Jedes Jahrhundert entwickelt die Einrichtungen, die dem allgemeinen Wähle zurzeit gerade dienlich find. So hat sich im abgelaufcnen Jabrhundert die Lebensversicherung aus den kleinsten Anfängen emporgerungen und ausgebildet. Welchen Segen sie bis jetzt gestiftet, und welche Not sie gelindert hat, mag daraus hervorgeben, daß von den deutschen Gesellschaften allein für Todesfälle bis jetzt nicht weniger als 1600 Millionen Mark zur Auszahlung gekommen sind, abgesehen von den Summen, die zu Lebzeiten der Versicherten bereits fällig geworden sind. Ende 1900 waren bei den deutschen Gesellschaften 7,5 Milliarden Mark versichert. — Angesichts dieser Zahlen und angesichts des neuen Versicherungsgesetzes, welches die Gesellschaften im Interesse ihrer Versicherten einer ständigen staatlichen Kontrolle unterstellt, ist es am Platze, auch unsere Landwirte aufzufordern, die Lebensversicherung wehr als seither ihrem eigenen und dem Wohle ihrer Familien dienstbar zu machen.
(Wochenbl. d. landw. Vereins in Bayern.)
Cagesnemgimten.
Calw, 20. Okt. Gestern Montag Abend versammelte sich im Gasthof z. Hirsch hier eine stattliche Anzahl patriotisch gesinnter Männer, um zu der schon in einer früheren kleineren Versammlung ins Auge gefaßten Gründung eines neuen politischen Vereins in nationalem Sinn Stellung zu nehmen. Sämtliche Anwesenden erklärten ihren Beitritt zu dem nun endgültig gegründeten Verein, der den Namen „nationaler Volksverein" führt und sich an den Landesverein der deutschen Partei angliedern wird. Mitglieder derselben können und sollen alle diejenigen unserer Mitbürger in Stadt und Landbezirk werden, die gewillt sind, die Errungenschaften einer großen Zeit, die auf immer mit den Namen eines Wilhelm I und eines Fürsten Bismarck verbunden sind, ein mächtiges, einiges deutsches Vaterland, zu erhalten und an seinem Ausbau in nationalem und freiheitlichem Sinn mitzuarbeiten. Der neue Verein will in regelmäßigen Versammlungen patriotischen Sinn pflegen, seine Mitglieder in allen wichtigen politischen Fragen auf dem Laufenden erhalten, um namentlich auch in Zeiten politischer Wahlen sein Gewicht in die Wagschale werfen zu können. Für den eigentlichen Gründer des Vereins, den demnächst von hier scheidenden Rektor Haug, der in politisch bewegten Zeilen als ein mutiger Führer stets in vorderster Reihe stand und der unfern patriotischen Feiern durch seine gehaltvollen Reden so oft eine höhere Weihe gab, gestaltete sich der Abend zu einer erhebenden Kundgebung der Dankbarkeit und Verehrung.
* Calw, 20. Okt. In vergangener Nacht sank das Thermometer unter den Nullpunkt. Gestern abend kam Stern um Stern zum Vorschein und allmählich strahlte der Himmel in schönster Pracht. Heute früh waren die Gewächse mit starkem Reif bedeckt; das Wasser hatte eine Eisrinde gebildet. Im freien Feld zeigte das Thermometer 3 Grad, an den Häusern 1—2 Grad unter Null. Die Blätter werden nun von den Bäumen fallen und die Garten- und Fcldfrüchte müssen jetzt eingebracht werden. In den Weinbergen wird überall die Lese vorgenommen werden, da sonst die Trauben not- leiden; ein längeres Hängenlassen der Trauben ist
nicht mehr möglich. Bold werden deshalb die Weinfuhrwerke im Lande sich bewegen, um überall den „Neuen" hinzubringen.
Stuttgart, 19. Okt. Der „Schwäb. Tagwacht" wird vom „Beobachter" auf eine An- rempelung wie folgt der Text gelesen:
„Wenn das „schmierige Back" sich von den Herren „Genossen" nicht auf den Zehen herumtrampeln läßt, ohne ihnen einen tüchtigen Rippenstoß zu geben, so kommt die „Schw. Tagw." aus dem Häuschen. Neuerdings redet sie von einer „systematischen Herabwürdigung eines Teils unserer Führer". Die „systematische Herabwürdigung" wurde auf dem Paneitag in Dresden so gründlich besorgt, daß sich die „Tagwacht" durchaus nickt beklagen kann, wenn sich auch die bürgerlichen Parteien die Sozialdemokratie überhaupt etwas näher ansehen. Das kann ihr schwäbisch-preußisches Organ glauben, daß eine schöne Zahl von Sozialdemokraten weniger in den Reichstag gezogen wäre, wenn der Dresdener Parteitag vor den Wahlen stattgefunden hätte. Schreiber dieses ist mitschuldig, daß Sperka NeichS- tagsabgeordneter ist. Nach den Debatten in Dresden aber ist er überzeugt, daß eine nur zweimonatliche Diktatur Bebels über Deutschland mehr Ausnahme- und Knevelgesetze bringen würde, als Bismarck in seinem ganzen Leben fertig gebracht hätte. Eine Zetkin und eine Luxemburg würden dann wohl auch nach dem Scheiterhaufen rufen, um die bürgerlichen Sünder knusperig zu braten. Da aber diese nicht gerne Scheiter selber herbeitragen zum Holzhausen, den sie besteigen müßten — bildlich geredet —, drum wehren sie sich mit Händen und Füßen gegen die Segnungen, die der Dresdener Parteitag der ganzen bürgerlichen Gesellschait zugedacht hat. Damit „verraten" sie nicht das „demokratische Prinzip", sondern schützen dasselbe vor Vergewaltigung."
Stuttgart. Wochenbericht der Zentralvermittlungsstelle für Obstverwertung. Ausgegeben am 17. Okt. 1903. In dieser Woche gingen bei uns ein Angebote von Tafeläpfel aus Ernsbach bei Oehringen, in Quitten aus Berg bei Friedrichshafen, in Hagenbutten aus Donnstetten OA. Urach. Nachfrage in Tafel- und Mostäpfel. Die Vermittlung geschieht kostenlos. Angebot- und Nachfragelisten sind sofort und franko erhältlich. Marktbericht. Engrosmarkt bei der Markthalle am 17. Oktober. Himbeeren 35—40 A, Preißel- beeren 20 A Aepfel 12—18 A Birnen 10—30 A Nüsse 25—45 , Zwetschgen 35 ^., Quitten 18
bis 20 x). per V- kx. Zufuhr reichlich, Verkauf lebhaft. Mostobstmarkt auf dem Wilhelmsplatz. Zufuhr 450 Zentner, Preis -/L 6.80—9 per 50 kx. Mostobstmarkt am Nordbahnhof am 16. Okt., aufgestellt waren 124 Waggons. In Kleinverkauf für 50 irx 5.80 bis 6.80.
Stuttgart, 21. Okt. Nachdem die Berufsfeuerwache gestern abend einen ungefährlichen Zimmerbrand, der in der Lindenstraße ausgebrochen war, gelöscht hatte, wurde sie heute nacht V-1 Uhr wiedcrunl auf einen Brandplatz gerufen. In dem in der Nähe des Wüstenhofs gelegenen, schwer zugänglichen, dem Ochsenmetzger Frech gehörigen großen Stallgebäude, sowie in der dazu gehörigen Schäferwohnung war Großfeuer ausgebrochen. Als die Berufsfeuerwache, die mit aller verfügbaren Mannschaft und mit beiden Dampffeuerspritzen ausgerücktwar,aufder Brandstelle ankam,hatte sich das Feuer bereits dermaßen über das ganze Anwesen verbreitet, daß an eine Rettung auch nur eines Teils des weitläufigen Gebäudes nicht mehr zu
denken war, zumal die mehrstündige Tätigkeit der Feuerwehr durch Wassermangel außerordentlich beeinträchtigt wurde. Das Wasser mußte ca. 800 m weit den Berg heraufgeleitet werden, sodaß es feine Druckkraft nahezu verloren hatte. Die beiden Dampffeuerspritzen konnten gar nicht in Aktion treten. Das Anwesen brannte bis auf den Grund nieder. Das in den Stallungen befindliche Vieh konnte noch rechtzeitig entfernt werden; nur einiges Federvieh kam in den Flammen um. Ueber die Entstehuugsursache des Feuers ist noch nichts bekannt.
Cannstatt. 19. Okt. Als vorgestern ein Schutzmann einen Taglöhner aus Gablenberg wegen Bettels festnahm, leistete derselbe heftigsten Widerstand, schlug den Schutzmann mehrmals auf die Brust und inS Gesicht, sodaß diesem nichts übrig blieb, als von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Der Festgenommene konnte erst, nachdem noch mehrere Schutzleute telefonisch herbeigerufen waren, auf die Polizei verbracht werden. — Die hiesige Fahndungspolizei hat den von mehreren Gerichtsbehörden schon längere Zeit wegen mehrerer Diebstähle steckbrieflich verfolgten Taglöhner Christian Hcsftr aus Königsbronn OA. Heidenheim hier fcstgenommen. Derselbe ist aus dem Amisgerichtsgefängnis Eßlingen entwichen gewesen und konnte bis jetzt nicht beigebrachl werden, da er sich unter falschem Namen Herumtrieb.
Göppingen, 20. Okt. Das Messer hat in der Sonntagnacht leider wieder eine große Rolle gespielt. In der oberen Freihofstraße ist der Fabrikarbeiter Nolhdurft durch Stiche mit einem Stilet- meffer schwer verwundet wolden. Er erhielt 5 Stiche in Kopf und Rücken, erlitt dadurch sehr großen Blutverlust und mutzte im Krankenhaus untergebracht werden. Die Täter sind Karl Weber von Eislingen und Karl Autenried von Weilheim. Beide befinden sich jetzt in Haft. Zu gleicher Zeit ist bei der Sonnenbrücke ein 72jähr. verheirateter Schmied durch Stiche in den Oberschenkel schwer verletzt worden.
Heins heim, 20. Okt. Der etwa 60 Jahre alte Landwirt Reichert von Obergriesheim wollte sich gestern abend zum Zug, der 7 Uhr 47 Min. die Station passiert, übersetzen lassen. Der Nachen befand sich eben mit anderen Personen etwa in der Mitte des Neckars. Reichert geriet in den Fluß und ertrank. Hilfeleistung war bei der herrschenden Dunkelheit unmöglich. Der Verunglückte ist wahrscheinlich von der Strömung fortgenommen worden.
Weinsberg, 20. Okt. Zimmermann Münzin g hat vorgestern Nachmittag den ledigen hier beschäftigten Schuhmachergesellen Gottlob Geist .(von Neuenstein) in seiner Wohnung bei ehebrecherischem Umgang mit seiner Frau betroffen. Münzing griff sofort zum Messer und versetzte dem Geist je einen gefährlichen Stich in Brust und Arm. Der Verletzte floh aus dem Hause und schleppte sich auf der Straße noch etwa 100 Schritte fort, brach aber dann infolge des große!: Blutverlustes zusammen. In einem Hausöhrn wurde der erste Verband angelegt und Geist hierauf in das Bezirkskrankenhaus überführt. Münzing machte selbst bei der Polizei Anzeige. Gestern Abend noch wurde auch der Gestochene gerichtlich vernommen.
Berlin, 19. Okt. Ein Ausbruch von Sträflingen aus dem Provinzial-Zentral-
war bei Marengo verwundet worden; dieser hatte in den Laufgräben von Sebastopol gelegen und jener hatte sich in Afrika das Kreuz der Ehrenlegion verdient.
Die deutschen Offiziere und Beamten hörten schweigend, mit leichtem Lächeln den vielfach abenteuerlichen Erzählungen der alten napoleonischen Soldaten zu. Sie hätten auch wohl manche Kriegsgeschichte erzählen können, sie wollten aber keinen Mißton in die Unterhaltung bringen, da sich ihre Geschichten zum größten Teile auf den Krieg mit Frankreich bezogen. Der Marquis bemerkte jedoch die Schweigsamkeit seiner deutschen Gäste.
„Zum Kuckuck!" rief er lachend, „da schwatzen wir alten Soldaten stets von unseren bereits halb vergessenen Geschichten, und hier sitzen Kameraden, die uns aus der neuesten Kriegsgeschichte die schönsten Anekdoten erzählen können. Wie ist's, Herr General, wollen Sie uns nicht eines Ihrer Kriegserlebnisse zum Besten geben?"
„Gern, Herr Marquis. Gerade hier in dem alten Schloß fällt mir eine Geschichte ein, welche mit demselben zusammenhängt. Freilich, meine Herren, sie spielt in dem Kriege gegen Frankreich und ich möchte nicht gern schmerzliche Erinnerungen wachrufen."
„Ah bah! Die Erinnerungen sind überwunden! Krieg ist Krieg! Also nur zu, Herr General!"
„Nun denn — aber vorher möchte ich bitten, die Gläser zu füllen und auf das Andenken eines tapferen Kameraden zu trinken, der in diesem Schloß die TodeSwunde durch Mörderhand erhielt."
„Ah — was Sie sagen? Ein Kamerad von Ihnen hier ermordet?"
„In dem dunklen Korridor des Schlosses, den wir vorhin durchschritten.
Es ist derselbe Offizier, Herr Marquis, den wir an der Seite Ihres Sohnes im Park von Ladonchamps bestattet haben."
„Der Vater unseres jungen Freundes?"
„Nein, der Hauptmann Martens!"
Ein leiser Aufschrei vom Buffet her unterbrach die Worte des Generals. Ein Glas fiel zur Erde und zersplitterte klirrend.
Frau de Marange erhob sich. „Was haben Sie, Fräulein? Haben Sie sich verletzt?"
„Ein wenig, Madame. Gestatten Sie, daß ich mich zurückziehe. Madeleine erwartet mich."
„Bitte, gehen Sie nur. Der Diener kann den Wein allein servieren."
Mit gesenktem Haupte entfernte sich Margarethe, während Frau de Marange zur Gesellschaft zurückiehrte.
„Ich bitte um Verzeihung wegen der kleinen Störung, Herr General."
„Bitte sehr. Aber weshalb sandten Sie die junge Dame fort? Ich glaube, die Geschichte, welche ich erzählen möchte, ist auch für sie von Interesse."
„Weshalb?"
„Ist das Fräulein keine Deutsche?"
„Eine Amerikanerin wohl mehr, Herr General. Wenn Sie jedoch wünschen —"
„O bitte sehr! Es war nur so ein Gedanke."
„Nun endlich — die Geschichte, Herr General! Daß eine solche Tat in diesem Schloß vorgefallen, war mir gänzlich unbekannt. „Eugen," wandte sich der Marquis an den Kapitän, „Sie waren ja als junger Mensch von sechzehn Jahren während des Krieges hier anwesend, haben Sie niemals von jenem Vorfall gehört?" (Fortsetzung folgt.)