Zweites
Blatt.
Den Enztäler.
^ 191.
Neuenbürg, Mittwock den 1. Dezember 19V9.
67. Jahrgang.
RunSschau.
Berlin, 29. Nov. Der Verein der Württembergs! zu Berlin feierte sein 40. Stiftungsfest in der Ressource. Es war eine erhebende Feier, die die Berliner Schwabenkolonie mit ihren Freunden zusammenführte. In Vertretung des württ. Gesandten war der Bundesratsbevollmächtigte, Ministerialrat Dr. v. Köhler, erschienen. Weiter bemerkte man den Bundesratsbevollmächtigten Ministerialrat Schlee- hauf und andere. Der König-Wilhelm-Marsch leitete das Festkonzert ein, worauf die Deutsche Liedertafel unter ihrem Dirigenten die Gäste mit der Beethoven-
schen Hymne: „Die Himmel rühmen —-"
begrüßte. In herzlichen Worten hieß der Vorsitzende des Vereins, Richard Kauffmann, die Anwesenden willkommen. Ministerialrat Dr. v. Köhler streifte in seiner Rede, die in einem begeistert aufgenommenen Hoch auf den Kaiser und auf den König von Württemberg gipfelte, die Gründung des Vereins. Der Redner betonte, daß sich bei Gründung des Vereins die Württemberger in Berlin noch als Ausländer betrachten mußten, während sie sich jetzt stolz als Mitglieder des großen deutschen Vaterlandes fühlen. Die Festrede hielt der Vorsitzende Kuuff- mann. Dr. Manz, als Vertreter des Vereins der Badener, rühmt die Treue, die der Verein seinem Bruder stets gehalten.
Berlin, 29. Nov. Die Veröffentlichung der Memoiren August Bebels steht in allernächster Zeit bevor. Bebel schlägt in diesem Werk einen von sozialdemokratischer Seite ungewohnten Ton an, indem er seinen Parteifreunden ans Herz legt, die nationale Seite der Sozialpolitik ins Auge zu fassen und zu bedenken, daß das Deutsche Reich die ersten Schritte in der Arbeitergesehgebung getan habe.
Häufig melden sich junge Leute zum einjährigfreiwilligen Dienst beim Luftschiffer-Batail- lon. Diese werden jetzt ausnahmslos abgewiesen, da vorläufig Einjährig-Freiwillige bei diesem Truppenteil nicht eingestellt werden. Es fehlt dort am nötigen Personal zu ihrer Ausbildung. Auch ist es nicht möglich, daß ein Einjähriger-Unteroffizier der Reserve seine Uebung bei dem Luftschiffer-Bataillon ableisten kann. Um aber doch für späterhin Reserveoffiziere für den Luftschiffdienst zu haben, ist man im vorigen Jahre dazu übergegangen, Reserveoffiziere der verschiedensten Truppenteile zum Luftschifferbataillon zu einer achtwöchigen Uebung zu kommandieren. Das soll, wie die „Franks. Ztg." erfährt, auch in diesem Jahre geschehen. Allerdings trägt man sich mit dem Gedanken, in absehbarer Zeit
auch Einjährig-Freiwillige bei dem Luftschiffer- Bataillon einzustellen, wenn eine entsprechende Vermehrung der Luftschifferlruppen erfolgt und wenn man sich erst vollkommen klar über die Organisation der Luftschiffertruppen sein wird.
Berlin, 29. Nov. Gestern ist hier von Vertretern der größten gärtnerischen Berufsvereine Deutschlands eine deutsche Gartenbaugesellschaft gegründet worden. Der Vorsitzende teilte mit, der Kaiser habe sich bereit erklärt, das Protektorat über die Gesellschaft zu übernehmen.
Reform der Postkarte. Endlich eine kleine Konzession an den Verkehr in Hrn. Krätkes Reich: die Postkarte soll reformiert werden. Seitdem die linke Hälfte der Vorderseite von Postkarten für schriftliche Mitteilungen freigegebe'n ist, werden die von der Privatindustrie hergestellten Postkarten auf der Vorderseite mit einem senkrechten Strich versehen, durch den der für die „Mitteilungen" bestimmte Raum von der „Adresse" getrennt wird. Auf Anregung der Berliner Handelskammer werden auch die von der Reichs-Postverwaltung hergestellten Postkartenformulare künftig diesen Trennungsstrich erhalten; die Ueberschrift „Postkarte", die jetzt in den für die Mitteilungen freigegebenen Raum hineinragt, wird ihren Platz rechts vom Strich erhalten.
In Bonn ist bekanntlich das Korps „Borussia" vom Senate der Universität wegen verschiedener Ausschreitungen suspendiert worden. Nun gibt es in Bonn ein Reinigungsinstitut gleichen Namens, weshalb es der Inhaber desselben für angebracht hielt, sein Unternehmen durch folgende Bekanntmachung in beste Erinnerung zu bringen: „Bekanntmachung. Teile meiner werten Kundschaft mit, daß mein Geschäft nach wie vor besteht und nicht suspendiert worden ist. .Borussia/ Bonner Glas- und Gebäude-Reinigungs-Jnstitut.
Stralsund, 29. Nov. Auf dem Eise brächen gestern nachmitag zwei Schüler im Alter von 13 und 11 Jahren etwa 50 Meter vom Lande entfernt ein. Ein junger Mann namens Stahl gelangte auf einer Leiter bis an die Unfallstelle heran, konnte aber die beiden Knaben nur als Leichen bergen. — In Stolp i. P. ist die älteste Frau Pommerns, Henriette Rieß, in einem Alter von 103 Jahren gestorben.
In Cochem sind drei Kinder eines Schreiners im Alter von 6 Jahren, 4 Jahren und 4 Monaten während der Abwesenheit der Eltern verbrannt. Wahrscheinlich haben die Kinder durch Spielen mit Streichhölzern einen Brand verursacht.
In Gladbeck fand die Kriminalpolizei in einem Garten vergraben ein Sparkassenbuch und Bargeld im Betrage von über 10000 Mk. Es ist noch zweifelhaft, ob das Geld von Unterschlagungen oder einem Diebstahl oder von beiden herrührt.
Die „Voss. Ztg." meldet aus Bern: Das schweizerische Bundesgericht hat die Automobilfabrik Megebet u. Co.-Genf, die einen Automobilkühlapparat der weltbekannten Motorenfabrik Daimler nachgeahmt hatte, zu einer Entschädigung von 300000 Frcs. verurteilt. Daimler hatte 7 673 000 Francs gefordert.
Eine Freisprechung aus Versehen erfolgte letzten Donnerstag, wie aus Paris gemeldet wird, vor dem Schwurgericht in Dijon. Ein Zeitungspächter, namens Curian, hatte im Verlauf eines Streites einen Maurermeister durch einen Messerstich getötet. Die Geschworenen wollten ihn verurteilen, sie verneinten jedoch die erste Frage: Hat der Angeklagte seinen Gegner verletzt? Sie bejahten dagegen die zweite Frage: War die Verletzung vom Tode gefolgt? und bewilligten mildernde Umstände, woraus die Absicht, zu verurteilen, deutlich hervorgeht. Der Gerichtshof sah sich jedoch durch Verneinung der Hauptfrage zur Freisprechung gezwungen. Der Staatsanwalt verfügte eine erneute Verhandlung, der Verteidiger stimmte jedoch nicht zu, und der Angeklagte wurde freigelassen.
Was ist ein „Pauper" im Sinne des amerikanischen Einwanderungsgesetzes? Das Gesetz bestimmt nur, daß „Paupers" von der Landung in amerikanischen Häfen „ausgeschlossen" werden sollen, definiert aber den Begriff nicht und auch in den Verordnungen, die zur Durchführung des Einwanderungsgesetzes in Washington ausgearbeitet worden sind und von Zeit zu Zeit ergänzt werden, ist keine Erklärung für das Wort „Pauper" vorhanden. Um den Einwanderungsbehörden eine Idee zu geben, was sie unter „Pauper" verstehen sollen, hat der amerikanische Einwanderungs-Kommissär Williams in Newyork in einem Falle den Begriff definiert. Eine Frau kam vor kurzem mit 6 kleinen Kindern in Newyork an, um sich zu zwei Brüdern, die auf Long Island eine Farm besitzen, zu begeben. Die Frau ist Witwe und wurde von den Brüdern in der Heimat seit dem Tode ihres Gatten unterstützt. Schließlich ließen sie die Familie kommen und erklärten sich bereit, für sie zu sorgen. Die Familie wurde jedoch von der Behörde auf Ellis Island ausgeschlossen, weil sie „möglicherweise einem Gemeinwesen zur Last fallen könnte." Gegen diese Ausschließung wurde Berufung eingelegt und au
Der rechte Schreck.
Novellette von W. v. Werden.
- (Nachdruck verboten.)
Peter Hartdegen weilt fern von den Seinen, er er hat mit nach Frankreich müssen vor vier Wochen und das war ihm bitter und leid genug. Zwar er war ein guter Patriot wie nur einer, und gern hätte er geblutet für Vaterland und König; aber da war ein anderer Grund, der ihm das Scheiden recht schwer gemacht hatte.
Sein Weib, sein armes Weib!
Wenn er an sie dachte, so zog es ihm das Herz zusammen! Sie hatte ihn geheiratet, der bei ihrem Vater Knecht war und nichts hatte, als die paar hundert Mark Erspartes. Lisbeth hatte es durchgesetzt, daß sie ihn nehmen durfte, obwohl ihr der Vater mit Enterbung gedroht hatte. Erst nach einigen Jahren, als er zwei hübsche Kinder sein eigen nannte und von seinem Bruder, der noch unverheiratet gestorben war, den Hof übernommen hatte, war eine Art Versöhnung zustande gekommen. Aber Lisbeth trug den Keim einer schrecklichen Krankheit in sich. Ihr ältester Bube war in den Teich gefallen, sie war nachgesprungen ins eiskalte Wasser und hatte ihn herausgezogen. Der heftige Schreck und der Sprung ins kalte Element blieben leider nicht ohne die schrecklichsten Folgen. Eine Lähmung begann an den Füßen. Nach zwei Jahren war sie bereits bis an die Hüsten gelähmt und der Arzt gab wenig Hoffnung auf Genesung. Nur eine heftige
Gemütsbewegung, ein furchtbarer Schreck, so sagte er, könne hier helfen. Man hatte schon alles versucht, hatte sie erschreckt, ihr die sonderbarsten Dinge erzählt — alles vergebens.
Da kam die Kriegserklärung Frankreichs, die Mobilmachung. Entsetzlich war es ihm, zu denken, daß er die Hilflose mit den beiden Kleinen zu Hause zurücklassen müsse. Da hatte er gehofft, das werde der rechte Schreck sein, deshalb war er ganz plötzlich zu ihr ins Zimmer gestürzt und hatte ihr zugerufen, daß er hinaus müsse nach Frankreich. Sie aber hatte nur still vor sich hingeweint und zuletzt gottergeben gesagt:
„Wie Gott will, müsse m'r halt stillhalte und wann der König ruft, muß a jeder folgen!"
Dann war sie schwächer als je geworden.
Er war aber bekümmerten Herzens zu seinem Schwiegervater gegangen, hatte ihm erzählt, wie die Sache stand.
„Mußt halt Dei' Pflicht tun," hatte der gesagt, indem er des Trostlosen Hand mit festem Druck umschloß, denn seitdem der Peter auch einen Hof besaß, behandelte er ihn völlig als Gleichstehenden; „und z'wegen Dei' Wei' mach D'r ka' Sorg net! I nimm s' heraufi naus den Bahnhof und die Buab'n aa. Und i werd' sorg'n, daß D' fei recht oft a Briefla host! Na und Du woaßt ja — net a jede Kugel trefft!"
So war er dann, ein wenig getröstet, nach Hause gewandert und hatte seine Angelegenheit geordnet. Noch am Abend war der Schwiegervater hinab
gekommen zum Unterhof, wo Peter mit seiner Lis-s beth hauste, um noch einiges mit ihm zu besprechen, denn er hatte versprochen, in der Abwesenheit seines Schwiegersohnes dessen Besitz mitzuverwalten.
Am nächsten Tage war Peter abgereist.
Der Schwiegervater hatte Wort gehalten. Lisbeth saß tagsüber in einem Fahrstuhl vor der Haustür und schaute hinaus in die Helle Sommerluft, hinüber zu den blauen Bergen, über die er gezogen war. Und wenn wieder eine Feldpost abging, so ließ sie sich ein Brett auf ihr Siechbett bringen und Feder und Tinte und Papier und schrieb schlichte herzliche Worte, der Schwiegervater kam auch und fügte ein paar Zeilen bei und sogar den Buben, die noch gar nicht zur Schule gingen, führte er die kleinen braunen Hände, daß sie mit großen unbeholfenen Kraxelfüßen ein paar Grüße druntersetzten; waren sie dann dieser Zwangsarbeit ledig, so entwischten sie auf den Hof und spielten Soldat.
Zuerst schrieb der Peter sehr vergnügt — aber dann kam eine schwere Kunde: er hatte einen Schuß in den linken Oberarm bekommen, bei Wörth, zwar nicht lebensgefährlich, aber sehr schmerzhaft. Er würde nach Hause müssen und sich dort ausheilen und mit ins Feld würde er wohl nicht mehr brauchen, denn er würde ein Gewehr in den ersten Jahren nicht mehr tragen können.
Es war ein drückend, glühend heißer Augusttag, Menschen und Vieh waren erschöpft und unlustig bei der Arbeit. Lisbeth lag auf ihrem Fahrstuhl unter den alten Linden vor der Haustür, wo es