, daß die Türken zuletzt doch noch in einem kräftigen Vorstoß ihr Heil ver­suchen wollen. Der Vertreter von Lloyds Schiffs­versicherung will anderseits gehört haben, ein Teil der italienischen Flotts befinde sich bei Mytilene (türkische Insel im Aegäischen Meer, etwa 15 Kilo­meter von der kleinasiatischen Küste entfernt). Diese noch unbestätigte Nachricht stimmt mit einer Meldung Überein, welche die Wiener Neue Freie Presse bezüg­lich einer nahe bevorstehenden maritimen Aktion Italiens im Aegäischen Meer gestern veröffentlicht hat.

Konstantinopel, 18. Okt. Wie Sabah meldet, hat der Ministerrat beschlossen, keine Vermitt­lungsaktion anzunehmen, sondern den Krieg fort­zusetzen, bis Italien auf Grundlage des Stand­punktes, den die Pforte einnimmt, Verhandlungen eingehe. Sabah meldet ferner einen neuen Angriff der Türken von Dschesan aus gegen dis Italiener. Jkdam erfährt, daß die Türken einen Sturm­angriff auf Tripolis vorbereiten. Nach Blätter- meldungen ist das türkische Geschwader, aus sechs größeren Kriegsschiffen und einigen Torpedoboots­zerstörern bestehend, vor Mytilene eingetroffen. Die italienischen Torpedoboote, die zwischen den Archipel- Inseln gekreuzt hatten, sind seit dem Erscheinen der türkischen Schiffe verschwunden.

Konstantinopel, 18. Okt. Der hier weilende Mali von Tripolis Samt Bekr hat soeben den Stadlpräfekten von Tripolis Hassan-Bei, der sich bekanntlich freundlich zu den Italienern gestellt hat, telegraphisch vom Amte suspendiert, weil er ein Ver­räter sei. Da Hassan inzwischen von den Italienern zum Vizegouverneur ernannt ist, wird er sich über die Entlassung ebensowenig kränken, wie sich Neschat- Bei darüber freuen wird, daß ihm der gleiche Posten soeben durch die Pforte übertragen worden ist.

Konstantinopel, 18. Okt. Mehemed Bei, ein Enkel Abdel Kadrs, soll in Tunesien ein Frei­willigenkorps gebildet und die Grenze von Tri­polis überschritten haben. Das in Aegypten ge­bildete Freiwilligenkorps ist an der Grenze von Benghasi angekommen.

Rom, 18. Okt.Giornale d'Jtalia meldet aus Tripolis: Der Gouverneur kaufte 4500 Sack Mehl und beauftragte den Vizegouverneur Hassan Pascha, sie unter den ärmeren Arabern zu verteilen. Ein türkischer Militärarzt bat die italienischen Vorposten um Verbandszeug für türkische Soldaten, die bei den letzten Gefechten verwundet wurden. Man führte ihn mit verbundenen Augen in ein Lazaret, wo man ihn reichlich mit allem versah, was er brauchte. In den letzten 24 Stunden ergaben sich wieder mehrere türkische Soldaten, die den italienischen Vor­posten bestätigten, daß es im türkischen Lager an Proviant fehle. Die türkischen Gefangenen sollen

nächstens nach Italien geschickt werden, damit sie nicht etwa Spionage betreiben und damit die Be­wachungsmannschaften frei werden.

Tripolis, 19. Okt. Obgleich die Türken keinerlei Aussichten auf Erfolg haben, ist ihre Lage doch nicht so verzweifelt, wie man glaubt. Man hat sie Tripolis mit mehr Proviant und Munition ver­lassen sehen, als dieDerna" ausgeladen hatte. Auch findet zur Zeit die Dattelernte statt, mit deren Hilfe der türkische Soldat ernährt werden kann. Die türkischen Vorposten befinden sich ganz nahe der Stadt in Samsar und Ain Sara, von wo aus sie die Italiener mit nächtlichen Angriffen, wenn auch ohne besonderen Erfolg, beunruhigen. Sie können, sobald die Kriegsschiffe die richtige Stellung ein­genommen haben, mit den Schiffsgeschützen vertrieben werden. In einer Stärke von gegen 3000 Soldaten und 6000 oder mehr Arabern halten die Türken die Karawanenstraßen nach Tunis besetzt. An Wasser mangelt es hier nicht, aber die Italiener werden wohl kaum ihren Gegnern die Freude bereiten, diese Plätze, die von den alten Römern gefürchtet wurden, anzugreifen. Ein solcher Angriff könnte teuer zu stehen kommen und erscheint nur gerechtfertigt, falls das italienische Oberkommando einen moralischen Effekt erzielen wollte. Im übrigen wollen die Araber der Stadt Tripolis von einem Widerstand nichts wissen und die Landleute sind außer stand zu kämpfen, weil die 5jährige Dürre ihr Land ver­wüstet hat.

London, 19. Okt. Infolge der strengen Zensur sind keine neuen Nachrichten über die Bewegung der türkischen Schiffe eingetroffen. Von wichtigen Tatsachen ist hier nur bekannt, daß die Italiener eine weitere türkische Stadt Ho ms, 85 Kilometer östlich von Tripolis, besetzt haben.

Konstantin opel, 18. Septbr. Der türkische Minister des Innern erklärte: Die Italiener haben bisher Derna nicht nehmen können. Die Stadt ist noch in unseren Händen. Dagegen ist Benghasi genommen, aber die Italiener sind noch nicht ins Innere vorgedrungen, sondern halten sich überall an den Küsten, die sie allerdings stark beobachten. Die Türken und Araber kämpfen wie die Löwen, so daß in Derna selbst nach Mündigem fürchterlichem Bom­bardement keine italienische Landung möglich war.

London, 19. Oklbr. In hiesigen politischen Kreisen verlautet, daß Deutschland und England zusammenarbeiten und das Denkbarste aufbieten, um Frieden zwischen Italien und der Türkei herbeizu­führen. Von anderer Seite tauchen pessimistische Meinungsäußerungen auf und auch ein Teil der hiesigen Presse ist durchaus pessimistisch gesinnt.

Berlin, 18. Okt. (Reichstag.) Am Bundes­ratstisch: Reichskanzler v. Bethmann Hollweg, die Staatssekretäre Dr. Delbrück, Kiderlen-Wächter. Das Haus ist sehr gut besetzt. Präsident Graf Schwerin Löwitz eröffnet die Sitzung um 1.20 Uhr. Zunächst stehen auf der Tagesordnung Interpellationen des Zentrums, der Konservativen, der Sozialdemo­kraten, der Nationalliberalen und der Freisinnigen betreffend die auswärtige Politik. Auf Anfrage des Präsidenten, ob und wann der Reichskanzler die Interpellationen beantworten wolle, erklärte Reichskanzler v. Bethmann Hollweg:Ich bin bereit, diese Interpellationen zu beantworten. Für voll berechtigt halte ich'den Wunsch des Reichstags, bald­möglich von der Regierung Auskunft über die aus­wärtige Lage zu erhalten. In meinem gestern an Ihren Herrn Präsidenten gerichteten Schreiben, von dem ich annehmen darf, daß es zu Ihrer Kenntnis gekommen ist, habe ich dargelegt, aus welchen Grün­den ich mit heute eine Erklärung versagen und die Bezeichnung des Zeitpunktes noch Vorbehalten muß, an dem ich sie werde abgeben können. Ich werde nicht unterlassen, Ihrem Herrn Präsidenten den Ter­min anzuzeigen, sobald es mir möglich ist. Nach

meiner Absicht wird der Reichstag nicht auseinander­gehen, ohne daß er zuvor über die auswärtige Politik verhandelt hat. (Beifall.) Präsident Graf Schwerin erklärt: Damit ist dieser Gegenstand der Tagesord­nung erledigt. Es folgt die Interpellation der So­zialdemokraten und des Zentrums betreffend Lebens­mittelteuerung. Der Reichskanzler erklärt sich bereit, diese Interpellation am nächsten Montag zu beant­worten. Damit ist auch dieser Gegenstand der Tages­ordnung erledigt. Es folgt die Interpellation der Sozialdemokraten über Verstöße gegen das Vereins­und Versammlungsgesetz. Staatssekretär Dr. Del­brück erklärt sich zur sofortigen Beantwortung bereit. Albrecht (Soz) führt zur Begründung der Inter­pellation aus, daß sich seit der letzten Interpellation die Verhältnisse noch verschlechtert hätten. Im Gesetz stehe nichts von einer Anmeldepflicht von Mitglieder­versammlungen politischer Vereine. Der Redner bringt eine Reihe von Fällen zur Sprache, in denen nach seiner Meinung gegen das Gesetz von der Polizei verstoßen worden ist. Staatssekretär Dr. Delbrück: Zwischen der Reichsleitung und den zu­ständigen Stellen der Bundesregierungen bestehen grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Vereinsgesetzes nicht. Die Hand­lungen der einzelnen Behörden werden durch die bundesstaatlichen Ressortminister gedeckt und deshalb gehören auch die einzelnen Beschwerden nicht vor den Reichstag, sondern vor die Einzellandtage. Wir sind uns darüber einig, daß bei der Veranstaltung von öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel grundsätzlich die Heranziehung unzutreffender Gesichts­punkte nicht gebilligt werden darf, ebensowenig die Verwendung von Scheingründen. Das ist eigentlich selbstverständlich. (Sehr richtig und große Heiterkeit.) Die Reichsleitung wie auch die Bundesregierungen wünschen, daß die Gesetze so angewendet werden, wie sie erlassen sind. Die vorgetragenen Einzelfälle werde ich den zuständigen Behörden zugänglich machen. Stellen sich dann Differenzen in der Auffassung heraus, so werde ich die erforderlichen Schritte zu tun nicht unterlassen. Das Reichsgericht hat dahin entschieden, daß jede öffentliche Versammlung ver­boten werden darf. Zweifelhaft kann sein, ob nicht auch die Versammlungen eines geschlossenen Vereins unter Umständen öffentliche sein können. Niemand wird den Behörden einen Vorwurf daraus machen dürfen, wenn sie sich nach der Rechtsprechung ihres Landes richten. Ich meinerseits kann erklären, daß ich auch in Zukunft, wo die Möglichkeit eines Ein­schreitens gegeben ist, es nicht unterlassen werde, dahin zu wirken, daß Auswüchse beseitigt werden. Auf Antrag des Abg. Bebel findet Besprechung der Interpellation statt.

Berlin. 19. Okt. (Reichstag.) Die sozial­demokratische Interpellation betreffend Verstöße gegen das Vereinsgesetz wird fortgesetzt. Abg. Dr. Müller-Meiningen (Freis. Vp.): Die gestrigen Ausführungen des Staatssekretärs Dr. Delbrück widersprechen der Verfassung. Ein Vorteil des Reichs­vereinsgesetzes ist gerade, daß wir von rechtswegen die Möglichkeit haben, einzuschreiten, während uns früher immer entgegengehalten wurde, daß nicht der Reichstag, sondern die Einzellandtage zuständig seien. Diese Kompetenz lassen wir uns von den verbündeten Regierungen nicht nehmen. Die früheren württem- belgischen Bestimmungen öffneten der polizeilichen Willkür Tür und Tor. Wenn sie auch dort nicht zu Mißhelligkeiten geführt haben, so stellen Sie sich vor, wie sie in Preußen bei der dortigen Landrato- kratie (Schallende Heiterkeit) angewendet worden wären. Die Mißbräuche liegen nicht im Gesetz selber, sondern bei der gesetzverächterischen mißbrauchlüsternen Bureaukratie. (Heiterkeit.) Die Frage der Polizei­stunde sollte ganz ausscheiden. Man sollte auch im übrigen Reiche das Vorgehen der sächsischen Re­gierung nachahmen, die sogar den sozialdemokratischen Maiumzug mit Musik gestaltet hat. Schwabach (natl.)