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diesem ausgezeichneten Gelehrten den Blick für die sonnenbeschienene Gegenwart vollständig getrübt hat. Es ist wirklich eine nationale Beschämung für mich, wenn ich so einen ausgezeichneten Gelehrten, der unseren Ruhm dem Ausland gegenüber vertreten soll, bezüglich der Gegenwart so reden höre." Daß der englische Imperialismus im letzten Sinne die Handelsfreiheit vernichten soll, für die der Manchestermann Mommsen sonst so schwärmt, daß er die Ausschließung Deutschlands von der Konkurrenz um den letzten Sonnenplatz zum Ziele hat, daß auch der Burenkrieg nicht nur den deutschen Idealismus auf das tiefste verletzt, sondern, wie selbst ein Mann wie Marschall voraussah, unsere realen Interessen auf das schwerste geschädigt hat, daß jede Steigerung des englischen Gewichtes „in den Weliverhältnissen" ohne ausreichende Kompensationen für uns den deutschen Einfluß schädigen und unterdrücken muß, das hat Herr Mommsen von seiner Stube aus nicht erkannt. Er weiß auch nichts von dem heimlichen und heimtückischen Vorgehen in Marokko, er weiß nichts von Sansibar und Samoa, von der Verhetzung der Amerikaner gegen die Deutschen, von dem großen Betrüge, der mit dem Geheimvertrage an uns begangen wurde, der uns nicht einmal Steine für Brot gab, von den Schmähreden Chambcr- lains und der Seinen über die deutsche Armee und die deutsche Kriegsfübrung, nein, Herr Mommsen weiß nur von Salpcnsa und Malaca, von der Chronik des Cassiodor und vom oorxus.juris, aber von der sonnenbeschienenen Gegenwart weiß er nichts, und was er weiß und urteilt, ist falsch. Aber sollen wir uns wundern? Als Bismarck starb und jeder Nerv des deutschen Volkes erzitterte, da ließ er, der die ungeheure schmähliche Lüge vom Haus- meiertum der Kanzlerfamilie ersann, das blöde Urteil vernehmen, daß Bismarck „mit Groll geladen war und so auch gestorben ist", daß seine Tage „ausgefüllt waren mit Zorn und Erbitterung", und mit kleinlich-hämischer Schwähsucht fand er „auch darin kein Haar, daß die Bankiers, bei denen Bismarck seine Gelder in Verwahrung hatte, für ihn mit Glück spekulierten." Warum sollte er, der einst Bismarcks Politik „eine Politik des Schwindels" genannt hat, nicht selbst dem Schwindel verfallen? And hat er nicht im Dezember, als der Obstrukiions- kampf wütete, gegen den Staatsstreich gewettert, und den „Umsturz der Reichsverfassung"? Hat er nicht unter dem Jubel der Sozialisten und Äörsen- liberalen versichert, daß in allen anderen nur „die Interessen der niedrigsten Art" lebendig seien, daß man den deutschen Kaiser „dem Absolutismus eines JnteressenbundeS des Junkertums und der Kaplano- kratie" ausliefern wollte, daß „zum besten der regierenden Cliquen die Staatsbürger ousgebeutet und die Wissenschaft geknebelt werden soll" ? Hat er nicht das hohe Lied von der rettenden Sozialdmokratie gesungen und verkündet, es sei „ein ebenso falscher als perfider Köhlerglaube, daß die Nation sich teile in Ordnungsparteicn und eine Umsturzpartei?" Hat er nicht das Bündnis gepredigt mit den „durch die Habsucht der Jnterefsencliquen gedrückten und zum Teil zerdrückten „grollenden Arbcitermassen?" Hat er nicht hinzugefügt, daß die Sozialdemokratie „die einzige Partei ist, die Achtung verdient" ? Herr Mommsen hat nun die Alldeutschen als Narren bezeichnet — wir fragen mit allem Respekt vor dem Gelehrten: Wer ist in Wahrheit der Narr? Die Männer, die fast durchweg der Elite unseres Volkes
entsprossen, vielleicht einmal in allzu überschwänglichem Idealismus Fragen anregten und erörterten, die der landläufigen Auffassung von den realpolitischen Bedürfnissen widersprechen? Die im deutschen Volke die Flottenbegeisterung auslösten und wachhielten? Die in jeder unserem Volke zugefügten Schmach eine Schmach empfanden, die ihnen selbst angetan werde? Die für die Aufrechterhaltung deutscher Sprache und deutscher Gesinnung auch unter denen eintreten, die in die Ferne zogen? Die mutig den Kampf aufnehmen für alle -Landsleute, denen man im fernen Lande Unrecht tat? Die auf die Schmach von Samoa wiesen und sich gegen die Beschlagnahme unserer Schiffe kehrten? Die gegen das Magyarentum und seine ungeheuerlichen Gewalttaten kühne Worte des Trostes und der Ermutigung fanden? Die in Bismarck, den der Andere als Hausmeier, als den kleinlichen Hüter persönlicher Interessen schmähte, den Führer zum Licht und zur Einigkeit erblickten? Sind sie Narren, die mit der Kraft der Begeisterung und mit der Macht des Gemüts dafür eintraten, daß man den greisen Krüger, den Pilger an Deutschlands Pforte, nicht von der Grenze jage wie einen lästigen Bettler? Daß man Dewel, Botha und Delarey hinführe zum deutschen Kaiser, daß ihm aus den Augen kluger, tapferer Männer der Strahl höchster männlicher Tugend entgegenleuchte? Sind sie Narren, die unser Volk rein deutsch erhalten wollen ? Die mit allen Fasern ihres Herzens nichts anderes erstreben, als daß sich erfülle, was unser erster Kaiser und Bismarck, was auch Kaiser Wilhelm II. erstrebt? Sind sie alle Narren, die nicht wie Mommsen in Shakespeare den „geistigen Befreier Deutschlands" erblicken, sondern in Luther und Goethe, in Kant und Fichte, in Friedrich dem Großen und Bismarck? Nun, wenn sie so arme Narren sind, die nach Mommscns dürftigem Witz, „einen eigenen germanischen Adam dem allgemeinen substituieren", dann möchten wir tausendmal lieber zu ihnen gehören, als zu Denen um Mommsen, die in Stubengelehrsamkeit versumpfen und verknöchern, denen aber Sinn und Auge fehlt für die sonnenbeschienene Gegenwart. Wir schwören nicht auf einen „germanischen Adam", aber wir hoffen dennoch, daß an deutschem Wesen die Welt genesen wird, und wenn wir uns schon einem Teufel verschreiben sollen, so ist cs ein teutonischer. Wer anders denkt, den halren wir unsererseits, mit Vergunst, für einen Narren. Und wir sehen hierin noch einen Ausdruck der Schonung.
Trrvesnerngkeiten.
* Calw, 19. Okt. Tie Preise auf dem Lebensmittelmarkt sind schon seit längerer Zeit recht hoch. Im Sommer bringt der gesteigerte Verkehr im Nagoldtal besonders in den Bad- und Kurorten stets auch eine Erhöhung der Lebensmirtel- preise mit sich; gewöhnlich trat aber im Herbst wieder eine normale Preislage ein. In diesem Jahr hält sich aber der Preis für einzelne Lebensmittel auf einer Höhe, die für die Konsumenten recht unangenehm ist. Der Preis für Butter z. B. ist gegenwärtig sehr hoch, in letzter Woche kostete das Pfund saure Butter bis zu 1 35 Wenn
auch durch den Bedarf für die Kirchweih eine solche rapide Preissteigerung begreiflich erscheint, so ist
doch der Durchschnittspreis für Butter in diesem Jahr höher denn je. Nimmt man dazu die hohen Fleischpreise (woran aber die Metzger unschuldig sind, da sie in gar keiner rosigen Lage sich befinden), so wird man zugestehcn müssen, daß diese Verhältnisse tief und in höchst unliebsamer Weise in den Haushalt mancher Familie eingreifen. Auch bei den Eiern ist eine Preiserhöhung eingetreten. Kalkeier kosten 6 A während frische 8 A kosten. Dieser letztere Preis wurde sonst nur im Dezember und Januar für neue frische Ware bezahlt, während er Heuer schon im Oktober verlangt wird. Bei den hohen Preisen leidet die gute Ernährung der mittleren und unteren Volksklassen not und es wäre sehr zu wünschen, daß im Laufe des Winters die Preise auf die notwendigsten Lebensmittel wieder heruntergehen würden.
Calw. Im Verlag derA. Oelschläger'schen Buchdruckerei hier ist kürzlich ein neuer Kilometerzeiger des Oberamtsbezirks Calw — gefertigt im Auftrag des K. Oberamts von res. Oberamtsgeometer Bühner und von Oberamtswegmeister Kleiybub — erschienen. Derselbe ist in zwei Ausführungen hergestellt: 1) in Plakatform, auf Karton gedruckt, zum aufhängen; 2) in Buch- bezw. Taschenformat (mit steifem Umschlag). In tabellarischer Anordnung sind darin aufgeführt: I. Die Entfernung der Bezirksorte unter sich, immer vou Rathaus zu Rathaus gerechnet und für entfernte Orte unter Zugrundelegung der direkten Straßeu- linie; II. die Entfernung sämtlicher Parzellen des Bezirks und wichtiger Orte der angrenzenden Bezirke von der Stadl Calw auS; III. die Entfernung der einzelnen Bczirksorte von ihren Parzellen und von Orten der angrenzenden Bezirke. Die Tabelle, der noch ein Kärtchen des Oberamtsbezirks beigedruckt ist, worauf die Straßen- und Weganlagen deutlich gezeichnet sind, ist in übersichtlicher leicht orientierender Weise angelegt, so daß mit raschem Blick jede gewünschte Entfernung gefunden werden kann; Dieser Kilomcterzeiger kommt einem wirklichen Bedürfnis entgegen und wird allen Denen, welche den Bezirk zu irgend welchem Zwecke durchreisen wollen, vortreffliche Dienste leisten. Es ist ihm daher die weiteste Verbreitung, insbesondere auch durch Aufhängen in den besuchteren Winschaftslokalen des Bezirks zu wünschen. Der Kilometerzeiger kann von der OberamlSpflege direkt oder durch Vermittlung der Druckerei d. Bl. bezogen werden; Preis je 50 c). für das Plakat, oder in Buchformat.
Stuttgart, 17. Okt. (Schwurgericht.) Der Weingärtner Paul Friedrich Kurrle von Uhlbach wurde heute wegen versuchten Mords schuldig gesprochen und zu der Zuchthausstrafe von 9 Jahren nebst lOjährigcm Ehrverlust verurteilt.
Stuttgart, 17. Okt. Kartoffelgroßmarkt auf dem Leonhardsplatz. Zufuhr 1000 Ztr. Preis 2.50 bis 4 per Ztr. Krautmarkt auf dem Charlottenplatz. Zufuhr 1000 Stück. Preis 12—16 per 100 Stück. Der
M o st o b stm a r kt auf dem Wilhelmsplatz hatte
Clurissa niemals wurde vergessen können, auch wenn das Schicksal sie auf immer trennen sollte.
„Weißt du," unterbrach General von Brunken das Schweigen, „daß sich mit dem Schloß Melange eine trübe Erinnerung für mich verknüpft."
„Weshalb, lieber Onkel?"
„In der Nähe des Schlosses fand ein Gefecht mit Franctireurs statt, im Schlöffe selbst ward mein Freund Martens im Oktober 1870 tätlich verwundet."
„Ich wußte nicht, daß bei Marange ein Gefecht stattgefunden hat."
„O, es war kaum ein Gefecht zu nennen! Mehr ein Ueberfall, — eine Verrätern!"
„Ah, in der Tat! Erzähle doch!"
„Jetzt ist keine Zeit dazu. Vielleicht später. Der Oberst stellt schon die Schützen an. Er kommt auf uns zu."
Das erste Treiben war erreicht und die Schützenkette wurde gebildet. Kon- rad erhielt seinen Stand in einiger Entfernung von dem General. Sein NachbaH zur Rechten war der Kapitän, sein Nachbar zur Linken ein Oberförster. Dann begann die Jagd.
Die Wälder Lothringens sind fast undurchdringlich mit Unterholz durchwachsen. Die französische Forstwirtschaft hat auf die Erhaltung der schönen, stattlichen Hochwälder wenig Wert gelegt, die Gesetzgebung der großen Revolution gestattete eine übertriebene Ausnützung der Wälder durch die Gemeinden und die staatlichen Behörden, welche den Wäldern selbst auf die Dauer zum größten Schaden gereichen mußten. Erst mit den deutschen Forstbeamten gelangten die Wälder wieder in die liebevoll« Pflege, welche bereits in dem kurzen Zeitraum, der seit
der deutschen Besitzergreifung verstrichen war, sehr wohltätig gewirkt hatte. Indes zeigten die Wälder auch jetzt noch viele undurchdringliche Dickichte, welche dem Raubzeug, Füchsen und selbst Wölfen, Wildkatzen und dem Dachs, willkommene Schlupfwinkel boten.
Diese Dickichte sollten heut durchstöbert weiden. Die Jagd war deshalb mit großen Anstrengungen verbunden und konnte nicht rasch vorwärts schreiten. Es dunkelte bereits, als das letzte Treiben zu Ende war und man sich in dem Dörfchen Bronvovx versammelte, wo die Wagen die Jäger erwarteten, um sie nach Schloß Marange zu bringen.
Schloß und Dorf Marange lagen an dem Abhange eines sich nach Norden zu auftürmendcn Bergrückens, dessen südliche Seite zu mit Weinbergen bedeckt ist, denen sich nördlich von Marange düstere, meilenweite Wälder anschließen. Tiefe, schroff abfallende Schluchten durchschneiden dos Waldgebirge, das hier seinen lieblichen Charakter, das es näher der Mosel zu zeigt, mehr und mehr verliert. Der wilde, düstere Charakter der Ardennen tritt in den Vordergrund.
Ebenso düster wie seine Umgebung war Schloß Marange, ein graues, mittelalterliches Gemäuer mit tiefem, verschlammtem Graben, einer in rostigen Ketten hängenden Zugbrücke, einem finsteren feuchtkalten Hof, einer zerfallenen Ringmauer und einem halb in Trümmer liegenden mächtigen Turm. Das Schloß führte mit Recht den Namen eines „alten Eulennestes".
Das altertümliche Innere stand mit dem Acußeren des Schlaffes in lieber- einstimmung. Düstere Korridore, gewölbartige Säle und Hallen und dunkle Keller und Treppen. Zu gewöhnlichen Zeiten mußte das Schloß einen überaus trüben, finsteren Eindruck machen. (Fortsetzung folgt.)