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Köln, 27. August. Der „Köln. Zeitung" wird aus Berlin gemeldet: Nachrichten zufolge, die aus Peking eingegangen sind, ist das Befinden des verwundeten Missionars Homeyer zufriedenstellend. Bei dem Ueberfall ist auch erheblicher Sachschaden angerichtet worden, dessen Vergütung von den chinesischen Behörden gefordert werden wird.
Berlin, 26. August. Die „Nordd. Allgem. Zeitung" schreibt: Der Hofmarschall des Kronprinzen v. Trotha stellte bei der Staatsanwaltschaft einen Strafantrag wegen Beleidigung gegen den „Vorwärts."
Berlin, 26. August. Von dem Reichsmilitärgericht wurde heute als Revisions-Instanz das Urteil gegen den Fähnrich zur See, Hüssener, soweit es sich mit einer vorsätzlichen Körperverletzung in idealer Konkurenz mit rechtwidrigem Gebrauch der Waffe befaßt, für ungiltig erklärt und die Sache an die Berufs-Instanz zur neuen Verhandlung zu- rückverwiescn. Die übrigen Punkte der Revision wurden vom Reichsmilitärgericht verworfen.
Berlin, 26. August. Sechs sozialdemokratische Versammlungen wurden gestern Abend abgehalten, welche die zum Dresdener Parteitage zu stellenden Anträge erörterten. Dabei trat die von Eduard Bernstein aufgerollte Frage bezüglich des Vizepräsidentenpostens im Reichstage in den Vordergrund. Von fast allen Rednern wurden die heftigsten Angriffe gegen die Revisionisten erhoben. Namentlich hielten es einige für angebracht, den zu wählenden Delegirten aufzugeben, auf dem Parteitage mit Bernstein ordentlich abzurechnen, damit seinen Quertreibereien ein Ende gemacht werde.
Berlin, 26. Aug. Der „Lokal-Anzeiger" meldet aus Köln: Kardinal Fischer erschien in der 3. geschloffenen Generalversammlung des 50. Katholikentages mit Kardinal Ferrai und dem Bischof von Lüttich, um selbst zu schildern, wie in Italien, namentlich in Neapel und Genua viele Deutsche Katholiken besonders Dienstboten ihren Glauben verlören. Nur in Mailand habe Kardinal Ferrai im Verein mit deutschen Jesuiten und Priestern, die die deutsche Sprache erlernten, diesen Uebelstand erfolgreich bekämpft. Der Bischof von Lüttich erzählte dasselbe in gebrochenem Deutsch bezüglich Belgiens und Lüttich. Präsident Orterer dankte Ferrai in lateinischer, dem Lütticher Bischof in deutscher Sprache. Die besonders für Berlin und Westdeutschland wichtige Frage des Gottesdienstes für die Polen wird das Episkopat regeln. Die Generalversammlung ermahnte die deutschen Katholiken, nicht zu viele Festlichkeiten zu veranstalten, durch die der Wohlstand der Familie ruiniert werde. Die nächste Generalversammlung soll 1904 in Regensburg, die für das Jahr 1905 in Aussicht genommene in Straßburg i. E. stattfinden. Mit großem Jubel wurde der Beschluß gefaßt, die Aufhebung des Jesuitengesetzes zu fordern.
Berlin, 26. Aug. Zu der Meldung über die Mannschafts-Ausschreitungen im Hafen von
Queenstown erfährt die Vossische Zeitung von gut unterrichteter Seite, der Kommandant des Schulschiffes „Stosch" habe den Hafen mit seinem Schiff verlassen, um nach der spanischen Küste abzusegeln, ohne es für nötig gefunden zu haben, über die angebliche Mannschafts-Ausschreitungen auch nur eine Meldung an die Vorgesetzte Behörde gemacht zu haben. Hieraus sei der sichere Schluß zu ziehen, daß den Vorgängen keine Bedeutung beizumessen sei.
Berlin, 26. Aug. Die Vossische Zeitung meldet aus Budapast: Der Kaiser spendete für die durch die Brandkatastrophe Geschädigten aus eigenen Mitteln 5300 Kronen. In dem abgebrannten Warenhause brach heute früh im 4. Stock wieder Feuer aus. Noch immer kann man die Trümmer nach Toten nicht durchsuchen.
Berlin, 26. August. Ueber den Waaren- hausbründ in Budapest wird dem Berliner Tageblatt noch berichtet: Nach den bisherigen Angaben werden noch 15 Menschen vermißt, die wahrscheinlich verbrannt sind. Hierzu gehören etwa 5 bis 6 Personen, die, wie jetzt festgestellt ist, den gefahrvollen Sprung aus den oberen Stockwerken des Hauses in die Sprungtücher nicht wagen wollten. Von den bei dem Brande tätigen Rettungsmannschaften erlitten zwei Offiziere der Feuerwehr Gasvergiftung, 5 trugen schwere Verletzungen davon.
Berlin, 27. August. Der Brand in dem Warenhaus e Goldberger in Budapest ist, wie dem Lokal-Anzeiger gemeldet wird, nun soweit abgelöscht, daß die Feuerwehr auch das 3. und 4. Stockwerk durchsuchen konnte. Im 4. Stock wurden Leichen nicht gefunden, im 3. Stockwerk entdeckte man in einem Badezimmer eine verkohlte aber vollständig erhaltene Leiche in der Badewanne. Außerdem wurden Teile einer andern verbrannten Leiche ausgefunden. Drei Personen sind als vermißt angemeldet. Aus Wien trafen Sachverständige ein, welche konstatirten, daß grobe Unterlassungen vorgekommen sind. Der Untersuchungsrichter hat mit den näheren Feststellungen begonnen. Das Begräb- niß der Opfer findet heute statt.
Berlin, 27. August. Der Lokalanzeiger meldet aus Salzburg: Die Gräfin Montignoso, die ehemalige Kronprinzessin von Sachsen, kehrt nach Lindau zurück, wenn ihr Vater, der Großherzog von Toskana, Lindau verlassen haben wird.
Berlin, 28. August. Das „Berl. Tagebl.", der „Lokalanzeiger", die „Nationalzeitung", und andere Blätter heben in überaus anerkennenden Worten den menschenfreundlichen Akt Loubets hervor, dessen Spende an die durch die Ueber- schwemmung in Schlesien Geschädigten überall in Deutschland gebührende Würdigung finden wird. — Dem „Lokalanzeiger" zufolge entstand heute Nacht in einer Spritfabrik Hierselbst eine heftige Explosion, wodurch das ganze 2stockige Gebäude zerstört wurde. Ein Heizer ist schwer verletzt. An seinem Aufkommen wird gezweifelt.
Brüssel, 27. Aug. „Petit bleu" erklärt in der Lage zu sein, die Meldung belgischer Blätter
in der Moresne t-Angelegenheit für völlig unrichtig zu erklären. Verhandlungen zwischen Deutschland und Belgien in Bezug auf diese Frage hätten seit 1895 nicht mehr stattgefunden. Ob die deutsche Regierung diese Frage wieder auftollen wird, bleibt dahingestellt.
London, 27. Aug. Falls die Witterung es zuläßt, wird der bekannte Luftschiffer Spenzer einen Versuch mit seinem lenkbaren Luftschiff unternehmen. Er wird vom Cristallpalast aus aufsteigen, die St. Paulskirche umkreisen und wieder auf den Ausgangspunkt zurückkehren. Der Umfang des Ballons beträgt 28 Meter, der Durchmesser 7 Meter.
Sofia, 27. August. Der Konventionalzug der Orientbahn ist in der verflossenen Nacht von macedonischen Banden bei Kulelu Burgas durch Dynamit in die Lust gesprengt worden, 6 Personen sind tot, 15 schwer verletzt, darunter 3 Angestellte der Bahn. Ein aus Konstantinopel zugegangenes Telegramm besagt, daß der Anschlag auf den Konventionalzug von Bulgaren verübt wurde. Auch die türkische Botschaft teilt ein Telegramm aus Konstantinopel mit, wonach das Verbrechen den bulgarischen Komites zugeschoben wird.
New-Iork, 26. Aug. Dem „New-Iork- Herald" wird aus Washington berichtet: Nach hier eingegangenen Nachrichten unterhandelte Venezuela mit der Bangue de Paris wegen der Vereinheitlichung seiner gesummten Schuld von 258000 000 Frs. Den Gläubigern sollen ^-> des Nominalwertes ihrer Titres sowie 5,4 °/» Zinsen angeboten und die ganze Schuld binnen 50 Jahren getilgt werden.
Gemeinnütziges.
Düngung und Fruchtwechsel im Gemüsebau. Wer gutes Gemüse essen will, muß düngen! Das ist eine alte, vom Großvater und Vater befolgte und bewährte Regel. Gedüngt wird auch wohl überall kräftig in unfern Gemüsegärten, oftmals aber in ganz unzweckmäßiger Weise. Häufig wird ein Gemüse frisch gedünkt, welches gar nicht viel Dünger verlangt, dem ein Zuviel an Düngung wohl sogar schadet, während andere Gemüse sich vergeblich nach einer Probe des verschwendeten Ueberflusscs sehnen. Es dürfte also wohl manchem Gartenbesitzer interessant sein zu wissen, wie man hierbei verfahren muß, um den größten Nutzen von der Düngung zu haben. Darüber handelt ein ausführlicher Artikel in Nr. 47 des „Lehrmeister in Garten und Kleintierhof", der jedem unserer Leser vom Verlag der genannten Zeitschrift, (Adresse: Leipzig, Georgenstr. 5) auf Wunsch kostenfrei übersandt wird.
Gottesdienste
am 12. Sonntag nach Hrinit., 30. August.
Vom Turm: 28. Predigtlied: 125. Kirchenchor : Herr Jesu Christ, mein's Lebens Licht. 9'/- Uhr: Vormitt.-Predigt, Herr Stadtpfarrer S ch m i d. 1 Uhr: Christenlehre mit den Söhnen.
Donnerstag, 3. September.
8 Uhr abends: Bibelstunde im Vereinshaus, Herr Stadtpfarrer Schund.
„Wer ist da?* rief sie.
Sie atmete auf, als sie sich überzeugte, daß nur eines der Mädchen mit dem Thee draußen stand. Sie schickte die Dienerin, der sie rasch das Tablet abgenommen hatte, sogleich wieder fort mit dem Bemerken, daß sie heute nicht mehr gestört sein wolle. Dann schlürfte sie hastig den heißen Trank, setzte sich und schrieb ein paar Zeilen:
„Verzeiht, daß ich Euch verlasse, ich fürchtete den Abschied, darum gehe ich heimlich. Der Vater braucht mich, er ist arm und ohne Freunde. Ich gehöre zu ihm. Meine Verlobung mit Uttrecht ist aufgelöst. Tausend, tausend Dank für alle Liebe, die Ihr mir erwiesen habt. Meine Sachen lasse ich vorläufig hier. Solltet Ihr etwas von Kurt hören, so grüßt ihn von mir.
Eure dankbare Jsa."
Nun war sie soweit fertig. Tränenden Auges blickte sie sich noch einmal in dem reizenden Gemach um. Es galt ja Abschied zu nehmen von der trauten Stätte. Ob sie das liebe Haus wohl jemals Wiedersehen würde? Sie wußte eS nicht, auch nicht, wie ihre Zukunft sich gestalten würde. Nur eines fühlte sie: ES war ihre Pflicht, den Vater zu unterstützen. Sie vermochte sich freilich im Augenblick kein klares Bild davon zu machen, in welcher Weise das geschehen sollte, und es packte sie wieder ein heimliches Grauen. Noch einmal wankte sie in ihrem Entschluß. Wenn sie hier bleiben könnte, hier, wo sie geliebt wurde von Freunden? Das ehrliche Gesicht Kurts tauchte wieder vor ihren Augen auf, und eine heiße Sehnsucht erfaßte das einsame, sinnende Mädchen. Wo er wohl weilen mochte? Nur einmal, seit er fort war, hatte er wenige Zeilen geschrieben, die die Sehnsucht seines Herzens deutlich verrieten, Doch hatte er keine Adresse
angeben können, da er selbst nicht wußte, wo er sich am folgenden Tage aufhalten würde. Ruhelos durchstreifte er fremde Lande.
Jsa wußte oder ahnte, was ihn fortgetrieben. Warum hatte er nicht zu ihr gesprochen?
Wieder sah sie nach der Uhr. Es war die höchste Zeit, wenn sie den Zug überhaupt noch erreichen wollte. Leise und vorsichtig öffnete sie die Türe und lauschte hinaus.
Alles war still, nichts zu vernehmen als der Gesang einiger Mädchen, die in der Gesindestube beim Spinnrad saßen.
Jsa ergriff die Tasche und schlich auf den Zehenspitzen die Treppe hinab. Die Knie zitterten ihr, so daß sie sich kaum aufrecht zu halten vermochte. Vor Tante Marthas Tür stand sie einen Augenblick still. Susanne schien drinnen zu sein, denn Jsa unterschied deutlich die Stimme der Freundin, die sich lebhaft mit der alten Dame zu unterhalten schien.
Dann eilte das Mädchen hinaus in die finstere, sternenenlose Nacht. Der Regen ließ zwar ein wenig nach, aber ein heftiger Wind hatte sich erhoben und riß und zerrte an JsaS Kleidern. Es war kalt geworden, sie hüllte sich fester in das warme Tuch, das sie sich zum Schutze um die Schultern gehängt. Wenn sie nur erst die Bahnstation erreicht hätte. Zum Glück kannte sie den Weg genau, doch dünkte er ihr endlos lang. Es war ganz dunkel um sie her. Rüstig schritt sie aus. Der Weg führte ein Stück durch den Wald, da konnte ihr wenigstens der Sturm nicht so viel anhaben. Unheimlich rauschte es in den kahlen Aesten und bange Furcht wollte die Einsame beschleichen. Doch mutig schüttelte sie das Zagen ab. (Fortsetzung folgt.)