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statt. Am 19. ist Pirsche im Linzer Tiergarten. Am Sonntag den 20. wird der Kaiser dem Gottesdienst in der evangelischen Kirche beiwohnen. Abends ist nach der Hoftafel in Schönbrunn Festvorstellung im Schönbrunner Schloß-Teater. Unmittelbar darauf reist Kaiser Wilhelm ab.
Berlin, 9. Sept. Dem Kleinen Journal zufolge verlautet in Wiener dem Dresdener Hofe nahestehenden Kreisen, König Georg wünsche, daß sich Kronprinz Friedrich August wieder vermähle, weil es nicht angche, daß Sachsen dereinst ohne Königin bliebe. Der Kronprinz, der noch immer an seiner geschiedenen Gemahlin hängt, habe sich bis jetzt ablehnend verhalten. Man glaubt, daß König Georg den Kronprinzen nur deshalb zu seinen Lebzeiten wieder vermählen möchte, um eine Zurückberufung der Prinzessin Louise, für welche auch die Volksstimmung sehr günstig wäre, endgültig zu verhindern.
Berlin, 9. Sept. In der Spionage- Affäre in Ars wird gemeldet, daß der geständige Zeug-Sergeant von der Spandauer Munitionsfabrik kam und erst seit zwei Monaten auf der Veste Kronprinz beschäftigt war. Für zwei an Frankreich auSgelicferte Granaten erhielt er angeblich 4000 Fr.
Berlin, 10. Sept. Nach Meldungen aus Essen tritt unter den Krupp'schen Arbeitern starke Mißstimmung wegen der Haltung der Firma gegenüber dem Koalitionsrecht auf. Eine große Versammlung ist in Aussicht genommen. Die Strafkammer in Graudenz verurteilte den städtischen Gasanstalts-Director Hausfelder wegen Vergehen im Amte zu 1100 ^ Geldstrafe. Aus Schriftstellerkreisen wird für heute und morgen eine Volksversammlung einberufen, die zu den neuesten Folgen des Bestehens eines Zeugnis-Zwangs-Paragraphen für Redacteure und Schriftsteller Stellung nehmen soll. Der bekannte Darsteller des Berliner Teaters, Harry Waiden, der vor einigen Monaten in einer delikaten Angelegenheit viel von sich reden machte, ist verschwunden. Im Berliner Teater mußte deshalb gestern in letzter Stunde eine Abänderung des Spielplanes erfolgen. — Wie aus Wien depeschirt wird, dementirt Director Mahler die Nachricht, er solle Zumpes Nachfolger in München werden. — Im Laurahütter Krawall-Prozeß vor der Beuthener Ferienstrafkammer wurde gestern Abend die Vernehmung der Angeklagten beendet. Dieselben bestlitten die ihnen zur Last gelegten Vergehen und wollen nur als Neugierige aufgetreten sein. Redacteur Wieck gestand ein, aufhetzende Reden an die Mengen gerichtet zu haben. Heute beginnt die Vernehmung der Zeugen, deren Zahl bis auf 120 angewachsen ist.
Berlin, 10. Sept. Nach einem Telegramm aus Westerland auf Sylt wütete gort gestern ein heftiger Sturm, der bedeutenden Schaden anrichtete. Ter Sturm machte jede Annäherung an den Strand unmöglich. Die sogenannte Trambel- bahn mußte den Verkehr einstellen. Das Poftschiff
aus Hoyerschleuse traf anderthalb Stunden später ein.
Berlin, 10. Sept. An den Vorgängen in Beirutsollen die Christen Schuld tragen Wie dem Berliner Tageblatt aus Wien telegraphiert wird, behauptet die türkische Botschaft in Wien im Aufträge der Pforte, daß im Stadtviertel Mezrea vier Mazedonier von mehreren christlichen orthodoxen Einwohnern mit Schüssen angegriffen wurden. Darauf sei ein allgemeiner Kampf entstanden, zu dessen Unterdrückung Militär requiriert werden mußte. In dem Kampf sei ein Soldat getötet und einer verwundet worden.
Berlin, 10. Sept. Die Revolte in der serbischen Armee bereitet dem König Peter fortgesetzt schwere Sorge. Wie die Morgenpost aus Wien erfahren haben will, entsandte er einen Kurier an den Zaren mit der Bitte die von Rußland verfügte Maßnahme gegen das serbische Offizierkorps aufzuheben. Der König erblickt nämlich in der von Rußland zuerst erlassenen Boykottirung der serbischen Offiziere die Ursache der Revolte in der Armee. Er glaubt, daß er ohne Aufhebung dieser Maßregel seine Mission nicht erfüllen könne. Der König soll sein Verbleiben auf dem serbischen Trone von der Entscheidung des Zaren abhängig gemacht haben.
Berlin, 10. Sept. Aus Marseille treffen heute recht beunruhigende Nachrichten über die dort vorgekommenen Pestfälle ein, die zuerst abgeleugnet wurden, deren Charakter als Beulenpest jetzt aber von verschiedenen Seiten zugegeben wird. Wie aus Paris gemeldet wird, soll nach einer Marseiller Depesche der „Libre Parole" die Pest in der Tat durch eine Sendung Lumpen aus Bombay eingeschleppt worden sein. Alle Leute, die beim Auspacken zugegen waren, sind nach dem Jsolier- Hospital gebracht worden, wo sich zur Zeit 26 Personen in Beobachiung befinden. 5 Personen sind bereits gestorben. Im Laufe des gestrigen Tages ist auch ein Beamter, der an dem Transport der Pestverdächtigen teilnahm, erkrankt und zwei weitere Pestfälle in zwei verschiedenen Stadtvierteln sind festgestellt worden. Die Behörden von Marseille gehen sehr energisch vor, um eine weitere Verbreitung der gefährlichen Seuche zu verhüten. Die Kartonnage-Fabrik, die den Ausgangspunkt der Pest bildet, wurde nach einem Pariser Telegramm des Lokalanzeigers auf behördliche Anordnung niedergebrannt. Dasselbe geschah mit dem Quartier der Lumpensammler. Die Jsolierungs - Maßnahmen werden auf das strengste durchgkführt. Dieselben erstrecken sich auch auf den Dampfer, welcher die infizierte Ladung brachte und auf dem tote Ratten gefunden wurden. Die Bevölkerung ist ruhig.
Weißenfels, 9. Sept. Die „Hasen des Schlachtfeldes", die nach geschichtlicher Ueberlieferung am 5. Nov. 1767 in der Schlacht bei Roßbach in Hellen Haufen aufgescheucht und zwischen den Reihen
der Kämpfenden hin- und hergcjagt wurden, waren auch jetzt wieder in der auf dem gleichen Gelände geschlagenen Manöverschlacht zu sehen. Massenhaft rannten die Langohren in eiligster Flucht bald dahin, bald dorthin, und nur wenigen gelang eS, die dichten Schlachtreihen zu durchschlüpfen. — Eine Schwadron Brandenburger Kürassiere, Rittmeister v. Restorff an der Spitze, wurde von Roßlau von den Schülern der ersten Volksschulklasse und deren Trommel- und Pfeiferkorps empfangen. Erfreut über diese militärische Begrüßung ließ v. Restorff die Schüler vor dem Musikkorps der Schwadron cinschwenken und mit in die Stadt einziehen. Abwechselnd bliesen die Trompeter und schlugen die Trommeln, ein originelles Bild, das ungeheuren Jubel in der Bevölkerung hervorrief.
Belgrad, 9. Sept. Infolge der fortgesetzten Offiziersverhaftungen ist ein neuer Aufruf der serbischen Offiziere ergangen, in welchem nunmehr von der Regierung die unachstchtliche Ausrottung der an dem Königsmord beteiligten Offiziere gefordert wird. Falls diese Forderung in einer bestimmten Frist nicht erfüllt wird, ist der Austritt sämtlicher auf Ehre haltenden Offiziere aus der serbischen Armee angekündigt. Wie verlautet soll der General Magdalenitsch seiner Offizierscharge für verlustig erklärt werden. Der Präsident des Journalisten-Vereins erhob beim Minister des Innern Beschwerde darüber, daß die Journalisten fortgesetzt durch die am Königsmord beteiligten Offiziere bedroht werden.
Belgrad, 10. Sept. Gestern spät Abends demonstrirte eine offenbar angestistete und bezahlte Volksmenge vor der Redaktion der Narodny Listi. Dieselbe schlug die Fenster ein und griff die Redakteure an. Diese verteidigten sich mit Revolvern und verwundeten mehrere Demonstranten. Schließlich stellte ein Gendarm die Ordnung wieder her.
Wien, 10. Sept. Entgegen den bisherigen Disposition wird nunmehr GrafBülo w doch Kaiser Wilhelm auf seiner Wiener Reise begleiten.
Eg er, 10. Sept. Die Polizei verhaftete einen Mann, welcher sich Hüller aus Kaiserslauten nennt. Bei demselben wurden Wertpapiere in Höhe von 40 000 gefunden, welche offenbar aus Diebstählen herrühren.
Oedenburg, 10. Sept. Gestern wütete in der Gemeinde Endres ein großer Brand, bei dem 4 Kinder und 2 Frauen in den Flammen umkamen.
London, 9. Sept. Daily News commen- tirt die letzten Nachrichten aus Mazedonien und verlangt von Lord Landsdowne die Initiative zu einer Intervention der Mächte. Auch Morning Leader und die übrigen liberalen Blätter fordern von der Regierung eine Intervention. Die ministeriellen Organe, die sich große Reserve auferlegen, finden gleichfalls die Lage äußerst kritisch.
„Konnte ich denn fort?" sagte Jsa so laut, daß sie vor ihrer eigenen Stimme erschrak und ängstlich nach dem Nebenzimmer lauscht-, ob der Vater sie nicht etwa gehört habe. Doch nichts war vernehmbar als die ruhigen, gleichmäßigen Atemzüge des Kranken, welche verrieten, daß er schlief. Auch Jsa fielen endlich die Augen zu.
„Gott, Gott, laste doch Kurt bald zurückkommen," flüsterte sie noch, schon halb im Einschlafen.
Sie lächelte und lag wie ein Kind in den weißen Kissen, die Hände gefaltet wie zum Gebet, während ein schmaler, silberner Streifen des Mondlichtes auf die schöne Schläferin fiel.
XV.
Im Zirkus Conradty herrschte eine erdrückend schwüle Luft. Die zahlreichen Besucher, besonders oben auf der Gallerte mochten das schwer empfinden, denn man bemerkte viele, die sich mit dem Taschentuch Kühlung zufächelten. Es war ein selten scköner Frühlingsabend, dazu die vielen Menschen, die dicht aneinander gedrängt, dasaßen und mit Lachen und Plaudern die Zeit bis zum Beginn der Vorstellung auszufüllen suchten. Von den Gaskronen strömte ebenfalls eine Hitze aus, die manchem nach und nach unerträglich wurde.
Zwei Herren und eine Dame, die sich etwas verspätet zu haben schienen, drängten sich noch durch die Menge und suchten nach ihren Plätzen.
„Entschuldigen Sie," wandte der eine der Herren sich an einen dicken, pustenden Mann, der so breitspurig dasaß, daß man sich kaum hindurchzwängen konnte, „das hier nebenan sind unsere Plätze, möchten Sie nicht etwas rücken?"
Bereitwillig kam der Angeredete der Aufforderung nach, und die Drei setzen sich.
„Sie sind wohl fremd hier?" fragte der Dicke den Herrn, der neben ihm saß.
Dieser nickte etwas zerstreut, und ließ seine Augen wie suchend über die Menge Hingleiten. „Wir sind erst diesen Abend angekommen," sagte er endlich.
Der Dicke wischte sich mit einem seidenen Taschentuch den Schweiß von der kahlen Stirn.
„Es ist wohl ein Liebespärchen, was Sie da bei sich haben?" fuhr er dann fort, und blinzelte lächelnd seinen Nachbar an, während er auf den Herrn und die Dame deutete, die mitgekommen waren, und die sich so zärtlich in die Augen blickten, als gäbe es weiter nichts zu sehen auf der ganzen Welt.
„Es ist meine Schwester mit ihrem Gatten," lautete die Antwort, und ein inniger Blick streifte das junge Paar an seiner Seite, das leise mit einander flüsterte.
„Dann wohl jung verheiratete?" fragte der Dicke weiter, und ein breites Grinsen lag auf seinen schwülstigen Lippen.
„Ja, seit acht Tagen, — aber sagen Sie, mein Lieber, ich hörte doch, im Zirkus Conradty tritt ein Kunstreiter Namens Johnson auf; misten Sie, wo derselbe wohnt, oder können Sie mir Auskunft geben, wo ich ihn treffe, — er — ist nämlich ein — Bekannter von mir."
Der Alte machte ein nachdenkliches Gesicht.
„Der Zirkus Conradty ist noch nicht lange hier. Im Anfang, als er Vorstellungen gab, trat der Schulreiter Johnson allerdings auf, aber er soll krank sein, wie ich höre. Man spricht übrigens davon, daß die Gratiana, die Sie ja nachher sehen werden, eine Tochter des Kunstreiters Johnson sei. Ich hörte gelegentlich im Restaurant davon erzählen. Ein bildschönes Mädchen, diese Signora Gratiana, sie verdreht allen Männern die Köpfe, obgleich sie kaum einen ansieht. Alles ist entzückt von ihr, sogar ich alter Kerl freue mich immer, wenn ich sie sehe. Sie sieht so, — wie soll ich nur sagen, so kindlich unschuldig aus, — wie ein Engel." (Fortsetzung folgt.)