Württemberg.
Stuttgart, 27. Nov. Der „Staatsanzeiger" schreibt: Mit freudiger Genugtuung können wir auf Grund neuester uns zugegangener Mitteilungen feststellen, daß bereits jetzt, noch ehe die Grundmauern zum neuen Hoftheaterneubau gelegt sind, zu dessen würdiger und kunstvoller innerer Ausstattung, wofür bekanntlich die bereitgestelllen Mittel sehr spärlich bemessen wurden, von den verschiedensten Seiten, insbesondere auch von auswärts lebenden Württem- bergern, reiche und kostbare Stiftungen und Schenkungen gemacht worden sind; sie bestehen teilweise in baren Beiträgen von Gebern, die nicht genannt sein wollen, teils in Kunstwerken, darunter z. B. 2 Marmorbüsten des Königs und der Königin, ausgeführt von Bildhauer Fritz. Geschenke der württ. Konsuln Siebert in Frankfurt a. M. und Arnhold in Dresden. Sodann — last not least — die von Geh. Kommerzienrat Wilhelm Spemann schon vor einiger Zeit bei dem Prof. Adolf v. Donndorf in Auftrag gegebene Kolossalfigur Schillers, die seiner Zeit für die hiesige Totenfeier im Jahre 1905 entworfen und nunmehr in Marmor vollendet worden ist; sie steht gegenwärtig noch in der Werkstatt des Künstlers, wo sie kürzlich vom König und der Königin eingehend besichtigt wurde und soll, so viel wir hören, da ihre Größenverhältnisse die Aufstellung im Innern des neuen Hoftheaters nicht zulassen, künftig an einem noch näher auszuwählenden Punkt vor dem Neubau ihren Platz finden. Der König hat seinem Danke an den Stifter in einem Handschreiben Ausdruck gegeben.
Auf den württembergischen Staatsbahnen ist seit längerer Zeit eine wesentliche Vereinfachung des Reklamationswesens in Kraft getreten, die sich nach jeder Richtung hin bewährt hat. Die Entschädigungsansprüche aus dem Güter- und Gepäckverkehr wurden, sofern sie eine bestimmte Summe nicht überschritten, bisher schon den äußeren größeren Dienststellen zur Erledigung überwiesen. Jetzt hat diese Bestimmung eine Erweiterung erfahren. Danach haben außer den größeren Dienststellen Stuttgart, Ulm, Heilbronn, jetzt auch die Stationen und Güterstellen 2. Klasse die Ermächtigung erhalten, die selbständige Erledigung der Reklamationen, soweit deren Forderung 10 ^ nicht übersteigen, vorzunehmen. Bei Einwendungen gegen Bescheide der Dienststellen entscheiden diese zunächst nochmals selbst und erst bei wiederholten Einwendungen entscheidet die Generaldirektion Stuttgart.
Stuttgart, 27. Nov. Für die Gemeinderatswahl am 10. Dezember ds. Js. betrugt die Zahl der Wahlberechtigten 30445 gegen 29 241 im Jahre 1908, was einer Zunahme gegen das Vorjahr um 1204 Wahlberechtigten entspricht.
Stuttgart, 28. Nov. Ein schwerer Unfall ereignete sich in der Nacht vom Samstag auf Sonntag kurz nach Mitternacht auf der Hasenbergsteige beim Schlittenfahren, indem ein mit drei jungen Leuten besetzter Schlitten in rasender Fahrt gegen einen Kastanienbaum fuhr, wobei eine Person so schwere Verletzungen erlitt, daß sie auf dem Transport zum Krankenhause starb. Von den beiden andern jungen Leuten trug einer ebenfalls erhebliche Verletzungen davon, die seine Ueberführung in das Katharinenspital notwendig machten. Der dritte Passagier ist leichter verletzt.
Ein württ. Großindustrieller beklagt sich im „Neuen Tagbl." über die Verkehrs-Unsicherheit bei Nacht und beschwert sich besonders über die ungerechtfertigte Feindseligkeit gegen die Automobilfahrer, während doch meistens Fuhrwerkslenker und Publikum Schuld seien, wenn Unfälle Vorkommen. Dabei will er gar nicht in Abrede ziehen, daß es auch rücksichtslose Automobilfahrer gibt, gegen die aber seitens des Württ. Automobilklubs im Betretungsfalle vorgegangen werde. Er stellte bei seinen Nachtfahrten fest, daß von 25 Fuhrwerken sage und schreibe 17 bei Nacht nicht beleuchtet waren, was immerhin recht auffallend ist. Eine schlimme Sache sei es auch, wenn ein Autofahrer einem Kraftwagen, vor allen dem Bierwagen Vorfahren wolle. Diese führen in der Regel mitten in der Straße, hörten auf kein Tuten. Pfeifen und Schreien und wichen nicht aus, er beobachtete dies auch bei den Petroleumwagen. Häufig wohl hörten die Leute nichts oder wollten nichts hören. In Norddeutschland sei die Vorschrift, daß die Wagen immer rechts auf der Straße fahren müssen, wenn das auch bei uns so wäre, würde sich das Ausweichen und Vorfahren viel leichter gestalten.
Friedrichshafen, 27. Novbr. Die Reichsballonhalle ist heute früh '/s9 Uhr von zwei württ. Dampfern in der Richtung auf dem Untersee
nach Ludwigshafen abgeschleppt worden. Damit endigt die Rolle der historisch gewordenen Reichsballonhalle.
Tübingen, 28. Nov. Ein Ladenfräulein aus Ebingen verlebte in einem hiesigen Hotel drei Wochen Ferien und verschwand, als der Wirt auf Bezahlung der Rechnung drängte. Nun hat es sich herausgestellt, daß das Fräulein nach Tübingen gekommen war, um einer Verfolgung durch das Gericht in Balingen wegen Betruges zu entgehen.
Riedlin gen. 25. Nov. Der „Schw. Merk." meldet: Große Massen Militär und Zivil fluteten heute in das Amtsgericht, dessen Sitzungssaal sich als zu klein erwies. Galt es doch, den endgültigen Frieden nach der Völkerschlacht, die im August d. I. im nahen Daugendorf geschlagen worden war, herzustellen. Der Krieg war dadurch ausgebrochen, daß jeder der Streiter sich rühmte, in einem noch kriegsbrauchbareren Truppenteil zu dienen oder gedient zu haben, als der andere. Auch in der Wahl der verschiedenen und vielfachen Kampfmittel waren die Parteien nicht gerade wählerisch gewesen. Die Kriegskosten sind hohe, ein halbes Dutzend Geld- und Freiheitsstrafen bis zu 4 Wochen wurden verhängt, dazu die bedeutenden Gerichtskosten.
Kirchheim u. T., 26. Nov. Die schon sprichwörtlich gewordene Findigkeit der Post hat durch nachstehenden Vorfall eine weitere Illustration erfahren: Kommt da ein kleines Mädchen in Vr-men auf den Einfall, ihrer älteren Schwester einZ.'Brief an ihre Tante und Patin in Kirchheim zu diktieren — wir vermuten, es handelte sich um etwaige dringende Bitte ans Christkind. — Che noch die Mama dazu gekommen war. das Brieflein einem Paket beizuschließen, hatte die kleine, selbständige Person sich schon aus Mamas Schreibtisch eine Marke zu verschaffen gewußt und das Schriftstück höchst eigenhändig zum Schalter getragen. Der Brief war adressiert: An die liebe Tante Gertrud in Kirchheim-Teck, und es spricht gewiß für die Findigkeit der hiesigen Post, daß dieser an seine richtige Adresse gelangt ist.
Plüderhausen, OA. Welzheim, 26. Novbr. Ein gräßliches Unglück trug sich gestern hier zu. Ein auf dem nahen Aichenbachhof in Kost befindlicher 12jähriger Knabe stieg abends gegen '/-6 Uhr auf den eisernen Verteilungsmast der elektrischen Fernleitung in der Nähe der Rems. Er kam oben mit der Hauptspannungsleitung in Berührung, wodurch ihm die Hirnschale weggerissen und der linke Arm völlig verbrannt wurde. Dann stürzte der Körper 25 Meter hoch auf die Erde herab. Bei der Berührung mit dem Hauptstrom entstand ein im ganzen Ort auffallender, helleuchtender Strahl wie bei einem starken Blitz. Da man gleich Schlimmes ahnte, suchten Elektrizitätsarbeiter die Leitung ab und fanden schließlich den leblosen Körper, in dem der Pflegevater zu seinem Schrecken sein Kostkind erkannte. Der aus Augsburg gebürtige Knabe war um 8 Uhr früh von der Schule fortgegangen und hatte sich bis abends im Ort aufgehalten, vom Pflegevater vergeblich gesucht.
Vom Ries, 26. Nov. Ein gräßliches Unglück passierte gestern abend dem Gastwirt zum „Stern" in Oellingen, der Calciumcarbid in seinem Keller zum Zweck der Gewinnung von Acetylenlicht aufbewahrt hatte und dieses aus dem Keller holen wollte. Auf bis jetzt noch unaufgeklärte Weise hatte das Carbid Gas entwickelt und als der Wirt in Begleitung eines anderen Mannes den Keller betrat, explodierte das Gas und tötete die Beiden.
Kus StaSt» BeZirk unS Umgebung.
Neuenbürg. Die No'vembernummer der Blätter des württ. Schwarzwaldvereins bringt eine hübsche Beschreibung einer Herbsttour im hintersten Wald von P. Völker; die Wanderungen im Herzen des Wasgenwaldes v. C. Regelmann werden fortgesetzt mit dem III. Abschnitt: Geschichtliche Verhältnisse und Touristisches; H. M. in Ulm schildert eine Tour durch den mittleren und nördlichen Schwarzwald und zwei Lehrer geben einen Volksschulausflug wieder, dem Leser tiefe Einblicke läßt in Herz und Sinn von Vorstadtjungen, die zum erstenmal hinaus kommen aus der Enge der Häuser in den herrlichen schönen Schwarzwald. Dieser Aufsatz hat besonders Interesse auch dadurch, daß darin die Verfasser ihre pädagogischen Erfahrungen mit den Jungen in Bezug auf Eigenart und Eigenwert der Einzelnen niederlegen. — Die Wolfsschlucht bei Bad Teinach wird zweier Abbildungen gewürdigt und ihr Besuch als lohnend gepriesen. lieber den Brauch des „Fackeln" in Calw gibt eine Abhand
lung Aufschluß, die zugleich für die alljährige Ausführung der schönen Sitte eintritt. Fr. Brezger führt den Leser Bossert's Villa in Wort und Bild vor und einige Erinnerungsworte sind den abgebrochenen Schrankeneinrichtungen in Calw gewidmet. Es folgen daun noch Berichte aus den Bezirksvereinen.
Pforzheim, 27. Novbr. Die Stadtgemeinde hier wird demnächst wieder an die Aufnahme einer größeren Anleihe herantreten, welche durch die außerordentlich großen, allerdings zum Teil produktiven Unternehmen der Gemeinde notwendig wird. Jedenfalls kommt man in den nächsten zwei Jahren auf eine aufzuwendende Summe von 12 Millionen Mark, für welche man jetzt eine Anleihe von 10 Millionen Mark plant. Sie soll je nach der Gunst des Kurses auf ein- oder zweimal ausgenommen werden.
Pforzheim, 28. Nov. Vom hiesigen Bahnhof führt bekanntlich eine etwa 150 Meter lange steile Straße, die Schloßbergstraße, direkt auf den Marktplatz. Die Steilheit der Straße hat schon manches Fuhrwerksunglück verursacht, so auch gestern wieder, gerade während des Wochenmarktes. Ein mit Mehlsäcken schwer beladener Leiterwagen, an dem die Bremse brach, sauste um 11 Uhr vormittags den Schloßberg hinab mit den Pferden in die dichtgedrängten Marktleute hinein. Eine Anzahl Stände und Menschen wurden umgeworfen. Schreiend stoben die Weiber auseinander. Die Pferde stürzten und ein fürchterliches Durcheinander von zerbrochenen Eiern, Butter, Obst usw. bedeckte den Boden. Mehrere Personen wurden verletzt. Eine Frau wurde mit einem doppelten Beinbruch davongetragen. Eine andere hat einen leichteren Beinbruch erlitten.
Winterszeit — Schwere Zeit.
Ueberraschend, um Wochen früher als sonst, ist der Winter ins Land gezogen und gar strenge hat er seine Herrschaft angetreten. Ohne Uebergang, von heute auf morgen, ist der Tierwelt und insbesondere unfern gefiederten Sängern der harte Kampf ums Dasein, um tägliche Brot aufgedrängt worden. Da gilt es für uns helfend einzugreifen und so viel in unfern Kräften steht, den schweren Kampf zu erleichtern, denn nicht nur Hunger und Kälte bedroht unsere Vögel, auch andern Feinden fallen sie, wenn durch Hunger geschwächt, umso leichter zur Beutel deshalb ertöne immer und immer wieder der Ruf: Gedenket derhungernden Vögel, schafft schneefreie und sichere Futterplätze, streut Futter und Samen unfern Finken, Meisen und Ammern! An alle, besonders auch an unsere Jugend, ergeht dieser Ruf und so wie man gar manchmal bei Sammlungen für diesen oder jenen guten Zweck lesen kann, so gelten besonders hier die beiden Sätze: „Doppelt gibt, wer schnell gibt" und weiter: „Jede, auch die kleinste Gabe ist willkommen." L.
Letzte Nachrichten u. Telegramme
Wien, 28. Nov. Der Kaiser empfing heute nachmittag den Herzog Albrecht von Württemberg in besonderer Audienz.
München, 28. Nov. In dem Befinden des Herzogs Karl Theodor in Bayern ist infolge einer hinzugetretenen Bronchitis eine Verschlimmerung eingetreten. Der Zustand des Herzogs ist ernst.
Wien, 28. Nov. Trotzdem sich das Beweismaterial sowohl bezüglich der Ähnlichkeit der Handschrift des Begleitschreibens, als auch bezüglich der Schächtelchen und Oblaten, sowie des Aufenthalts Hofrichters in Wien immer mehr zu einem Schuldbeweis verdichtete, verblieb Hofrichter nach übereinstimmenden Meldungen bisher bei seinem hartnäckigen Leugnen und es ist immer noch nicht vollständig ausgeschlossen, daß es sich um eine unselige Verkettung von Umständen handelt. — Oberleutnant Hofrichter ist unter Bedeckung heute hier eingetroffen und dem Garnisonsgericht überwiesen worden.
Paris, 28. Nov. Anläßlich eines Hirtenbriefes, in welchem der Erzbischof von Paris, Amette, für die Abschaffung der Nachtarbeit der Bäckergehilfen eintritt, fordert der Sekretär des Bäckergehilfensyndikats, der bekannte Agitator Bousquet, mittels eines offenen Schreibens an „Hrn. Amette, Erzbischof von Paris" diesen auf, der am 2. Dez. in der Arbeitsbörse stattfindenden Versammlung beizuwohnen, in der mehrere revolutionäre und anarchistische Führer über die Frage der Nachtarbeit der Bäckergehilfen sprechen würden.
LM" Hiez« zweites Blatt. -UW