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Blatt.
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^ 144.
Reuenburg, Samstag den 9. September 1911.
69. Jahrgang.
RunSschau.
Das zwanzigste Jahrhundert muß, soweit man es heute schon beurteilen kann, das Zeitalter des Sports genannt werden. Seitdem in der kleinsten Stadt sich ein geebneter Platz vorfindet, wo Männlein und Weiblein mit dem Schläger in der Hand hinter den Bällen herspringen wie weiland die Buben mit den Netzen hinter den Schmetterlingen, seit sogar auf den Dörfern unter heftigem Verbrauch von Stiefeln und wunderbar falscher Aussprache von englischen Fachwörtern vom kunstgerechten Lederball herab bis zur weggeworfenen Gieskanne alles, was Bubenfüße reizt, zum Fußballspiel verwendet wird, leben wir entschieden im Zeichen des Sports. In seinem Zeichen fliegen wir auch durch die Luft, teils im Freiballon, der bis jetzt noch die wenigsten Umstände und die geringsten Kosten macht, teils im stolzen Luftschiff unseres Grafen Zeppelin, so man's dazu hat — um von den Automobilen mit ihrem Staub und Gestank zu schweigen. Selbst der kostspielige Genuß einer Fahrt im Luftkreuzer soll jetzt auch dem Nichtmillionär dadurch zugänglicher gemacht werden, daß man einen Verein gegründet hat, in dem jeder für bare 6 Mark sich das Anrecht auf eine Spazierfahrt an Bord der „Schwaben" erwirbt, wenn bei der „Fahrscheinverlofung im Verein" auf ihn die bemerkenswerte Erfahrung zutrifft, daß die dümmsten Bauern immer die dicksten Kartoffeln haben. Eins hat uns noch gefehlt: „Die Flugmaschine". Zwar in Stuttgart, wo man sich seit den bösen Versäumnissen mit einer Zeppelinhalle nichts mehr auf dem Entwicklungswege zur Großstadt entgehen läßt, wenn das ganze Land tapfer zu den Kosten beiträgt, sah man auf dem Wasen schon einmal die großen Libellen mit ihrem orgeltönigen Singsang. Aber es war noch nicht das Richtige, .noch kein Ueberlandflug mit den obligaten Notlandungen und sonstigen aufregenden Zwischenfällen. Jetzt haben wir's erreicht! Der Schwabenflug, für den sogar das Protektorat des Königs gewonnen wurde, wird auf dem Wege von Stuttgart über Ulm nach Friedrichshafen und an diesen drei Stationen selbst den neuesten, kühnsten und gefährlichsten Sport zu einem hoffentlich nicht allzuteuer erkauften Besitztum unserer engeren Heimat machen.
Gotha, 8. Sept. Das Luftschiff „Schwaben" stieg gestern um 10 und 12 Uhr zu je einer zweistündigen Rundtour auf, an welcher 11 bezw. 8 Passagiere teilnahmen. Beide Fahrten führten über Eisenach und einem Teil des Thüringischen Waldes nach Gotha zurück. Im Laufe des gestrigen Tages wurde das Luftschiff von 6000 Schülern aus Gotha und Umgebung und mindestens ebenso vielen Erwachsenen besichtigt. Die Anmeldungen zu Passagierfahrten sind so groß, daß für morgen 3 Fahrten in Aussicht genommen sind. — Wie der „Information" von zuständiger Stelle mitgeteilt wird, hat der Kaiser aus Anlaß des Besuches des Luftschiffes „Schwaben" in Potsdam einen Besuch des Luftschiffes und des Luftschiffhafens zugesagt. Es ist darum zweifelhaft, ob vor der Landung in Potsdam eine Kreuzfahrt über Berlin vorgenommen wird, da diese Bestimmung ganz vom Kaiser abhängt. Wenn der Besuch des Kaisers am Samstag erfolgt, würde die „Schwaben" sofort nach Potsdam gehen. Es müßte überhaupt eine Verschiebung des Termins der Berliner Fahrt staltfinden, da in Gotha so viele Anmeldungen zu Passagierfahrten erfolgten, daß die Abreise heute unmöglich geworden ist.
Berlin, 8. Sept. Vom 1. Oktober ab sollen in einer Reihe größerer deutscher Städte die Telegrammbriefe eingeführt werden, u. a. auch in Stuttgart.
Der deutsche Ingenieur Richter ist am Mittwoch von Saloniki aus nach seiner Heimat Jena abgereist. Er hat aber nicht den Seeweg gewählt, wie es ursprünglich hieß, sondern den Landweg. Er reiste über Ueskub, Belgrad und Wien.
Die erwartete Entscheidungsschlacht zwischen den persischen Regierungstruppen und den Streitkräften des Exschahs Mohammed Ali hat am letzten Dienstag in der weiteren Umgebung von Teheran stattgefunden. Nach einer Reutermeldung
aus Teheran sind hierbei die Streitkräfte des Exschahs vollkommen geschlagen worden. 300 Mann von ihnen sind den Siegern als Gefangene in die Hände gefallen, ebenso wurde auch Sardar Aschad, einer der hervorragendsten Truppenführer Mohammed Alis, von den Regierungstruppen gefangen genommen; er wird wahrscheinlich hingerichtet werden.
Von den im Pariser „Matin" erscheinenden Memoiren der Frau Toselli ist am Mittwoch das 5. Kapitel veröffentlicht worden, welches die Ueber- schrift trägt „Mutterschaft". In ihr erzählt Frau Toselli recht warm und mütterlich von der Geburt ihrer Kinder und kommt dann wieder auf ihre „Volkstümlichkeit" zurück. Schließlich kommen wieder allerhand Kleinlichkeiten aus ihrem Leben am Dresdener Hofe.
Der „Zeitun gs verlag", das Organ des „Verbands Deutscher Zeitungsverleger", faßt eine Mahnung der „Chemnitzer Allg. Ztg.", die den sächsischen Blättern mit aller Deutlichkeit eine scharfe Abwehrkritik der Toselli-Memoiren und damit naturgemäß deren auszugsweise Veröffentlichung nahelegt, geradezu in entgegengesetztem Sinne auf, indem er dazu bemerkt: „Wir können diesen Worten nur rückhaltlos zustimmen und sprechen hiermit die Hoffnung aus, daß die gesamte deutsche Presse sich in dieser Angelegenheit die Zurückhaltung auferlegt, die ihrer Würde allein entspricht. Am besten wird sie diese Zurückhaltung dadurch betätigen, daß sie es vermeidet, Auszüge aus der Broschüre zu bringen oder dieselbe überhaupt zu erwähnen. Die Leser werden dabei nichts verlieren."
Straßburg, 6. Sept. Wie die „ Straßb. Post" erfährt, ist eine beachtenswerte Vereinfachung der Manöverausrüstung für das 15. Armeekorps vorgesehen. Zunächst fällt das von allen berittenen Waffen, Kavallerie, Feldartillerie und Train getragene Bandolier mit Kartusche fort, da das breite, quer über die Brust und Rücken laufende Band, bei Mannschaften weiß, bei Offizieren silbern oder golden, schon auf die weitesten Entfernungen von fast plakat- artiger Wirkung ist. Ein einzelner Fahrer vermag namentlich bei den heutigen optischen Hilfsmitteln eine sonst ganz gut gedeckte Artilleriestellung zu verraten. Und über eine zum Feuergefecht angesessene Kavallerieabteilung ist man sich in dem Moment im Klaren, wenn beim ersten Sprung lauter weiße parallele Querstriche auf den Schützen erscheinen. Diesen neuerdings immer wichtiger werdenden Dienstzweig der Reiterei soll auch die Maßregel fördern, daß bei den Ulanen die den Anschlag und das Zielen störenden großen steifen Epauletten, bei den Husaren die Leibschärpen und die Fangschnüre fortfallen. Von der Pelzmütze in zwei langen Streifen zur Schulter herabhängend, hindern sie auch beim Patrouillenreiten im Waldgelände ungemein. Lediglich die Offiziersausrüstung betrifft die Abschaffung der Adjutantenschärpe, die durch die allen Offizieren gemeinsame Feldbinde ersetzt wird, und der Fortfall des Ueberrocks als Manöverkleid höherer Stäbe von der Brigade an aufwärts. Die erstere Maßregel hat eine gewisse taktische Bedeutung. Der auf einer Anhöhe oder an einem Waldsaum, ob zu Pferd oder abgesessen, erscheinende Träger des „schrägen Bändels" hat damit vor jeder feindlichen Patrouille die Visitenkarte seines nicht mehr allzu fernen Truppenteils abgegeben. Aber auch zwei, drei oder mehr beieinander haltende, lange zweireihige Ueberröcke markierten in unverkennbarer Weise den „Feldherrnhügel."
Hannover, 6. Septbr. Am Weserdeich bei Bremerhaven ist von einem Schüler eine Flaschenpost gefunden worden, die aus der Nordsee angespült ist. Sie enthält folgenden Zettel: Die letzten Grüße den Angehörigen und Freunden sendet Rammler, Leutnant im Infanterie Regiment Nr. 70 in Saarbrücken, Führer des Ballons Saar. Die Schrift hannoverschen Kurier zufolge erkennen, daß sie in höchster Gefahr niedergeschrieben wurde. Cs steht außer Zweifel, daß dies das letzte Zeichen des im Frühjahr verunglückten Ballonführers ist.
Ariern (Prov. Sachsen), 6. Sept. Ein eigentümlicher Vorfall wird von hier berichtet: Dort fiel am Sedanstag mittags 12 Uhr vom Bismarck-
Denkmal am Rathaus ohne jegliche sichtbare Veranlassung, auch nicht durch Erschütterung, plötzlich das große Schwert zur Erde nieder, und unmittelbar danach stürzte von der Figur auch der Arm, der sich auf das Schwert gestützt hatte, herab. Der seltsame Vorgang wurde natürlich aufs lebhafteste kommentiert, und namentlich auch mit unserer Marokko-Politik symbolisch in Verbindung gebracht. Ein Beweis dafür, daß die abergläubische Spielerei mit Vorzeichen und Prophezeiungen, die im Altertum und im Mittelalter eine so große Rolle gespielt hat, auch noch in unseren Tagen getrieben wird.
Nizza, 8. Septbr. Zu dem Einsturz eines Theaters wird gemeldet: Das im Umbau befindliche Theater in der Rue Pastorelli stürzte heute morgen 10 Uhr über etwa hundert Arbeitern zusammen, von denen ungefähr 40 unter den Trümmern verschüttet wurden. Militär und Feuerwehr schritt an die Aufräumungsarbeiten, um die Opfer zu befreien. Die Arbeiten gestalten sich sehr mühsam, da ein Teil des Gebäudes, der stehen geblieben war, nachzustürzen drohte. Bis 11 Uhr wurden sechzehn Tote und mehrere Verwundete hervorgezogen.
Weite Gebiete des chinesischen Reiches sind von Ueberschwemmungen heimgesucht, die fast die gesamten Ernten vernichtet haben, so daß eine nach vielen Millionen zählende Bevölkerung unmittelbar vor einer schrecklichen Hungersnot steht. Der Aangtse-kiang hat seinen höchsten Stand seit 40 Jahren erreicht. Infolge von Deichbrüchen sind die Provinzen Szetschwan, Honan, Hupeh, Hunan. Klangst, Anhai und Nordkiangsu überflutet. Die Bauern sind in die Berge und die höher gelegenen Städte geflüchtet. In Wuhu ist die Lage am schlimmsten, da dort das Wasser 6 Fuß hoch steht. Man schätzt die Zahl der Toten auf 50—100000, den Sachschaden auf 100 Millionen Mark. Im Norden der Hoangho-Ebene, in Schanfi, Tschili und Schantung ist die Lage ebenso. Die kaiserlichen Prinzen haben einen Hilfsausschuß gebildet; die Reispreise sind plötzlich um 35 Prozent gestiegen. Im Hinterland von Schanghai ist es zu Unruhen gekommen. Die Bewohner und die zugeströmte Bevölkerung plünderten die Reisläden, verbrannten das Verwaltungsgebäude und die modernen Schulen.
Neue ungarische Briefmarken werden, wie wir aus informierter Quelle erfahren, zu Beginn des nächsten Jahres ausgegeben, die im Gegensatz zu den jetzt im Kurs befindlichen wahre Meisterwerke sind. Es dürfte daher von Interesse sein, daß die letzte Nummer des Jllustr. Zentralblattes für Sammelwesen bereits die neuen Markenbilder mit einem interessanten Artikel enthält. Der Verband der Sammler Posthorn (Geschäftsstelle: Leipzig. Windmühlenweg 1a) ist gern bereit gegen Vergütung einer 10 Pfg.-Marke Interessenten diese Nummer portofrei und unverbindlich zuzusenden.
WürttLinbLi'g.
Stuttgart. 6. Sept. Die Einnahmen aus dem Post-, Telegraphen- und Fernsprechverkehr im Juli ds. Js. betrugen 2083145 Mk., gegenüber demselben Monat des Vorjahres mehr 117465 Mk.
Stuttgart, 7. Sept. Auf den Stationen mit bedeutenderem Weinmostversand werden während des kommenden Herbstes innerhalb eines kurzen Zeitraums Weinfässer in größerer Zahl leer ankommen und gefüllt wieder abgehen. Da sich die Fässer ihrer Größe und Form nach häufig nur wenig von einander unterscheiden, ist ihre deutliche, auch dem Regen standhaltende Bezeichnung unbedingt nötig. Zur Vermeidung von Verwechslungen und Verschleppungen find die Güterstellen angewiesen, nur solche Fässer anzunehmen, die an einer der beiden Bodenseiten mit weißer Oelfarbe deutlich gekennzeichnet sind; es liegt jedoch im eigenen Interesse der Versender, die Fässer möglichst an beiden Bodenseiten und mit dem vollständigen Namen zu bezeichnen. Ganz unerläßlich ist die deutliche und haltbare Bezeichnung der Bestimmungsstation, die zweckmäßigerweise gleichfalls an beiden Bodenseiten angebracht sein sollte. Jeder Sendung ist sofort der Frachtbrief beizugeben; soweit dies nicht möglich, ist jeder Fuhre ein Zettel mitzugeben, der den Namen des Empfängers