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Der Lnztäkr.
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190.
Neuen bürg, Montag den 29. November 1909.
67. Aaüraana.
Der deutsche Reichstag kann am 5. Dezbr. d. I., kurz nach seinem Zusammentritt, einen Gedenktag feiern. Vor 15 Jahren, am 5. Dezember 1894, fand die Schlußsteinlegung des neuen Reichstagsgebäudes durch den Kaiser statt. 15 Jahre tagt nun bereits der Reichstag im neuen Baue, zu dessen Errichtung mehr als zehn Jahre nötig waren, und zu dessen Kosten mehr als 22 ^/s Millionen Mark aufgewendet wurden, während für die künstlerische Ausschmückung noch über 2 Millionen Mark verwendet worden sind.
Berlin, 28. Nov. Am Samstag abend fand beim Reichskanzler und Gemahlin ein Festmahl statt, zu dem an die zur Zeit hier weilenden Mitglieder des bayerischen, sächsischen und württem- bergischen Staatsministeriums, an die Gesandten Bayerns, Sachsens und Württembergs, sowie an die Staatsminister, Staatssekretäre, Unterstaatssekretäre usw. Einladungen ergangen waren.
Berlin, 27. Nov. Wie man erfährt, hat der Reichstagsabgeordnete Schack heute früh dem Bureau des Reichstags die Mitteilung zukommen lassen, daß er sein Mandat niederlege. (Endlich!)
Der Heidelberger Oberbürgermeister Dr. Wilckens wurde dieser Tage in Karlsruhe von einem eigenartigen Mißgeschick betroffen; auf dem Wege vom dortigen Schloß, wo für die Kammermitglieder ein Essen stattfand, bis zum Bahnhofe verlor das Stadtoberhaupt seine — Amtskette. Den Verlust bemerkte Hr. Dr. Wilckens erst im Zuge auf der Rückreise nach Heidelberg. Wie von dort gemeldet wird, ist die Kette bis zur Stunde noch nicht beigebracht worden.
Der Dampfer „City of Para", der aus Nicaragua in San Francisko eingetroffen ist, meldet, daß Präsident Zelaya die Erschießung von vierzig Einwohnern der Stadt Puerto Korintho anordnete, weil sie einen Sieg der Insurgenten freundlich ausgenommen hatte. Vor ihrer Hinrichtung wurden die Leute den gräßlichsten Marlerqualen ausgesetzt.
Die Ermordung des Fürsten Jto durch einen fanatischen Koreaner konnte bereits als ein erneutes Zeichen des fortglimmenden Hasses der Koreaner gegen ihre japanischen Herren betrachtet werden. Nunmehr kommt aus Tokio die Kunde von der Entdeckung einer weitverzweigten antijapanischen Verschwörung in Korea. An ihr sollen der gesamte japanische Adel und fast alle der in ihren Aemtern belassenen hohen eingeborenen Beamten beteiligt sein. Hunderte dieser koreanischen Notabeln sind gefangen und nach Japan gebracht worden. Aber trotz aller Unterdrückungsmaßregeln ist der Aufstand stetig im Wachsen. Nach der Darstellung Tokioer Blätter hätten die Japaner den erbitterten Haß der Koreaner selbst verschuldet.
Wien, 27. Novbr. Der Absender der Giftbriefe ist in den Händen der Militärbehörde. Es ist, wie schon in ds. Bl. berichtet, der Oberleutnant Adolf Hofrichter, zugeteilt dem Generalstabe in Linz. Hofrichter ist in Haft genommen. Ein Geständnis hat H. noch nicht abgelegt. Hofrichter wurde am 1. Dezember 1904 zum Oberleutnant ernannt und machte den Generalstabskurs mit. Am 1. November 1909 wurde er beim Avancement zum Hauptmann wegen schlechter Qualifikation reserviert und zum Frontdienste nach Linz versetzt. Er wird von seinen Kameraden als äußerst fleißig und rachsüchtig geschildert. Nach der Niederlage, die er im November erlebte, wo er alle seine Hoffnungen zum Scheitern gebracht sah, soll er Kameraden gegenüber wiederholt Rachegedanken geäußert haben. Die Polizei kam in erster Linie durch die Aehnlichkeit seiner in dem Archiv der Kriegsschule aufgefundenen Schriften auf seine Spur. Zu diesem ersten Verdachtsmoment gesellte sich noch die telegraphische Anzeige eines
seiner Kameraden, der die Militärbehörde davon verständigte, daß er in der Wohnung Hofrichters kleine Schachteln gesehen habe, ähnlich denjenigen, wie sie den Generalstabsoffizieren zugestellt waren. Eine bei ihm vorgenommene Hausdurchsuchung hat gegen ihn nichts Belastendes zutage gefördert, er stellt auch seine Täterschaft entschieden in Abrede. Die Verdachtsgründe, welche gegen ihn vorliegen, sind folgende: Sein krankhafter Ehrgeiz, seine Rücksichtslosigkeit, ferner, daß er als passionierter Photograph. sich Zyankali leicht beschaffen konnte und daß er der kritischen Zeit von Linz beurlaubt war. Wie eine Umfrage bei seinen Verwandten ergab, hielt er sich in der Zeit zwischen dem 11. und 14. ds. in Wien auf. Es wurde auch ermittelt, daß der Offizier sich bei einem Papierhändler in Linz eine größere Anzahl Schachteln beschafft hatte, welche mit den Gistschachteln vollkommen übereinstimmen. Die Erhebungen gegen den Offizier werden fortgesetzt. Kaiser Franz Joseph wurde von dem Ergebnis der Nachforschungen verständigt.
Die längste Landungsbrücke der Welt ist bei Wilhelmshafen errichtet und dieser Tage dem Verkehr übergeben worden. Die Brücke ist ausschließlich für die in den Hafen einlaufenden Kriegsschiffe bestimmt. Sie ist aus Eisenbeton hergestellt und reicht weit in das Hafenbecken hinein. Der letzte Teil der Brücke ist so angelegt, daß er nach dem jeweiligen Wasserstand steigt oder sich senkt. Ein über die Brücke laufendes Normal-Schienengleise vermittelt die direkte Verbindung zwischen Eisenbahn und Schiff.
New-Uork, 21. Nov. Eine junge russische Aerztin, Dr. Luise Robinow Lisch, erregt in der amerikanischen Gelehrtenwelt mit der Behauptung Aufsehen, sie habe einen elektrischen Apparat erfunden, mit dem sie durch Elektrizität getötete Wesen wieder zum Leben erwecken kann. Sie führte im Edisonlaboratorium ihre Methode einem Kreis von Aerzten und Naturwissenschaftlern vor, wobei sie ein totes Kaninchen wieder lebendig machte. Das Kaninchen war auf die gewöhnliche Art durch Elektrizität getötet worden und wurde von den anwesenden Aerzten für tot erklärt. Frln. Robinowitsch bediente sich dann ihres elektrischen Apparates und brachte sogenannte rhythmische elektrische Erregungen hervor, indem sie den Strom über dem Herzen und dem Rückgrat des Tieres in häufigen Zwischenräumen ein- und ausschaltete. Innerhalb drei Minuten begann das Herz des Kaninchens zu schlagen und die Atmung setzte wieder ein. Das Tier erlangte sehr rasch das normale Bewußtsein zurück und nach einer halben Stunde hüpfte es durch das Zimmer. Danach zeigte die russische Aerztin, wie das Kaninchen durch Elektrizität anästhesiert wurde, ohne jede nachteilige Wirkung. Sie glaubt, daß beide Experimente mit Glück auch bei Menschen ausgeführt werden könnten.
Die Eisenbahn in Gegenwart und Vergangenheit.
„Diesen Karren, der durch die Welt rollt, hält kein Menschenarm mehr auf!" So sprach in weiter Voraussicht künftiger Entwickelungen vor etwa 70 Jahren der damalige Kronprinz von Preußen, der spätere König Friedrich Wilhelm IV. gelegentlich der Einweihungsfahrt der ersten Eisenbahn Berlins und Preußens, der Bahnlinie Berlin-Potsdam (22. Sept. 1838). In welchem Maße sich dieses Wort bewahrheitet hat, tritt uns am deutlichsten vor Augen, wenn wir uns das Reichskursbuch sowohl seinem heutigen äußeren Umfang als seinem Inhalt nach etwas genauer ansehen, und wenn wir bedenken, daß das Eisenbahnnetz der Erde gegenwärtig beinahe 1000 000 km Eisenbahnen umfaßt.
Sieht man von einigen älteren Versuchen bei Bergwerksbahnen ab und betrachtet den 27. Septbr. 1825, an dem die englische Bahnlinie Stockton-
Darlington, die überhaupt erste regelrechte Personenbahn der Erde, eröffnet wurde, als den Geburtstag des modernen Eisenbahnwesens, so haben wir in dieser Million Kilometer das Ergebnis von nur wenig mehr als 80 Jahren. Eine derart gewaltige Entwickelung ist umso erstaunlicher, wenn man hört, daß es England, die eigentliche Wiege der Eisenbahnen, bis zum Jahre 1848, dem Todesjahre des Erfinders der Lokomotive George Stephenson, also in fast einem Vierteljahrhundert nach der Eröffnung jener ersten Lokomotiveisenbahn, nur auf etwa 9000 km, Deutschland auf etwa 5000 km Eisenbahnen gebracht hatte, während die entsprechenden Zahlen heute etwa 40 000 für England und etwa 60 000 für Deutschland betragen; noch mehr: während um die Mitte des vorigen Jahrhunderts z. B. die Länge der vom preußischen Staate verwalteten vollspurigen Haupt- und Nebenbahnen sich erst auf etwa 500 km belief, beträgt diese heute etwa 35 000 km.
Mit dieser bedeutenden Entwickelung und der allmählichen Verdichtung des Verkehrs mußte naturgemäß auch die Zunahme der Fahrgeschwindigkeit gleichen Schritt halten. Während man zu Beginn des Eisenbahnverkehrs vor Benutzung des neuen, mit etwa 16 km in der Stunde fahrenden Beförderungsmittels warnte, und in besonderen „Gebrauchsanweisungen" den Fahrgästen auseinandersetzte, wie sie sich vor Schwindelanfällen und Gehirnerschütterungen bewahren könnten, und während man dem oben genannten Stephenson den wohlgemeinten Rat gab, er solle sich nur ja nicht einbilden, mit seinen Lokomotiven jemals eine größere Geschwindigkeit als 20 km in der Stunde zu erreichen, wenn er nicht als irrsinnig angesehen werden wolle, fährt man heute mit einer Höchstgeschwindigkeit von 100 km in der Stunde. Die neue Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung sieht auch schon eine größte zulässige Geschwindigkeit von 120 km in der Stunde vor. Auf der Nürnberger Landes- und Industrieausstellung 1906 war sogar eine große Schnellzuglokomotive für 140 km Geschwindigkeit seitens der Maschinenwerkstätten von I. A. Maffei in München ausgestellt.
Durch die Eisenbahnen sind nicht nur neue Verkehrsverhältnisse geschaffen worden, sondern die Eisenbahnen haben auch mittelbar und unmittelbar vollständig neue Industrie- und Erwerbszweige geschaffen ; es möge hier nur erwähnt sein, daß allein die Ausgaben der preußischen Staatseisenbahnverwaltung sich im Jahre 1906 auf 1169 773 093 Mark beliefen, worin u. a. auch die Gehälter und Löhne für 240345 Beamte und 207 690 Arbeiter, also für ein Gesamtpersonal von 448035 Köpfen, enthalten sind. Der Gesamtüberschuß allein der preußischen Staatseisenbahnverwaltung betrug im Jahre 1906 nahezu 700 000000 Mk., die also der Allgemeinheit zugute kommen.
Nur der verstockteste Lobredner der „guten alten Zeit" kann bestreiten, daß die Eisenbahn ungeheuer segenbringend für die Menschheit geworden sind. In Deutschland hat sich allein während der Regierungszeit des jetzigen Kaisers die Anzahl der Plätze in den Personenzügen mehr als verdoppelt. Diese Steigerung dürfte wohl auch mitbegründet sein durch das Bewußtsein des reisenden Publikums, daß für seine Sicherheit und Bequemlichkeit alles nur mögliche geschieht. Wenn trotz dieser bis ins Kleinste ausgeklügelten Sicherheitseinrichtungen doch noch von Zeit zu Zeit eine Eisenbahnkatastrophe von mehr oder weniger schwerwiegenden Folgen sich ereignet, so wird dies den im Eisenbahnbereich herrschenden Geist des Fortschritts nicht lähmen oder hemmen, vielmehr ein neuer Ansporn sein, das gewaltige Kulturwerk immer weiter auszubauen und zu verbessern zum weiteren Wohls des einzelnen, zum Segen der Allgemeinheit.