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Neuenbürg, Mittwoch den 28. Znli 1909
07. Jahrgang.
Mitteilungen aus dem Publikum.
(Für die eingesandten unter dieser Rubrik veröffentlichten Artikel trügt die Redaktion nur die preßgesetzliche Verantwortung^.
Schulpolitik auf der Kanzel.
Aus Lehrerkreisen von Neuenbürg und aus dem Bezirk werden wir um Aufnahme des nachstehenden ersucht. Wir stellen auf wiederholtes Verlangen zu Rede und Gegenrede den Raum zur Verfügung, obwohl wir uns sagen müssen, daß diese Polemik im jetzigen Stadium der Verhandlungen im Landtag zu keinem greifbaren Resultat führen wird. (Die Red.).
Der Gesamtvorstand des württ. Volksschullehrervereins erläßt folgende Erklärung und bittet um Aufnahme in die verschiedenen Zeitungen. Auf die verschiedenen Unterschriftensammlungen, die von den Bauernbündlern und Konservativen und auch Geistlichen ins Werk gesetzt wurden, möchte nun der Lehrerstand antworten. Es wäre ihm natürlich auch freigestanden, Unterschriften für die freiere Ausgestaltung des Schulwesens zu sammeln, aber es wurde abgesehen, denselben Weg zu beschreiten. Wenn auch im diesseitigen Bezirk diese Agitation und Unterschriftensammlung nicht die häßlichen Auswüchse gezeitigt hat, wie sie im vorliegenden Artikel angeführt werden, so wurden doch auch Versuche in dieser Richtung gemacht.
Landauf, landab entfalten evangelische Pfarrer eine unheimliche Tätigkeit, um einen Einfluß auf die Gestaltung der Schulnovelle zu erlangen. Es ist ihr gutes Recht, Eingaben an die Ständeversammlung zu richten; aber durchaus verwerflich ist die Art, wie viele Pfarrer die Bürger zu den Unterschriften gewinnen. Wir haben für unsere Eingaben um Umgestaltung des Volksschulwesens nie Unterschriften von Bürgern aus anderen Berufskreisen gesammelt; wir vertrauten unserer guten Sache. Pfarrer protestantischer Konfession glauben ihre unberechtigten Ansprüche auf die Volksschule nur dadurch retten zu können, daß sie die Kirchengenossen, die in Schulfragen oft schlecht unterrichtet sind, durch die unsinnigsten Behauptungen über die Bestrebungen des Württ. Volksschullehrervereins und die Folgen der Schulnovelle gegen eine zeitgemäße Neuordnung des Volksschulwesens aufstacheln. Wie vor einigen Jahren vom katholischen Klerus die Mitglieder des katholischen Volksschullehrervereins bei den Ortsbürgern verlästert wurden, so werden jetzt von evangelischen Pastoren evangelische Lehrer bei den Gemeindeangehörigen von der Kanzel herab in unverantwortlicher Weise als Feinde der Kirche, der Religion gekennzeichnet. Die Lehrer hatten seit 1836 die Hauptarbeit an der religiösen Unterweisung der Jugend zu leisten; denn die Geistlichen — ihre Vorgesetzten — sind ihrer gesetzlichen Verpflichtung, den Religionsunterricht unter angemessener Teilnahme des Lehrers zu geben, erst seit 1907 in einer größeren Zahl von ein- und zweiklassigen Schulen nachge- kommen. Die Pfarrer haben es ganz ruhig mit ansehen können, wie die Lehrer die Kinder in die christliche Religion einführten; und auch heutzutage noch überlassen sie in allen mehrklassigen Schulen den Lehrern den weitaus überwiegenden Teil der Religionsstunden; trotzdem scheuen sich gar manche nicht, in der Kirche die Lehrer als kirchenfeindliche und religionslose Leute zu verdächtigen. Und warum? Weil sie für die Volksschule dieselbe Einrichtung wünschen, die in den höheren Schulen besteht, in welche doch die Geistlichen ihre Kinder so gerne schicken und welche sie selbst doch auch besucht haben, ohne an ihrem inneren Menschen Schaden zu nehmen. Oder am Ende doch? Dann könnten sie aber nicht mehr als Hüter der Religion gelten.
Wenn es übrigens den Herren Geistlichen mit ihren Bedenken gegen den Religionsunterricht der Lehrer Ernst wäre, so dürften sie als gewissenhafte Leute keine Minute zögern, den gesamten Religionsunterricht selbst zu übernehmen (der Lehrer hätte in den übrigen Fächern ja noch Arbeit genug); sie könnten dann zeigen, was sie vermögen ohne die Lehrer.
In dem unausgesetzten Verlangen, unseren Religionsunterricht zu beaufsichtigen, spricht sich ein Mißtrauen aus, das durch gar nichts gerechtfertigt werden kann, das sich auch mit dem protestantischen Standpunkt (allgemeines Priestertum) absolut nicht vereinigen läßt. Eine religiöse Erziehung der Jugend durch einen Erzieher, der selber unter Polizeiaufsicht steht — welcher Widerspruch!
Die neue Schulnovelle will der württ. Volksschule einige von den Einrichtungen geben, die in andern deutschen Ländern schon seit Jahrzehnten zum Segen des Volkes eingeführt sind. Nun entfalten Geistliche eine heftige Agitation gegen die Männer, die am Schulfortschritt beteiligt sind, zugleich auch gegen die K. Regierung, die nach langem Zögern zu den notwendigsten Verbesserungen unseres nun einmal rückständig gewordenen Volksschulwesens schreiten will. Mesner werden mit Eingaben von Haus zu Haus geschickt; weil das Schriftstück vom Pfarrer kommt, unterschreibt man es unbesehen. In den Sitzungen der Kirchengemeinderäte läßt man die Eingabe umgehen; jedes einzelne Mitglied soll unterzeichnen, weil der Kirchengemeinderat als kirchenamtliche Behörde die Eingabe nicht unterstützen darf. Auch in Kirchen werden die Männer zur Abgabe der Unterschriften aufgefordert. Die Kinderlehre fällt an einem Sonntag aus, weil der Pfarrer eine Männerlehre halten will. Er spricht mit den Kirchenbesuchern, die aufgefordert worden waren, nach dem Gottesdienst dazubleiben, über die Landtagsverhandlungen: wie man die Konfession aus der Schule entfernen wolle; wie man nur eine Oberschulbehörde einrichten wolle; wie der Fall eintreten könne, daß die rein evangelische Gemeinde einen katholischen Lehrer bekomme; wie die Bezirksschulinspektoren aus den Reihen der Lehrer genommen werden; wie die Schulaufseher, die Lehrer seien, religionsfeindlich werden können usw. Auf Frankreich wird hingewiesen. Vom Nachbarlande Baden erzählt der Pfarrer, es sei dort so weit gekommen, daß die Pfarrer den Unterricht in ihren Studierstuben geben, daß sie den Sonntag dazu benützen müssen, daß für den Unterricht besondere Lokale in den Gemeindehäusern eingerichtet werden müssen u. s. f. Der Gemeinde erwachsen also Ausgaben. Den Bauern gruselt's die Feder kreist; das Papier, das auf dem Altar liegt, bedeckt sich mit Namen.
Wir haben uns nach Baden um Auskunft gewandt und folgende Antwort erhalten:
„Ueberall in Baden gibt der Geistliche den Religionsunterricht in den betreffenden Klassenzimmern. Für den Konfirmandenunterricht wurden in den größten Städten und einigen Dörfern Konfirmandensäle erbaut, weil es mitunter schwer hält, diesen Unterricht außerhalb der Schulzeit in einem Schulzimmer unterzubringen. Dieses sind aber Ausnahmen."
Der Pfarrer, der solchermaßen handelte, hat durch Schwarzmalerei und Irreführung, durch Verdächtigungen und Entstellungen den Bürgern das Bewußtsein beigebracht, daß sie durch die Unterzeichnung der Eingabe eine staats- und kirchenrettende Tat begehen. Der Lehrersland muß dagegen protestieren, daß man ihn in den Augen der Bevölkerung als kirchen- und religionsfeindlich verschreit, und er muß seine tiefste Entrüstung darüber aussprechen, daß man in den Kampf gegen ihn durch Anwendung unlauterer Mittel auch die Bürger der Gemeinde, die Väter der Volksschuljugend, hereinzieht.
Der geschäftsführende Vorstand des Württ. Volksschullehrervereius.
Der „Kirchliche Anzeiger" schreibt in seiner neuesten Nummer vom 22. Juli ds. Js.: Ein vom geschäftssührenden Vorstand des Württ. Volksschullehrervereins Unterzeichneter Artikel „Schulpolitik von der Kanzel" macht gegenwärtig die Runde durch die gesamte Landespresse. Darin wird unter anderem behauptet, daß „von evangelischen Pastoren evangelische Lehrer, bei den Gemeindeangehörigen von der Kanzel herab in unverantwortlicher Weise als Feinde der Kirche, der Religion gekennzeichnet werden", daß „Diener Jesu den Berufsstand, dem die Erziehung der Volksjugend anvertraut ist, durch
Verdächtigung seiner religiösen Gesinnung in der Meinung und Achtung und Wertschätzung heruntersetzen", daß der herrschsüchtige Geistliche die Lehrer in den Ruf der Irreligiosität gebracht haben usw. Den Pfarrern wird vorgeworfen, daß sie den Religionsunterricht in der Volksschule nicht voll erteilen, daß sie doch auch im Auge behalten sollten, was der Lehrerstand für die Kirche getan hat usw. Und warum das alles? Weil im Land eine Petition verbreitet worden ist, die sich für Beibehaltung getrennter Oberschulbehörden, für Beaufsichtigung des Religionsunterrichts durch die Kirche, für Ermöglichung eines geordneten Religions- und Konfirmanden - Unterrichts erklärt. Die Petition ist von der Evangelisch-kirchlichen Vereinigung ausgegangen, die sich darum wohl auch in erster Linie mit diesen Angriffen befassen wird. Gar nicht alle Pfarrer haben die Petition unterschrieben und verbreitet, weil nicht jeder ein Freund derartiger Massenpetitionen ist. Die, die es taten, werden es aus sachlichen Erwägungen nicht aus persönlicher Gehässigkeit gegen den Lehrerstand getan haben. Es mag zugegeben werden, daß bei einzelnen Unterschriftensammlern Entgleisungen vorgekommen sind, die gar nicht entschuldigt werden sollen. Aber dann, bitte, Namen und genaue Daten nennen! Wo sind Lehrer von der Kanzel herab als Feinde der Religion gekennzeichnet worden? Es ist eine hinterhältige Polemik, derartig unbestimmte und dazu gehässige Verdächtigungen in die Welt zu stoßen, durch die der Eindruck erweckt wird, als ob weite Kreise des Pfarr- standes nichts besseres zu tun hätten, als einen persönlichen Kampf gegen den Lehrerstand zu führen. Wir können das Urteil über eine solche Kampfesweise ruhig allen billig Denkenden, auch denen innerhalb der Lehrerschaft, überlassen.
Württemberg.
Stuttgart, 26. Juli. Die Finanzkommission befaßte sich heute wiederholt mit der Frage der Steuererhöhung und da sie in diesem Teil noch zu keinem bestimmten Beschluß gelangte, wird bis zu diesem Ergebnis die Beratung hierüber als vertraulich angesehen. Bei Beratung der Biersteuergesetznovelle beantragte der Referent Dr. Lindemann Zustimmung zum Regierungsvorschlag (65°/o des Steuersatzes oder 14 30 ^ für die ersteren
1250 Dz., 90°/o oder 19,80 -4k für die folgenden 1500 Dz., 95°/o oder 20,90 für die folgenden 2000 Dz. und 100°/o oder 22 für den Rest). Die Abgeordneten des Zentrums, Gröber, v. Kiene, Rembold-Aalen und Gmünd beantragten eine ähnliche Vergünstigung wie bisher für die Brauer mit nur 500 Dz. Verbrauch dahin. Einzuschalten in Z. 1 als 3. Absatz: Wenn die in einem Brauereibetrieb innerhalb eines Rechnungsjahres steuerpflichtig gewordene Malzmenge insgesamt 500 Dz. nicht übersteigt, so beträgt die Steuer für die die ersten 250 Dz. übersteigende Menge 70"/« des Steuersatzes. Ferner beantragten dieselben Abgeordneten in Abs. 4 für die Privatbrauer die Steuer wie bisher für die ersten 5 Dz. auf 25°/» des Steuersatzes zu belassen und nicht wie im Entwurf auf 30°/o zu erhöhen. Der Finanzminister vertrat den Entwurf gegenüber dem ersten Antrag, hatte aber gegen den letzteren Antrag keine Bedenken, eventl. würde er statt 70°/o im ersten Antrag 75°/« als annehmbar halten. Bei der Abstimmung würde der erste Antrag Gröber und Genossen mit 9 gegen 4 Stimmen, der zweite Antrag (belr. Privatbrauer) mit 7 gegen 6 Stimmen abgelehnt. Sodann wurden die weiteren Artikel des Entwurfs nach den Anträgen des Berichterstatters angenommen. Die zu dem Entwurf eingegangenen zwei Eingaben des Württ. Brauerbundes und des Oberschwäbischen Brauereiverbandes wurden als durch die Beschlußfassung erledigt erklärt und die dieser entsprach den Bestimmungen und Exi- genzen des 4. Etatsnachtrags nach einem Antrag Liesching mit 8 gegen 3 Stimmen angenommen. — Am Mittwoch soll die Fortsetzung der unterbrochenen Beratung über die Steuererhöhung statt- finden.
Stuttgart, 26. Juli. (Manöverpostdienst.) Zur Bewältigung des über die Dauer der Kaiser-