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Reuenbürg, Mittwoch den 31. Mai 1911.

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RunSschau

Bassermann über die Reichstagspolitik der Gegenwart. In Saarbrücken sprach der Führer der Nationalliberalen auf einem Parteitage über die wichtigsten Tagesfragen der Politik. Die Reichsfinanzreform, die dem Volk solch schwere Wunden geschlagen habe, sei noch keineswegs ver­wunden. Sie werde die kommenden Wahlen be­herrschen. Ueber die elsaß-lothringische Verfassungs­reform äußerte sich der Redner: Die Annahme der Vorlage war ein großer Tag, der an Bedeutsamkeit dadurch gewann, daß auch die Sozialdemokraten für sie gestimmt. Dieses Votum für ein Gesetz, das die Kaisergewalt verstärkt und mit einer Ersten Kammer beladen ist, muß ohne Zweifel ein schwerer Entschluß für sie gewesen sein. Ich begrüße diese Entwicklung mit aufrichtiger Freude. Auch dem Zentrum muß die Abstimmung nicht leicht geworden sein, denn das Elsässer Zentrum war ein erbitterter Gegner der Vorlage. Dazu kommt die bittere Tat­sache für die Konservativen, daß Bethmann Hollweg als Nachfolger für Bülow, den man in der Be­fürchtung eines liberalen Wahlrechts für Preußen gestürzt, nunmehr das demokratische Reichstagswahl­recht für Elsaß-Lothringen einführte. Die Blätter­meldungen von einzelnen Abkommen mit dem Zen­trum für die kommenden Reichstagswahlen seien nicht wahr. In der Stellung zur Fortschrittlichen Volks­partei seien die taktischen Vereinbarungen zu billigen. Er habe die Ueberzeugung, daß im nächsten Wahl­kampf dem gemäßigten und entschiedenen Liberalis­mus der Sieg nicht fehlen werde.

München, 29. Mai. Zur Erinnerung an die 25jährige Regentschaft des Prinzregenten werden am 10. Juni von der bayrischen Postverwaltung zwei besondere Freimarken zu 5 und 10 ausge­geben. Diese Marken sind nur vom 10. bis zum 30. Juni gültig und nur für den deutschen und deutsch-österreichischen Verkehr bestimmt.

München, 30. Mai. Der 24. ordentliche Ab­geordnetentag aller Krieger- und Veteranenvereine Bayerns beschloß die Rekrutenvorbildung vor dem Eintritt in die Kaserne. Zu diesem Zweck sollen von den Krieger- und Veteranenvereinen Jugend­abteilungen gegründet werden, die sich auf schulent­lassene Turner und Radfahrer erstrecken.

Hamburg, 29. Mai. Die Hamburg-Amerika- Linie hat der Werft von Blohm u. Voß ein Schwester­schiff zu dem bei der Vulkanwerft in Hamburg im Bau befindlichen großen Turbinenschnelldampfer für die New-Uorker Fahrt in Auftrag gegeben. Der

bei der Vulkanwerft im Bau befindliche Dampfer wird den NamenImperator" erhalten.

Der deutsche Ingenieur Friedrich Richter aus Jena, der sich auf einer Studienreise im Olymp- gebirge befindet, wurde, obwohl er von zwei Gen­darmen begleitet war, von griechischen Räubern überfallen und entführt. Die Nachforschungen waren bisher erfolglos. Dagegen wurde festgestellt, daß die beiden begleitenden Gendarmen ermordet wurden. Richter ist ein technischer Beamter der Firma Karl Zeiß. Er unternahm die Reise und den Aufstieg auf den Olymp vor zehn Tagen im Aufträge der Geographischen Gesellschaft Thüringen. Zur Verfolgung der Räuber sind 5 Militärabteil­ungen abgegangen, außerdem alle verfügbaren Gendarmen, sowie eine aus früheren Bandenmit­gliedern bestehende Kompagnie von Freiwilligen.

Nordhausen, 30. Mai. In vergangener Nacht ist die mechanische Weberei von I. S. Riemann abgebrannt. Der Schaden wird aus 600000 bis 700 000 Mk. geschätzt.

Wie dieTilsiter Zeitung" aus Schillgallen meldet, sind dort 10 Wohnhäuser abgebrannt. 3 Kinder einer Familie sind verbrannt, 2 Kinder einer anderen Familie wurden verletzt.

Iserlohn, 29. Mai. In ein mit vier Herren besetztes Automobil sprang ein großer Hund. Der Chauffeur verlor infolgedessen die Gewalt über Steuerung und Bremse und das Auto rannte gegen einen Baum, gerade an einer 20 Meter tiefen Bösch­ung. Der Wagen wurde zertrümmert. Die In­sassen erlitten lebensgefährliche Verletzungen. Nur der Chauffeur blieb merkwürdigerweise fast unverletzt.

Bodenbach, 27. Mai. Auf dem Bodenbacher Bahnhof verhaftete die Grenzpolizei die Mädchen­händlerin Strache, die mit vier vierzehnjährigen Mädchen nach Norddeutschland wollte.

In Staufenberg bei Gernsbach ist die Stachelbeerernte durch die kalten Nächte wäh­rend der Blüte fast vollständig vernichtet. Selbst den ältesten Leuten gedenkt es nicht, eine derartige Mißernte erlebt zu haben. Der Schaden dürfte sich auf etwa 12 000 Mk. belaufen.

Kopenhagen, 30. Mai. Juwelendiebe find in der Hauptstraße durch ein in den Fußboden ge­bohrtes Loch in einen Juwelierladen gedrungen und haben daraus Juwelen und Goldschmuck im Werte von 5000060000 Mk. geraubt.

Wie die Blätter aus Messina melden, haben unbekannte Täter im erzbischöflichen Palais einen Diebstahl begangen und kostbare kirchliche Gegen­stände im Werte von einigen Millionen Lire ent-

69. Jahrgang.

wendet, u. a. einen goldenen, mit prächtigen Steinen besetzten Mantel, der einen wirklichen Wert von 100000 Lire besitzt, dessen historischer Wert aber auf 3 Millionen Lire geschätzt wird.

Rom, 29. Mai. Schon wieder hat der Flug­sport ein Opfer gefordert. Bei einem Wettfluge vor den Toren Roms stürzte der Flieger Cirri aus einer Höhe von 200 Meter plötzlich auf die Erde herab. Cirri wurde völlig zerschmettert und war auf der Stelle tot. Er hinterläßt eine zahlreiche Familie.

New-Aork, 26. Mai. Ein Dr. Oritz will ein neues Mittel gegen die Tuberkulose gefunden haben, mit dem er bereits befriedigende Resultate erzielt haben soll. Es soll eine Serumeinspritzung mit Anwendung von Elektrizität sein.

Die Nachricht, daß bei der Brandkatastrophe Cony Island, dem bekannten Vergnügungspark von New-Iork, mehrere Kinder verbrannt seien, be­stätigt sich glücklicherweise nicht. Dagegen sind fast sämtliche wilden Tiere der Menagerie von Coney Island, rund 80 Stück, der Brandkatastrophe zum Opfer gefallen. Der durch den Riesenbrand ange­richtete Schaden wird auf mindestens 3 Millionen Dollars geschätzt.

Tokio. 30. Mai. Ein Waldbrand nördlich von Hokaido nimmt eine ungeheure Ausdehnung an. Fünf Städte sind von einem Feuermeer umgeben. Auch die dort liegenden Steinkohlengruben brennen. Mehrere Menschen sind umgekommen.

Württemberg.

Stuttgart, 26. Mai. Die Evangelische Dia- koniffenanstalt, die gestern ihre Jahresfeier beging, zählt gegenwärtig 954 Schwestern. Die Zahl der Stationen beträgt 183. Nicht weniger als 35 Ge­meinden warten z. T. schon längst auf Ueberlassung einer Schwester, aber vergeblich, wegen anhaltenden Mangels, da der Zugang von Töchtern entfernt nicht dem Bedürfnis entspricht. Gestern fand die Einsegnung von 32 Schwestern statt.

Stuttgart, 28. Mai. Der Druckfehlerteufel hat einem hiesigen Parteiblatt den üblen Streich gespielt, für das lateinische WortHic Rhodus, hic salta!" (Hier ist Rhodos, hier springe!) die Ueber- setzung zu liefern:Hier ist die Rose, hier tanze!" Das erinnert an einen Scherz, den vor Jahrzehnten ein württembergischer Minister, dessen Name hier nichts zur Sache tut, mit demselben Wort getrieben hat. Der demokratische Abgeordnete Hopf hatte in der Zweiten Kammer durch seine scharfe Opposition wiederholt den Grimm des Ministers hervorgerufen, bis dieser eines Tages seinem Unmut durch den

Die Perle von HiMgerrfarrde.

Erzählung von R. Hy mann.

9) - (Nachdruck verboten.)

Zu Ausgang des Herbstes herrschten am Meere fast unausgesetzt Stürme. Sie setzten stets ganz plötzlich mit aller Heftigkeit ein, hielten manchmal einige Stunden, oft aber auch tage- und wochenlang an und wichen dann wieder so schnell, wie sie ge­kommen waren.

In der Nacht, da Kamillas Kind das Licht der Welt erblickte, war mit großer Heftigkeit ein Un­wetter losgebrochen, nachdem einige Tage klares Wetter geherrscht hatte. Das Ende der Welt schien Hereinbrechen zu wollen. Die ganze Insel erzitterte wie bei einem Erdbeben. Das Firmament schien ein einziges Flammenmeer und die Brandung rollte gegen die Klippen, als wolle sie die kleine Insel samt allem Leben in ihrem Schoße begraben. Das war die Nacht, in der neben dem Tode ein junges Leben erwachte. Bertram konnte noch nicht das Küstenland erreicht haben und unter allen ihren Schmerzen bedrückte Kamilla das Bewußtsein:Nun ist er zum zweiten Male zwischen Leben und Tod." Dieser Sturm war der furchtbarste, den sie seit vielen Jahren erlebt hatte und ihr Mann befand sich mitten auf hoher See.

Joseph hatte alles Notwendige besorgt mit jener ruhigen Selbstverständlichkeit, die ihre Dienste nicht aufdrängt, sondern als etwas ganz Natürliches betrachtet.

Als die Frau das kleine Mädchen in Linnen gewickelt hatte und die Mutter bleich, aber anschei­nend ruhig zwischen den Kissen lag, rief sie Joseph herein, der draußen bei der toten Mutter saß und wartete, bis man seiner bedürfe.

Der Fischer nahm das kleine Wesen in seine Arme und betrachtete es lange mit einem scheuen Staunen, als wundere er sich, daß so ein kleines Ding überhaupt existieren könne. Und dann legte er es behutsam zu der Mutter, als fürchte er, es zu zerbrechen.

Joseph," sagte Kamilla müde, als sie das Kind wieder in den Armen hielt,ich danke dir."

Die Art, wie sie sagte, erschütterte den jungen Mann. Er beugte sich etwas über ihr Lager und küßte ihre schlaff herabhängende Hand, nicht so, wie dies im Alltagsleben bei den feinen Leuten Sitte ist. Er küßte die Fingerspitzen mit heiliger Scheu, wie der Wallfahrer das marmorne Kleid der Madonna mit seinen Lippen berührt.

Unterdessen waren einige Fischerfrauen gekommen, um bei der Wöchnerin zu wachen. Andre hatten Kerzen gebracht und zündeten sie in der guten Stube an, wo Mutter Maria kalt und starr aufgebahrt lag.

Ununterbrochen dröhnte draußen der Donner und manchmal, wenn ein besonders heftiger Blitz!nieder- fuhr, schien die Erde zu bersten, um all ihr inneres Feuer auf einmal auszuspeien.

Joseph, der sah, daß man seiner nicht mehr be­nötigte, stülpte den Schifferhut auf und wollte gehen. Kamilla machte eine matte Handbewegung.

Gehst du heim? Joseph?"

Nein." Er deutete mit gleichmütiger Bewegung in die See hinaus. Kamilla sah ihn zu Tode er­schrocken an.

Du willst hinaus? Joseph, um aller Hei­ligen willen bist du von Sinnen?"

Der Angeredete sah sie mit einem verständnis­losen Gesicht an. Zum ersten Male passierte es ihm, daß Kamilla ein Opfer, das er bringen wollte, nicht sofort verstand, also nicht von ihm erwartet hatte.

Bertram ist draußen," sagte er eilig.Ich habe keine Zeit zu verlieren."

BertramI" Ueber Kamillas Gesicht legte sich ein tiefer Schatten. Einen Augenblick schwieg sie und starrte zur Decke des niederen Gemachs em­por.Du sollst seinetwegen nicht dein Leben aufs Spiel setzen," flüsterte sie dann.Er ist es nicht wert und ich liebe ihn nicht mehr!"

Und gleich als finde sie selbst Kraft darin, diese Worte noch einmal zu wiederholen und als könne sie sich an diese Lüge anklammern, rief sie nochmals lauter:Ich liebe ihn nicht mehr!"

Aber sie erhielt keine Antwort. Joseph hatte bereits die Hütte verlassen und ohne Hilfe, ohne auf die Mahnungen der Weiber zu hören, fuhr er hinaus.

Kamilla meinte, es nicht fassen zu können. Ihr ganzes Leben lang sollte sie nun ohne die Mutter sein, sollte sich nie mehr Rat von ihr holen können, nie mehr in diese treuen alten Augen schauen, nie mehr diese unwandelbare reine Liebe fühlen. Mutter Maria war tot!