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besetzt war. Der Führer desselben bemerkte das Feuer und den Rauch und stoppte. Die Fahrgäste sprangen heraus und suchten den Ausgang des Bahnhofes zu erreichen. Der Qualm erfüllte bereits das ganze Tunnel und das Gewölbe geriet in Brand. Hastend, kriechend und drängend kamen die Fahrgäste zur Ausgangstreppe. Mehrere waren verwundet und mußten in eine Apotheke getragen werden. Nach wenigen Minuten war die Treppe derart mit Rauch angefüllt, daß es unmöglich war, hinab zu steigen. Die Feuerwehr eilte herbei. Polizei und berittene Gardisten sperrten die Straße in weitem Umkreise ab. Man befürchtete den Einsturz des brennenden Gewölbes. Der Polizeipräfekt Lepine versuchte zweimal mit mehreren Beamten die Treppe hinab zu steigen, mußte aber jedesmal wieder umkehren. Man rechnet, daß der Zug 240 Insassen gehabt hat, von denen sich bisher nur 50 gemeldet haben. Da die in das Gewölbe hinabgesandten Wasserstrahlen unwirksam blieben, entschloß man sich um 3 Uhr morgens die Straße und das Bahngewölbe zu sprengen, um eine Oeff- nung zu schaffen. Die 7 Leichen, welche man zuerst fand, sind diejenigen von Personen, die während der Katastrophe grade ihre Billet lösen wollten und von der anstürmenden Menge umgerannt wurden. Im Winkel des Bahnhofes Couronnes lagen übereinander gestapelt ganze Haufen verkohlter Leichname. Mittags 12 Uhr betrug die Zahl der aus dem Tunnel herausbeförderten Toten bereits über 100. Die Ziffer wächst jedoch fortwährend. Die Gesichter der Leichname find tiefrot, wie geröstet. Die Verunglückten gehören meistens dem Arbeiterstande an. Man fand aber auch zahlreiche Kinderleichen sowie einige elegant gekleidete Damen. Alle Leichen, die aus dem Tunnel herausbefördert wurden, wurden auf die Ambulavzwagen geladen. Der Bahnsteig ist mit verkohlten Gegenständen und Blut bedeckt. — Im Laufe des Vormittags erschien Ministerpräsident Combes in Begleitung des Polizei-Präfekten in der Morgue und in der nahen Kaserne, wo die Toten hingeschafft wurden.
Paris, 11. Aug. In einem Stadtbahntunnel ist gestern abend ein- Zug in Brand geraten. Viele Personen sind durch Rauch erstickt. Bis 6 Uhr früh wurden 5 6 Leichen herausgeschafft, darunter 44 Männer, meistens Arbeiter, 10 Frauen und 2 Kinder. — Der Brand ereignete sich im Stadtviertel Menilmontant in der unter dem äußeren Boulevard von der Place Etoile nach der Place de la Nation führenden Untergrundbahn. Gegen 8 Uhr abends ging ein leerer Zug, der einen anderen leeren Zug schleppte, nach der Wagenremise der Place de la Nation ab. Die Wagen gerieten in Brand. Der Maschinist und das übrige Zugspersonal konnten sich rechtzeitig retten. In demselben Augenblick traf aber ein mit zahlreichen Reisenden b e - setzter Zug in der Station Couronnes ein.
Der Maschinist dieses Zuges stoppte, da die Linke blockiert war. Aber schon füllte sich der Tunnel mit dichtem Rauch. Es entstand eine furchtbare Panik unter den Reisenden, besonders als nach 1—2 Minuten das elektrische Licht erlosch, die Reisenden etwa 200 an der Zahl suchten einen Ausweg. Das Personal bemühte sich zwar, den Reisenden einen Weg zu zeigen, aber es scheint, daß es wegen der Panik sich kein Gehör verschaffen konnte. Die Rettungsarbeiten waren wegen des den Tunnel erfüllenden dichten Rauches mit ungeheuren Schwierigkeiten verbunden. Es vergingen Stunden, bis Feuerwehrleute in den Tunnel etn- dringen konnten. Anfänglich glaubte man, daß niemand das Leben eingebüßt habe. Gegen Mitternacht verbreitete sich aber das Gerücht, daß sich von den 200 Reisenden kaum die Hälfte habe retten können und daß die übrigen erstickt seien. Der verwundete Maschinist des in Brand geratenen Zuges glaubt, daß der Brand durch Kurzschluß entstanden sei.
Paris, 11. August. Bis jetzt sind 27 der bei der Katastrophe auf der Metropolitanbahn ums Leben gekommenen Personen agnosziert worden. Der Betrieb der Bahn ist wieder ausgenommen worden mit Ausnahme auf der Strecke Belleville bis zur Avenue de la Rcpublique. Wie nunmehr feststeht, sind 70 der Toten dadurch ums Leben gekommen, daß sie in der herrschenden Dunkelheit anstatt nach links, wo sich der Ausgang befand, nach rechts gingen. Sie wurden auf einem Haufen liegend aufgefunden. Die hiesigen Zeitungen veröffentlichen stündlich Extrablätter mit neuen Einzelheiten und Angabe der Namen der erkannten Opfer.
Rom, 11. Aug. Die Aerzte bezeichnen den Ohnmachtsanfall des Papstes als ein belangloses Unwohlsein infolge der großen Hitze und der Aufregung der letzten Tage. Jede Störung oder Abnormität der Organe des Papstes sei ausgeschlossen.
Marktbericht.
C a l w, 1L Aug. (Pferde-, Vieh-und Schweinemarkt.) Der heutige Markt war ziemlich stark befahren. Der Handel in Milchvieh und Rindern ging schleppend bei zurückgehenden Preisen. Ochsen fanden dagegen rasch Käufer zu Preisen von 800—1030 pro Paar. Auf dem Schweinemarkt wurde lebhaft gehandelt und fand die Zufuhr raschen Absatz. Insgesamt waren zum Markt gebracht 22 Pferde, 430 Stück Rindvieh, 108 Läufer- und 75 Körbe Milchschweine. Preis der Milchschweine 15—30 pro Paar.
HtetkameLetk.
Auch zu Salat, Saucen ec. eignet sich tkengslsn-
dei>g's tIVeinessig vortrefflich.
Berlin, 11. Aug. Aus München wird her Berliner Morgenpost gemeldet: Die Memoiren des Buren-Oberst Schiel, die vollständig fertiggestellt sind, enthalten interessante Aufschlüsse über das Verhältnis Deutschlands zu den Buren-Repu- bliken vor dem Kriege und zeigen mit wie großen Hoffnungen aus Deutschland von Seiten der Buren- Republiken der Krieg begonnen wurde.
Berlin, 11. August. Der Lokal-Anzeiger meldet aus Paris: Mittags war die Morgue von Tausenden umlagert. Unter den 40 dort ausgestellten Toten befand sich auch ein junger Handschuhmacher, welcher von seiner, dem Unglücklichen erst am vorigen Dienstag angetrouten Frau erkannt wurde. Der Kunstmaler Sandellon wurde von einem seiner Modelle erkannt. Das Begräbnis der Opfer der Katastrophe soll übermorgen auf Kosten der Stadt Paris stattfinden.
Berlin, 11. Aug. Die Nachrichten vom Balkan lauten fortgesetzt sehr ernst. Sie laufen jedoch nur sehr spärlich ein, da nach einem Telegramm der Voss. Ztg. aus Belgrad der größte Teil der Eisenbahnen und Telegraphenleitungen in Mazedonien zerstört ist. Doch scheint der allgemeine Aufstand tatsächlich ausgebrochen zu sein. Viele Dörfer, besonders im Vilajet Monastir stehen in Flammen und fortwährend finden Kämpfe zwischen Insurgenten und Militär statt, welches viele Greuel verübt. Der Aufstand ist bis an die serbische Grenze ausgedehnt. — Die mazedonischen Insurgenten konzentrieren sich, wie eine Londoner Depesche des Lokalanz. aus Konstantinopel meldet, in großen Massen zwischen Philep und Dibra, um die türkischen Verstärkungen, die aus Alt-Serbien anlangen, abzufangen. Nach weiteren Depeschen verwüsteten die türkischen Truppen bei Monastir die drei Dörfer Dolno, Kruscha und Smiljewo und machten in einem grausamen Gemetzel einen großen Teil der Bevölkerung nieder. Aus revolutionären Kreisen wird gegen diese Metzeleien protestirt, da von Komites der Aufständischen strenger Befehl ergangen ist, die Freunde der Christen und türkische Frauen, Kinder und Greise zu schonen.
Berlin, 11. Aug. lieber die Brand- k.atastrophe <s. Paris) auf der Pariser Untergrundbahn veröffentlicht das „Berl. Tagebl." ein ausführliches Telegramm, dem Folgendes zu entnehmen ist. Der Zugführer Chauvin, der um 8 Uhr abends einen beschädigten leeren Zug zum Bahnhofe unter der Place de la Nation zu dirigiren hatte, bemerkte unterwegs, daß unter dem Wagen einzelne kleine Flammen aufschlugen. Er hoffte, die Station zu erreichen. Aber vorher schlug infolge Kurzschlusses eine meterhohe Flamme empor. Im selben Augenblicke erlosch im Tuunel das elektrische Licht und dichter Rauch hüllte alles ein. Das Bahnpersonal stürzte nach den Ausgängen, entkam halb erstickt und schlug Alarm. Inzwischen kam von der entgegengesetzten Seite auf einem anderen Geleise ein Zug, der dicht mit Fahrgästen
hielt die Hand seiner Braut in der seinigm, während sich Tante Martha neben Kurt setzte.
„Ich dächte," sagte sie, „es wäre das beste, du gingst längere Zeit auf Reisen; du lernst dann andere Menschen kennen, findest Anregung und Zerstreuung. Die Welt ist ja groß und schön; das Stillsitzen und Grübeln taugt nicht für dich, zumal jetzt der Winter vor der Türe steht und draußen die Natur schlafen geht. Da sitzest du zu viel zwischen deinen vier Wänden. Schüttle dein Leid ab, mein Sohn, und sammle in fremden Ländern neuen Mut zu neuem Leben. Für das, was du hier zurückläßt, brauchst du ja nicht zu sorgen. Wir hoben eine starke Stütze, auf Fritz Heßfeldt kannst du dich verlassen, er besorgt alle Geschäfte, wenn du fort bist, nicht wahr?"
Sie winkte Heßfeldt zu, ihr beizustehm und Kurt zu überreden.
„Ich finde den Plan der verehrten Tante ausgezeichnet," stimmte Fritz bei, und auch Susanne freute sich, als sie sah, daß Kurt mit Eifer auf das Vorhaben einging.
Ja, fort wollte er, so bald als möglich, am liebsten gleich, und recht weit f ort. Man könnte ihm ja das Nötige nachschicken, und Heßfeldt würde alle geschäftlichen Anordnungen treffen, er gehörte ja jetzt zur Familie, Kurt wollte ihm völlig freie Hand lassen.
Der junge Mann war aufgesprungen und lief mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Seine bleichen Wangen hatten sich ein wenig gerötet. Er entwarf Pläne und traf Vorbereitungen, seine Gedanken wurden dadurch abgelenkt, was einen sehr wohltätigen Einfluß hatte.
Es war sehr spät geworden, als man sich endlich zur Ruhe begab.
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Abschiednehmend stand Kurt einige Tage vor der Schwester, die mutig die
Tränen zurückdrängte. Sie wollte dem Bruder nicht zeigen, wie schwer ihr die Trennung von ihm wurde. Wie lange er fortbleiben würde, wu^te er noch nicht, aber wahrscheinlich würde er so bald nicht wieder kommen.
„Wie ich schon sagte," wandte er sich an Susanne, „mit der Hochzeit wartet nicht auf mich, sondern feiert sie in Gottes Namen ohne mein Beisein. Ihr braucht ja nicht viel Gäste einzuladen, äußerliches Gepränge macht das Glück nicht aus. Also folgt meinem Rat und schließt Euren Herzensbund recht bald. Wenn ich zurückkomme, feiern wir ein fröhlrchcs Wiedersehen. Bis dahin lebt wohl!"
Susanne weinte nun doch. Sie hing sich an den Hals des Bruders und schluchzte, als sollte sie für immer von ihm Abschied nehmen.
Heßfeldt suchte sie zu beruhigen.
„Bin ich denn dir gar nichts mehr, mein Schatz?" sagte er treuherzig. „Bedenke doch, daß Kurt als ein völlig anderer heimkehrrn wird. Du mußt dich darein zu finden suchen. Liebste!"
Sie trocknete ihre Tränen und zwang ein Lächeln auf die blassen Lippen. Auch in den schönen Augen Jsas schimmerte es feucht, als sie dem Jugendfreunde die Hand reichte, die er einen Augenblick in der seinen hielt. Wenn es ibr auch keiner sagte, was diese plötzliche Abreise bedeutete, so ahnte sie doch die Wahrheit. Sie sah sehr blaß aus in diesen Tagen und war stiller als sonst. Nur wenn, was täglich geschah, Herr v. Uttrecht auf Buchecke vorsprach schien sie heiter und liebenswürdig. Kurt war bei den Besuchen Unrechts niemals zugegen gewesen, er hatte dann stets s.hr viel zu schaffen außerhalb des HauseS und fand immer einen Vorwand, um sich zu entfernen.
Da saß er meist schweigend, den Kopf in die Hand gestützt, drüben bei Heßfeldt in dessen Junggesellenheim und wartete die Zeit ab, wo Uttrecht sich entfernte.
(Fortsetzung folgt.)