Stuttgart, 31. Mai. Nach längerem schwerem Leiden ist der Stiftsprediger v. v. W eitb recht im Alter von nahezu 71 Jahren heute vormittag hier gestorben. Weitbrecht ist 1840 in Calw geboren, wurde 1869 dritter Helfer an der Hosapitlkirche und Jugendgeistlicher in Stuttgart. 1885 wurde er zum Stadtdekan in Stuttgart ernannt, in welcher Stellung er bis 1897 wirkte. Dann wurde er Generalsuper­intendent in Ulm und trat als Prälat auch in die Abgeordnetenkammer ein. Im Jahr 1900 kehrte er nach Stuttgart zurück, wo er bis zu seiner Erkrank­ung als Stiftsprediger wirkte.

Friedrichshafen, 31. Mai. Als das flinke BootGna" der hiesigen Reichsdrachenstastion gestern wie alle Tage in den See hinausfuhr und einen Pilotballon an einem Klaviersaitendraht zu Messungen der Windstärke, der Temperatur und der Luftfeuch­tigkeit in die Höhe ließ, geriet der Ballon in höheren Lagen in scharfen Winddruck. Als etwa 4'/r km Draht abgelaufen waren, entstand plötzlich ein Draht­bruch und der Ballon entschwand mit seinen wert­vollen Instrumenten in die Ferne. Der Schaden ist ziemlich beträchtlich, da die Aussichten, wenigstens den Jnstrumentenkorb wieder zu erlangen, gering sind.

Friedrichshafen, 31. Mai. Der Ballon der Reichsdrachenstation, der gestern sich von derGna" losgerissen hatte und samt den wertvollen Instru­menten davongeflogen war, ist in der Nähe von Würzburg wieder aufgefunden worden. Der Ballon war geplatzt, die Instrumente schwer geschädigt.

Geislingen a. St., 31. Mai. Die bürgerlichen Kollegien haben heute einen Abfindungsvertrag mit Schultheiß Schneider von Altenstadt angenommen und damit der Eingemeindung von Altenstadt im Prinzip zugestimmt. Schultheiß Schneider erhält neben seiner gesetzlichen Pension von etwa 2900 ^ pro Jahr eine einmalige Abfindungssumme von 30 000 Die Eingemeindung wird auf 1. Juli ds. Js. zum Vollzug kommen und damit Geislingen in die Reihe der mittleren Städte mit rund 14 000 Einwohnern einrücken.

Ellwangen, 31. Mai. Der 13jährige Sohn Albert der Witwe Kurz von Fronrot wurde samt seinem Fuhrwerk bei dem letzten Gewitter mitten auf dem Felde vom Blitz getroffen. Die Kühe er­holten sich von dem Schlag wieder, aber der Knabe konnte nicht ins Leben zurückgerufen werden. Er war sofort tot.

Grünmettstetten, 31. Mai. Das Dölker'sche Sägewerk zwischen Altheim und Grünmettstetten steht seit heute früh 5 Uhr in Flammen. Es wird Brandstiftung vermutet. Das Sägewerk selbst ist rettungslos verloren; das Wohnhaus konnte gerettet

Der Schneider von Ulm.

Auch ein Fliegerjubiläum (zum 30. Mai.i

In dem Jahre 1811, an dessen 30. und 31. Mai Albrecht Ludwig Berblinger, ehrsamer Schneider­meister und daneben Fabrikant künstlicher Glieder, seine unglücklichen Flugversuche unternahm, lag das Problem derselben buchstäblich in der Luft. Nicht nur Goethe und Jean Paul und Kleist beschäftigen sich viel damit; auch aus Wien war die Kunde ge- kommen, daß der Mechaniker Vegen dort etliche i Male schon in die Luft geflogen sei. Was Wunder, daß der Ulmer Schneider, der offenbar, wie so manche seiner Zeitgenossen, ein Grübler und Spinti- sierer, daneben freilich auch, wie die böse Welt be­hauptete, dem Branntwein durchaus nicht abhold war, sich nun in den Kopf setzte, es den Vögeln gleichtun zu wollen. Um die Zeit, da Ulm von Bayern an Württemberg überging, hatte Berblinger wohl von dem Wiener Mechaniker Vegen gehört, der Flugversuche machte und sich dabei eines Ballons und eines darunter angebrachten Flügelpaares be­diente. Berblinger muß auch eine genaue Beschreibung oder eine Zeichnung des Vegenschen Flugapparates erhalten haben, denn die Maschine, die er baute, hatte mit der seines Wiener Kollegen eine starke Ähnlichkeit. Sie bestand aus zwei durch Drähte in Spannung gehaltenen Schirmgestellen, die mit Stoff bespannt und flügelähnlich geformt waren. Diese Flügel waren durch ein Gelenk verbunden und wurden an den Armen des Fliegers festgeschnallt. Vegen ließ sich durch den Ballon heben und ver­suchte dann, durch Bewegen der Flügel seinem Fahr­zeug eine bestimmte Richtung zu geben. Der Schneider war kühner oder, wie er meinte, gescheiter: er ver­zichtete auf den Ballon und wollte mit den Flügeln allein den Himmel stürmen. Oft stand er hoch oben auf dem Kranze des Münsterturmes und starrte hinein in die Weite. Was kümmerten ihn da noch Nadel und Zwirn. Hatte nicht schon ein im April am Himmel stehender Komet prophezeit, daß dieses

werden. Das Feuer entstand, während die Säge! außer Betrieb war. Dem Besitzer wendet sich all­gemeine Teilnahme zu. Er hatte vor einigen Jahren bei dem Zusammenbruche eines Holzhändlers sehr viel Geld verloren. Dieses Frühjahr hat Dölker in sein Sägewerk ein neues Wasserrad eingebaut.

Kus StaSt, Bezirk unö Umgebung.

Nach den endgültig festgestellten Reiseplänen der K. Oberersatzkommissionen finden die Vorstellungen der Militärpflichtigen zur Aushebung im Jahre 1911 in den betreffenden Aushebungsbezirken an folgenden Tagen statt: am 27., 28. und 30. Juni in Neuenbürg, am 24. und 26. Juni in Calw und am 22. und 23. Juni in Nagold.

Neuenbürg. (Gemeinderatssitzung am 29. Mai.) Zur Vorbesprechung kam die Regelung der Anstellungsverhältnisse des künftigen Stadt- pflegers; die definitive Beschlußfassung erfolgt in der nächsten Sitzung der bürgerl. Kollegien. Mit Rück­sicht auf die verschiedenartigen Vorschläge, die seitens mehrerer Geschäftsfirmen wegen der projektierten Schülerbadeinrichtung im Schulhause eingekommen sind, wurde beschlossen, in nächster Woche einige auswärtige Schülerbadeinrichtungen zu besichtigen. Da schon öfters Klagen über die Abortentleerung geführt wurden, so wird demnächst eine Neuregelung dieser Angelegenheit erfolgen. Der am Schluß der Sitzung erschienene Hr. Oberamtmann Hornung machte mit Rücksicht darauf, daß immer wieder Ge­suche um Erlaubnis zu Bauten entlang der zum Schloß führenden Wege gestellt werden, den Vor­schlag, einen erfahrenen Sachverständigen zu Rate zu ziehen, der sich darüber auszusprechen hätte, ob und inwieweit die Bebauung des Schloßbergs sich em­pfehle; je nach Ausfall dieses Gutachtens könne es sich sodann um Anfertigung eines Bebauungsplans handeln. Dieser Vorschlag fand allgemeinen Beifall und es wurde beschlossen, sich nicht nur mit einem bereits früher zu Rate gezogenen Sachverständigen, sondern auch mit der Wegeigentümerin, der Kgl. Domänendirektion, die diesen Bauprojekten bis jetzt nicht sympatisch gegenübersteht, und weitere Belast­ungen des Staatseigentums vermieden sehen möchte, ins Benehmen zu setzen.

* Neuenbürg. 29. Mai. Der landw. Be­zirksverein hielt gestern seine Frühjahrs- Plenarversammlung unter sehr starker Be­teiligung im Gasthaus z.Waldhorn" in Calmbach ab. Den Vorsitz führte der Vereinsvorstand Ober­amtmann Hornung, der die Erschienenen herzlich willkommen hieß. Zur Tagesordnung übergehend

Jahr große Ereignisse bringen werde, und stand er nicht selbst in dem glücklichen Schwabenalter von vierziger Jahren, wo der Mensch erst anfängt, ge­scheit zu werden? Seine Landsleute freilich spotteten ^ seiner als eines Narren, und wenn er, herabgestiegen von seinen Höhen, in halblautem Selbstgespräch, mit j den langen Armen fuchtelnd, als gälte es, einen ^ unsichtbaren Feind zu packen, durch die Gassen schritt, ? dann bekam er wohl manche ungute und höhnische ^ Rede zu hören. Aber was kümmerte das unfern ^ tapferen Schwaben? In stiller Werkstatt zimmerte ! und hämmerte er, und eines Tages stand zu lesen, ! daß es dem Ulmer Einwohner Berblinger nach vielem ! Aufwand an Zeit und Geld gelungen sei, eine Flug- - Maschine herzustellen, die schon in einigen Tagen ! dem Publikum werde vorgeführt werden. Aus diesen i einigen Tagen wurden freilich Wochen, und erst als ! bekannt wurde, daß König Friedrich von Württem- ! berg das eben erst wieder seinem Lande zugefallene j Ulm besuchen werde, entschloß sich der Magistrat, j ! dem Schneider die langerbetene Erlaubnis zu einem ! j Schauflug zu erteilen.

! Freilich, ein Flug vom Münsterturm herab, wie ! ihn Berblinger tollkühn geplant hatte, wurde wegen ! Lebensgefahr für ihn und die Zuschauer vom hoch- ! weisen Stadtrat nicht gestattet. Dagegen sollte der ^ Schauflug am Abend des 30. Mai vor den Augen ! des Königs und des königl. Hofes von der Adler- ! bastei aus stattfinden. Vierzig Fuß hoch fällt diese in die Donau hinab, und zudem war auf ihr noch ein mehr als 24 Fuß hohes Gerüst erbaut, von dem aus der Schneider über den Fluß hinüber auf bay­risches Gebiet fliegen sollte. Es war am 30. Mai ^ 1811. Tausende von Zuschauern und auch der zum ^ ersten Mal in Ulm zu Besuch weilende König Fried­rich von Württemberg warteten auf den mit einem großen Reklameaufwand angekündigten Flug. Aber ^ der Schneider verlor den Mut, schützte einen Bruch ! am Apparat vor und flog nicht. Am andern Tag stand er wieder droben auf seinem Gerüst, 20 Meter über der Donau. Der König hatte ihm 20 Louis­

wurde zunächst vom Kassier Oberamtstierarzt Böpple die Vereinsrechnung für das Jahr 1910 publiziert, worauf ihm die Versammlung Entlastung erteilte. Vereinssekcetär Kübler erstattete sodann den Rechen­schaftsbericht für das abgelaufene Jahr, der ein Bild reger Vereinstätigkeit aufwies und von der Versammlung gutgeheißen wurde. Der Haushalts­plan für das laufende Jahr wurde in Einnahme mit 3992 und in Ausgabe mit 3474 ge­nehmigt. Hr. Landwirtschaftslehrer Strebel- Leon­berg hielt einen sehr lehrreichen Vortrag über rationelle Viehzucht, Viehhaltung und Viehpflege. Einleitend bemerkte er, daß die Viehzucht im Vorder­grund des landw. Betriebs stehe und eminent wich­tige volkswirtschaftliche Aufgaben zu erfüllen habe. Der Futterbau müsse immer intensiver gestaltet und dadurch eine Ausdehnung der Viehzucht ermöglicht werden, damit die Landwirtschaft im Hinblick auf die Volksvermehrung in der Lage bleibe, den Fleisch­bedarf auch fernerhin zu decken. Zur Sache selbst betonte Redner, die Viehzucht so einzurichten, daß höchstmöglichste Leistungen mit wenig Aufwand er­zielt werden, besprach eingehend die Nachteile der sogen. Abmelkewirtschaft, die Vorteile der Aufzucht und Behandlung der Tiere, die Zuchtwahl und die Vorteile der Simmentaler Rasse, die Milchleistungs­prüfungen, die Reinlichkeit bei der Milchgewinnung, die Nachteile eines zu frühen Zulassens der Kalb- innen und die Vorteile des Weidegangs. Die Aus­führungen wurden sehr beifällig ausgenommen. Der Vorstand des neu gegründeten Obstbauvereins, Amtsgerichtssekietär Knödel, sprach über die Auf­gaben, die sich der Verein gestellt hat, und bat um Unterstützung dieser Bestrebungen. Den Schluß der Versammlung bildete eine Gratisverlosung nützlicher landwirtschaftlicher Gegenstände.

Neuenbürg, 1. Juni. Ein lebhaftes Interesse wurde gestern nachmittag dem Transport des für die Hasenberganlage in Stuttgart bestimmten Gedenk­steines entgegengebracht. Wie in der letzten Nr. ds. Bl. von maßgebender Seite freundlich mitgeteilt, handelt es sich um einen Buntsandstein-Findling, der auf Veranlassung des Vorstandes des Stuttgarter Verschönerungsvereins. Hrn. Oberforstrat v. Keller, im diesseitigen Forstbezirk am Berghang von Dennach gegen die Eyachmühle ausgesucht wurde. Es ist ein gewaltiger Felsblock, wie ein solcher in Größe, Umfang und Gewicht wohl bis jetzt noch nicht auf größere Entfernung transportiert worden ist. Die größte Schwierigkeit bestand natürlich in der Fortbewegung des Steinkolosses von seinem Fundort bis zu dem nächsten Waldweg auf eine Entfernung von 80100 Meter, alsdann die Ver-

d'or geschenkt und war wieder abgereist. Während der König die ganze Sache offenbar mehr von der spaßhaften Seite nahm und deswegen auch sofort einem Gerücht, als habe er den Schneider zu einem Fluge gezwungen, mit einem energischen Dementi ent­gegentreten ließ, war es Herzog Heinrich, der auf einem zweiten Flug bestand. Wieder durchzog Berb­linger am Morgen des 31. Mai die Straßen, wieder stand er schon mit seinen Flügeln bewaffnet, aber diesmal zitternd wie ein armer Sünder vor dem Galgen, auf der Plattform des Gerüstes. Aber die Prinzen und das Volk von gestern waren wieder da. Auf einmal fiel Berblinger man sagt infolge freundlicher Nachhilfe einiger Ungeduldiger vom Gerüst herab. Ein paar unbeholfene Schläge mit den fast sieben Meter langen Flügeln, und man sah gleich, daß er tatsächlich fiel, nicht flog. In wenigen Augenblicken lag er in der Donau.

Der Schneider von Ulm hat's Fliegen probiert.

Da hat ihn der Teufel in d' Donau 'neing'führt.

Berblingers Flugmaschine war nichts weiter als ein unpraktischer Fallschirm. Zum Fliegen war sie gänz­lich ungeeignet. So hat Berblinger, der schon bei Lebzeiten Spott und Hohn genug geerntet hat, für die Flugtechnik nicht die mindeste Bedeutung. Im Jahre 1829 ist er, 59 Jahre alt, in bitterer Armut im Spital von Ulm gestorben, nachdem er nach seinem ersten mißglückten Auftreten Ulm für ein paar Jahre verlassen gehabt hatte. Die heutige Flugtechnik sieht mitleidig auf die Maschine des Schneiders von Ulm herab. Aber der Spott, der ihm von seinen Zeit­genossen entgegengebracht wurde, erscheint denen, die sein Wollen heute ernsthaft prüfen, heute unangebracht, und wenn ihn Max Eyth in seinem bekannten Ro­man einenzweihundert Jahre zu frühe Geborenen" nennt, so gibt auch er einen Fingerzeig für den Wert seiner Erfindung. Die Idee, die in seiner Erfindung steckte, auf ihren praktischen Gehalt und Wert zu prüfen, wird der Zukunft Vorbehalten bleiben müssen.